Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2000Am Marterholz der Tischplatte
Der zweite Band von Peter-André Alts Schiller-Biographie
Die Aufgabe der Biographie besteht Goethe zufolge darin, "den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen, und zu zeigen, inwieweit ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt." Diese differenzierte Konzeption ist von einer Goethe-Forschung vereinseitigt worden, deren Ehrgeiz es war, vom Werk wie vom Leben her zu gleichen Ergebnissen zu kommen, um die organische Einheit beider zu erweisen. Solche Einheitsvorstellungen haben das Bild vom Dichterleben nachhaltig geprägt.
Der erste Band von Peter-André Alts Schiller-Biographie hat als vorwiegend monographische, also an der Abfolge der Werke orientierte Darstellung Mißvergnügen erregt (F.A.Z. vom 21. März). Schiller erscheine da nicht aufgehoben in seinen Werken, sondern lediglich "als Schwimmer in den Strömungen der Zeit"; die Person gehe in einer erzählerisch ungestalten Masse an kulturgeschichtlichen Informationen unter, während das Werk als Sammelbecken der Zeittendenzen erscheine. Dieser Eindruck mußte sich notwendig dadurch verstärken, daß in dem bis 1791 reichenden Band von den großen Dramen und Abhandlungen noch nicht die Rede sein konnte, während die Konzeption umfangreiche einleitende Erwägungen zur zeitgenössischen Ordnung des Wissens erforderte.
Im nun erschienenen zweiten Band, der die klassische Periode vom Beginn der schweren Krankheit 1791 bis zum frühen Tod 1805 behandelt, hat der Bochumer Germanistikprofessor sein Verfahren noch einmal energisch gerechtfertigt. Er wolle Schiller "nicht zum unbeweglichen Monument verklären, sondern in das kulturelle Beziehungsgeflecht zurückführen, das es historisch begründet". Allein in den Texten zeichneten sich "intellektuelles Selbstverständnis und geistige Physiognomie des Künstlers Schiller" deutlich ab. Einem "nur am Intimen interessierten Voyeurismus" müsse eine Biographie "ein mit wissenschaftlichen Methoden begründetes Verständnis ihres Objekts entgegenstellen". Alt setzt sich damit bewußt von einer mehr oder weniger überzeugten Aktualisierung und den Erzählmustern der erfolgreichen Goethe-Biographien ab. Merkwürdigerweise aber hat Schiller Alt zufolge am Mythos von der organischen Einheit von Leben und Werk bei Goethe durch die Unterscheidung von naiver und sentimentalischer Dichtung mitgewirkt. "Goethe gewinnt dort Kontur als der begünstigte Musensohn, dessen natürliche Anlagen es ihm gestatten, den widrigen Tendenzen des modernen Zeitalters zu trotzen und die eigenen künstlerischen Talente unter günstigen äußeren Verhältnissen spannungsfrei zu entwickeln." Dagegen sieht sich Schiller als einen, der den Erfolg "mit Anspannung aller Kräfte zu erringen hat, weil ihm die äußeren Verhältnisse permanenten Widerstand entgegensetzen". Alt hebt daher in seinem Bild des frühen Schiller immer wieder die Konflikte, Rückschläge und Katastrophen hervor, und auch Schillers Weg zum Klassiker-Ruhm erscheint beschwerlicher als der Goethes, obwohl dessen Krisen nicht verschwiegen werden. Deutlich bleibt Alts Darstellung so negativ an das gängige Goethe-Bild gebunden.
Die offensichtliche Sympathie mit dem hart arbeitenden Intellektuellen und Schriftmenschen Schiller, der sich für sinnliche Erfahrung und Anschauung keine Zeit nimmt und "Distanz zum Leib" hält, verführt den Biographen dazu, Schillers "einseitige Orientierung am Medium der Schrift", das vielgeschmähte "Papierene" seiner Sprache, für einen Modernitätsvorsprung im Vergleich zu Goethe auszugeben. Solche Apologetik muß zu Widersprüchen führen. So berichtet Alt über Schillers Erfahrungsunlust und seine "innere Naturferne", die aber "den operationalen Notwendigkeiten der Poesie" gerade entgegenkomme. Die Wahrheit der Poesie besteht für Alt in der "ästhetischen Vergegenwärtigung des empirischen Materials, das im Kunstwerk ausgelöscht und neu erzeugt wird". Wie aber kann etwas vergegenwärtigt oder ausgelöscht werden, was empirisch eben nicht erfahren worden ist, wie der Interpret an der Elegie "Der Spaziergang" eben noch ausgeführt hat? Es sei denn, Schillers glühende Imagination, auf die Alt immer wieder verweist, ließe Empirie Schall und Rauch sein, sorge also wiederum für vorgängige Einheit von Werk und Lebenserfahrung. Jedoch ist Alt überzeugt, daß Schiller "kein weltferner Idealist" gewesen ist, sondern sich durch "Pragmatismus und Entschlußkraft" auszeichnete, allerdings vor allem "beim Schreiben". Das fügt sich in die Globalthese, daß die Literatur der eigentliche Handlungsraum des Bürgertums gewesen sei.
