Produktdetails
- Anzahl: 1 Vinyl
- Erscheinungstermin: 10. Februar 2012
- Hersteller: 375 Media GmbH / GRAND HOTEL VAN CLEEF / INDIGO,
- EAN: 4047179642514
- Artikelnr.: 34560484
- Herstellerkennzeichnung
- Grand Hotel van Cleef
- Feldstraße 36a
- 20357 Hamburg
- http://www.ghvc.de
Frankfurter Allgemeine ZeitungStolze Versager
Deutschpop I: Kettcar halten Hamburg die Treue
Von Marc Peschke
Die Hamburger Band Kettcar ist ziemlich gut im Finden origineller Titel. Ihre erste Maxi-Single trug den verheißungsvollen Namen "Solange die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende" (2001). Tatsächlich war diese Oper noch nicht zu Ende. Denn es wurde eine Erfolgsgeschichte, wie sie junge Bands in Deutschland selten haben. Seit dem im Jahre 2002 erschienenen Debütalbum "Du und wie viel von Deinen Freunden", spätestens seit dem Nachfolger "Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen" (2005) ist das Quintett um Sänger und Gitarrist Marcus Wiebusch eine sichere Bank im deutschen Liebeslied.
Das beweist die Band auch auf ihrem neuen Album "Zwischen den Runden" gleich mit dem ersten Stück. "Rettung" beginnt mit schnellem Schlagzeug, euphorisierenden Northern-Soul-Bläsern, und dann geht sie los, diese Geschichte einer langen Nacht in Bars, die mit einem veritablen Absturz endet. "Du sagtest: ,Lass mich zurück. Du kannst es schaffen ohne mich'. Ich sagte: ,Nein, ein Marine lässt niemanden im Stich. Wir haben's gleich geschafft'. Und ich ging langsam durch die Nacht."
Liebe ist ja nichts Besonderes im Pop, aber sie klingt stets besonders bei dieser Band. Kettcar erzählen keine Kurzgeschichten über die Liebe, sie schätzen den großen Wurf, die Hymne. Es ist eine tiefromantische Haltung. Man lässt die Liebe seines Lebens nicht im Stich mit ihrem Kater, niemals, auch wenn es unschön ist, ihr nach dem Erbrechen die Essensreste aus dem Haar zu pulen, wenn die "Sabberfäden zart" das Ohr streifen - es gibt wohl nur wenige andere Bands aus Deutschland, die einen derart grotesken Text wie den von "Rettung" mit so viel Würde singen können wie Kettcar. Vielleicht Element Of Crime, die inzwischen auch die größte Referenz der Hamburger sind.
Ein Stück wie "Im Club" würde man indes von Element Of Crime wohl kaum zu hören bekommen. Es ist der klassische Die-Welt-bricht-zusammen-aber-wir-machen-weiter-Song, geschrieben für alle "trostlosen Helden", für "blinde Propheten" und "stolze Versager": reine, kühne Pop-Romantik, die auch aus vielen anderen Liedern des insgesamt ruhigen, beinahe getragenen Albums quillt, etwa aus dem angejazzten Liebeslied "In deinen Armen", das die Geschichte der Trennung von Thomas und Mareike erzählt, oder aus "Erkenschwick": ein schlichter, gezupfter Folksong über einen Jungen an den Gleisen, der abhauen will und ans Meer möchte, doch sein Ziel kaum erreichen wird. Denn der Zug fährt bloß nach Erkenschwick - und das ist, wer es nicht weiß, eine Stadt des Kreises Recklinghausen im Regierungsbezirk Münster. Erkenschwick ist für Kettcar das, was für Element Of Crime einst Delmenhorst war: ein Ort, dessen Zauber gerade in seiner blassen Gewöhnlichkeit liegt.
Aber vor allem ist "Zwischen den Runden" doch wieder ein Album über Hamburg geworden. Eine richtig zackige Hymne ist nämlich darauf, die rockt und auf der dahin gegangen wird, wo es weh tut. War Hamburg bei dem frühen Kettcar-Hit "Landungsbrücken raus" noch ein Sehnsuchtsort, ein Bild, das zumindest Applaus verdiente, so ist "Schrilles, buntes Hamburg" nur wenige Jahre später kaum mehr ein Ort der Zufriedenheit: "Wir hatten vier, fünf gute Jahre / In zukünftiger bester Lage / Der Malerfürst lässt leise wissen: / Ab jetzt kommen die Touristen / In der Hafencity-Abendsonne / Off-Kunst-Events / Hier: Perlenkettenpläne / Dort: Nudeln mit Senf".
Und dann, ganz am Schluss, noch einmal hinaus in den Norden der Stadt, nach Ohlsdorf mit seinem riesigen Friedhof mit den 200 000 Gräbern, der so schön ist, wenn die Rhododendren blühen. "Ich war spät und rutschte hinten in die unbesetzten Reihen / Es waren nicht viele gekommen, und vorne stand jemand allein / Und erzählte etwas hölzern die Geschichte eines Lebens". Ein stilles Abschiedslied für einen toten, ganz jung gestorbenen Freund, der selbst im Sarg noch gut aussah in seinem schwarzen Anzug.
"Zurück aus Ohlsdorf" ist der Schlüsselsong dieser Platte, ein Abgesang auf den Verstorbenen, aber vielleicht auch: ein Abgesang auf die Idee von Jugendlichkeit überhaupt, ein Abgesang auf die Idee, unverletzlich zu sein, ein Memento mori aus Akustikgitarre und Piano, das noch lange im Ohr bleibt. "Lass uns noch einmal um die Häuser ziehen wie früher" ist die letzte Zeile des Albums, doch hört man Marcus Wiebusch singen, brüchig und beinahe schon alt, dann ahnt man: So wie früher wird's nicht mehr.
