Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2020ÜBER LEBENSKUNST
Jedem Kind ein Buch
Raue Abenteuer für raue Zeiten: Uwe Timms Kinderbücher zum Vorlesen
Störtebeker hilft in diesen Zeiten der Isolation immer, der Papagei Störtebeker. Auf der Suche nach Büchern für Kinder, die den literarischen Generationentest bestehen, wird man bei Uwe Timm fündig, der anlässlich seines 80. Geburtstags gerade wieder heftig gefeiert wurde. Neben Romanen wie „Die Entdeckung der Currywurst“ und „Am Beispiel meines Bruders“ zählen besonders seine vier Kinderbücher, vor allem das „Rennschwein Rudi Rüssel“, zu seinen größten Erfolgen. Weil, und das gibt er offen zu, diese Kinderbücher dem kritischen Urteil seiner Familie standhalten mussten.
Für jedes seiner Kinder schrieb er eine eigene Geschichte, in der typische Charaktereigenschaften und Alltagserlebnisse als Motive auftauchen, allerdings in literarische Abenteuer verwandelt. So hört man das Rattern der Eisenbahn, in der Stefan der Mausebiber in „Die Zugmaus“ durch Europa reist und nach vielen spannenden Begegnungen, unter anderem mit einem Zirkus, glücklich wieder in die Mäusefamilie zurückkehrt.
In „Die Piratenamsel“ fängt der Zuhörer gemeinsam mit dem Beo Padde an, mit Sprache zu spielen. Und erlebt, wie der Vogel endlich, nach der Entführung aus dem indischen Urwald, in Hamburg auf einem Elbeschiff eine neue Heimat findet. Ein Glück, das Padde einem kleinen schlauen Mädchen verdankt und dem weisen alten Papagei Störtebeker.
„In alle Geschichten spielen Erlebnisse und Eigenarten der Kinder und der Eltern hinein. Aber alles darf man ja nicht verraten“, sagt Uwe Timm. Zur Entstehungsgeschichte von „Rennschwein Rudi Rüssel“ wäre zu sagen, dass er seiner jüngsten Tochter damit ein Trostbuch schreiben wollte. Sie war „ein Kind, das sich immer ein Tier wünschte, was ich, da wir viel im Ausland reisten, verhindert habe. Als Er-satz gab es diese Geschichte. Eine Möglichkeit der Literatur.“ In diesem Buch spielt jedenfalls der Vater, ein arbeitsloser Archäologe, keine besonders heldenhafte Rolle. Seine Jüngste Zuppi gewinnt bei einer Dorftombola ein Schwein, und immer, wenn es ihrem Haustier an den Kragen gehen soll, bricht sie in sirenenartiges Geheul aus, das jeden Widerstand der Eltern zunichte macht.
Das vierte Buch „Der Schatz auf Pagensand“, schrieb Uwe Timm, als seine älteste Tochter schon erwachsen war. Es ist eine Erinnerung an seine Jugend in Hamburg, und an die Elbe. Auf der vier Jugendliche heimlich zu einem Segeltörn aufbrechen, um den Störtebeker-Schatz zu finden. Dabei geraten sie in das Abenteuer ihres Lebens, mit einem seltsamen Eremiten, gefährlichen Gangstern und einem Schiffbruch. Eine Coming-of-Age-Geschichte, die wie die anderen drei Kinderbücher – ohne jegliche pädagogische Beigaben – an das belletristische Werk des Autors anschließt. „Die Erwachsenen sind in Wirklichkeit Verwachsene, die sehen nur das, was sie sehen wollen“, sagt der alte Papagei Störtebeker. Und erinnert damit stark an die antiautoritäre Kinder- und Jugendliteratur der 68er-Generation.
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
Welches Buch bietet Trost,
welcher Film beruhigt die Nerven,
welches Kunstwerk weitet
den Blick? Empfehlungen des
Feuilletons für beispiellose Zeiten.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jedem Kind ein Buch
Raue Abenteuer für raue Zeiten: Uwe Timms Kinderbücher zum Vorlesen
Störtebeker hilft in diesen Zeiten der Isolation immer, der Papagei Störtebeker. Auf der Suche nach Büchern für Kinder, die den literarischen Generationentest bestehen, wird man bei Uwe Timm fündig, der anlässlich seines 80. Geburtstags gerade wieder heftig gefeiert wurde. Neben Romanen wie „Die Entdeckung der Currywurst“ und „Am Beispiel meines Bruders“ zählen besonders seine vier Kinderbücher, vor allem das „Rennschwein Rudi Rüssel“, zu seinen größten Erfolgen. Weil, und das gibt er offen zu, diese Kinderbücher dem kritischen Urteil seiner Familie standhalten mussten.
Für jedes seiner Kinder schrieb er eine eigene Geschichte, in der typische Charaktereigenschaften und Alltagserlebnisse als Motive auftauchen, allerdings in literarische Abenteuer verwandelt. So hört man das Rattern der Eisenbahn, in der Stefan der Mausebiber in „Die Zugmaus“ durch Europa reist und nach vielen spannenden Begegnungen, unter anderem mit einem Zirkus, glücklich wieder in die Mäusefamilie zurückkehrt.
In „Die Piratenamsel“ fängt der Zuhörer gemeinsam mit dem Beo Padde an, mit Sprache zu spielen. Und erlebt, wie der Vogel endlich, nach der Entführung aus dem indischen Urwald, in Hamburg auf einem Elbeschiff eine neue Heimat findet. Ein Glück, das Padde einem kleinen schlauen Mädchen verdankt und dem weisen alten Papagei Störtebeker.
„In alle Geschichten spielen Erlebnisse und Eigenarten der Kinder und der Eltern hinein. Aber alles darf man ja nicht verraten“, sagt Uwe Timm. Zur Entstehungsgeschichte von „Rennschwein Rudi Rüssel“ wäre zu sagen, dass er seiner jüngsten Tochter damit ein Trostbuch schreiben wollte. Sie war „ein Kind, das sich immer ein Tier wünschte, was ich, da wir viel im Ausland reisten, verhindert habe. Als Er-satz gab es diese Geschichte. Eine Möglichkeit der Literatur.“ In diesem Buch spielt jedenfalls der Vater, ein arbeitsloser Archäologe, keine besonders heldenhafte Rolle. Seine Jüngste Zuppi gewinnt bei einer Dorftombola ein Schwein, und immer, wenn es ihrem Haustier an den Kragen gehen soll, bricht sie in sirenenartiges Geheul aus, das jeden Widerstand der Eltern zunichte macht.
Das vierte Buch „Der Schatz auf Pagensand“, schrieb Uwe Timm, als seine älteste Tochter schon erwachsen war. Es ist eine Erinnerung an seine Jugend in Hamburg, und an die Elbe. Auf der vier Jugendliche heimlich zu einem Segeltörn aufbrechen, um den Störtebeker-Schatz zu finden. Dabei geraten sie in das Abenteuer ihres Lebens, mit einem seltsamen Eremiten, gefährlichen Gangstern und einem Schiffbruch. Eine Coming-of-Age-Geschichte, die wie die anderen drei Kinderbücher – ohne jegliche pädagogische Beigaben – an das belletristische Werk des Autors anschließt. „Die Erwachsenen sind in Wirklichkeit Verwachsene, die sehen nur das, was sie sehen wollen“, sagt der alte Papagei Störtebeker. Und erinnert damit stark an die antiautoritäre Kinder- und Jugendliteratur der 68er-Generation.
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
Welches Buch bietet Trost,
welcher Film beruhigt die Nerven,
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