Jedenfalls sitzt Alts Schiller trotz Krankheit hauptsächlich am Marterholz des Schreibtischs. Dem entspricht in der Vorstellung der Werke neben immerwährenden Verweisen auf die lebensgefährlichen Krankheitsschübe und ihre arbeitshemmende Wirkung eine starke Dominanz der intertextuellen Analyse. So wird "die Bündelung des anwachsenden Materials" zum zentralen Schaffensproblem. Fast scheint es schließlich, als bestehe das Gelingen bei Schiller im je "bewältigten Material". Zwar sind auch alle Ereignisse in Schillers Leben sorgsam verzeichnet und mit Briefstellen dokumentiert, aufregend aber findet es der Biograph vor allem dann, wenn Schiller "ein neues Projekt in Angriff" nimmt oder wenn in seinem Kalender der "Abschluß des Manuskripts" verzeichnet ist. Bei den Ausführungen über Schillers Charakter, seine Lieben und Vorlieben erlegt sich Alt dagegen große Zurückhaltung auf, wenngleich er Dokumente, die Schiller als neidisch oder fanatisch zeigen, nicht unterschlägt. Allenfalls ist Schiller dann "verärgert", oder er begeht eine "Fehlleistung". Schillers Freizeitvergnügen aber ist die "Kommunikation" mit freien Geistern. Unter Einsamkeit wie zuzeiten der "egoistische" Goethe hat Schiller wenigstens nicht gelitten.
Wenn Alt Schiller zum Schluß "unerbittliches Arbeitsethos" bescheinigt, ist man versucht, das als Spiegelung des Biographen zu begreifen. Denn auch die Biographie ist ein Wunder an Materialbewältigung und Zeugnis unzähliger Stunden am Schreibtisch. Auch sie hält sich auf Distanz zu Leib, banalem Leben und Sinnlichkeit, und ist so intellektualistisch, wie sie Schillers intellektuelle Fähigkeiten ins Licht setzt. Das ergibt in der Summe eine distanzierende, über weite Strecken spröde, aber in souveräner Kenntnis der Schiller-Forschung umsichtig disponierte und enorm faktenreiche Darstellung, die sich durchweg im Rahmen sozial- und kulturwissenschaftlicher Untersuchungen argumentativ abzusichern sucht. Das ist ohne Zweifel eine große Leistung.
Alts trotz des gelegentlich hochfahrenden Tons nachvollziehbare konzeptionelle Entscheidungen haben aber einen unwägbaren Adressatenbezug zur Folge. Einen gewöhnlichen Leser, der sich behaglich an der Menschlichkeit eines Olympiers delektieren möchte, will Alt nicht haben. Ihm vergällt er die Darstellung zusätzlich durch eine wenig gefällige, um nicht zu sagen hölzerne Schreibweise, von alters her das Signum des deutschen Gelehrten. Literaturwissenschaftlern und Germanistikstudenten wäre das zuzumuten, nur werden die sich eher mit den originalen Forschungsbeiträgen auseinandersetzen wollen. So kann man die gewichtige Arbeit nur dem vermutlich selten gewordenen Typus des passionierten, also leidensfähigen Liebhabers empfehlen, der sich damit vom Dilettanten zum Kenner fortbilden kann, um im Sprachgebrauch der Weimarer Kunstfreunde zu bleiben.
FRIEDMAR APEL
Peter-André Alt: "Schiller". Leben - Werk - Zeit. Zweiter Band: 1791 bis zu seinem Tod 1805. C. H. Beck Verlag, München 2000. 686 S., 22 Abb., geb., 88,- DM.
