Diese Ausgabe der »Suhrkamp BasisBibliothek - Arbeitstexte für Schule und Studium« bietet nicht nur Christoph Heins weltberühmte Novelle Der fremde Freund/Drachenblut, sondern auch einen Kommentar, der alle für das Verständnis des Buches erforderlichen Informationen enthält: eine Zeittafel und ein Werkverzeichnis des Autors, ausführliche Hinweise zu den historisch-politischen und ästhetischen Voraussetzungen der Novelle, die Entstehungsgeschichte und Rezeption, einen Forschungsüberblick, Literaturhinweise sowie detaillierte Wort- und Sacherläuterungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2005Was vom Tage übrigbleibt
Erntezeit für Leser: Die schöne Literatur in diesem Herbst
Carl Friedrich Gauß ist acht Jahre alt, als sein mathematisches Genie von einem Dorfschullehrer entdeckt wird. Daniel Kehlmann, selbst kaum dreißigjährig, beschreibt den Jungen in seinem neuen Roman "Die Vermessung der Welt" (Rowohlt) als seufzenden Melancholiker mit triefender Nase, der auf den Vorwurf, es gehöre sich nicht, daß ein Kind immer traurig sei, Erstaunliches zur Antwort gibt. Er sei traurig, weil die Welt recht stümperhaft geschaffen sei, erklärt er dem jungen Mathematiker Bartels, und weil man es ohne Schlaf und Vergessen in ihr nicht aushalte: "Nicht wegsehen können war Traurigkeit. Wachsein war Traurigkeit. Erkennen, armer Bartels, war Verzweiflung. Warum, Bartels? Weil die Zeit immer verging." Gauß wird das Reich der Zahlen und das Weltall erforschen. Aber auch hinter den Sternen wartet nur der Tod.
Kehlmanns Roman über Gauß und den Naturforscher Alexander von Humboldt ist die leichthändig ineinander verwobene Doppelbiographie zweier großer Gelehrter, so unterhaltsam, humorvoll und auf schwerelose Weise tiefgründig und intelligent, wie man es hierzulande kaum für möglich hält. In bester angelsächsischer Manier legt Kehlmann einen handwerklich nahezu perfekten Roman vor, der zeigt, was deutsche Autoren in der Regel allenfalls in der Theorie wissen: daß Bildung nicht Ballast sein muß, sondern ein Vergnügen sein kann.
Ganz anders als Kehlmann, der Szenen und Dialoge sehr genau kalkuliert und seinem oft trockenen Humor nie die Zügel schießen läßt, hält es der noch einmal zwei Jahre jüngere Amerikaner Jonathan Safran Foer in seinem zweiten Roman "Extrem laut und unglaublich nah" (Kiepenheuer & Witsch). Foer ist ein literarisches Wunderkind, das fast alles kann und sich buchstäblich alles zutraut. Behandelte sein Debüt "Alles ist erleuchtet" (2003) den Holocaust und die Geschichte des Antisemitismus in Osteuropa, so geht es nun um das amerikanische Trauma, das der Terrorangriff vom 11. Septembber 2001 ausgelöst hat. Sein Ich-Erzähler ist ein achtjähriger Junge, der seinen Vater verloren hat und nun dessen rätselhaftem Vermächtnis nachspürt, wenn er nicht gerade seinen autoaggressiven Schüben nachgibt und sich selbst grün und blau schlägt. "Extrem laut und unglaublich nah" ist ein mitunter befremdlich anmutendes Feuerwerk der Trauerarbeit, eine Art Bewältigungsmarathon, phantasievoll, überraschend, anrührend, kitschig und eitel.
