Frankreich im Ersten Weltkrieg: Anthime, sein älterer Bruder Charles, Padioleau, Bossis und Arcenel, fünf junge Männer aus der Vendée, werden 1914 eingezogen. Sie erleben alle Grausamkeiten des Krieges, aber auch Liebe, Freundschaft und Zusammenhalt.
Ein ergreifendes Porträt der Schicksale einfacher Menschen in einer schlimmen Zeit.
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Passend zum Abiturthema Les relations franco-allemandes mit der Vertiefung La Grande Guerre.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2014Granaten und Kinderwagen
Noch ein Roman über den Ersten Weltkrieg? Ja. Aber "1914" von Jean Echenoz ist mehr als ein Nachzügler
Ein neuer Roman über den Ersten Weltkrieg ist ungefähr so notwendig wie eine weitere Cäsar- oder Hitlerbiographie. Es gibt zu dem Thema schon alles und sein Gegenteil, es gibt Jünger, Remarque, Arnold Zweig, Philippe Claudel, Henri Barbusse, Ford Madox Ford, es gibt Tagebücher, Briefe, Fotos und Filme, die im Jubiläumsjahr 2014 wie eine Springflut aus den Archiven und Dachböden quellen. Oder, um es mit Jean Echenoz zu sagen: "All das ist tausendfach beschrieben worden, vielleicht lohnt es sich gar nicht weiter, sich bei dieser stumpfsinnigen, stinkenden Oper aufzuhalten."
Warum hat Echenoz diese stinkende Oper, dieses vierjährige Gemetzel zum Klang der Kruppgeschütze - "atemraubend, exzessiv, voller quälender Längen" - dennoch in ein Buch gepackt? Eine erste Antwort gibt der Umfang seines Romans: Er ist, im Großdruck, genau 125 Seiten lang. Also alles andere als exzessiv. Und ganz ohne Längen. Stattdessen hat "14" eine andere, bei Echenoz wenig überraschende Eigenart: das Filmische.
Die Geschichte beginnt mit einer Szene wie aus Tatis "Schützenfest": Anthime, der Held, fährt mit dem Fahrrad übers Land, der Sommerwind weht ihm betäubend um die Ohren, als er plötzlich überall ringsum die Kirchenglocken läuten sieht. Dann, als der Wind sich legt, hört er, dass es Sturmglocken sind. Sie verkünden die französische Mobilmachung, sie läuten den Weltkrieg ein. Zurück in der Stadt, sieht Anthime, wie sein Bruder Charles die auf dem Hauptplatz zusammenströmende Menge aufnimmt. Aber nicht mit irgendeinem Kasten, sondern mit einem tragbaren "Rêve Idéal"-Apparat von Girard & Boitte. Der Wind im Ohr und das Objekt im Auge, das tönende Bild und das sprechende Detail, sie bilden das Erzählmuster dieses Buches, das so präzise wie eine Landschaft von Ruisdael und so knapp wie eine Nocturne von Satie ist.
Anthime und sein Bruder rivalisieren um Blanche, die Tochter des örtlichen Fabrikbesitzers, die von Charles, dem Älteren und Erfolgreicheren, schwanger ist. Dann stirbt Charles, dem seine Beziehungen einen Posten bei der Fliegertruppe verschafft haben, beim Absturz seines Farman-Aufklärers, Blanche bekommt ein uneheliches Kind, und Anthime verliert im Schützengraben einen Arm. Aber dieses Dreipersonendrama ist nur das Skelett der Geschichte. Ihre Muskeln und Adern sind die fotografisch genauen Front- und Heimatszenen, die bei Echenoz einander abwechseln, hier eine Granate, da eine Geburt, hier die letzten Stunden eines Deserteurs, dort ein Spaziergang mit Kinderwagen. Und ihre Haut ist die makellose Sprache, in der das alles erzählt ist, ein kalkuliertes Spiel mit hohen und saloppen Tönen, das in Hinrich Schmidt-Henkels Übersetzung nur sehr unvollkommen durchscheint (davon zu schweigen, dass ein "Infanteriegewehr" nicht zwei Absätze später ein "Artilleriegewehr" sein kann).
Jean Echenoz ist sechsundsechzig, "14" sein fünfzehntes Buch. Die großen französischen Literaturpreise, den Goncourt, den Médicis, hat er alle gewonnen. Echenoz hat es nicht mehr nötig, für die Kritiker zu schreiben, und das merkt man dem Roman an. Er trumpft nicht auf, er macht sich nicht fein. Er spiegelt nur, wie eine perfekte Miniatur, das Große im Kleinen. Es lohnt sich eben doch. Wenn man es kann.