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Der zweite Band von Peter-André Alts Schiller-Biographie
Die Aufgabe der Biographie besteht Goethe zufolge darin, "den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen, und zu zeigen, inwieweit ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt." Diese differenzierte Konzeption ist von einer Goethe-Forschung vereinseitigt worden, deren Ehrgeiz es war, vom Werk wie vom Leben her zu gleichen Ergebnissen zu kommen, um die organische Einheit beider zu erweisen. Solche Einheitsvorstellungen haben das Bild vom Dichterleben nachhaltig geprägt.
Der erste Band von Peter-André Alts Schiller-Biographie hat als vorwiegend monographische, also an der Abfolge der Werke orientierte Darstellung Mißvergnügen erregt (F.A.Z. vom 21. März). Schiller erscheine da nicht aufgehoben in seinen Werken, sondern lediglich "als Schwimmer in den Strömungen der Zeit"; die Person gehe in einer erzählerisch ungestalten Masse an kulturgeschichtlichen Informationen unter, während das Werk als Sammelbecken der Zeittendenzen erscheine. Dieser Eindruck mußte sich notwendig dadurch verstärken, daß in dem bis 1791 reichenden Band von den großen Dramen und Abhandlungen noch nicht die Rede sein konnte, während die Konzeption umfangreiche einleitende Erwägungen zur zeitgenössischen Ordnung des Wissens erforderte.
Im nun erschienenen zweiten Band, der die klassische Periode vom Beginn der schweren Krankheit 1791 bis zum frühen Tod 1805 behandelt, hat der Bochumer Germanistikprofessor sein Verfahren noch einmal energisch gerechtfertigt. Er wolle Schiller "nicht zum unbeweglichen Monument verklären, sondern in das kulturelle Beziehungsgeflecht zurückführen, das es historisch begründet". Allein in den Texten zeichneten sich "intellektuelles Selbstverständnis und geistige Physiognomie des Künstlers Schiller" deutlich ab. Einem "nur am Intimen interessierten Voyeurismus" müsse eine Biographie "ein mit wissenschaftlichen Methoden begründetes Verständnis ihres Objekts entgegenstellen". Alt setzt sich damit bewußt von einer mehr oder weniger überzeugten Aktualisierung und den Erzählmustern der erfolgreichen Goethe-Biographien ab. Merkwürdigerweise aber hat Schiller Alt zufolge am Mythos von der organischen Einheit von Leben und Werk bei Goethe durch die Unterscheidung von naiver und sentimentalischer Dichtung mitgewirkt. "Goethe gewinnt dort Kontur als der begünstigte Musensohn, dessen natürliche Anlagen es ihm gestatten, den widrigen Tendenzen des modernen Zeitalters zu trotzen und die eigenen künstlerischen Talente unter günstigen äußeren Verhältnissen spannungsfrei zu entwickeln." Dagegen sieht sich Schiller als einen, der den Erfolg "mit Anspannung aller Kräfte zu erringen hat, weil ihm die äußeren Verhältnisse permanenten Widerstand entgegensetzen". Alt hebt daher in seinem Bild des frühen Schiller immer wieder die Konflikte, Rückschläge und Katastrophen hervor, und auch Schillers Weg zum Klassiker-Ruhm erscheint beschwerlicher als der Goethes, obwohl dessen Krisen nicht verschwiegen werden. Deutlich bleibt Alts Darstellung so negativ an das gängige Goethe-Bild gebunden.
Die offensichtliche Sympathie mit dem hart arbeitenden Intellektuellen und Schriftmenschen Schiller, der sich für sinnliche Erfahrung und Anschauung keine Zeit nimmt und "Distanz zum Leib" hält, verführt den Biographen dazu, Schillers "einseitige Orientierung am Medium der Schrift", das vielgeschmähte "Papierene" seiner Sprache, für einen Modernitätsvorsprung im Vergleich zu Goethe auszugeben. Solche Apologetik muß zu Widersprüchen führen. So berichtet Alt über Schillers Erfahrungsunlust und seine "innere Naturferne", die aber "den operationalen Notwendigkeiten der Poesie" gerade entgegenkomme. Die Wahrheit der Poesie besteht für Alt in der "ästhetischen Vergegenwärtigung des empirischen Materials, das im Kunstwerk ausgelöscht und neu erzeugt wird". Wie aber kann etwas vergegenwärtigt oder ausgelöscht werden, was empirisch eben nicht erfahren worden ist, wie der Interpret an der Elegie "Der Spaziergang" eben noch ausgeführt hat? Es sei denn, Schillers glühende Imagination, auf die Alt immer wieder verweist, ließe Empirie Schall und Rauch sein, sorge also wiederum für vorgängige Einheit von Werk und Lebenserfahrung. Jedoch ist Alt überzeugt, daß Schiller "kein weltferner Idealist" gewesen ist, sondern sich durch "Pragmatismus und Entschlußkraft" auszeichnete, allerdings vor allem "beim Schreiben". Das fügt sich in die Globalthese, daß die Literatur der eigentliche Handlungsraum des Bürgertums gewesen sei.
