Den "Sommernachtstraum" schrieb Shakespeare wahrscheinlich als Festspiel zur Hochzeitsfeier eines fürstlichen Paares. In diesem romantischen Drama von Liebe und Verwechslung wird die Handlung ausgelöst durch den eifersüchtigen Oberon, den König der Elfen. Er möchte von Titania, der Elfenkönigin, den indischen Fürstensohn zum Edelknaben haben. Ihre Weigerung rächt Oberon durch einen Zaubersaft, den er der Schlafenden in die Augen träufelt. Jedoch nicht nur bei ihr, sondern auch bei zwei Menschenpaaren gibt das gleiche Mittel zu Verwirrungen Anlass. Das unglückliche Stelldichein von Pyramis und Thisbe, als Zwischenspiel von den Rüpeln aufgeführt, ist eine Parodie auf das zur gleichen Zeit entstandene Drama "Romeo und Julia", (Hamburger Leseheft Nr. 128). "Aber genau so mithandelnd wie die auftretenden Personen selbst ist im "Sommernachtstraum' die Natur."Ein Nachwort und Anmerkungen vervollständigen das Heft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.1995Spaß am Blankvers
Ein neuer Shakespeare, zweisprachig · Von Walter Klier
Fünfunddreißig Jahre hat der Deutsche Taschenbuch Verlag sich Zeit gelassen, um "seinen" Shakespeare herauszubringen. Jetzt ist es soweit. Unter dem Geleitschutz eines Beihefts haben nun mit "Othello", "Romeo und Julia" und dem "Sommernachtstraum" drei Prüfsteine das Licht des Buchhandels und der Studierstuben erblickt, übersetzt von Frank Günther, einem Anglisten, der "früher selbst als Dramaturg und Regisseur tätig" war. Das Ergebnis, wir nehmen es vorweg, ist ein befremdlicher Hybride aus traditioneller, das heißt altbackener Shakespeare-Forschung und einer aufgekratzten Hemdsärmeligkeit, der zum postmodernen Glück nur noch der illustrierende Comic strip fehlt.
Die begleitenden Texte, die der Übersetzer zum Beiheft und zu den einzelnen Bänden beisteuert, atmen den Geist der Schülervorstellung, wo der fortschrittliche Pädagoge, anstatt die Zöglinge wohl oder übel mit dem Ernst des (kulturellen) Lebens zu konfrontieren, sich mit ihnen unten im Parkett der Ignoranz gemein zu machen versucht. Dies gipfelt in Sätzen wie diesem: "Eine Generation, die sich für Rap begeistert, sollte auch am Blankvers einigen Spaß finden können." Beim Jungmenschen, dem Ziel solcher Attacken, kann nur abwehrendes Kichern die Konsequenz sein; den älteren Leser packt merkliches Unbehagen, das sich nicht mindert, wenn er vom Übersetzer erklärt bekommt, man könne aus Gründen der politischen Korrektheit den "Moor of Venice" nicht mehr mit "Mohr" übersetzen, weil "laut Duden das deutsche ,Mohr' veraltet, das Thema des Rassismus, mit dem dieser Begriff im Stück einhergeht, aber leider Gottes brandaktuell und real ist".
Das Exemplifizieren dessen, was in Seminaren und an Stadttheatern offenbar als "Spaß" empfunden wird, also die Anverwandlung an eine vorgestellte Sprache der Jugend, findet natürlich in erster Linie im Text der Übersetzung statt. Hier exekutiert Frank Günther seinen Vorsatz, das "Deftige" herauszustreichen, das, wie es scheint, die bisherigen Übersetzer zwischen Wieland und Fried stets unter den Tisch gekehrt haben. Und deftig wird es. Die Shakespearische Kunst, das Obszöne in der Schwebe des Wortspiels zu halten, kippt um in eine zugleich pubertäre und doch mit erhobenem Zeigefinger vorgetragene Obszönität, die an die allgegenwärtige, dramaturgisch wenig begründete Nacktheit in den Filmen der siebziger Jahre erinnert.
So wird auch bei Frank Günther Shakespeares Sprache aus den Schlegel-Tieckschen Fesseln der Wohlanständigkeit befreit: Da wimmelt es nun von "Huren" und "Schweinen", "geilen Stunden" (hours of lust) und "geilen Huren" (lewd minx); aus Rodrigos Anwurf wider Jago "O inhuman dog!" wird ein "Unmenschliches Schwein!" Die semantische Vielfalt, die Shakespeare für jenes Wort, das Desdemona nicht in den Mund nehmen will, zur Verfügung steht, verschwindet in der Insistenz, mit der Günther immer wieder "Hure" dazu einfällt. Bei Schlegel-Tieck war die "lewd minx" eine "büb'sche Dirne" gewesen, in der akademischen Version, die bei Reclam zu haben ist, wurde daraus eine "unzücht'ge Dirne". Wie unbefriedigend diese Lösungen auch erscheinen mögen, viel Gewinn scheint uns Günthers Grobheit nicht zu bringen.
