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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2009Allseitige Umarmungen
Die jüngste Lektüre der berüchtigten "Ringparabel" aus Lessings dramatischem Gedicht von "Nathan dem Weisen" überbot noch meine traumatischen Erinnerungen aus dem Deutschunterricht der mittleren sechziger Jahre. Denn jener "Mann in Osten", dessen Geschichte Nathan, der Jude, dem Sultan Saladin erzählt, kommt einem heute vor wie ein sadistischer Fußballtrainer oder wie der Dozent aus einem Manager-Seminar der billigsten Sorte. Indem er jedem seiner drei Söhne den angeblich einen Ring vermacht, der nur dem Lieblingssohn gehören soll, hetzt er die Brüder gegeneinander auf und hinterlässt dem bedauernswerten Richter, von dem sich jeder der drei eine Entscheidung zu seinen Gunsten erhofft, ein unlösbares Problem. Auf die Zeit der "Kindes-Kindeskinder" verschiebt der Jurist also die Antwort, wer denn wohl den echten Ring - oder auf der anvisierten Ebene der Auslegung: die richtige Religion - besäße. Ehrgeizige Leser wie meine Schwiegermutter verstehen hier voller Genugtuung und zu Recht, dass moralischer Anspruch und Vorrang nicht von der jeweiligen Religion, sondern von individueller ethischer Anstrengung abhängen sollen. Abstrakter und unverbindlicher als durch drei voneinander nicht zu unterscheidende Ringe lässt sich das Verhältnis zwischen den drei monotheistischen Religionen kaum fassen, und dieser aufgeklärten Abstraktheit verdankt sich jener Versöhnungsoptimismus in Lessings Drama, der schließlich auch den guten Willen Nathans und die Neigung des sonst ja eher blinden Schicksals grenzenlos macht: Derart sprungbereit ist Nathan, dem moralisch lernbegierigen, aber finanzschwachen Politiker Saladin mit Cash auszuhelfen, dass er ihm die Frage nach einem Kredit durch den erstaunlichen Satz erspart: "Fast hab' ich des baren Gelds zu viel." Wie die Christen einst seine "Frau mit sieben hoffnungsvollen Söhnen" ermordeten, das hat Nathan mit der Vernunft "sanfter Stimm'" im Ohr vergeben, und so kann es am Ende nicht ausbleiben, dass seine angenommene Tochter Recha den Tempelherrn kriegt, der Saladins Neffe und folglich ein Muslim ist.
"Nathan" ist zu viel des Guten, weil zweieinhalb Jahrhunderte später die Hoffnung auf Einsehen im Nahen Osten ganz geschwunden ist; weil Auschwitz und der GULag, Hiroshima, Abu Ghraib und beliebig mehr Ereignisse der nämlichen Gattung uns das aufklärerische Bild von den wiederholt sich umarmenden Menschen für immer vergiftet haben. Nicht einmal Lessing selbst kann seiner Vision getraut haben. Er war spielsüchtig und neigte zu Alkoholexzessen. Dann, mit 48, heiratete er die sieben Jahre jüngere Kaufmannswitwe Eva König und erlebte mit ihr ein Jahr ruhigen Glückes. Am 25. Dezember 1777 wird Frau Lessing von einem Sohn entbunden, den der Vater hastig noch auf den Namen Traugott tauft, bevor er am Ende seines ersten Tages stirbt. Sechzehn Tage später folgt ihm die Mutter in den Tod. "Wie oft möchte ich es verwünschen, dass ich auch einmal so glücklich sein wollen, als andere Menschen!", schreibt Lessing an eine Freundin im August 1778, zweieinhalb Jahre vor dem eigenen Tod und kurz bevor er sich an das Manuskript des "Nathan" macht. Viel bewegender als der ganze "Nathan" kommt mir dieser eine Satz vor - und zugleich erklärt er ihn.