Daß nicht nur Menschen Trauer kennen, sondern auch die Dinge ihre Tränen haben, erfuhr Uwe Timm vor mehr als vierzig Jahren von einem Freund, den er wenig später aus den Augen verlieren sollte. Als er Jahrzehnte später den Spuren des Toten nachgeht, begegnet er auch dem Sohn des Freundes. Lukas Ohnesorg hat seinen Vater nie kennengelernt, denn der Student Benno Ohnesorg wurde am 2. Juni 1967 in Berlin bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien in Berlin von einem Polizisten erschossen, bevor sein Kind geboren wurde. Aber als hätte er den Satz des Vaters von den Tränen der Dinge sein ganzes Leben im Ohr gehabt, hat Lukas Ohnesorg sein Haus in ein gewaltiges Sammelsurium verwandelt, ein Asyl der verstoßenen Dinge, die hier ihr Gnadenbrot fristen.
Die Erzählung "Der fremde Freund" (Kiepenheuer & Witsch) gibt der Ikone Benno Ohnesorg eine persönliche Geschichte zurück, aber eine Biographie Ohnesorgs darf der Leser sich nicht erwarten. Wie schon in "Am Beispiel meines Bruders" verfolgt Timm hier das Projekt einer Autobiographie auf Umwegen, die zugleich Auskunft über eine ganze Generation geben soll.
Um Familien, beschädigte, chaotische, trostlose, geht es auch in den Romanen von Arno Geiger, Hans-Ulrich Treichel und Irene Dische. Mit "Es geht uns gut" (Hanser), "Menschenflug" (Suhrkamp) und "Großmama packt aus" (Hoffmann & Campe) zeigen diese drei Autoren noch einmal, wie fruchtbar das unverwüstliche Genre des Familienromans nach wie vor ist, aber auch, wie wichtig vielen Autoren noch immer die Schrecken der Nazizeit als Ausgangspunkt und Hintergrund ihrer Schilderungen sind. Mittlerweile meldet sich mit Arno Geiger oder auch Eva Menasse bereits die Enkelgeneration zu Wort, um vor ihren eigenen Geschichten zunächst noch einmal die ihrer Eltern und Großeltern zu erzählen.
Daß nicht alle literarischen Wege in die Vergangenheit führen müssen, zeigt Matthias Polityckis vitalistisches Kuba-Epos "Herr der Hörner" (Luchterhand) ebenso wie Ingo Schulzes Roman "Neue Leben" (Berlin Verlag). Zwei Romane, zwei Kraftakte von jeweils etwa siebenhundert Seiten, was auf ein gewisses Selbstbewußtsein und beachtliche Energievorräte der Autoren schließen läßt. So unterschiedlich die Bücher auch sind, schon allein in der Wahl ihrer Schauplätze Kuba und Thüringen, eines haben sie leider gemeinsam: eine Hauptfigur, die den Leser nicht zu fesseln vermag. Beide Romane verlangen vom Leser, daß er sich ihnen für viele Stunden überläßt, bleiben aber die Gründe dafür schuldig. Schulzes Konstruktion eines fiktiven Herausgebers, die Fußnoten, der Anhang von 150 Seiten - all das baut mehr Distanz auf, als der Roman verkraften kann.
Wer zuviel wagt, kann ebenso scheitern wie derjenige, der zuwenig wagt. A. L. Kennedy wagt in jedem ihrer Bücher mehr, als ratsam scheint. Sie unternimmt extreme Gratwanderungen, scheut vor größter Drastik ebensowenig zurück wie vor größter Intimität und zartesten Gefühlsregungen. Aber die existentielle Wucht und innere Notwendigkeit ihrer Literatur trägt den Leser über alle Klippen und Abgründe. Ihr neuer Roman "Paradies" (Wagenbach) erzählt die Liebesgeschichte zweier Alkoholiker, eine Glückssuche, in deren Zentrum Hannah steht, eine Frau, die im geregelten Ablauf des bürgerlichen Lebens untergeht wie in einem reißenden Fluß. Wer den Kapitalismus erfunden hat, glaubt Hannah, könne gewiß kein Alkoholiker gewesen sein.
