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Produktdetails
  • Editionen für den Literaturunterricht
  • Verlag: Klett
  • Artikelnr. des Verlages: 35193
  • Nachdr.
  • Seitenzahl: 127
  • Deutsch
  • Abmessung: 175mm
  • Gewicht: 88g
  • ISBN-13: 9783123519307
  • ISBN-10: 3123519309
  • Artikelnr.: 05814933
Autorenporträt
Heiner Müller, geb. 1929 in Eppendorf, Sachsen, bedeutender Schriftsteller, Dramatiker, Regisseur und Intendant, starb am 30.12.1995 in Berlin. 1959 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis, 1985 den Georg-Büchner-Preis, 1990 den Heinrich-von-Kleist-Preis. 1991 wurde Heiner Müller mit dem Europäischen Theaterpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2001

Wie neide ich meinen Opfern ihren Tod
Deutschland erinnert sich an Preußen und den großen König Friedrich, aber die Literatur verwahrt die Erinnerung an seine Grausamkeit

Am 18. Januar 1701 krönte sich der Kurfürst von Brandenburg in Königsberg zum König in Preußen. Das Preußenjahr, das heute seinen offiziellen Auftakt hat, akzentuiert mit diesem Anlaß das preußische Königtum. Es endete im Jahre 1918 früher als der Staat Preußen, der erst im Februar 1947 vom Alliierten Kontrollrat formell aufgehoben wurde. Anders als heute, wo die in die Distanz gerückten Hohenzollern-Könige zwanglos in die Feierlichkeiten einbezogen werden können, war in der ersten deutschen Republik das gerade erst vergangene Königtum noch eine problematische Erbschaft. Nicht die Portalfiguren des Anfangs und des Endes bildeten darin das symbolische Zentrum, sondern Friedrich der Große. Er trat nicht ab, er blieb der populäre Inbegriff preußischen Königstums.

Was aber macht man mit einem großen König in einer jungen Republik? Der Architekt und Schriftsteller Werner Hegemann (1881 bis 1936) stellte in seinem Buch "Fridericus oder das Königsopfer" (1925) diese Frage in vollem, aber nicht blutigem Ernst. Zwar galt es ihm mit Blick auf die englische und französische Geschichte als ausgemacht, "daß politische Freiheit durch ,Königsopfer' erkauft werden muß". Aber statt das Fehlen revolutionärer Königsmörder in Deutschland zu beklagen, hatte er für "die Romantiker der blutigen Gebärde" nur Spott übrig. Dem alten, von Heine geadelten Gedanken, daß die Deutschen nur träumen, was die anderen Völker taten, nahm er den Gestus des Bedauerns. Die Revolution, die lediglich im Geiste stattfand, begriff er nicht als Defizit, sondern als Privileg. Die Deutschen müssen ihren König nicht töten, um Republikaner werden zu können: "Das Volk der Dichter und Denker darf sich seine Freiheit durch ein königliches Opfer viel ernsterer, viel vergeistigterer Art erringen als durch das Vergießen von Blut."

Die Deutschen können aber nicht nur, sie müssen Hegemann zufolge dieses symbolische Königsopfer bringen, um in der Republik anzukommen. Sie müssen den großen Friedrich verabschieden, den im Nachruhm zu einem göttergleichen Wesen verklärten "Alten Fritz". "Das Königtum der Deutschen wird offen oder heimlich leben, solange ihr Glaube an ihren ,großen König' lebt, an diesen klar blickenden, nüchtern schnell und richtig urteilenden, schnell und treffsicher handelnden, vergeistigten Tatmenschen und philosophierenden König, den uns der Zeichenstift Adolf Menzels glaubhafter gemacht hat als der ungeschickte Griffel der preußischen Geschichtsschreiber."

Es ist kein Zufall, daß Hegemann die Mythologie des großen Königs so eng an die bildende Kunst bindet. Menzels Zeichnungen zu Friedrich dem Großen waren als Bildvorlage in die Darstellung des Königs in den populären Filmen der Weimarer Republik eingegangen. Der monumentale "Fridericus Rex" hatte damit ab 1922 den Anfang gemacht. Hegemanns "Fridericus" ist zu diesem mythologischen Nachleben des Königs in der Republik der schneidend polemische Einspruch in Prosa. Walter Benjamin empfahl das Buch seinem Freund Gerhard Scholem in einem Brief vom Juli 1925 als "den radikalsten Versuch, die ,Größe' dieses Monarchen zu erledigen, den man denken kann. Dabei ist es ganz vorzüglich geschrieben und es macht einen höchst verläßlichen Eindruck."

