Die Ausgabe enthält für Grund- und Leistungskurse ausgewählte und aufbereitete Epigramme Martials.
Martials Epigramme sind aufgrund ihrer Kürze und ihres Witzes bei Schülern sehr beliebt, zumal sie einen unmittelbaren Einblick in Alltagssituationen im alten Rom bieten.Die für Grund- und Leistungskurse konzipierte Ausgabe enthält eine Auswahl, die Spottgedichte über Charaktere und Berufsgruppen, bissige Betrachtungen über Männer, Frauen und Liebe sowie längere Texte philosophischen Inhalts umfasst. Sie regt u. a. zu Methoden des verzögerten Lesens wie des Zurückhaltens der Pointe an, um die Fantasie zu aktivieren und den kunstvollen Aufbau der Epigramme nachempfinden zu lassen. Zahlreiche Paralleltexte ermöglichen Akzentsetzungen bei der Lektüre und zeigen Martials Fortwirken; Arbeitsaufträge und Abbildungen tragen zum intensiven Textverständnis bei und ermuntern zu kreativer Auseinandersetzung mit Martial.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Martials Epigramme sind aufgrund ihrer Kürze und ihres Witzes bei Schülern sehr beliebt, zumal sie einen unmittelbaren Einblick in Alltagssituationen im alten Rom bieten.Die für Grund- und Leistungskurse konzipierte Ausgabe enthält eine Auswahl, die Spottgedichte über Charaktere und Berufsgruppen, bissige Betrachtungen über Männer, Frauen und Liebe sowie längere Texte philosophischen Inhalts umfasst. Sie regt u. a. zu Methoden des verzögerten Lesens wie des Zurückhaltens der Pointe an, um die Fantasie zu aktivieren und den kunstvollen Aufbau der Epigramme nachempfinden zu lassen. Zahlreiche Paralleltexte ermöglichen Akzentsetzungen bei der Lektüre und zeigen Martials Fortwirken; Arbeitsaufträge und Abbildungen tragen zum intensiven Textverständnis bei und ermuntern zu kreativer Auseinandersetzung mit Martial.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997Frostklappernde Grüße in der Frühe
Die Epigramme des Martial in neuer Übersetzung / Von Burkhard Müller
Ich höre mit Bedauern, daß Valerius Martialis gestorben ist", schreibt Plinius der Jüngere um 105 nach Christus in einem Brief. "Er war ein begabter, geistreicher, feinsinniger Mensch . . . er besaß sehr viel Witz und Galle und auch Aufrichtigkeit. Aber es wird nicht ewig dauern, was er geschrieben hat. Obwohl er es geschrieben hat, als ob es dauern müßte, wird dies doch schwerlich der Fall sein."
Hier irrte Plinius. Denn während ein riesiger Teil der hohen lateinischen Literatur den Weg durch den Flaschenhals der finsteren Jahrhunderte nicht gefunden hat, ist das Werk Martials komplett in nicht weniger als vierzehn Büchern erhalten, plus einem Vorspann "Buch der Schauspiele". Antike Bücher sind schmaler als neuzeitliche, und so passen sie alle in einen schönen dicken Band, den jetzt, in einer deutschen Neuübersetzung und erstmals vollständig, der Leipziger Altphilologe Walter Hofmann vorlegt.
Marcus Valerius Martialis war als junger Mann aus seiner spanischen Heimat nach Rom gekommen, brachte aber im Unterschied zur großen Mehrzahl der lateinischen Schriftsteller kein Geld mit. Dies bestimmt den weiteren Verlauf, den seine Biographie und seine Epigramme nehmen, zum großen Vorteil der letzteren. Denn in ihnen ist ständig vom Geld die Rede: von dem, das er nicht hat, dem, das er kriegen will, und der mannigfachen Plagen, die ihm diese Anstrengungen auferlegen. In Rom, dessen Ökonomie völlig auf der Sklavenhaltung beruht, gibt es keine Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt durch seiner Hände Arbeit zu verdienen. Und so muß auch Martial sein Dasein als einer jener zahllosen Klienten fristen, die sich bei Sonnenaufgang an der Haustür ihres Patrons einfinden, ihn begrüßen und dafür ein Anrecht auf die "sportula" haben, die zentral und verbindlich auf sechseinviertel Sesterzen pro Kopf und Tag festgesetzt ist. Im Gegenzug war der Klient verpflichtet, sich als Laufbursche und Teil des möglichst großen Gefolges mehr oder weniger den ganzen Tag zur Verfügung zu halten, wie der Dichter klagt: Daß man zur ersten Stunde dir früh stets frostklappernd Grüße bringt, daß deine Sänfte mitten mich durch üblen Dreck zu waten zwingt, daß zu Agrippas Thermen ich erschöpft an deiner Seite geh zur zehnten Stunde, wo bei Titus ich lieber selbst mich baden seh - Ein wichtiger Teil der Einkünfte des Klienten bestand in den Geschenken, die er zu den Saturnalien erhielt, dem volkstümlichen, karnevalsartigen Fest Ende Dezember. Wehe dem Spender, wenn sie für zu karg befunden werden und nicht mehr ins Haus kommt als etwa eine sehr dünne vergoldete Silberschale! Zu ihrer Verspottung bietet Martial ein ganzes langes Gedicht auf. Dank wird am liebsten so erwiesen, daß dahinter gleich die nächste Bitte vorscheint; die neue Toga ist herrlich, jedoch: "O welch Gelächter wird es geben, / wenn man mein altes Mäntelchen / zugleich mit jener neuen Toga sieht vom Palatin."