Ein Satz, dem Michel Houellebecq vermutlich zustimmen würde. Sein neuer Roman "Von der Unmöglichkeit einer Insel" (DuMont) handelt von der Gegenwart ebenso wie von der Zukunft und ähnelt darin dem neuen Buch des in England aufgewachsenen japanischen Autors Kazuo Ishiguro. "Alles, was wir geben mußten" (Blessing) beginnt wie eine klassische englische Internatsgeschichte. Aber die Kinder, die hier umsorgt und unterrichtet werden, sind geklonte Wesen. Bei Houellebecq ist der Klon der Übermensch der Zukunft, bei Ishiguro ist er ein menschliches Ersatzteillager, dessen einziger Lebenszweck darin besteht, Organe zu spenden. Houellebecqs Name ist in aller Munde, Ishiguro ist dem breiten Publikum einstweilen noch weitgehend unbekannt, obwohl die Verfilmung seines mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Romans "Was vom Tage übrigblieb" recht erfolgreich war. Jetzt dürfte er auch in Deutschland die Aufmerksamkeit erfahren, die ihm gebührt: "Alles, was wir geben mußten" ist ohne Frage der bedeutendste Roman dieses Bücherherbstes.
Er schildert das beklemmende Experiment, das in dem Internat Hailsham durchgeführt wird, um herauszufinden, ob die Klone eine Seele haben, also wie Menschen behandelt werden müssen. Dazu werden sie aufgezogen wie ganz normale Kinder - und so entwickeln sie sich auch. Einer der genialen Kunstgriffe Ishiguros besteht darin, daß er uns das Geschehen nur aus der Sicht der Klone beobachten läßt. Sie haben Träume und Sehnsüchte, sie lieben und leiden, aber ihr Schicksal in Frage stellen oder dagegen aufbegehren, das können sie nicht. Ihre Trauer ist von der gleichen Art wie die des kleinen Gauß, denn auch für sie bedeutet Erkennen Verzweiflung.
Die Welt ist vermessen, kartiert und entzaubert. Die Literatur ist es noch nicht. Bis in den hintersten Winkel sind die Forscher und Geodäten gekrochen, Chronometer und Sextanten aus Messing, blankgeputzt und fein graviert, in ihrem Gepäck. Da kann und will die Literaturkritik nicht mit. Sie nimmt ihre Gegenstände in die Hand, dreht und wendet sie, wirft sie in die Luft, um spielerisch Gewicht und Flugeigenschaften zu prüfen, lugt in alle Ecken und Ritzen und stellt sie zurück ins Regal, damit ein anderer komme, um die Prozedur auf seine Weise zu wiederholen: der Leser. Der Bücherherbst erwartet ihn.
HUBERT SPIEGEL
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Erntezeit für Leser: Die schöne Literatur in diesem Herbst
Carl Friedrich Gauß ist acht Jahre alt, als sein mathematisches Genie von einem Dorfschullehrer entdeckt wird. Daniel Kehlmann, selbst kaum dreißigjährig, beschreibt den Jungen in seinem neuen Roman "Die Vermessung der Welt" (Rowohlt) als seufzenden Melancholiker mit triefender Nase, der auf den Vorwurf, es gehöre sich nicht, daß ein Kind immer traurig sei, Erstaunliches zur Antwort gibt. Er sei traurig, weil die Welt recht stümperhaft geschaffen sei, erklärt er dem jungen Mathematiker Bartels, und weil man es ohne Schlaf und Vergessen in ihr nicht aushalte: "Nicht wegsehen können war Traurigkeit. Wachsein war Traurigkeit. Erkennen, armer Bartels, war Verzweiflung. Warum, Bartels? Weil die Zeit immer verging." Gauß wird das Reich der Zahlen und das Weltall erforschen. Aber auch hinter den Sternen wartet nur der Tod.
Kehlmanns Roman über Gauß und den Naturforscher Alexander von Humboldt ist die leichthändig ineinander verwobene Doppelbiographie zweier großer Gelehrter, so unterhaltsam, humorvoll und auf schwerelose Weise tiefgründig und intelligent, wie man es hierzulande kaum für möglich hält. In bester angelsächsischer Manier legt Kehlmann einen handwerklich nahezu perfekten Roman vor, der zeigt, was deutsche Autoren in der Regel allenfalls in der Theorie wissen: daß Bildung nicht Ballast sein muß, sondern ein Vergnügen sein kann.
