München kennt jeder, doch wer kann schon darüber ein Lied singen? Unsere Herausgeber schon, gehören sie doch zu den größten Kennern der Münchner Musikkultur, die weit über den Schäfflertanz, Trink- und Bocklieder oder Gstanzln hinausgeht. Couplets oder Boheme-Lieder, Satiren wie schräge Lieder ergänzen das Bild der seit Jahrhunderten wachsenden Münchner Musikkultur in unserem Liederbuch, in dem auch bisher unbekannte Schätze Platz fanden. Darunter seltene Wirtshauslieder, nicht nur für den Salvatoranstich. Liederbücher sind zum Nachsingen da - und das meinen wir auch. Mit 'Rittersleit' von Karl Valentin oder 'Ein Wagen von der Linie 8' von Weiß Ferdl findet bei uns auch der Nostalgiker seine Lieder, genauso wie der Wies'n Sänger etwa mit dem 'Oktoberfestlied' oder der Poetiker mit Willy Michls 'Isarflimmern'. Im reich bebilderten Lexikonteil mit mehr als 400 Stichworten von 'Alter Peter' bis 'Zither' schreiben Musik- und Stadthistoriker über Münchner Volkssänger, 'Originale', Orte und Themen wie 'Gemütlichkeit' und 'Platzl'. Alle im ersten Teil versammelten Lieder werden hier mit ihrer Geschichte, Herkunft und Komponisten in Text und Bild vorgestellt. Mit Worterklärungen ermöglicht es auch dem Preußen den Zugang - witzig und fundiert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2008„Ich gesteh’s, ich lieb’ das Laster”
Münchens Liederbuch: Warum Konstantin Wecker Köln nicht mehr beneiden muss
Von Wolfgang Görl
„Ich war immer neidisch”, sagt Konstantin Wecker, „dass die Wiener, die Kölner und erst recht die Berliner so eine Liedkultur haben”. Und die Münchner? Wer nicht gerade Stammgast bei Hoagartn oder Liedertafeln ist, konnte den Eindruck haben, es gebe in München das Lied vom Alten Peter, die Bierhymne „In München steht ein Hofbräuhaus”, vielleicht noch Weiß Ferdls „Ein Wagen von der Linie 8” – und sonst nichts.
Gegen die Vermutung, das hiesige Repertoire sei damit erschöpft, spricht die empirisch nachgewiesene Vorliebe des Münchners für Trinkgelage, und bei denen spielt der Gesang häufig eine bedeutende Rolle, so misstönend er mitunter sein mag. Tatsächlich haben die Münchner über Jahrhunderte hinweg gesungen, was das Stimmband hielt. Inzwischen lässt man lieber singen, beispielsweise die schauerlichen Volksmusikanten-Darsteller im Fernsehen. Und die alten Lieder fristen, wenn überhaupt, ein trauriges Dasein als vergilbtes Notenblatt in den Archiven.
Nicht leugnen lässt sich aber auch, dass junge Musiker, womöglich im Gefolge der „Biermösl Blosn”, zunehmend Lust haben, mit den traditionellen Stoffen Neues auszuprobieren. Oft kam man da nur schwer heran, aber das ist jetzt anders – dank Eva Becher und Wolfgang A. Mayer. Becher, die Volkskulturexpertin des Kulturreferats, und der Volkskundler Mayer haben vier Jahre lang in alten Sammlungen gewühlt, haben historische Aufnahmen aus der großen Zeit der Münchner Volkssänger angehört oder in ihrem Gedächtnis gestöbert, um aufzuspüren, was einst die Alten sungen. Die Frucht ihrer Wühlerei ist das Münchner Liederbuch „So lang der Alte Peter” (Dölling und Galitz Verlag), das am Dienstag im Turmstüberl des Valentin-Musäums vorgestellt wurde. Dabei durfte Konstantin Wecker schon deshalb nicht fehlen, weil er mit zwei seiner Songs – „Die Weiße Rose” und „Willy” – vertreten ist. Überdies ist er der erste Nutznießer des Liedersammlung. Wie er bei der Buchpräsentation verriet, hat er eben eine CD mit Münchner Liedern aufgenommen. „Gut’n Morg’n, Herr Fischer” heißt das Werk – so wie ein Walzerlied aus dem neuem Buch.