Sein durchaus ehrenwerter Ansatz, einen deutschen Shakespeare zu erstellen, dessen Sprache die heutiger Menschen ist, kann nur insoweit als geglückt betrachtet werden, als seine Figuren nun so sprechen, wie man sich die Sprache der neunziger Jahre an einem subventionierten Stadt- oder Landestheater vorstellt, aber nicht, wie "man" heute spricht. "Man" sagt "heute" weder "pah!", noch sagt man: "Und wärn sie geißbockscharf, geil wie die Affen, / Brünstig wie wilde Wölfe und so plump / Wie dummgesoffne Narrn."
Wer wüßte tatsächlich anzugeben, wie solches heute zu sagen wäre? Der Fehler liegt wohl grundsätzlich in dem Versuch, das Kunstprodukt "deutscher Shakespeare im 20. Jahrhundert" gleichsam in ein Naturprodukt zu überführen. Von diesem unglücklichen Hang zum "Deftigen" (,Wenn die Pflaumen uns eine reinsemmeln, dann mach ich die zur Mücke": So redet das Volk in "Romeo und Julia") abgesehen, ist Frank Günther übrigens auf sehr ehrenwerte Weise gescheitert. Wäre er nicht so versessen darauf, uns Shakespeare in der Art eines literarischen Sozialarbeiters als Alltägliches vorzuführen, wäre das Ganze gewiß noch ehrenwerter ausgefallen.
Mißvergnüglich stimmt bei solch großem Unterfangen die Arbeit des Lektorats. Da springen schon im Eröffnungssonett von "Romeo und Julia" zwei Druckfehler ins Auge. Statt "with patient ears" sollen wir nun "with patient cars" dem Bühnenspiel folgen. Das Verhältnis zu Eigennamen ist ein generell lockeres. Besonders im Beiheft erwächst aus der Vermählung von höchster Eile und tiefster Ignoranz eine unfreiwillige "Ebene der Modernität": Aus dem Rebellen Jack Cade (aus "Heinrich VI.") wird da ein "John Cage", aus dem Lyriker Edmund Spenser ein "Edward Spencer".
Auch sonst ist die Haltung zu historischen Fakten stellenweise eine lässig-summarische; und so auch zum Thema der Autorschaft an Shakespeares Werken. Frank Günther meint, das Leben sei zu kurz, um es an "eine so müßige Frage zu verschwenden". Es muß ja nicht das ganze Leben sein. Bereits einige Stunden würden vielleicht so erhellend wirken, daß dann nicht, wie Günther zuvor festgestellt hat, das ganze Leben auf den König Lear verwendet werden müßte, sondern vielleicht bloß das halbe.
William Shakespeare: "Ein Sommernachtstraum". Zweisprachige Ausgabe. Mit einem Essay von Sonja Fielitz. 203 S., br., 15,90 DM.
"Romeo und Julia". Mit einem Essay von Kurt Tetzeli von Rosador. 294 S., br., 17,90 DM.
"Othello". Mit einem Essay von Dieter Mehl. 314 S., br., 18,90 DM.
Alle aus dem Englischen übersetzt von Frank Günther. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995.
"William Shakespeare im dtv". Beiheft zur neuen Shakespeare-Ausgabe. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995. 77 S., br., 3,-DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein neuer Shakespeare, zweisprachig · Von Walter Klier
Fünfunddreißig Jahre hat der Deutsche Taschenbuch Verlag sich Zeit gelassen, um "seinen" Shakespeare herauszubringen. Jetzt ist es soweit. Unter dem Geleitschutz eines Beihefts haben nun mit "Othello", "Romeo und Julia" und dem "Sommernachtstraum" drei Prüfsteine das Licht des Buchhandels und der Studierstuben erblickt, übersetzt von Frank Günther, einem Anglisten, der "früher selbst als Dramaturg und Regisseur tätig" war. Das Ergebnis, wir nehmen es vorweg, ist ein befremdlicher Hybride aus traditioneller, das heißt altbackener Shakespeare-Forschung und einer aufgekratzten Hemdsärmeligkeit, der zum postmodernen Glück nur noch der illustrierende Comic strip fehlt.
Die begleitenden Texte, die der Übersetzer zum Beiheft und zu den einzelnen Bänden beisteuert, atmen den Geist der Schülervorstellung, wo der fortschrittliche Pädagoge, anstatt die Zöglinge wohl oder übel mit dem Ernst des (kulturellen) Lebens zu konfrontieren, sich mit ihnen unten im Parkett der Ignoranz gemein zu machen versucht. Dies gipfelt in Sätzen wie diesem: "Eine Generation, die sich für Rap begeistert, sollte auch am Blankvers einigen Spaß finden können." Beim Jungmenschen, dem Ziel solcher Attacken, kann nur abwehrendes Kichern die Konsequenz sein; den älteren Leser packt merkliches Unbehagen, das sich nicht mindert, wenn er vom Übersetzer erklärt bekommt, man könne aus Gründen der politischen Korrektheit den "Moor of Venice" nicht mehr mit "Mohr" übersetzen, weil "laut Duden das deutsche ,Mohr' veraltet, das Thema des Rassismus, mit dem dieser Begriff im Stück einhergeht, aber leider Gottes brandaktuell und real ist".
