In seinem Lob der Torheit, das dem Verfasser den Ruf eintrug, Wegbereiter der Reformation gewesen zu sein, geißelt Erasmus die politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Missstände seiner Zeit. Doch er tut dies mit einem ironischen Lachen, indem er der Torheit, der Weltherrscherin, die Rolle der Kritikerin zuweist. Sie prangert die menschlichen Laster und Dummheiten, die das Leben auf Erden oft erst erträglich machen, an. Die ausgewählten Texte vermitteln den Schülerinnen und Schülern einen durchaus vergnüglichen Einblick in sehr unterschiedliche Facetten des Lebens im ausgehenden Mittelalter. Sie bieten immer wieder Gelegenheit, deren Aktualität auch für die Moderne zu überprüfen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2011Der Humanist
vor dem Spiegel
Erasmus lobt die Torheit
Erasmus von Rotterdam gehört zu den ungelesensten unter den berühmten oder zu den berühmtesten unter den ungelesenen Schriftstellern Europas. Der Manesse-Verlag, bekannt für seine schlanken Klassiker-Editionen, ist angetreten, das zu ändern; und zwar diesmal nicht durch eine Dünndruck-, sondern durch eine prächtige Großausgabe von Erasmus’ wirkungsmächtigstem Werk „Lob der Torheit“, im Original „Moriae Encomium id est Stultitiae Laus“. Das Nachwort von Kurt Steinmann preist es als sprachlich brillant, als ein unterhaltsames Buch, das uns noch heute zum Lachen bringe, als ironisch-polemisches Meisterwerk. Ist es das? Die Schönheit des Bandes (mit Aquarellen von Cornelia Schleime) ermuntert dazu, es endlich einmal selbst herauszufinden. Die viel bewunderte sprachliche Brillanz tritt in die deutsche Version jedenfalls nicht hinüber – und zwar nicht, weil Steinmanns Übersetzung hinter ihr zurückbliebe, sondern einfach, weil der zeitverhaftete (und sagen wir es offen: unfruchtbare) Stolz des Humanisten, so gut Latein zu können wie Cicero, bei uns heute nur als das Normalniveau des literarischen Deutschen ankommt. Dieser Text ist viel zu sehr mit dem Genuss seiner selbst beschäftigt; er gleicht einem Menschen, der vor einem Spiegel tanzt. Er verspottet die Gelehrten, die lediglich ihre Lesefrüchte ausbreiten, tut aber, wenn er zwanzig antike und stark kommentarbedürftige Eigennamen pro Seite ausbreitet, durchaus nichts anderes.
Darüber hinaus ist er nicht gut komponiert. Es spricht, als allegorische Personifikation, die Torheit selbst. Aber sie bleibt nicht bei sich; sie ist dreimal etwas völlig anderes. Zuerst figuriert sie als die notwendige Illusion, die die Menschen sich machen müssen, um es in diesem vermaledeiten Leben auszuhalten, als Leidenschaft, als Nachsicht, die sich die Ehepartner schenken müssen, um einander überhaupt zu ertragen und so weiter. Das ist menschenfreundlich gedacht; aber nicht in der nötigen Tiefe, sonst hätte Erasmus Bedürfnis und Praxis gewiss auf einen anderen Namen als ausgerechnet den der Torheit getauft.
Darauf erscheint, zweitens, der Sittentadel, geschult an den Satiren des Horaz, jedoch im spätmittelalterlichen Geist der Gilde verfasst, so scharf und witzig wie es halt geht, wenn man ganz im Allgemeinen bleiben will; insgesamt, trotz seiner Kühnheiten gegen die alte katholische Kirche, der langweiligste der drei Teile. Und schließlich noch jene christliche Torheit, die der Apostel Paulus meint, wenn er schreibt: Die Juden nehmen Anstoß, die Griechen rufen: Torheit – wir aber predigen Christus den Gekreuzigten! Hier hat die Torheit mit der Narrenkappe, um die es doch eigentlich gehen sollte, nichts mehr zu suchen.
Dieses Buch, so lässt sich abschließend sagen, hätte das Zeug zu einem wahrhaft humanen Werk gehabt. So ist es leider bloß ein humanistisches geworden.