HANS ULRICH GUMBRECHT
Gotthold Ephraim Lessing: "Nathan der Weise". Suhrkamp, 6 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die jüngste Lektüre der berüchtigten "Ringparabel" aus Lessings dramatischem Gedicht von "Nathan dem Weisen" überbot noch meine traumatischen Erinnerungen aus dem Deutschunterricht der mittleren sechziger Jahre. Denn jener "Mann in Osten", dessen Geschichte Nathan, der Jude, dem Sultan Saladin erzählt, kommt einem heute vor wie ein sadistischer Fußballtrainer oder wie der Dozent aus einem Manager-Seminar der billigsten Sorte. Indem er jedem seiner drei Söhne den angeblich einen Ring vermacht, der nur dem Lieblingssohn gehören soll, hetzt er die Brüder gegeneinander auf und hinterlässt dem bedauernswerten Richter, von dem sich jeder der drei eine Entscheidung zu seinen Gunsten erhofft, ein unlösbares Problem. Auf die Zeit der "Kindes-Kindeskinder" verschiebt der Jurist also die Antwort, wer denn wohl den echten Ring - oder auf der anvisierten Ebene der Auslegung: die richtige Religion - besäße. Ehrgeizige Leser wie meine Schwiegermutter verstehen hier voller Genugtuung und zu Recht, dass moralischer Anspruch und Vorrang nicht von der jeweiligen Religion, sondern von individueller ethischer Anstrengung abhängen sollen. Abstrakter und unverbindlicher als durch drei voneinander nicht zu unterscheidende Ringe lässt sich das Verhältnis zwischen den drei monotheistischen Religionen kaum fassen, und dieser aufgeklärten Abstraktheit verdankt sich jener Versöhnungsoptimismus in Lessings Drama, der schließlich auch den guten Willen Nathans und die Neigung des sonst ja eher blinden Schicksals grenzenlos macht: Derart sprungbereit ist Nathan, dem moralisch lernbegierigen, aber finanzschwachen Politiker Saladin mit Cash auszuhelfen, dass er ihm die Frage nach einem Kredit durch den erstaunlichen Satz erspart: "Fast hab' ich des baren Gelds zu viel." Wie die Christen einst seine "Frau mit sieben hoffnungsvollen Söhnen" ermordeten, das hat Nathan mit der Vernunft "sanfter Stimm'" im Ohr vergeben, und so kann es am Ende nicht ausbleiben, dass seine angenommene Tochter Recha den Tempelherrn kriegt, der Saladins Neffe und folglich ein Muslim ist.
"Nathan" ist zu viel des Guten, weil zweieinhalb Jahrhunderte später die Hoffnung auf Einsehen im Nahen Osten ganz geschwunden ist; weil Auschwitz und der GULag, Hiroshima, Abu Ghraib und beliebig mehr Ereignisse der nämlichen Gattung uns das aufklärerische Bild von den wiederholt sich umarmenden Menschen für immer vergiftet haben. Nicht einmal Lessing selbst kann seiner Vision getraut haben. Er war spielsüchtig und neigte zu Alkoholexzessen. Dann, mit 48, heiratete er die sieben Jahre jüngere Kaufmannswitwe Eva König und erlebte mit ihr ein Jahr ruhigen Glückes. Am 25. Dezember 1777 wird Frau Lessing von einem Sohn entbunden, den der Vater hastig noch auf den Namen Traugott tauft, bevor er am Ende seines ersten Tages stirbt. Sechzehn Tage später folgt ihm die Mutter in den Tod. "Wie oft möchte ich es verwünschen, dass ich auch einmal so glücklich sein wollen, als andere Menschen!", schreibt Lessing an eine Freundin im August 1778, zweieinhalb Jahre vor dem eigenen Tod und kurz bevor er sich an das Manuskript des "Nathan" macht. Viel bewegender als der ganze "Nathan" kommt mir dieser eine Satz vor - und zugleich erklärt er ihn.
HANS ULRICH GUMBRECHT
Gotthold Ephraim Lessing: "Nathan der Weise". Suhrkamp, 6 Euro
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