Kennt das noch jemand? Also, Dreivierteltakt natürlich, die üblichen Harmonien, ergo Tonika, Dominante und später die Subdominante, dazu die Zeilen „Gut’n Morg’n, Herr Fischer / Herr Fischer, gut’n Morg’n . . . / Ja, ja, ja, ja, jetzt müss’ ma, jetzt müss’ ma, ja, ja, ja, ja, jetzt müss’ ma hoam.” Wer sich heutzutage an eine Interpretation des recht sparsamen Textes macht, stößt sofort auf Schwierigkeiten bei der Frage, wer zum Teufel dieser Fischer eigentlich sei. Der ehemalige Außenminister fällt schon mal weg, weil das Lied im 19. Jahrhundert, mithin vor dessen Zeit, entstanden ist. Sehr weit hergeholt wäre auch die These, der Komponist schildere seine Begegnung mit dem erlauchten Carl von Fischer, dem Baumeister König Ludwigs I.. Plausibel wird das edle Stück Volkspoesie erst, wenn man weiß, dass der besungene Herr von Beruf Fischer ist und dass ihm eine gewisse Häme entgegenschlägt, weil er arbeiten muss, wenn die Nachtschwärmer nach lustigen Stunden zu Bett gehen.
Das alles erfährt der Leser im lexikalischen Anhang des Buchs, wo auf knapp 150 Seiten die Herkunft der Lieder, die sozialen Hintergründe ihres Entstehens sowie viele andere Aspekte der Münchner Volkskultur erläutert werden. Andernfalls würde man wie der Ochs vorm Berg stehen, wenn es beispielsweise in einer Liedzeile heißt: „Ich gesteh’s, ich lieb’ das Laster, / was die Welt so Laster nennt, / schwelge gern und rauche Knaster, Wollust ist mein Element.” Eva Becher und Wolfgang A. Mayer lassen den Leser mit diesen rätselhaften Zeilen gottlob nicht allein. Im Anhang erfährt man, dass hier Lola spricht. Lola Montez, die von den Münchner ungeliebte Geliebte König Ludwigs. In dem zeitgenössischem Spottgesang führt der unbekannte Verfasser alle erdenklichen Laster auf, um die königliche Mätresse als liederliche Person zu entlarven. Tabak rauchte die Dame wirklich mit großer Hingabe.
Neben der wunderbaren CD-Reihe „Rare Schellacks” und der neuen Dauerausstellung im Valentin-Musäum ist das Liederbuch das dritte Projekt, in dem der Geist der Münchner Volkssängerkultur wiederauflebt. Die Gstanzlsänger, Jodlerinnen und Komödianten, die noch die Musik ihrer ländlichen Vorfahren im Ohr hatten, waren um 1900 die gefeierten Helden der Vergnügungslokale, und was sie sangen, war manchmal purer Blödsinn oder Kitsch, manchmal aber auch so etwas wie der Blues der Vorstädte, in denen die Kares und Luckis ihr Wesen trieben, nicht immer ganz legal und mitunter auf Kosten ihrer zum Anschaffen gezwungenen Freundinnen.
Alois Hönle etwa war um die Jahrhundertwende einer der produktivsten Unterhaltungskünstler, und was in seinen Liedern so leicht und lustig daherkommt, mag für die realen Vorbilder der Ernst des Lebens gewesen sein: „Die Rosl, die Zenzi, die Leni, / die tean mi poussieren net weni, / die Sofi, die Kathl erst, die san ma auf da Naht, / doch i bleib meiner Franzi treu, weil die as ,Kloageld‘ hat.” Passend dazu hat der Callgirl-Hymnus „Skandal im Sperrbezirk” der „Spider Murphy Gang” Eingang ins Liederbuch gefunden.
