Wedekinds Kindertragödie "Frühlings Erwachen" thematisiert die Unterdrückung von Jugendlichen durch starre gesellschaftliche Normen um die Jahrhundertwende. Die Einengung der Jugendlichen, ihrer Bedürfnisse und Lebensvorstellungen durch Schule und Familie, die Behandlung sexualpädagogischer Themen, all dies verleiht dem Stück auch heute noch Dringlichkeit und Brisanz. Es verdankt seine Attraktivität, die es in der Unterrichtspraxis der Mittel- und Oberstufe genießt, eben der hier dargestellten Erziehungsproblematik: Unverständnis der Erzieher, Unzufriedenheit mit einzelnen Schulfächern, Lebensferne des Unterrichtsstoffes. Das sind Probleme, die die Jugendlichen selbst Tag für Tag konkret erfahren. Vor diesem Erfahrungshorizont gewinnen sie fast zwangslos einen Zugang zu den Gestalten und Problemen des Dramas. Die vorliegende Unterrichtseinheit nutzt die Identifikationsangebote, die das Drama den Schülern bietet. Figuren, Handlung und Probleme des Werkes stellen vor allem für die Sekundarstufe I ein günstiges Gesprächsangebot dar. Zu empfehlen ist eine Besprechung des Dramas in der 10. Jahrgangsstufe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.1997Erdgeist schwingt Peitsche
Alles Maggi: Frank Wedekind in der Reihe "Text und Kritik"
Nachdem er seinen Vater geohrfeigt hatte, mußte Frank Wedekind sehen, wie er durchkam. Der Unterhalt, den die Eltern dem Studenten zahlten, wurde von heute auf morgen ausgesetzt. Und wer weiß, was geworden wäre, hätte es nicht Maggis Suppenersatz gegeben. Sein Erfinder wenigstens wußte den dichterischen Ehrgeiz des jungen Mannes zu schätzen, bei ihm konnte Wedekind als Werbetexter Fuß fassen. Lange aber hielt die Verbindung nicht. Nach einem guten Jahr führte der Weg 1887 zurück ins Elternhaus. Von der Episode blieb ein kurzer Eintrag in der Biographie, ein Halbsatz im Lexikon. Daß das zu wenig sei, daß wir die Ästhetik des Dramatikers nicht verstehen könnten ohne seinen Ausflug in die Werbung, will die Reihe "Text und Kritik" mit ihrem Wedekind-Band beweisen.
Schon der Waschzettel verspricht die Entdeckung eines Dichters, "der mit Mitteln der Werbestrategie um literarische Anerkennung kämpfte". Nirgends, meint etwa Rolf Kieser, sei das besser zu erkennen als im Prolog des peitschenschwingenden Tierbändigers, den der Autor noch verfaßte, während die erste "Erdgeist"-Inszenierung bereits über die Bühne ging. Was wir bisher für ein Vorspiel auf dem Theater hielten, wird uns nunmehr als "einer der berühmtesten Werbespots der Weltliteratur" angepriesen. Denn die Reklame bediene sich, erläutert Frank Möbus gleich im nächsten Beitrag, immer "ausgeklügelter Mittel . . ., um unter der Masse der übrigen Inserate die Beachtung des Publikums zu erzwingen". Eine Definition, die allein schon deshalb zutrifft, weil sie für alles gilt. Schließlich wollten die Schriftsteller seit jeher die Aufmerksamkeit des Publikums erwecken. Der Leser kann bald nur noch über die Entdeckung der Selbstverständlichkeit staunen. Die freilich wird mit rhetorischem Aufwand betrieben.