Man erfährt bei Martial nicht nur, was es bei den großen Gastmahlen zu essen gibt, bei denen die Schnorrer sich mit gestohlenen Austern und Saueutern im Gewandbusch davonschleichen, sondern auch, was der Autor selber kocht, wenn er Freunde in seine Mietwohnung im Haus "Zur Birne" einlädt: Verborgen unter halben Eiern liegt der Thun, gereicht wird grüner Kohl auf schwarzer Schüssel, an dem man sich die Finger brennt, wenn man ihn hält, obgleich er eben erst aus dem erstarrten Garten kam; ein Würstchen liegt auf weißem Bohnenbrei und rotes Pökelfleisch bei hellen Bohnen.
Mehr und erstaunlichere Einzelheiten als bei jedem anderen zeitgenössischen Autor bekommt man bei Martial über das Leben im kaiserzeitlichen Rom zu hören: daß Hasenbraten für eine Woche schön macht; daß Sänger sich eine Art abschließbares Penis-Futteral zulegten, um in den Thermen nicht in Versuchung zu geraten, denn Sex schadet der Stimme (wenn's stimmt! - denn vielleicht handelt es sich ja auch nur um einen beschnittenen Juden, der sich tarnt, weil die Juden seit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels eine Sondersteuer zahlen müssen); daß man die Geliebten ehrt, indem man auf jeden Buchstaben ihres Namens einen Becher Wein leert - Und weil keine zu mir kam, / Schlaf, komm du.
Martial gelang es tatsächlich, durch sein Schreiben sozial und ökonomisch aufzusteigen, in einer Art waghalsiger Mischfinanzierung: Auf der einen Seite verkauften sich seine Epigramme nicht schlecht. Ein Buch von ihm kostete vier Denar, den zweieinhalbfachen Tagessatz Klienten, aber nicht gar zu viel, wenn man bedenkt, daß es auf Pergament mit der Hand geschrieben war. Wem das zu teuer war, der konnte auch einzelne Widmungssprüche erwerben, um sie zusammen mit dem Saturnalien-Geschenk zu überreichen - Martial führt, im dreizehnten und vierzehnten Buch, einen Katalog von mehreren hundert Aufschriften, nach Sachgruppen geordnet, so daß für jede denkbare Gabe, vom Papageifisch über die gesammelten Werke Ciceros bis zum tönernen Nachttopf, etwas dabei ist. Martial bekommt es dabei mit einem ganz neuartigen Problem zu tun, vermutlich als der erste Schriftsteller überhaupt: dem Schutz des kommerziellen Urheberrechts. Ihm sind zahlreiche Epigramme gewidmet: Keinen Kläger, keinen Richter braucht das Büchlein, das ich schrieb.
Deine Seite steht dagegen, und sie spricht: "Du bist ein Dieb!"
Trotz seiner selbständigen Einkünfte konnte Martial auf reiche und mächtige Gönner wie den Kaiser Titus und dann vor allem auf Domitian nicht verzichten. Letzterer herrschte von 81 bis 96 und gilt als einer jener "wahnsinnigen" Tyrannen, die die Entwicklung Roms vom oligarischen Stadtstaat zum autokratisch regierten Weltreich besonders energisch vorantrieben und dabei notgedrungen der angestammten senatorischen Oberschicht auf die Zehen traten. Martial hingegen, der dieser Schicht nicht angehört und republikanischen Traditionen fernsteht, findet nichts dabei, dem Kaiser rückhaltlos zu schmeicheln; er spricht ihn mit seinem offiziellen, von den alten Republikanern inständig gehaßten Titel "Gott und Herr" an, er bricht in Entzücken aus, wenn im Zirkus Antilopen und Elefanten vor ihm in die Knie sinken und selbst die Kreatur dem Herrscher zu huldigen scheint. Ihm, dem Unverheirateten, ist es nicht zu dumm, Domitian untertänigst um einen steuerlichen Kinderfreibetrag anzugehen (und er bekommt ihn und jubelt: "Fort Frau! Damit die Gabe sich nicht ohne Sinn erweis'.").