Hermann Kesten hat die strategische Funktion der strikt antiromantischen Sprache Hegemanns, die im Periodenbau klassischer Prägung ihr Zentrum hatte, hervorgehoben. Sie sei das Instrument gewesen, mit dem er die gebildeten bürgerlichen Leser lockte, die von der schweren, umständlichen Diktion aufbauende, positive Ideen zu erwarten gewohnt waren, und die statt dessen explosive Kontrebande erhielten. Der schärfste antifriderizianische Preußenkritiker der Weimarer Republik war kein Sozialdemokrat, wohl aber Leser von Franz Mehrings "Lessing-Legende", die erstmals 1893, in zweiter Auflage 1906 erschienen war. Es war Mehrings stärkstes Buch, die gründlich belegte Attacke auf die These, die klassische deutsche Literatur sei in Symbiose mit dem Staat Friedrichs des Großen entstanden. Als freilich Werner Hegemann, der republikanische Citoyen, an Mehring anknüpfte, war in der deutschen Sozialdemokratie eher die Tradition von Lassalles Bewunderung für Friedrich dominant. Hugo Balls "Zur Kritik der deutschen Intelligenz" (1919), die am französischen aufbegehrenden Katholizismus orientierte Attacke auf die Symbiose von Protestantismus, idealistischer Philosophie und preußischem Despotismus, enthielt ganze Abschnitte gegen Lassalle und die Staatsnähe der Sozialdemokratiie.

Einen "Jakobiner von heute" nannte Walter Benjamin, als er Hegemanns Buch "Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt" (1930) rezensierte, den Autor. Er war aber zugleich ein treuer Parteigänger des alten Reiches, auf dessen Kosten Preußen groß geworden war, ein Parteigänger zudem Prinz Eugens und Maria Theresias. Er bekämpfte Friedrich als den Verräter des großen imaginären mitteleuropäischen Reiches, in dem Habsburg und Preußen sich zu einem gemeinsamen Deutschland hätten zusammenfinden sollen. Friedrich der Große ist ihm der Antideutsche, der Separatist und Sezessionist. So zieht er gegen die "preußische Geschichtsschreibung" zu Felde und läßt in der Gesprächs-Fiktion, die seinem "Fridericus" die Form gibt, einen gebürtigen Amerikaner den Wortführer sein.

"Es gibt fast immer zwei verschieden geartete Friedriche nebeneinander, von denen man den einen als den willigen Schüler der Pariser Philosophen und den anderen als den unwilligen preußischen Zuchtmeister bezeichnen könnte: wenn man von Friedrich den Voltaireschen Firnis abkratzt, findet man den polternden Friedrich Wilhelm I."

Wie, gegen die Preußen-Filme, der Abstand zwischen Friedrich und seinem Vater schwindet, so wächst der zwischen dem großen König und den preußischen Reformern, allen voran zum Freiherrn vom Stein, "der es sich verbat, daß man ihn mit Vertretern des brandenburgischen oder hinterpommerschen Adels vergliche". Von Ernst Moritz Arndt nimmt sich Hegemann das Motto. "Wir Deutschen, wenn wir uns als Volk ansehen, haben uns dieses Königs wenig zu erfreuen gehabt, ja keiner hat uns so sehr geschadet, nicht bloß scheinbar, sondern wirklich."

In Mehrings "Lessing-Legende" waren Winckelmann, Lessing, Klopstock die antipreußischen Zeugen. Bei Hegemann werden sie alle überstrahlt von Goethe - und von jenem italienischen Marchese Girolamo Lucchesini, dessen Gespräche mit Friedrich im Jahre 1885 publiziert worden waren. Die darin dokumentierten Launen des Königs mochte Hegemann nicht wie Schiller und Goethe mit dem verbindlichen französischen Wort "Capricen" benennen. Er deutscht sie als "Bockssprünge" ein. Und er erlaubte sich das Gedankenspiel, was geschehen wäre, wenn Goethe statt Lucchesini ab 1780 dem großen Friedrich Gesellschaft geleistet und darüber ein Stück im Stil des Aristophanes verfaßt hätte: "Die Schilderung der ,Bockssprünge' des großen Friedrich wäre in Anbetracht der Hunderttausende von blutigen und noch furchtbareren Opfern, die sie gefordert haben, der furchtbarste dionysische Opfergesang, recht eigentlich der größte ,Bocksgesang', die ,tragödia kat'exochen' der Deutschen."

