Den Dichter Thomas Mann nehmen Unterschiedliche für sich in Anspruch: Bürger und Künstler, Konservative und Kommunisten, Seriöse und Satiriker, Heimatverbundene und Heimatfliehende, Heterosexuelle und Homophile. Einer speziellen Inanspruchnahme jedoch verschließt er sich mit Werk und Leben: Ein kollektivtaugliches Massenwesen war Thomas Mann nicht. Hierin ähnelt der Schöpfer seinen Novellengestalten, die unverwechselbar Elitäres und Exorbitantes ausleben.Der körperbehinderte kleine Herr Friedemann, Titelfigur der gleichnamigen Novelle, Wortkünstler Spinell aus "Tristan" und der verwachsene Hypnotiseur Cipolla aus "Mario und der Zauberer". Jede der drei Erzählungen nimmt im Schaffen Thomas Manns eine jeweils aus spezifischem Grunde hervorzuhebende Position ein: "Der kleine Herr Friedemann" ist die erste größere Novelle des Frühwerks, "Tristan" die erste Novelle in der Reihe jener Erzählungen, die der Künstlerproblematik gewidmet sind. In "Mario und der Zauberer" erkennen wir die erste künstlerische Arbeit, in welcher sich die nach der Auseinandersetzung mit der Weltkriegs-I-Problematik zugewachsenen demokratischen Einsichten Thomas Manns niederschlagen.Den Untersuchungen zu "Buddenbrooks" (AR38), den Künstlernovellen "Tonio Kröger / Der Tod in Venedig" (AR 55) und "Tristan / Der kleine Herr Friedemann" (AR 60) folgend, liegt nun in der Reihe "Analysen und Reflexionen" der vierte Beitrag zum Werk Thomas Manns vor. Möge auch er ein wenig dabei helfen, die intellektuelle Erzählkunst dieses großen deutschen Literaten für unsere Zeit lebendig zu erhalten.