Schamlos, gewiß; aber nicht halb so unerquicklich wie der moralische Brustton, den Martials Zeitgenosse Plinius im "Panegyricus" anstimmt, um den Kaiser Trajan auf Kosten seines Vorgängers zu lobpreisen - nachdem er unter Domitian politische Karriere gemacht hatte. Als Martial schließlich der Aufstieg in den Rang eines Ritters glückt, wendet er sich sofort hämisch um nach jenen, die es auch gern wären, aber nicht geschafft haben: er läßt sie sich im Zirkus, mit einem falschen Purpurgewand, in eine der vorderen vierzehn Reihen einschmuggeln, welche allein den Rittern vorbehalten sind, dann aber vom scharfen Auge des Ordners Oceanus ertappt werden. Gezwungen aufzustehen, fällt ihnen der schwere Schlüssel eines Hausmeisters rasselnd aus dem Bausch der Toga - im ständebewußten Rom eine tiefe Beschämung.
Walter Hofmanns "Martial" ist ein Wagnis. Er bietet nicht, wie es bei den klassischen Tusculum- oder Loeb-Ausgaben der Fall ist, links das lateinische Original und rechts eine Übersetzung, die auf literarische Qualität keinen Anspruch erhebt und lediglich eine Hilfe bei der Erschließung des Textes sein will. Der Band ist einsprachig - und damit muß er für ein heutiges Publikum leisten, was einst Martial für das seinige getan hat, nämlich das Kunstwerk liefern.
Wie gibt man antike Verse wieder? In Prosa? Aber damit wäre bei Epigrammen, die nur von der Form leben, der Kunstcharakter noch weit gründlicher zerstört als bei einem Epos. Durch Nachschöpfung der antiken Metren, der Distichen, Hinkjamben und Elfsilblern Martials? Das scheint Werktreue zu verbürgen und ist doch eine Falle: Denn nicht nur reicht der so vorgegebene Silbenraum dem weitschweifigeren Deutschen niemals aus, und die Verse geraten in Atemnot. Vor allem funktionieren die lateinischen Maße, die allein nach Kürze und Länge in geregelter Wiederkehr unterscheiden, im Deutschen schon deshalb nicht, weil es ihnen ebenso unwillkürlich wie unweigerlich den deutschen Druckakzent verpaßt. Der deutsche Hexameter klingt fast stets wie ein vorüberratternder Güterzug; seine Ergänzung aber, der Pentameter, der an der Zäsur zum vollständigen Einhalt zwingt, wie ein Zugunglück.
Hier hat Hofmann eine sehr glückliche Hand gehabt. Er hat die Epigramme in zwei Gruppen eingeteilt. Die größere davon überträgt er in Jamben. Indem er die Zahl der Hebungen pro Zeile auf bis zu neun anwachsen läßt, gewinnt er den Atem, alles Nötige sagen zu können. Diese Jamben gleichen - was man als übersetzerisches Verdienst erst dann ganz erkennt, wenn man sie laut vorliest - dem Sprechvers der Bühne: die Leichtigkeit ihres formalen Gelingens macht den Raum frei für jede Feinheit, und es entsteht eine fruchtbare Spannung zwischen dem gleichmäßigen Grundtakt und den Erfordernissen des lebhaft dialogischen Charakters, den die weitaus meisten Epigramme Martials besitzen.
Etwa ein Drittel der Epigramme sind in gereimter Form wiedergegeben. Das bedeutet im Deutschen, das so heikel mit Reimwörtern ist, gegenüber den geringen technischen Anforderungen des antiken Verses eine gewaltige Erschwernis. Die Kühnheit Hofmanns verdient Bewunderung - besonders dann, wenn sie gelingt. Mißgriffe sind bei ihm erstaunlich selten, wenngleich man gelegentlich eine Härte - wie "Lied" auf "schrieb" - schlucken muß. Und manchmal hätte man einem Gedicht eher eine jambische als eine gereimte Wiedergabe gewünscht, etwa der berühmten Biene, die, leuchtend und verborgen, im Bernstein eingeschlossen ist wie in einer Überlast eigenen Honigs. Das Ergebnis des Reimversuchs, von vier auf acht Zeilen angewachsen, klingt so, als hätte sich ein Barocklyriker der Sache angenommen. Doch wird man durch eine Unzahl inspirierter Wendungen mehr als entschädigt. "Das Buch, das du hier liest, ist von Martial. / Durch seine Sinngedichte, scharf wie Stahl . . .".Für "argutis" die Wendung "scharf wie Stahl" zu setzen, ist das nicht zu frei? Nein, so weit muß man vom Text weg ausholen, um mit Schwung ins Schwarze zu treffen.