Ganz anders als Kehlmann, der Szenen und Dialoge sehr genau kalkuliert und seinem oft trockenen Humor nie die Zügel schießen läßt, hält es der noch einmal zwei Jahre jüngere Amerikaner Jonathan Safran Foer in seinem zweiten Roman "Extrem laut und unglaublich nah" (Kiepenheuer & Witsch). Foer ist ein literarisches Wunderkind, das fast alles kann und sich buchstäblich alles zutraut. Behandelte sein Debüt "Alles ist erleuchtet" (2003) den Holocaust und die Geschichte des Antisemitismus in Osteuropa, so geht es nun um das amerikanische Trauma, das der Terrorangriff vom 11. Septembber 2001 ausgelöst hat. Sein Ich-Erzähler ist ein achtjähriger Junge, der seinen Vater verloren hat und nun dessen rätselhaftem Vermächtnis nachspürt, wenn er nicht gerade seinen autoaggressiven Schüben nachgibt und sich selbst grün und blau schlägt. "Extrem laut und unglaublich nah" ist ein mitunter befremdlich anmutendes Feuerwerk der Trauerarbeit, eine Art Bewältigungsmarathon, phantasievoll, überraschend, anrührend, kitschig und eitel.
Daß nicht nur Menschen Trauer kennen, sondern auch die Dinge ihre Tränen haben, erfuhr Uwe Timm vor mehr als vierzig Jahren von einem Freund, den er wenig später aus den Augen verlieren sollte. Als er Jahrzehnte später den Spuren des Toten nachgeht, begegnet er auch dem Sohn des Freundes. Lukas Ohnesorg hat seinen Vater nie kennengelernt, denn der Student Benno Ohnesorg wurde am 2. Juni 1967 in Berlin bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien in Berlin von einem Polizisten erschossen, bevor sein Kind geboren wurde. Aber als hätte er den Satz des Vaters von den Tränen der Dinge sein ganzes Leben im Ohr gehabt, hat Lukas Ohnesorg sein Haus in ein gewaltiges Sammelsurium verwandelt, ein Asyl der verstoßenen Dinge, die hier ihr Gnadenbrot fristen.
Die Erzählung "Der fremde Freund" (Kiepenheuer & Witsch) gibt der Ikone Benno Ohnesorg eine persönliche Geschichte zurück, aber eine Biographie Ohnesorgs darf der Leser sich nicht erwarten. Wie schon in "Am Beispiel meines Bruders" verfolgt Timm hier das Projekt einer Autobiographie auf Umwegen, die zugleich Auskunft über eine ganze Generation geben soll.
Um Familien, beschädigte, chaotische, trostlose, geht es auch in den Romanen von Arno Geiger, Hans-Ulrich Treichel und Irene Dische. Mit "Es geht uns gut" (Hanser), "Menschenflug" (Suhrkamp) und "Großmama packt aus" (Hoffmann & Campe) zeigen diese drei Autoren noch einmal, wie fruchtbar das unverwüstliche Genre des Familienromans nach wie vor ist, aber auch, wie wichtig vielen Autoren noch immer die Schrecken der Nazizeit als Ausgangspunkt und Hintergrund ihrer Schilderungen sind. Mittlerweile meldet sich mit Arno Geiger oder auch Eva Menasse bereits die Enkelgeneration zu Wort, um vor ihren eigenen Geschichten zunächst noch einmal die ihrer Eltern und Großeltern zu erzählen.
Daß nicht alle literarischen Wege in die Vergangenheit führen müssen, zeigt Matthias Polityckis vitalistisches Kuba-Epos "Herr der Hörner" (Luchterhand) ebenso wie Ingo Schulzes Roman "Neue Leben" (Berlin Verlag). Zwei Romane, zwei Kraftakte von jeweils etwa siebenhundert Seiten, was auf ein gewisses Selbstbewußtsein und beachtliche Energievorräte der Autoren schließen läßt. So unterschiedlich die Bücher auch sind, schon allein in der Wahl ihrer Schauplätze Kuba und Thüringen, eines haben sie leider gemeinsam: eine Hauptfigur, die den Leser nicht zu fesseln vermag. Beide Romane verlangen vom Leser, daß er sich ihnen für viele Stunden überläßt, bleiben aber die Gründe dafür schuldig. Schulzes Konstruktion eines fiktiven Herausgebers, die Fußnoten, der Anhang von 150 Seiten - all das baut mehr Distanz auf, als der Roman verkraften kann.