Das Exemplifizieren dessen, was in Seminaren und an Stadttheatern offenbar als "Spaß" empfunden wird, also die Anverwandlung an eine vorgestellte Sprache der Jugend, findet natürlich in erster Linie im Text der Übersetzung statt. Hier exekutiert Frank Günther seinen Vorsatz, das "Deftige" herauszustreichen, das, wie es scheint, die bisherigen Übersetzer zwischen Wieland und Fried stets unter den Tisch gekehrt haben. Und deftig wird es. Die Shakespearische Kunst, das Obszöne in der Schwebe des Wortspiels zu halten, kippt um in eine zugleich pubertäre und doch mit erhobenem Zeigefinger vorgetragene Obszönität, die an die allgegenwärtige, dramaturgisch wenig begründete Nacktheit in den Filmen der siebziger Jahre erinnert.
So wird auch bei Frank Günther Shakespeares Sprache aus den Schlegel-Tieckschen Fesseln der Wohlanständigkeit befreit: Da wimmelt es nun von "Huren" und "Schweinen", "geilen Stunden" (hours of lust) und "geilen Huren" (lewd minx); aus Rodrigos Anwurf wider Jago "O inhuman dog!" wird ein "Unmenschliches Schwein!" Die semantische Vielfalt, die Shakespeare für jenes Wort, das Desdemona nicht in den Mund nehmen will, zur Verfügung steht, verschwindet in der Insistenz, mit der Günther immer wieder "Hure" dazu einfällt. Bei Schlegel-Tieck war die "lewd minx" eine "büb'sche Dirne" gewesen, in der akademischen Version, die bei Reclam zu haben ist, wurde daraus eine "unzücht'ge Dirne". Wie unbefriedigend diese Lösungen auch erscheinen mögen, viel Gewinn scheint uns Günthers Grobheit nicht zu bringen.
Sein durchaus ehrenwerter Ansatz, einen deutschen Shakespeare zu erstellen, dessen Sprache die heutiger Menschen ist, kann nur insoweit als geglückt betrachtet werden, als seine Figuren nun so sprechen, wie man sich die Sprache der neunziger Jahre an einem subventionierten Stadt- oder Landestheater vorstellt, aber nicht, wie "man" heute spricht. "Man" sagt "heute" weder "pah!", noch sagt man: "Und wärn sie geißbockscharf, geil wie die Affen, / Brünstig wie wilde Wölfe und so plump / Wie dummgesoffne Narrn."
Wer wüßte tatsächlich anzugeben, wie solches heute zu sagen wäre? Der Fehler liegt wohl grundsätzlich in dem Versuch, das Kunstprodukt "deutscher Shakespeare im 20. Jahrhundert" gleichsam in ein Naturprodukt zu überführen. Von diesem unglücklichen Hang zum "Deftigen" (,Wenn die Pflaumen uns eine reinsemmeln, dann mach ich die zur Mücke": So redet das Volk in "Romeo und Julia") abgesehen, ist Frank Günther übrigens auf sehr ehrenwerte Weise gescheitert. Wäre er nicht so versessen darauf, uns Shakespeare in der Art eines literarischen Sozialarbeiters als Alltägliches vorzuführen, wäre das Ganze gewiß noch ehrenwerter ausgefallen.
Mißvergnüglich stimmt bei solch großem Unterfangen die Arbeit des Lektorats. Da springen schon im Eröffnungssonett von "Romeo und Julia" zwei Druckfehler ins Auge. Statt "with patient ears" sollen wir nun "with patient cars" dem Bühnenspiel folgen. Das Verhältnis zu Eigennamen ist ein generell lockeres. Besonders im Beiheft erwächst aus der Vermählung von höchster Eile und tiefster Ignoranz eine unfreiwillige "Ebene der Modernität": Aus dem Rebellen Jack Cade (aus "Heinrich VI.") wird da ein "John Cage", aus dem Lyriker Edmund Spenser ein "Edward Spencer".
Auch sonst ist die Haltung zu historischen Fakten stellenweise eine lässig-summarische; und so auch zum Thema der Autorschaft an Shakespeares Werken. Frank Günther meint, das Leben sei zu kurz, um es an "eine so müßige Frage zu verschwenden". Es muß ja nicht das ganze Leben sein. Bereits einige Stunden würden vielleicht so erhellend wirken, daß dann nicht, wie Günther zuvor festgestellt hat, das ganze Leben auf den König Lear verwendet werden müßte, sondern vielleicht bloß das halbe.
William Shakespeare: "Ein Sommernachtstraum". Zweisprachige Ausgabe. Mit einem Essay von Sonja Fielitz. 203 S., br., 15,90 DM.
"Romeo und Julia". Mit einem Essay von Kurt Tetzeli von Rosador. 294 S., br., 17,90 DM.
"Othello". Mit einem Essay von Dieter Mehl. 314 S., br., 18,90 DM.
Alle aus dem Englischen übersetzt von Frank Günther. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995.
"William Shakespeare im dtv". Beiheft zur neuen Shakespeare-Ausgabe. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995. 77 S., br., 3,-DM.
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