Die Lebendigkeit, die Martial in dieser Ausgabe gewinnt, versteht sich durchaus nicht von selbst. Die gegenwärtige Epoche ist dem Epigramm wie der Komödie, deren Zwillingsbruder es ist, nicht günstig. Beide setzen eine tief mit sich selbst verständigte, eine einhellige Gesellschaft voraus, der das Lachen aller über einige frommt. Um an solchem Spott Vergnügen zu finden, bedarf es eines traumwandlerischen Vertrauens in seine regulatorische Kraft. Es bedarf zudem einer urbanen Kultur, einer großen Stadt, die sich selbst als das zivilisatorische Maß eines weiten Umlands begreift, die auch kleine Nuancen goutiert und in deren Gassen sich das Liedlein von selber pfeift: Mein Rom lobt, liebt und singt jetzt meine Lieder, und jedes Herz und jede Hand hält mich umfaßt.
Sieh, der wird rot und der erblaßt, staunt, gähnt und haßt.
Ganz recht: Grad so gefalln mir meine Lieder.
Nur so versteht man die Heiterkeit, die bei allem unausgesetzten Tadeln doch die Grundstimmung Martials bleibt; nur so auch seine unbefangene Obszönität, die dem Übersetzer die undankbare Wahl läßt, ob er den leichten Ton im Deutschen durch eine genaue, aber stets vulgär klingende Entsprechung oder aber lieber durch die prüde Umschreibung ruinieren will. An dieser verdrießlichen Alternative erst ermißt man so recht, was wir, trotz aller sexuellen Aufklärung in den letzten dreißig Jahren, für ein schwerfälliges Volk geblieben sind. Dies dem Übersetzer anzukreiden wäre verfehlt. Hier ist die Schranke, die die jetzige Zeit dem Werk Martials setzt. Walter Hofmann hätte - und da liegt der einzige grundsätzliche Einwand, der sich gegen seine unschätzbare Arbeit erheben läßt - besser daran getan, sie zuzugeben, als zu versuchen, sie unsichtbar zu machen.
Der "große Kritiker des antiken Rom", als der Martial in der Überschrift des Nachworts angepriesen wird, war er nicht. Er konnte es nach seinen Voraussetzungen nicht sein, wenigstens nicht in dem Sinn, wie heute Gesellschaftskritik verstanden wird; und am allerwenigsten im Blick auf die beiden Aspekte römischen Lebens, die uns heute als die unfaßlichsten ins Auge stechen: die Arena und die Sklaverei. Kein römischer Schriftsteller der klassischen Zeit hat diese zwei Einrichtungen je kritisiert, auch der humane Seneca nicht, der lediglich empfahl, die Haussklaven gut zu behandeln und dem Zirkus fernzubleiben, weil er verrohend auf die Philosophenseele wirkt. Martial rühmt den Kaiser, weil er in der Arena die mythische Vereinigung der Pasiphae mit einem Stier als reale Vergewaltigung nachstellt, ebenso die Ausweidung des Prometheus bei lebendigem Leibe: "Es zuckten die Gelenke noch zerfetzt an Gliedern, die vom Blute troffen, / am ganzen Körper war von Körper gar nichts mehr zu sehn." Und: "Er, der eine Strafe litt, die es in Sagen nur gegeben hatte." Man liest es zweimal, dreimal; endlich glaubt man es, daß es so dasteht.
Seinen Sklaven aber war Martial ein guter Herr. Zu seinem Lebenstraum, einem kleinen Gütchen vor den Toren der Stadt (aber noch in Sichtweite!), gehört es, daß der Sklave satt sei. Eines seiner schönsten Gedichte ist die Totenklage um das Sklavenmädchen Erotion, die sechs Tage vor ihrem sechsten Geburtstag starb. Martial sieht sie in der Unterwelt, inmitten der schwarzen Schatten und angesichts des grauenvollen Höllenhundes, mit ihrem Ball spielen, und er fügt dem traditionellen römischen Grabspruch "Sei, o Erde, ihr nicht schwer" zum Schluß hinzu: "Sie war's auch nicht für dich."Es ist typisch für Martial, daß er noch eins draufsetzen muß und das kleine Mädchen in einem zweiten Gedicht mit alten Schwänen, dem Vogel Phönix, arabischen Perlen und indischen Elefantenzähnen vergleicht, bis im Leser allmählich der Unmut wächst.
Die Ungleichmäßigkeit gehört zur Produktion Martials so gut wie das Überraschende, das mitgeführte Geröll ist untrennbar Teil dieses außergewöhnlich breiten und kraftvollen Stroms; weit weniger als Catull, dem anderen erhaltenen Epigrammatiker, läßt ihm eine schmale Auswahl Gerechtigkeit widerfahren. Darum hat Hofmann recht, den ganzen Martial zu bieten, einschließlich seiner berechnenden Schmeicheleien, einschließlich seiner inzwischen verblichenen Kalauer und des wohl von Anbeginn recht mäßigen, dabei grausamen Scherzes von der liebäugelnden Schönen mit dem einen Auge.