ANDREAS KILB
Jean Echenoz: "14". Roman. Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Hanser Berlin, 125 Seiten, 14,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Noch ein Roman über den Ersten Weltkrieg? Ja. Aber "1914" von Jean Echenoz ist mehr als ein Nachzügler
Ein neuer Roman über den Ersten Weltkrieg ist ungefähr so notwendig wie eine weitere Cäsar- oder Hitlerbiographie. Es gibt zu dem Thema schon alles und sein Gegenteil, es gibt Jünger, Remarque, Arnold Zweig, Philippe Claudel, Henri Barbusse, Ford Madox Ford, es gibt Tagebücher, Briefe, Fotos und Filme, die im Jubiläumsjahr 2014 wie eine Springflut aus den Archiven und Dachböden quellen. Oder, um es mit Jean Echenoz zu sagen: "All das ist tausendfach beschrieben worden, vielleicht lohnt es sich gar nicht weiter, sich bei dieser stumpfsinnigen, stinkenden Oper aufzuhalten."
Warum hat Echenoz diese stinkende Oper, dieses vierjährige Gemetzel zum Klang der Kruppgeschütze - "atemraubend, exzessiv, voller quälender Längen" - dennoch in ein Buch gepackt? Eine erste Antwort gibt der Umfang seines Romans: Er ist, im Großdruck, genau 125 Seiten lang. Also alles andere als exzessiv. Und ganz ohne Längen. Stattdessen hat "14" eine andere, bei Echenoz wenig überraschende Eigenart: das Filmische.
Die Geschichte beginnt mit einer Szene wie aus Tatis "Schützenfest": Anthime, der Held, fährt mit dem Fahrrad übers Land, der Sommerwind weht ihm betäubend um die Ohren, als er plötzlich überall ringsum die Kirchenglocken läuten sieht. Dann, als der Wind sich legt, hört er, dass es Sturmglocken sind. Sie verkünden die französische Mobilmachung, sie läuten den Weltkrieg ein. Zurück in der Stadt, sieht Anthime, wie sein Bruder Charles die auf dem Hauptplatz zusammenströmende Menge aufnimmt. Aber nicht mit irgendeinem Kasten, sondern mit einem tragbaren "Rêve Idéal"-Apparat von Girard & Boitte. Der Wind im Ohr und das Objekt im Auge, das tönende Bild und das sprechende Detail, sie bilden das Erzählmuster dieses Buches, das so präzise wie eine Landschaft von Ruisdael und so knapp wie eine Nocturne von Satie ist.
Anthime und sein Bruder rivalisieren um Blanche, die Tochter des örtlichen Fabrikbesitzers, die von Charles, dem Älteren und Erfolgreicheren, schwanger ist. Dann stirbt Charles, dem seine Beziehungen einen Posten bei der Fliegertruppe verschafft haben, beim Absturz seines Farman-Aufklärers, Blanche bekommt ein uneheliches Kind, und Anthime verliert im Schützengraben einen Arm. Aber dieses Dreipersonendrama ist nur das Skelett der Geschichte. Ihre Muskeln und Adern sind die fotografisch genauen Front- und Heimatszenen, die bei Echenoz einander abwechseln, hier eine Granate, da eine Geburt, hier die letzten Stunden eines Deserteurs, dort ein Spaziergang mit Kinderwagen. Und ihre Haut ist die makellose Sprache, in der das alles erzählt ist, ein kalkuliertes Spiel mit hohen und saloppen Tönen, das in Hinrich Schmidt-Henkels Übersetzung nur sehr unvollkommen durchscheint (davon zu schweigen, dass ein "Infanteriegewehr" nicht zwei Absätze später ein "Artilleriegewehr" sein kann).
Jean Echenoz ist sechsundsechzig, "14" sein fünfzehntes Buch. Die großen französischen Literaturpreise, den Goncourt, den Médicis, hat er alle gewonnen. Echenoz hat es nicht mehr nötig, für die Kritiker zu schreiben, und das merkt man dem Roman an. Er trumpft nicht auf, er macht sich nicht fein. Er spiegelt nur, wie eine perfekte Miniatur, das Große im Kleinen. Es lohnt sich eben doch. Wenn man es kann.
ANDREAS KILB
Jean Echenoz: "14". Roman. Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Hanser Berlin, 125 Seiten, 14,90 Euro
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