Egal, ob es um die "Grundmuster gesellschaftlichen Handelns", "um die analytische Relevanz der Konfiguration" oder um die "Konstruktion des disparaten Materials" geht, immer bietet der Band eine Germanistenprosa, wie sie sich der Satiriker wünscht. Schlagworte werden von den "sozialen Antagonismen" bis zu den "intertextuellen Bezügen" gereiht, an Fehlern besteht kein Mangel; selbst vom "deutschen Faschismus", den es im Land der Nationalsozialisten nie gab, ist hier wieder einmal die Rede. Die erhellenden Einsichten, mit denen die von Heinz Ludwig Arnold herausgegebene Reihe "Text und Kritik" bisher bestach, sucht man dagegen vergebens. Was soll uns "der peitschenschwingende Philologe", wenn er seine Figur nur in gewendeten Kleidern vorführen kann, wenn er den Leser mit Ersatz abspeist, bis alles Maggi ist. THOMAS RIETZSCHEL
"Frank Wedekind". Text + Kritik, Heft 131/132. Gesamtredaktion Ruth Florack. edition text + kritik, München 1996. 185 S., br., 39,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alles Maggi: Frank Wedekind in der Reihe "Text und Kritik"
Nachdem er seinen Vater geohrfeigt hatte, mußte Frank Wedekind sehen, wie er durchkam. Der Unterhalt, den die Eltern dem Studenten zahlten, wurde von heute auf morgen ausgesetzt. Und wer weiß, was geworden wäre, hätte es nicht Maggis Suppenersatz gegeben. Sein Erfinder wenigstens wußte den dichterischen Ehrgeiz des jungen Mannes zu schätzen, bei ihm konnte Wedekind als Werbetexter Fuß fassen. Lange aber hielt die Verbindung nicht. Nach einem guten Jahr führte der Weg 1887 zurück ins Elternhaus. Von der Episode blieb ein kurzer Eintrag in der Biographie, ein Halbsatz im Lexikon. Daß das zu wenig sei, daß wir die Ästhetik des Dramatikers nicht verstehen könnten ohne seinen Ausflug in die Werbung, will die Reihe "Text und Kritik" mit ihrem Wedekind-Band beweisen.
Schon der Waschzettel verspricht die Entdeckung eines Dichters, "der mit Mitteln der Werbestrategie um literarische Anerkennung kämpfte". Nirgends, meint etwa Rolf Kieser, sei das besser zu erkennen als im Prolog des peitschenschwingenden Tierbändigers, den der Autor noch verfaßte, während die erste "Erdgeist"-Inszenierung bereits über die Bühne ging. Was wir bisher für ein Vorspiel auf dem Theater hielten, wird uns nunmehr als "einer der berühmtesten Werbespots der Weltliteratur" angepriesen. Denn die Reklame bediene sich, erläutert Frank Möbus gleich im nächsten Beitrag, immer "ausgeklügelter Mittel . . ., um unter der Masse der übrigen Inserate die Beachtung des Publikums zu erzwingen". Eine Definition, die allein schon deshalb zutrifft, weil sie für alles gilt. Schließlich wollten die Schriftsteller seit jeher die Aufmerksamkeit des Publikums erwecken. Der Leser kann bald nur noch über die Entdeckung der Selbstverständlichkeit staunen. Die freilich wird mit rhetorischem Aufwand betrieben.
Egal, ob es um die "Grundmuster gesellschaftlichen Handelns", "um die analytische Relevanz der Konfiguration" oder um die "Konstruktion des disparaten Materials" geht, immer bietet der Band eine Germanistenprosa, wie sie sich der Satiriker wünscht. Schlagworte werden von den "sozialen Antagonismen" bis zu den "intertextuellen Bezügen" gereiht, an Fehlern besteht kein Mangel; selbst vom "deutschen Faschismus", den es im Land der Nationalsozialisten nie gab, ist hier wieder einmal die Rede. Die erhellenden Einsichten, mit denen die von Heinz Ludwig Arnold herausgegebene Reihe "Text und Kritik" bisher bestach, sucht man dagegen vergebens. Was soll uns "der peitschenschwingende Philologe", wenn er seine Figur nur in gewendeten Kleidern vorführen kann, wenn er den Leser mit Ersatz abspeist, bis alles Maggi ist. THOMAS RIETZSCHEL
"Frank Wedekind". Text + Kritik, Heft 131/132. Gesamtredaktion Ruth Florack. edition text + kritik, München 1996. 185 S., br., 39,- DM.
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