"Zeitlose menschliche Schwächen" attackiere der Epigrammatiker, behauptet der Klappentext. Zeitlosigkeit aber ist die Wetterseite der Kunstwerke, sie wird dem Alterungsprozeß am schonungslosesten ausgesetzt. Martial jedoch liegt tief in seine Zeit eingebettet, da bleibt er frisch und unverbraucht. Ach nein, so zeitlos ist der Kinäde nicht, der altrömische Strichjunge, das vielleicht häufigste Thema Martials. Weltliteratur ist nicht identisch mit voraussetzungsfreier Lektüre; und Hofmann hätte den Kommentar, den er im Anhang verbirgt, ruhig an den Fuß der Seiten selbst heranholen sollen, das hätte das Lesen erleichtert.
Martial muß geahnt haben, daß das Verhältnis von Volumen, Vergnügen und Wert seinem Werk eines Tages zum Problem werden könnte. Am Schluß des Ersten Buches schlägt er als ironische und versöhnliche Formel, auf die es zu bringen wäre, vor: Wer hundert Epigramme las und hat daran auch dann noch Spaß, dem wird, mein Freund Caedician, des Schlechten nie genug getan.
Martial: "Epigramme". Herausgegeben und aus dem Lateinischen übertragen von Walter Hofmann. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1997. 780 S., geb., 98,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Epigramme des Martial in neuer Übersetzung / Von Burkhard Müller
Ich höre mit Bedauern, daß Valerius Martialis gestorben ist", schreibt Plinius der Jüngere um 105 nach Christus in einem Brief. "Er war ein begabter, geistreicher, feinsinniger Mensch . . . er besaß sehr viel Witz und Galle und auch Aufrichtigkeit. Aber es wird nicht ewig dauern, was er geschrieben hat. Obwohl er es geschrieben hat, als ob es dauern müßte, wird dies doch schwerlich der Fall sein."
Hier irrte Plinius. Denn während ein riesiger Teil der hohen lateinischen Literatur den Weg durch den Flaschenhals der finsteren Jahrhunderte nicht gefunden hat, ist das Werk Martials komplett in nicht weniger als vierzehn Büchern erhalten, plus einem Vorspann "Buch der Schauspiele". Antike Bücher sind schmaler als neuzeitliche, und so passen sie alle in einen schönen dicken Band, den jetzt, in einer deutschen Neuübersetzung und erstmals vollständig, der Leipziger Altphilologe Walter Hofmann vorlegt.
Marcus Valerius Martialis war als junger Mann aus seiner spanischen Heimat nach Rom gekommen, brachte aber im Unterschied zur großen Mehrzahl der lateinischen Schriftsteller kein Geld mit. Dies bestimmt den weiteren Verlauf, den seine Biographie und seine Epigramme nehmen, zum großen Vorteil der letzteren. Denn in ihnen ist ständig vom Geld die Rede: von dem, das er nicht hat, dem, das er kriegen will, und der mannigfachen Plagen, die ihm diese Anstrengungen auferlegen. In Rom, dessen Ökonomie völlig auf der Sklavenhaltung beruht, gibt es keine Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt durch seiner Hände Arbeit zu verdienen. Und so muß auch Martial sein Dasein als einer jener zahllosen Klienten fristen, die sich bei Sonnenaufgang an der Haustür ihres Patrons einfinden, ihn begrüßen und dafür ein Anrecht auf die "sportula" haben, die zentral und verbindlich auf sechseinviertel Sesterzen pro Kopf und Tag festgesetzt ist. Im Gegenzug war der Klient verpflichtet, sich als Laufbursche und Teil des möglichst großen Gefolges mehr oder weniger den ganzen Tag zur Verfügung zu halten, wie der Dichter klagt: Daß man zur ersten Stunde dir früh stets frostklappernd Grüße bringt, daß deine Sänfte mitten mich durch üblen Dreck zu waten zwingt, daß zu Agrippas Thermen ich erschöpft an deiner Seite geh zur zehnten Stunde, wo bei Titus ich lieber selbst mich baden seh - Ein wichtiger Teil der Einkünfte des Klienten bestand in den Geschenken, die er zu den Saturnalien erhielt, dem volkstümlichen, karnevalsartigen Fest Ende Dezember. Wehe dem Spender, wenn sie für zu karg befunden werden und nicht mehr ins Haus kommt als etwa eine sehr dünne vergoldete Silberschale! Zu ihrer Verspottung bietet Martial ein ganzes langes Gedicht auf. Dank wird am liebsten so erwiesen, daß dahinter gleich die nächste Bitte vorscheint; die neue Toga ist herrlich, jedoch: "O welch Gelächter wird es geben, / wenn man mein altes Mäntelchen / zugleich mit jener neuen Toga sieht vom Palatin."
Man erfährt bei Martial nicht nur, was es bei den großen Gastmahlen zu essen gibt, bei denen die Schnorrer sich mit gestohlenen Austern und Saueutern im Gewandbusch davonschleichen, sondern auch, was der Autor selber kocht, wenn er Freunde in seine Mietwohnung im Haus "Zur Birne" einlädt: Verborgen unter halben Eiern liegt der Thun, gereicht wird grüner Kohl auf schwarzer Schüssel, an dem man sich die Finger brennt, wenn man ihn hält, obgleich er eben erst aus dem erstarrten Garten kam; ein Würstchen liegt auf weißem Bohnenbrei und rotes Pökelfleisch bei hellen Bohnen.