Ein aristophanisches Stück über Friedrich, geschrieben von Goethe, als Bocksgesang der Deutschen? Hätte Hegemann einen retrospektiven Wunsch freigehabt, er hätte sich dieses nicht geschriebene Stück von Goethe gewünscht. Es wäre der Anker für seinen "Fridericus" in der klassischen deutschen Literatur gewesen. So mußte er sich mit der "Iphigenie" als Kronzeugin gegen die Idolatrie des faktischen, blutigen Menschenopfers begnügen. Woher aber diese Obsession? Sie stammte aus der Vorkriegszeit, aus der Beunruhigung durch die Apologie des blutigen Menschenopfers in Rudolf Borchardts Aufsatz über Hugo von Hofmannsthal, durch das Spiel mit der ästhetischen Aufhebung des Blutopfers bei Hofmannsthal selbst.

Die Gesprächsfiktion Hegemanns hat eine Villa bei Neapel, am Fuße des Vesuv, mit Blick auf Capri, zum Schauplatz, eine deutsche Sehnsuchtslandschaft. Einer tritt hier vor allem auf, neben Georg Brandes George Bernard Shaw und Lytton Strachey: Thomas Mann. Was macht einer wie Thomas Mann in diesem antifriderizianischen Pamphlet? Hatte er nicht in seinem Essay "Friedrich und die große Koalition" (1914) durch die Analogie zum Jahre 1756 die deutsche Politik gerechtfertigt? Warum wird er, anders als Rudolf Borchardt, in den antifriderizianischen "Fridericus" nicht nur extensiv hineinzitiert, sondern geradezu freundschaftlich umworben? Warum bezeichnet Hegemann ihn als den "einsichtigen Dichter des ,Tod in Venedig'"?

Die Novelle war im Oktober und November 1912 in der "Neuen Rundschau" erschienen, zwei Jahre vor den "Gedanken zum Kriege". Nicht das Dionysische und Apollinische, nicht die Musik, nicht Richard Wagner ist darin aus unserer Perspektive entscheidend. Sondern die Frage: Warum stammt Gustav von Aschenbach aus Schlesien? Warum sind unter seine Vorfahren väterlicherseits die Leitfiguren des preußischen Staates so vollzählig versammelt? "Offiziere, Richter, Verwaltungsfunktionäre, Männer, die im Dienste des Königs ihr straffes, karges Leben geführt hatten. Innigere Geistigkeit hatte sich einmal, in der Person eines Predigers, unter ihnen verkörpert." Warum war die Mutter, durch die "rascheres, sinnlicheres Blut" in die Familie kam, die "Tochter eines böhmischen Kapellmeisters", hinter deren Genealogie sich die Welt Habsburgs, die Welt Maria Theresias abzeichnet? Wohl kaum, um lediglich noch einmal Tonio Krögers Nord-Süd-Spannung zu variieren. Eher schon, um in der so demonstrativ als Künstlernovelle aufgeschminkten Geschichte Gustav von Aschenbachs diskret die Geschichte eines in sich gespaltenen, problematischen Preußen unterbringen zu können.

Es ist darum von Belang, daß dieser Held eben nicht, wie Gustav Mahler, Musiker wird, sondern Schriftsteller, daß er als "Autor der Prosa-Epopoe über Friedrich den Großen" eingeführt wird. In den "Betrachtungen eines Unpolitischen" (1918), die während des Krieges entstanden, schrieb Thomas Mann im Rückblick auf seinen Essay über Friedrich, die Liebe zum Ethos des "Durchhaltens" habe ihn "vor das Standbild jenes unheimlichen und populären Königs geführt, dessen Taten und Leiden all dies in die Wege geleitet". Das Stichwort war älter als der Krieg, in dem es so große propagandistische Bedeutung erlangen sollte. Es war das Lieblingswort des Schriftstellers Gustav von Aschenbach: "Er sah in seinem Friedrich-Roman nichts anderes, als die Apotheose dieses Befehlswortes, das ihm als der Inbegriff leidend-tätiger Tugend erschien." Und als habe er seinen Helden nicht schon genügend in die preußische Mythologie verstrickt, machte Thomas Mann die Willensdauer und Zähigkeit, mit der sich Aschenbach die Friedrich-Epopoe abrang, "derjenigen ähnlich, die seine Heimatprovinz eroberte".

In den Namen wie in die Physiognomie Aschenbachs ist sein angespanntes Preußentum eingezeichnet. In den Namen durch den Adelstitel, den "ein deutscher Fürst, soeben zum Throne gelangt", ausdrücklich dem Autor des ,Friedrich' zum fünfzigsten Geburtstag verleiht. In seine Physiognomie als Spur der Schlachten, die er mühsam gegen seinen Stoff schlug: "Hinter dieser Stirn waren die blitzenden Repliken des Gesprächs zwischen Voltaire und dem Könige über den Krieg geboren; diese Augen, müde und tief durch die Gläser blickend, hatten das blutige Inferno der Lazarette des Siebenjährigen Krieges gesehen."