Abschließend noch etwas Verstörendes: Das Lied „So lang der Alte Peter”, die vermeintlich münchnerischste aller Münchner Melodien, geht auf einen Wiener zurück, den Volkssänger Carl Lorens. Der hatte um 1880 gedichtet: „So lang der alte Steffl am Stefansplatz noch steht.” Ebenfalls nicht weit her ist es mit den Münchner Wurzeln des Hofbräuhaus-Lieds. Die Musik hat – man möchte es lieber verschweigen – der Berliner (!) Komponist Wilhelm Gabriel geschrieben. Und weil es eh schon wurscht ist, hier eine letzte Peinlichkeit. Das Münchner Liederbuch erscheint in der Reihe „Liedertafel”, die Jochen Wiegandt, einst Gründungsmitglied der legendären Folkgruppe „Liederjan”, erfunden hat – ein Hamburger!
„Wir singen, weil wir viele Lieder haben”: Konstantin Wecker (von links), Eva Becher und Wolfgang A. Mayer mit dem Münchner Liederbuch. Foto: Heddergott
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Münchens Liederbuch: Warum Konstantin Wecker Köln nicht mehr beneiden muss
Von Wolfgang Görl
„Ich war immer neidisch”, sagt Konstantin Wecker, „dass die Wiener, die Kölner und erst recht die Berliner so eine Liedkultur haben”. Und die Münchner? Wer nicht gerade Stammgast bei Hoagartn oder Liedertafeln ist, konnte den Eindruck haben, es gebe in München das Lied vom Alten Peter, die Bierhymne „In München steht ein Hofbräuhaus”, vielleicht noch Weiß Ferdls „Ein Wagen von der Linie 8” – und sonst nichts.
Gegen die Vermutung, das hiesige Repertoire sei damit erschöpft, spricht die empirisch nachgewiesene Vorliebe des Münchners für Trinkgelage, und bei denen spielt der Gesang häufig eine bedeutende Rolle, so misstönend er mitunter sein mag. Tatsächlich haben die Münchner über Jahrhunderte hinweg gesungen, was das Stimmband hielt. Inzwischen lässt man lieber singen, beispielsweise die schauerlichen Volksmusikanten-Darsteller im Fernsehen. Und die alten Lieder fristen, wenn überhaupt, ein trauriges Dasein als vergilbtes Notenblatt in den Archiven.
Nicht leugnen lässt sich aber auch, dass junge Musiker, womöglich im Gefolge der „Biermösl Blosn”, zunehmend Lust haben, mit den traditionellen Stoffen Neues auszuprobieren. Oft kam man da nur schwer heran, aber das ist jetzt anders – dank Eva Becher und Wolfgang A. Mayer. Becher, die Volkskulturexpertin des Kulturreferats, und der Volkskundler Mayer haben vier Jahre lang in alten Sammlungen gewühlt, haben historische Aufnahmen aus der großen Zeit der Münchner Volkssänger angehört oder in ihrem Gedächtnis gestöbert, um aufzuspüren, was einst die Alten sungen. Die Frucht ihrer Wühlerei ist das Münchner Liederbuch „So lang der Alte Peter” (Dölling und Galitz Verlag), das am Dienstag im Turmstüberl des Valentin-Musäums vorgestellt wurde. Dabei durfte Konstantin Wecker schon deshalb nicht fehlen, weil er mit zwei seiner Songs – „Die Weiße Rose” und „Willy” – vertreten ist. Überdies ist er der erste Nutznießer des Liedersammlung. Wie er bei der Buchpräsentation verriet, hat er eben eine CD mit Münchner Liedern aufgenommen. „Gut’n Morg’n, Herr Fischer” heißt das Werk – so wie ein Walzerlied aus dem neuem Buch.
Kennt das noch jemand? Also, Dreivierteltakt natürlich, die üblichen Harmonien, ergo Tonika, Dominante und später die Subdominante, dazu die Zeilen „Gut’n Morg’n, Herr Fischer / Herr Fischer, gut’n Morg’n . . . / Ja, ja, ja, ja, jetzt müss’ ma, jetzt müss’ ma, ja, ja, ja, ja, jetzt müss’ ma hoam.” Wer sich heutzutage an eine Interpretation des recht sparsamen Textes macht, stößt sofort auf Schwierigkeiten bei der Frage, wer zum Teufel dieser Fischer eigentlich sei. Der ehemalige Außenminister fällt schon mal weg, weil das Lied im 19. Jahrhundert, mithin vor dessen Zeit, entstanden ist. Sehr weit hergeholt wäre auch die These, der Komponist schildere seine Begegnung mit dem erlauchten Carl von Fischer, dem Baumeister König Ludwigs I.. Plausibel wird das edle Stück Volkspoesie erst, wenn man weiß, dass der besungene Herr von Beruf Fischer ist und dass ihm eine gewisse Häme entgegenschlägt, weil er arbeiten muss, wenn die Nachtschwärmer nach lustigen Stunden zu Bett gehen.