Mehr und erstaunlichere Einzelheiten als bei jedem anderen zeitgenössischen Autor bekommt man bei Martial über das Leben im kaiserzeitlichen Rom zu hören: daß Hasenbraten für eine Woche schön macht; daß Sänger sich eine Art abschließbares Penis-Futteral zulegten, um in den Thermen nicht in Versuchung zu geraten, denn Sex schadet der Stimme (wenn's stimmt! - denn vielleicht handelt es sich ja auch nur um einen beschnittenen Juden, der sich tarnt, weil die Juden seit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels eine Sondersteuer zahlen müssen); daß man die Geliebten ehrt, indem man auf jeden Buchstaben ihres Namens einen Becher Wein leert - Und weil keine zu mir kam, / Schlaf, komm du.
Martial gelang es tatsächlich, durch sein Schreiben sozial und ökonomisch aufzusteigen, in einer Art waghalsiger Mischfinanzierung: Auf der einen Seite verkauften sich seine Epigramme nicht schlecht. Ein Buch von ihm kostete vier Denar, den zweieinhalbfachen Tagessatz Klienten, aber nicht gar zu viel, wenn man bedenkt, daß es auf Pergament mit der Hand geschrieben war. Wem das zu teuer war, der konnte auch einzelne Widmungssprüche erwerben, um sie zusammen mit dem Saturnalien-Geschenk zu überreichen - Martial führt, im dreizehnten und vierzehnten Buch, einen Katalog von mehreren hundert Aufschriften, nach Sachgruppen geordnet, so daß für jede denkbare Gabe, vom Papageifisch über die gesammelten Werke Ciceros bis zum tönernen Nachttopf, etwas dabei ist. Martial bekommt es dabei mit einem ganz neuartigen Problem zu tun, vermutlich als der erste Schriftsteller überhaupt: dem Schutz des kommerziellen Urheberrechts. Ihm sind zahlreiche Epigramme gewidmet: Keinen Kläger, keinen Richter braucht das Büchlein, das ich schrieb.
Deine Seite steht dagegen, und sie spricht: "Du bist ein Dieb!"
Trotz seiner selbständigen Einkünfte konnte Martial auf reiche und mächtige Gönner wie den Kaiser Titus und dann vor allem auf Domitian nicht verzichten. Letzterer herrschte von 81 bis 96 und gilt als einer jener "wahnsinnigen" Tyrannen, die die Entwicklung Roms vom oligarischen Stadtstaat zum autokratisch regierten Weltreich besonders energisch vorantrieben und dabei notgedrungen der angestammten senatorischen Oberschicht auf die Zehen traten. Martial hingegen, der dieser Schicht nicht angehört und republikanischen Traditionen fernsteht, findet nichts dabei, dem Kaiser rückhaltlos zu schmeicheln; er spricht ihn mit seinem offiziellen, von den alten Republikanern inständig gehaßten Titel "Gott und Herr" an, er bricht in Entzücken aus, wenn im Zirkus Antilopen und Elefanten vor ihm in die Knie sinken und selbst die Kreatur dem Herrscher zu huldigen scheint. Ihm, dem Unverheirateten, ist es nicht zu dumm, Domitian untertänigst um einen steuerlichen Kinderfreibetrag anzugehen (und er bekommt ihn und jubelt: "Fort Frau! Damit die Gabe sich nicht ohne Sinn erweis'.").
Schamlos, gewiß; aber nicht halb so unerquicklich wie der moralische Brustton, den Martials Zeitgenosse Plinius im "Panegyricus" anstimmt, um den Kaiser Trajan auf Kosten seines Vorgängers zu lobpreisen - nachdem er unter Domitian politische Karriere gemacht hatte. Als Martial schließlich der Aufstieg in den Rang eines Ritters glückt, wendet er sich sofort hämisch um nach jenen, die es auch gern wären, aber nicht geschafft haben: er läßt sie sich im Zirkus, mit einem falschen Purpurgewand, in eine der vorderen vierzehn Reihen einschmuggeln, welche allein den Rittern vorbehalten sind, dann aber vom scharfen Auge des Ordners Oceanus ertappt werden. Gezwungen aufzustehen, fällt ihnen der schwere Schlüssel eines Hausmeisters rasselnd aus dem Bausch der Toga - im ständebewußten Rom eine tiefe Beschämung.
Walter Hofmanns "Martial" ist ein Wagnis. Er bietet nicht, wie es bei den klassischen Tusculum- oder Loeb-Ausgaben der Fall ist, links das lateinische Original und rechts eine Übersetzung, die auf literarische Qualität keinen Anspruch erhebt und lediglich eine Hilfe bei der Erschließung des Textes sein will. Der Band ist einsprachig - und damit muß er für ein heutiges Publikum leisten, was einst Martial für das seinige getan hat, nämlich das Kunstwerk liefern.