Für den Schlesier Aschenbach handelt das Buch über Friedrich nicht nur vom großen König, sondern auch davon, warum er selbst ein Preuße ist. Ganz scheint er, der aus lange heftig umkämpftem, ehemals habsburgischem Gebiete stammt, es nie geworden zu sein. Es scheint ihn nie nach Berlin oder Rheinsberg, gar nach Potsdam gezogen zu haben, Früh hat er seinen Wohnsitz in München genommen, seine Erholungsreisen führen ihn stets nach Süden, fort von Preußen.

Und was hat es mit der plötzlichen Krankheit auf sich, die ihn in Wien offenkundig deshalb befällt, weil dies der Ort wäre, das obsessive Arbeitsethos zu lockern, das Opfer des Lebens zugunsten des Werks weniger resolut zu erbringen? Wie muß es ihm erst in Venedig ergehen, wenn ihm schon Wien so gefährlich wird? Nein, das Erbteil der Mutter, der böhmischen Kapellmeistertochter, hat es in ihm schwer. Denn womit findet er sein Publikum, was ist "die Formel seines Lebens und der Schlüssel seines Ruhms"? Ein Gedanke, der preußischer nicht sein könnte. Die durch Erfahrung beglaubigte Erkenntnis, "daß beinahe alles Große, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe, trotz Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit, Körperschwäche, Laster, Leidenschaft und tausend Hemmnissen zustande gekommen sei".

Von dieser Tonart war es nicht weit zur Darstellung des von innen ebensosehr wie von außen bedrohten Preußenkönigs in "Friedrich und die große Koalition". Mit Recht hat Thomas Mann in seinem hymnischen Essay über Thomas Carlyles "Friedrich" von der "ziemlich gebrochenen und hinterhältigen Begeisterung" für Friedrich gesprochen, die seinen patriotischen Freunden den Koalitions-Essay so anstößig machte. Er läßt sich denn als Beitrag zur Pathologisierung Friedrichs ebensogut lesen wie als Apologie deutscher Kriegspolitik im Sommer 1914. Eine sehr abgründige Porträtkunst und die abenteuerlich konstruierte Geschichte einer politischen Konstellation halten sich darin die Waage. Es ist von diesem Friedrich nicht weit zu dem Hegemanns, der seine bösen Capricen und Bockssprünge macht. Und hier wie dort wird das Bild um so finsterer, je älter Friedrich wird. "Es ist nicht nur etwas Albernes, nein, es ist etwas Grauenhaftes um den vereinsamten alten Friedrich. Er erscheint grauenhaft selbst in der rosigsten Beleuchtung, die nachsichtige Augenzeugen, wie der liebenswürdige Fürst von Ligne versucht haben." So formuliert Hegemann und kann sein eigenes Porträt in eine Zitatcollage aus Thomas Manns Essays über Friedrich einbetten, die düsterer nicht sein könnte.

Hegemanns Lieblingsformel für Friedrich, von Maria Theresia entliehen, ist: "Der böse Mann". Nicht nur Thomas Manns Analyse des Zusammenhangs zwischen Misogynie und Politik Friedrichs kommt dem nahe, sondern auch sein Porträt des "Alten Fritz", wie er sich in den Augen der Zeitgenossen spiegelt: "entsetzlich wie ein fremdes und bösartiges Tier". Ein Aschenbach ohne habsburgische Sehnsüchte, ganz in der Anspannung des Pflichtethos erstarrt: "Sein Fleiß war kalte und glücklose Passion. Ausgebrannt, öde und bös, liebte er niemanden und niemand liebte ihn, sondern sein königliches Dasein bildete einen lastenden, entwürdigenden Druck für alle Welt." Hegemann wird nicht müde, diese Passage aus Thomas Manns Essay in seinen "Fridericus" hineinzuzitieren. Und wenn er in seinem eigenen Porträt den alten Friedrich einen "mumienhaften Kobold" nennt, so greift das Thomas Manns furiose Schlußseiten auf: "Als er, vierundsiebzig Jahre alt, nach qualvoller und widerwärtiger Krankheit starb, ,war alles totenstill', wie es heißt, ,aber niemand war traurig'. Man fand kein heiles und sauberes Hemd in seinen Schubalden, und so gab ein Diener eins von seinen her, womit man die Leiche bekleidete. Sie war klein wie ein Kinderleib.