Wer zuviel wagt, kann ebenso scheitern wie derjenige, der zuwenig wagt. A. L. Kennedy wagt in jedem ihrer Bücher mehr, als ratsam scheint. Sie unternimmt extreme Gratwanderungen, scheut vor größter Drastik ebensowenig zurück wie vor größter Intimität und zartesten Gefühlsregungen. Aber die existentielle Wucht und innere Notwendigkeit ihrer Literatur trägt den Leser über alle Klippen und Abgründe. Ihr neuer Roman "Paradies" (Wagenbach) erzählt die Liebesgeschichte zweier Alkoholiker, eine Glückssuche, in deren Zentrum Hannah steht, eine Frau, die im geregelten Ablauf des bürgerlichen Lebens untergeht wie in einem reißenden Fluß. Wer den Kapitalismus erfunden hat, glaubt Hannah, könne gewiß kein Alkoholiker gewesen sein.
Ein Satz, dem Michel Houellebecq vermutlich zustimmen würde. Sein neuer Roman "Von der Unmöglichkeit einer Insel" (DuMont) handelt von der Gegenwart ebenso wie von der Zukunft und ähnelt darin dem neuen Buch des in England aufgewachsenen japanischen Autors Kazuo Ishiguro. "Alles, was wir geben mußten" (Blessing) beginnt wie eine klassische englische Internatsgeschichte. Aber die Kinder, die hier umsorgt und unterrichtet werden, sind geklonte Wesen. Bei Houellebecq ist der Klon der Übermensch der Zukunft, bei Ishiguro ist er ein menschliches Ersatzteillager, dessen einziger Lebenszweck darin besteht, Organe zu spenden. Houellebecqs Name ist in aller Munde, Ishiguro ist dem breiten Publikum einstweilen noch weitgehend unbekannt, obwohl die Verfilmung seines mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Romans "Was vom Tage übrigblieb" recht erfolgreich war. Jetzt dürfte er auch in Deutschland die Aufmerksamkeit erfahren, die ihm gebührt: "Alles, was wir geben mußten" ist ohne Frage der bedeutendste Roman dieses Bücherherbstes.
Er schildert das beklemmende Experiment, das in dem Internat Hailsham durchgeführt wird, um herauszufinden, ob die Klone eine Seele haben, also wie Menschen behandelt werden müssen. Dazu werden sie aufgezogen wie ganz normale Kinder - und so entwickeln sie sich auch. Einer der genialen Kunstgriffe Ishiguros besteht darin, daß er uns das Geschehen nur aus der Sicht der Klone beobachten läßt. Sie haben Träume und Sehnsüchte, sie lieben und leiden, aber ihr Schicksal in Frage stellen oder dagegen aufbegehren, das können sie nicht. Ihre Trauer ist von der gleichen Art wie die des kleinen Gauß, denn auch für sie bedeutet Erkennen Verzweiflung.
Die Welt ist vermessen, kartiert und entzaubert. Die Literatur ist es noch nicht. Bis in den hintersten Winkel sind die Forscher und Geodäten gekrochen, Chronometer und Sextanten aus Messing, blankgeputzt und fein graviert, in ihrem Gepäck. Da kann und will die Literaturkritik nicht mit. Sie nimmt ihre Gegenstände in die Hand, dreht und wendet sie, wirft sie in die Luft, um spielerisch Gewicht und Flugeigenschaften zu prüfen, lugt in alle Ecken und Ritzen und stellt sie zurück ins Regal, damit ein anderer komme, um die Prozedur auf seine Weise zu wiederholen: der Leser. Der Bücherherbst erwartet ihn.
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