Wie gibt man antike Verse wieder? In Prosa? Aber damit wäre bei Epigrammen, die nur von der Form leben, der Kunstcharakter noch weit gründlicher zerstört als bei einem Epos. Durch Nachschöpfung der antiken Metren, der Distichen, Hinkjamben und Elfsilblern Martials? Das scheint Werktreue zu verbürgen und ist doch eine Falle: Denn nicht nur reicht der so vorgegebene Silbenraum dem weitschweifigeren Deutschen niemals aus, und die Verse geraten in Atemnot. Vor allem funktionieren die lateinischen Maße, die allein nach Kürze und Länge in geregelter Wiederkehr unterscheiden, im Deutschen schon deshalb nicht, weil es ihnen ebenso unwillkürlich wie unweigerlich den deutschen Druckakzent verpaßt. Der deutsche Hexameter klingt fast stets wie ein vorüberratternder Güterzug; seine Ergänzung aber, der Pentameter, der an der Zäsur zum vollständigen Einhalt zwingt, wie ein Zugunglück.
Hier hat Hofmann eine sehr glückliche Hand gehabt. Er hat die Epigramme in zwei Gruppen eingeteilt. Die größere davon überträgt er in Jamben. Indem er die Zahl der Hebungen pro Zeile auf bis zu neun anwachsen läßt, gewinnt er den Atem, alles Nötige sagen zu können. Diese Jamben gleichen - was man als übersetzerisches Verdienst erst dann ganz erkennt, wenn man sie laut vorliest - dem Sprechvers der Bühne: die Leichtigkeit ihres formalen Gelingens macht den Raum frei für jede Feinheit, und es entsteht eine fruchtbare Spannung zwischen dem gleichmäßigen Grundtakt und den Erfordernissen des lebhaft dialogischen Charakters, den die weitaus meisten Epigramme Martials besitzen.
Etwa ein Drittel der Epigramme sind in gereimter Form wiedergegeben. Das bedeutet im Deutschen, das so heikel mit Reimwörtern ist, gegenüber den geringen technischen Anforderungen des antiken Verses eine gewaltige Erschwernis. Die Kühnheit Hofmanns verdient Bewunderung - besonders dann, wenn sie gelingt. Mißgriffe sind bei ihm erstaunlich selten, wenngleich man gelegentlich eine Härte - wie "Lied" auf "schrieb" - schlucken muß. Und manchmal hätte man einem Gedicht eher eine jambische als eine gereimte Wiedergabe gewünscht, etwa der berühmten Biene, die, leuchtend und verborgen, im Bernstein eingeschlossen ist wie in einer Überlast eigenen Honigs. Das Ergebnis des Reimversuchs, von vier auf acht Zeilen angewachsen, klingt so, als hätte sich ein Barocklyriker der Sache angenommen. Doch wird man durch eine Unzahl inspirierter Wendungen mehr als entschädigt. "Das Buch, das du hier liest, ist von Martial. / Durch seine Sinngedichte, scharf wie Stahl . . .".Für "argutis" die Wendung "scharf wie Stahl" zu setzen, ist das nicht zu frei? Nein, so weit muß man vom Text weg ausholen, um mit Schwung ins Schwarze zu treffen.
Die Lebendigkeit, die Martial in dieser Ausgabe gewinnt, versteht sich durchaus nicht von selbst. Die gegenwärtige Epoche ist dem Epigramm wie der Komödie, deren Zwillingsbruder es ist, nicht günstig. Beide setzen eine tief mit sich selbst verständigte, eine einhellige Gesellschaft voraus, der das Lachen aller über einige frommt. Um an solchem Spott Vergnügen zu finden, bedarf es eines traumwandlerischen Vertrauens in seine regulatorische Kraft. Es bedarf zudem einer urbanen Kultur, einer großen Stadt, die sich selbst als das zivilisatorische Maß eines weiten Umlands begreift, die auch kleine Nuancen goutiert und in deren Gassen sich das Liedlein von selber pfeift: Mein Rom lobt, liebt und singt jetzt meine Lieder, und jedes Herz und jede Hand hält mich umfaßt.
Sieh, der wird rot und der erblaßt, staunt, gähnt und haßt.
Ganz recht: Grad so gefalln mir meine Lieder.