Das alles erfährt der Leser im lexikalischen Anhang des Buchs, wo auf knapp 150 Seiten die Herkunft der Lieder, die sozialen Hintergründe ihres Entstehens sowie viele andere Aspekte der Münchner Volkskultur erläutert werden. Andernfalls würde man wie der Ochs vorm Berg stehen, wenn es beispielsweise in einer Liedzeile heißt: „Ich gesteh’s, ich lieb’ das Laster, / was die Welt so Laster nennt, / schwelge gern und rauche Knaster, Wollust ist mein Element.” Eva Becher und Wolfgang A. Mayer lassen den Leser mit diesen rätselhaften Zeilen gottlob nicht allein. Im Anhang erfährt man, dass hier Lola spricht. Lola Montez, die von den Münchner ungeliebte Geliebte König Ludwigs. In dem zeitgenössischem Spottgesang führt der unbekannte Verfasser alle erdenklichen Laster auf, um die königliche Mätresse als liederliche Person zu entlarven. Tabak rauchte die Dame wirklich mit großer Hingabe.
Neben der wunderbaren CD-Reihe „Rare Schellacks” und der neuen Dauerausstellung im Valentin-Musäum ist das Liederbuch das dritte Projekt, in dem der Geist der Münchner Volkssängerkultur wiederauflebt. Die Gstanzlsänger, Jodlerinnen und Komödianten, die noch die Musik ihrer ländlichen Vorfahren im Ohr hatten, waren um 1900 die gefeierten Helden der Vergnügungslokale, und was sie sangen, war manchmal purer Blödsinn oder Kitsch, manchmal aber auch so etwas wie der Blues der Vorstädte, in denen die Kares und Luckis ihr Wesen trieben, nicht immer ganz legal und mitunter auf Kosten ihrer zum Anschaffen gezwungenen Freundinnen.
Alois Hönle etwa war um die Jahrhundertwende einer der produktivsten Unterhaltungskünstler, und was in seinen Liedern so leicht und lustig daherkommt, mag für die realen Vorbilder der Ernst des Lebens gewesen sein: „Die Rosl, die Zenzi, die Leni, / die tean mi poussieren net weni, / die Sofi, die Kathl erst, die san ma auf da Naht, / doch i bleib meiner Franzi treu, weil die as ,Kloageld‘ hat.” Passend dazu hat der Callgirl-Hymnus „Skandal im Sperrbezirk” der „Spider Murphy Gang” Eingang ins Liederbuch gefunden.
Abschließend noch etwas Verstörendes: Das Lied „So lang der Alte Peter”, die vermeintlich münchnerischste aller Münchner Melodien, geht auf einen Wiener zurück, den Volkssänger Carl Lorens. Der hatte um 1880 gedichtet: „So lang der alte Steffl am Stefansplatz noch steht.” Ebenfalls nicht weit her ist es mit den Münchner Wurzeln des Hofbräuhaus-Lieds. Die Musik hat – man möchte es lieber verschweigen – der Berliner (!) Komponist Wilhelm Gabriel geschrieben. Und weil es eh schon wurscht ist, hier eine letzte Peinlichkeit. Das Münchner Liederbuch erscheint in der Reihe „Liedertafel”, die Jochen Wiegandt, einst Gründungsmitglied der legendären Folkgruppe „Liederjan”, erfunden hat – ein Hamburger!
„Wir singen, weil wir viele Lieder haben”: Konstantin Wecker (von links), Eva Becher und Wolfgang A. Mayer mit dem Münchner Liederbuch. Foto: Heddergott
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