Zuweilen möchte man glauben, er sei ein Kobold gewesen, der aller Welt Haß und Abscheu machte und alle Welt hineinlegte, ein ungeschlechtlicher, boshafter Troll, den umzubringen hundert Millionen Menschen sich vergebens ermatteten, da er entstanden und gesandt war, um große notwendige Erdendinge in die Wege zu leiten, - worauf er unter Zurücklassung eines Kinderleibes wieder entschwand."

Wenn Hegemann immer wieder versucht, Thomas Mann dem Vorbild Thomas Carlyle zu entführen, wenn er den Gedanken einer Synthese von Macht und Geist als Illusion brandmarkt, so stets im Blick auf die Rettung Friedrichs des Großen durch die Idee des Opfers. Daß er nicht der Philosoph und lächelnde Flötenspieler war, eben darauf suchte Thomas Mann in Anknüpfung an den alten Goethe, der auf Friedrich die Kategorie des Dämonischen angewandt hatte, seine Rechtfertigung zu gründen: "Er war ein Opfer. Er meinte zwar, daß er sich geopfert habe: seine Jugend dem Vater, seine Mannesjahre dem Staate. Aber er war im Irrtum, wenn er glaubte, daß es ihm freigestanden hätte, es anders zu halten. Er war ein Opfer. Er mußte Unrecht tun und ein Leben gegen den Gedanken führen, er durfte nicht Philosoph, sondern mußte König sein, damit eines großen Volkes Erdensendung sich erfülle."

Hegemann übernimmt Thomas Manns Porträt Friedrichs als "Kobold". Aber er wendet sich vehement gegen die Seligsprechung des Königs mit Verweis auf den "Drang des Schicksals" und den "Geist der Geschichte". Nicht nur, um dem König die Gloriole der "deutschen Sendung" zu entziehen, sondern weil er befürchtet, daß die Mannsche Opfertheorie ihren Blutzoll fordern könnte: "König und gemeiner Mann sind auch in Deutschland wie die menschlichen Schatten der Unterwelt: sie nähren sich vom Blut." Wenn die Deutschen ihren König nicht opfern, werden sie selbst sich opfern. So warnt Hegemann Thomas Mann vor der Nähe zu Julius Langbehns "Rembrandt als Erzieher", zur deutsch-nordischen Kulturmission Houston Stewart Chamberlains, vor der Suggestion, "das Endziel der ,Erdensendung' dieses großen Volkes sei der Opfertod - wahrscheinlich im Dienste einer höheren Kultur".

Hegemann witterte in der Opfertheorie die Hohlform künftiger Geschichte. Darum führte er seinen Partisanenkrieg im Innern der überlebensgroßen Figur des großen Königs. In seinem "Jugendbuch vom großen König" (1930) hat er, schon mit Blick auf Hitler, diese Taktik aktualisiert. Das Buch enthielt eine Widmung an Wilhelm Abegg, den Staatssekretär im preußischen Polizeiministerium, der die preußische Polizei als Schutztruppe der Republik organisieren wollte und 1933 ins Schweizer Exil ging. Bei der Bücherverbrennung wurden Hegemanns Schriften wegen "Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten" ins Feuer geworfen. Er selbst ist im April 1936 im New Yorker Exil gestorben und trotz Vorstößen von Arnold Zweig und Hermann Kesten, der in ihm das kongeniale politische Gegenüber zu Hans Delbrück sah, nach 1945 als Autor nicht zurückgekehrt.

Heiner Müller allerdings hat den "Fridericus" Werner Hegemanns gelesen, als er im Jahre 1976 an seinem "Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei" schrieb. Man sieht das dem bösen Stück, das den Untertitel "ein Greuelmärchen" trägt, nicht nur an der Art und Weise an, wie es Vater und Sohn, Friedrich Wilhelm I. und den großen Friedrich, überblendet. Müller hat mit sicherem Griff für seine Szene über den Wahnsinnigen im preußischen Irrenhaus, der sich für Gott hält, das Material aus einem Glanzstück in Hegemanns Buch, der Erzählung "Das Sühneopfer", entnommen. Einmal läßt Müller seinen Friedrich sagen: "Wie neid' ich meinen Opfern ihren Tod / Sie dürfen sterben, aber ich muß töten." Das ist so weit entfernt von Thomas Manns Porträt nicht, das seinerseits die Nähe zum Greuelmärchen nicht scheute:. "Von nun an hieß er ,Der alte Fritz' - ein schauerlicher Name, wenn man Sinn fürs Schauerliche hat; denn es ist wirklich im höchsten Grade schauerlich, wenn der Dämon populär wird und einen gemütlichen Namen erhält."

LOTHAR MÜLLER

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