Nur so versteht man die Heiterkeit, die bei allem unausgesetzten Tadeln doch die Grundstimmung Martials bleibt; nur so auch seine unbefangene Obszönität, die dem Übersetzer die undankbare Wahl läßt, ob er den leichten Ton im Deutschen durch eine genaue, aber stets vulgär klingende Entsprechung oder aber lieber durch die prüde Umschreibung ruinieren will. An dieser verdrießlichen Alternative erst ermißt man so recht, was wir, trotz aller sexuellen Aufklärung in den letzten dreißig Jahren, für ein schwerfälliges Volk geblieben sind. Dies dem Übersetzer anzukreiden wäre verfehlt. Hier ist die Schranke, die die jetzige Zeit dem Werk Martials setzt. Walter Hofmann hätte - und da liegt der einzige grundsätzliche Einwand, der sich gegen seine unschätzbare Arbeit erheben läßt - besser daran getan, sie zuzugeben, als zu versuchen, sie unsichtbar zu machen.
Der "große Kritiker des antiken Rom", als der Martial in der Überschrift des Nachworts angepriesen wird, war er nicht. Er konnte es nach seinen Voraussetzungen nicht sein, wenigstens nicht in dem Sinn, wie heute Gesellschaftskritik verstanden wird; und am allerwenigsten im Blick auf die beiden Aspekte römischen Lebens, die uns heute als die unfaßlichsten ins Auge stechen: die Arena und die Sklaverei. Kein römischer Schriftsteller der klassischen Zeit hat diese zwei Einrichtungen je kritisiert, auch der humane Seneca nicht, der lediglich empfahl, die Haussklaven gut zu behandeln und dem Zirkus fernzubleiben, weil er verrohend auf die Philosophenseele wirkt. Martial rühmt den Kaiser, weil er in der Arena die mythische Vereinigung der Pasiphae mit einem Stier als reale Vergewaltigung nachstellt, ebenso die Ausweidung des Prometheus bei lebendigem Leibe: "Es zuckten die Gelenke noch zerfetzt an Gliedern, die vom Blute troffen, / am ganzen Körper war von Körper gar nichts mehr zu sehn." Und: "Er, der eine Strafe litt, die es in Sagen nur gegeben hatte." Man liest es zweimal, dreimal; endlich glaubt man es, daß es so dasteht.
Seinen Sklaven aber war Martial ein guter Herr. Zu seinem Lebenstraum, einem kleinen Gütchen vor den Toren der Stadt (aber noch in Sichtweite!), gehört es, daß der Sklave satt sei. Eines seiner schönsten Gedichte ist die Totenklage um das Sklavenmädchen Erotion, die sechs Tage vor ihrem sechsten Geburtstag starb. Martial sieht sie in der Unterwelt, inmitten der schwarzen Schatten und angesichts des grauenvollen Höllenhundes, mit ihrem Ball spielen, und er fügt dem traditionellen römischen Grabspruch "Sei, o Erde, ihr nicht schwer" zum Schluß hinzu: "Sie war's auch nicht für dich."Es ist typisch für Martial, daß er noch eins draufsetzen muß und das kleine Mädchen in einem zweiten Gedicht mit alten Schwänen, dem Vogel Phönix, arabischen Perlen und indischen Elefantenzähnen vergleicht, bis im Leser allmählich der Unmut wächst.
Die Ungleichmäßigkeit gehört zur Produktion Martials so gut wie das Überraschende, das mitgeführte Geröll ist untrennbar Teil dieses außergewöhnlich breiten und kraftvollen Stroms; weit weniger als Catull, dem anderen erhaltenen Epigrammatiker, läßt ihm eine schmale Auswahl Gerechtigkeit widerfahren. Darum hat Hofmann recht, den ganzen Martial zu bieten, einschließlich seiner berechnenden Schmeicheleien, einschließlich seiner inzwischen verblichenen Kalauer und des wohl von Anbeginn recht mäßigen, dabei grausamen Scherzes von der liebäugelnden Schönen mit dem einen Auge.
"Zeitlose menschliche Schwächen" attackiere der Epigrammatiker, behauptet der Klappentext. Zeitlosigkeit aber ist die Wetterseite der Kunstwerke, sie wird dem Alterungsprozeß am schonungslosesten ausgesetzt. Martial jedoch liegt tief in seine Zeit eingebettet, da bleibt er frisch und unverbraucht. Ach nein, so zeitlos ist der Kinäde nicht, der altrömische Strichjunge, das vielleicht häufigste Thema Martials. Weltliteratur ist nicht identisch mit voraussetzungsfreier Lektüre; und Hofmann hätte den Kommentar, den er im Anhang verbirgt, ruhig an den Fuß der Seiten selbst heranholen sollen, das hätte das Lesen erleichtert.
Martial muß geahnt haben, daß das Verhältnis von Volumen, Vergnügen und Wert seinem Werk eines Tages zum Problem werden könnte. Am Schluß des Ersten Buches schlägt er als ironische und versöhnliche Formel, auf die es zu bringen wäre, vor: Wer hundert Epigramme las und hat daran auch dann noch Spaß, dem wird, mein Freund Caedician, des Schlechten nie genug getan.
Martial: "Epigramme". Herausgegeben und aus dem Lateinischen übertragen von Walter Hofmann. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1997. 780 S., geb., 98,- DM.
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