Kettcar, Zwischen den Runden.
Grand Hotel Van Cleef 4917575 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutschpop I: Kettcar halten Hamburg die Treue
Von Marc Peschke
Die Hamburger Band Kettcar ist ziemlich gut im Finden origineller Titel. Ihre erste Maxi-Single trug den verheißungsvollen Namen "Solange die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende" (2001). Tatsächlich war diese Oper noch nicht zu Ende. Denn es wurde eine Erfolgsgeschichte, wie sie junge Bands in Deutschland selten haben. Seit dem im Jahre 2002 erschienenen Debütalbum "Du und wie viel von Deinen Freunden", spätestens seit dem Nachfolger "Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen" (2005) ist das Quintett um Sänger und Gitarrist Marcus Wiebusch eine sichere Bank im deutschen Liebeslied.
Das beweist die Band auch auf ihrem neuen Album "Zwischen den Runden" gleich mit dem ersten Stück. "Rettung" beginnt mit schnellem Schlagzeug, euphorisierenden Northern-Soul-Bläsern, und dann geht sie los, diese Geschichte einer langen Nacht in Bars, die mit einem veritablen Absturz endet. "Du sagtest: ,Lass mich zurück. Du kannst es schaffen ohne mich'. Ich sagte: ,Nein, ein Marine lässt niemanden im Stich. Wir haben's gleich geschafft'. Und ich ging langsam durch die Nacht."
Liebe ist ja nichts Besonderes im Pop, aber sie klingt stets besonders bei dieser Band. Kettcar erzählen keine Kurzgeschichten über die Liebe, sie schätzen den großen Wurf, die Hymne. Es ist eine tiefromantische Haltung. Man lässt die Liebe seines Lebens nicht im Stich mit ihrem Kater, niemals, auch wenn es unschön ist, ihr nach dem Erbrechen die Essensreste aus dem Haar zu pulen, wenn die "Sabberfäden zart" das Ohr streifen - es gibt wohl nur wenige andere Bands aus Deutschland, die einen derart grotesken Text wie den von "Rettung" mit so viel Würde singen können wie Kettcar. Vielleicht Element Of Crime, die inzwischen auch die größte Referenz der Hamburger sind.
Ein Stück wie "Im Club" würde man indes von Element Of Crime wohl kaum zu hören bekommen. Es ist der klassische Die-Welt-bricht-zusammen-aber-wir-machen-weiter-Song, geschrieben für alle "trostlosen Helden", für "blinde Propheten" und "stolze Versager": reine, kühne Pop-Romantik, die auch aus vielen anderen Liedern des insgesamt ruhigen, beinahe getragenen Albums quillt, etwa aus dem angejazzten Liebeslied "In deinen Armen", das die Geschichte der Trennung von Thomas und Mareike erzählt, oder aus "Erkenschwick": ein schlichter, gezupfter Folksong über einen Jungen an den Gleisen, der abhauen will und ans Meer möchte, doch sein Ziel kaum erreichen wird. Denn der Zug fährt bloß nach Erkenschwick - und das ist, wer es nicht weiß, eine Stadt des Kreises Recklinghausen im Regierungsbezirk Münster. Erkenschwick ist für Kettcar das, was für Element Of Crime einst Delmenhorst war: ein Ort, dessen Zauber gerade in seiner blassen Gewöhnlichkeit liegt.
Aber vor allem ist "Zwischen den Runden" doch wieder ein Album über Hamburg geworden. Eine richtig zackige Hymne ist nämlich darauf, die rockt und auf der dahin gegangen wird, wo es weh tut. War Hamburg bei dem frühen Kettcar-Hit "Landungsbrücken raus" noch ein Sehnsuchtsort, ein Bild, das zumindest Applaus verdiente, so ist "Schrilles, buntes Hamburg" nur wenige Jahre später kaum mehr ein Ort der Zufriedenheit: "Wir hatten vier, fünf gute Jahre / In zukünftiger bester Lage / Der Malerfürst lässt leise wissen: / Ab jetzt kommen die Touristen / In der Hafencity-Abendsonne / Off-Kunst-Events / Hier: Perlenkettenpläne / Dort: Nudeln mit Senf".
Und dann, ganz am Schluss, noch einmal hinaus in den Norden der Stadt, nach Ohlsdorf mit seinem riesigen Friedhof mit den 200 000 Gräbern, der so schön ist, wenn die Rhododendren blühen. "Ich war spät und rutschte hinten in die unbesetzten Reihen / Es waren nicht viele gekommen, und vorne stand jemand allein / Und erzählte etwas hölzern die Geschichte eines Lebens". Ein stilles Abschiedslied für einen toten, ganz jung gestorbenen Freund, der selbst im Sarg noch gut aussah in seinem schwarzen Anzug.
"Zurück aus Ohlsdorf" ist der Schlüsselsong dieser Platte, ein Abgesang auf den Verstorbenen, aber vielleicht auch: ein Abgesang auf die Idee von Jugendlichkeit überhaupt, ein Abgesang auf die Idee, unverletzlich zu sein, ein Memento mori aus Akustikgitarre und Piano, das noch lange im Ohr bleibt. "Lass uns noch einmal um die Häuser ziehen wie früher" ist die letzte Zeile des Albums, doch hört man Marcus Wiebusch singen, brüchig und beinahe schon alt, dann ahnt man: So wie früher wird's nicht mehr.
Kettcar, Zwischen den Runden.
Grand Hotel Van Cleef 4917575 (Indigo)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main