BURKHARD MÜLLER
Erasmus von Rotterdam
Das Lob der Torheit
Eine Lehrrede. Aus dem Lateinischen übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Kurt Steinmann. Mit Bildern von Cornelia Schleime. Manesse Verlag, Zürich 2011. 176 Seiten, 59,95 Euro.
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vor dem Spiegel
Erasmus lobt die Torheit
Erasmus von Rotterdam gehört zu den ungelesensten unter den berühmten oder zu den berühmtesten unter den ungelesenen Schriftstellern Europas. Der Manesse-Verlag, bekannt für seine schlanken Klassiker-Editionen, ist angetreten, das zu ändern; und zwar diesmal nicht durch eine Dünndruck-, sondern durch eine prächtige Großausgabe von Erasmus’ wirkungsmächtigstem Werk „Lob der Torheit“, im Original „Moriae Encomium id est Stultitiae Laus“. Das Nachwort von Kurt Steinmann preist es als sprachlich brillant, als ein unterhaltsames Buch, das uns noch heute zum Lachen bringe, als ironisch-polemisches Meisterwerk. Ist es das? Die Schönheit des Bandes (mit Aquarellen von Cornelia Schleime) ermuntert dazu, es endlich einmal selbst herauszufinden. Die viel bewunderte sprachliche Brillanz tritt in die deutsche Version jedenfalls nicht hinüber – und zwar nicht, weil Steinmanns Übersetzung hinter ihr zurückbliebe, sondern einfach, weil der zeitverhaftete (und sagen wir es offen: unfruchtbare) Stolz des Humanisten, so gut Latein zu können wie Cicero, bei uns heute nur als das Normalniveau des literarischen Deutschen ankommt. Dieser Text ist viel zu sehr mit dem Genuss seiner selbst beschäftigt; er gleicht einem Menschen, der vor einem Spiegel tanzt. Er verspottet die Gelehrten, die lediglich ihre Lesefrüchte ausbreiten, tut aber, wenn er zwanzig antike und stark kommentarbedürftige Eigennamen pro Seite ausbreitet, durchaus nichts anderes.
Darüber hinaus ist er nicht gut komponiert. Es spricht, als allegorische Personifikation, die Torheit selbst. Aber sie bleibt nicht bei sich; sie ist dreimal etwas völlig anderes. Zuerst figuriert sie als die notwendige Illusion, die die Menschen sich machen müssen, um es in diesem vermaledeiten Leben auszuhalten, als Leidenschaft, als Nachsicht, die sich die Ehepartner schenken müssen, um einander überhaupt zu ertragen und so weiter. Das ist menschenfreundlich gedacht; aber nicht in der nötigen Tiefe, sonst hätte Erasmus Bedürfnis und Praxis gewiss auf einen anderen Namen als ausgerechnet den der Torheit getauft.
Darauf erscheint, zweitens, der Sittentadel, geschult an den Satiren des Horaz, jedoch im spätmittelalterlichen Geist der Gilde verfasst, so scharf und witzig wie es halt geht, wenn man ganz im Allgemeinen bleiben will; insgesamt, trotz seiner Kühnheiten gegen die alte katholische Kirche, der langweiligste der drei Teile. Und schließlich noch jene christliche Torheit, die der Apostel Paulus meint, wenn er schreibt: Die Juden nehmen Anstoß, die Griechen rufen: Torheit – wir aber predigen Christus den Gekreuzigten! Hier hat die Torheit mit der Narrenkappe, um die es doch eigentlich gehen sollte, nichts mehr zu suchen.
Dieses Buch, so lässt sich abschließend sagen, hätte das Zeug zu einem wahrhaft humanen Werk gehabt. So ist es leider bloß ein humanistisches geworden.
BURKHARD MÜLLER
Erasmus von Rotterdam
Das Lob der Torheit
Eine Lehrrede. Aus dem Lateinischen übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Kurt Steinmann. Mit Bildern von Cornelia Schleime. Manesse Verlag, Zürich 2011. 176 Seiten, 59,95 Euro.
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