Jedenfalls sitzt Alts Schiller trotz Krankheit hauptsächlich am Marterholz des Schreibtischs. Dem entspricht in der Vorstellung der Werke neben immerwährenden Verweisen auf die lebensgefährlichen Krankheitsschübe und ihre arbeitshemmende Wirkung eine starke Dominanz der intertextuellen Analyse. So wird "die Bündelung des anwachsenden Materials" zum zentralen Schaffensproblem. Fast scheint es schließlich, als bestehe das Gelingen bei Schiller im je "bewältigten Material". Zwar sind auch alle Ereignisse in Schillers Leben sorgsam verzeichnet und mit Briefstellen dokumentiert, aufregend aber findet es der Biograph vor allem dann, wenn Schiller "ein neues Projekt in Angriff" nimmt oder wenn in seinem Kalender der "Abschluß des Manuskripts" verzeichnet ist. Bei den Ausführungen über Schillers Charakter, seine Lieben und Vorlieben erlegt sich Alt dagegen große Zurückhaltung auf, wenngleich er Dokumente, die Schiller als neidisch oder fanatisch zeigen, nicht unterschlägt. Allenfalls ist Schiller dann "verärgert", oder er begeht eine "Fehlleistung". Schillers Freizeitvergnügen aber ist die "Kommunikation" mit freien Geistern. Unter Einsamkeit wie zuzeiten der "egoistische" Goethe hat Schiller wenigstens nicht gelitten.
Wenn Alt Schiller zum Schluß "unerbittliches Arbeitsethos" bescheinigt, ist man versucht, das als Spiegelung des Biographen zu begreifen. Denn auch die Biographie ist ein Wunder an Materialbewältigung und Zeugnis unzähliger Stunden am Schreibtisch. Auch sie hält sich auf Distanz zu Leib, banalem Leben und Sinnlichkeit, und ist so intellektualistisch, wie sie Schillers intellektuelle Fähigkeiten ins Licht setzt. Das ergibt in der Summe eine distanzierende, über weite Strecken spröde, aber in souveräner Kenntnis der Schiller-Forschung umsichtig disponierte und enorm faktenreiche Darstellung, die sich durchweg im Rahmen sozial- und kulturwissenschaftlicher Untersuchungen argumentativ abzusichern sucht. Das ist ohne Zweifel eine große Leistung.
Alts trotz des gelegentlich hochfahrenden Tons nachvollziehbare konzeptionelle Entscheidungen haben aber einen unwägbaren Adressatenbezug zur Folge. Einen gewöhnlichen Leser, der sich behaglich an der Menschlichkeit eines Olympiers delektieren möchte, will Alt nicht haben. Ihm vergällt er die Darstellung zusätzlich durch eine wenig gefällige, um nicht zu sagen hölzerne Schreibweise, von alters her das Signum des deutschen Gelehrten. Literaturwissenschaftlern und Germanistikstudenten wäre das zuzumuten, nur werden die sich eher mit den originalen Forschungsbeiträgen auseinandersetzen wollen. So kann man die gewichtige Arbeit nur dem vermutlich selten gewordenen Typus des passionierten, also leidensfähigen Liebhabers empfehlen, der sich damit vom Dilettanten zum Kenner fortbilden kann, um im Sprachgebrauch der Weimarer Kunstfreunde zu bleiben.
FRIEDMAR APEL
Peter-André Alt: "Schiller". Leben - Werk - Zeit. Zweiter Band: 1791 bis zu seinem Tod 1805. C. H. Beck Verlag, München 2000. 686 S., 22 Abb., geb., 88,- DM.
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