Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2005 Schwarz auf Weiß
Unterm Birnbaum
von Rainer Stephan
„Joa, et wahrd nu Tied. De Malvesieren kümmen all von sülwst.” Es ist hartes Oderbruch-Platt, das die Leute in Fontanes (einzigem) Krimi reden. Wer sich vom Internet Übersetzungshilfe erhofft und den ersten Satz ins Suchprogramm Google eingibt, landet auf einer Seite mit gefälschten Fotos nackter Filmstars - so seltsame Wege geht zuweilen die Beschäftigung mit Literatur. Hunderttausende Erstleser („Unterm Birnbaum” erschien ursprünglich als Fortsetzungsroman in der Massenillustrierten „Die Gartenlaube”) hatten solche Probleme offenbar nicht; sie wussten sogar, was „Malvesieren” sind, Malvasierbirnen nämlich, die - „ja, es war nun Zeit” - am Anfang des Romans von selbst vom Birnbaum des Gastwirts, Kolonialwarenhändlers und „Dorfmaterialisten” Abel Hradschek herunterzukommen scheinen. Was dann aber wirklich kommt, nicht herunter, sondern herauf, ist eine reichlich angejahrte Leiche, der sich bald eine taufrische zugesellt. Mit beiden treiben der Autor und sein Täter ein Verwirrspiel, dessen tragikomischer Aberwitz - zusammen mit der raffiniert trügerischen Idylle des Tatorts und seiner Umgebung sowie mit einer heftigen Prise Sozialkritik - den Reiz des Buches ausmachen. Auch wenn Literaturwissenschaftler da lange die Nase rümpften: Fontanes Leser hatten und haben ihren Spaß daran.
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Unterm Birnbaum
von Rainer Stephan
„Joa, et wahrd nu Tied. De Malvesieren kümmen all von sülwst.” Es ist hartes Oderbruch-Platt, das die Leute in Fontanes (einzigem) Krimi reden. Wer sich vom Internet Übersetzungshilfe erhofft und den ersten Satz ins Suchprogramm Google eingibt, landet auf einer Seite mit gefälschten Fotos nackter Filmstars - so seltsame Wege geht zuweilen die Beschäftigung mit Literatur. Hunderttausende Erstleser („Unterm Birnbaum” erschien ursprünglich als Fortsetzungsroman in der Massenillustrierten „Die Gartenlaube”) hatten solche Probleme offenbar nicht; sie wussten sogar, was „Malvesieren” sind, Malvasierbirnen nämlich, die - „ja, es war nun Zeit” - am Anfang des Romans von selbst vom Birnbaum des Gastwirts, Kolonialwarenhändlers und „Dorfmaterialisten” Abel Hradschek herunterzukommen scheinen. Was dann aber wirklich kommt, nicht herunter, sondern herauf, ist eine reichlich angejahrte Leiche, der sich bald eine taufrische zugesellt. Mit beiden treiben der Autor und sein Täter ein Verwirrspiel, dessen tragikomischer Aberwitz - zusammen mit der raffiniert trügerischen Idylle des Tatorts und seiner Umgebung sowie mit einer heftigen Prise Sozialkritik - den Reiz des Buches ausmachen. Auch wenn Literaturwissenschaftler da lange die Nase rümpften: Fontanes Leser hatten und haben ihren Spaß daran.
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