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Produktdetails
  • Verlag: Verlag an der Ruhr
  • Artikelnr. des Verlages: Best.-Nr.2572
  • 2000.
  • Seitenzahl: 218
  • Erscheinungstermin: Oktober 2010
  • Deutsch
  • Abmessung: 260mm
  • Gewicht: 910g
  • ISBN-13: 9783860725726
  • ISBN-10: 3860725726
  • Artikelnr.: 09022814
Autorenporträt
Rita Breuer, Dr. phil., geb. 1963, Islamwissenschaftlerin und Volkswirtin mit langjähriger Entwicklungshilfetätigkeit für den islamischen Kulturraum. Zahlreiche Publikationen, Lehraufträge und Artikel zum Islam und Islamismus in der Gegenwart.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2000

Lichterbaum und Soldatenfriedhof
Wie das Weihnachtsfest während der beiden Weltkriege propagandistisch mißbraucht wurde

Judith Breuer/Rita Breuer: Von wegen Heilige Nacht! Das Weihnachtsfest in der politischen Propaganda. Verlag an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr 2000. 218 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 39,80 Mark.

Die frohe Botschaft wurde auch in Kriegszeiten verkündet, wie eben auch "im Felde" Weihnachten gefeiert wurde: Der Heiland ist geboren, er wird den Menschen Frieden bringen. Das deutscheste aller Feste fern der Heimat - und das, obwohl des Kaisers Soldaten und des "Führers" Soldaten stets in den Weltkrieg zogen, um noch vor Weihnachten mit dem Sieg heimkehren zu können. Damit scheiterten bekanntlich Wilhelm II. 1914 und Adolf Hitler 1941. Beide ließen das christliche Fest für propagandistische Zwecke mißbrauchen - um den Krieg zu rechtfertigen, um die Toten als Helden zu verklären, um den Frontsoldaten den Dank der Heimatfront abzustatten.

"Weihnachten in dunklen Zeiten" hieß 1998 eine zuerst in Olpe gezeigte Ausstellung, aus der ein gelungenes "Bilderbuch" entstanden ist. Rita Breuer und ihre Tochter Judith, zwei "leidenschaftliche Weihnachtssammlerinnen", haben ihre makabre Sammlung von Adventskalendern, Weihnachtspostkarten, Dekorationen und vieles mehr zugänglich gemacht. Weihnachten im Ersten und Zweiten Weltkrieg - mit einem Ausblick auf das geteilte Deutschland - wird dargestellt, mit knappen historischen Einführungen und ausführlichen Quellenzitaten. Da kommt Stimmung auf, wenn auch meistens keine weihnachtliche.

"Deutsche Art ist es, Weihnacht zu feiern! Keiner unserer Feinde kennt den Zauber, die Macht des Lichterbaums auf unser Gemüt, auf unsere Kraft", so ein Bataillonskommandeur 1915. Deshalb durfte der Baum als bedeutendstes nationales Symbol der "Deutschen Weihnacht" selbst im Schützengraben nicht fehlen. Weihnachtskarten gab es mit dem Aufdruck: "Mit Gott für Kaiser und Reich". Man hatte - um im Jargon des kaiserlichen Feldmarschalls und späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zu bleiben - eben den "Allerhöchsten" im Himmel auf seiner Seite und mußte sich gegen eine "Welt von Feinden" schützen, um in Ruhe feiern zu können. Weihnachtskugeln zeigten Orden, den Kaiser und prominente Heerführer - und unter dem Baum wartete das Kriegsspielzeug.

Nach 1933 sollte das christliche Fest noch mehr in den Hintergrund gedrängt werden, der "völkische Charakter" demgegenüber hervorgehoben werden: Kerze auf Hakenkreuz-Kranz, Hakenkreuz als Kerzenhalter, Runen-Kugel als Baumschmuck. Im "tausendjährigen Reich" stand fest, daß vor "Jahrtausenden in graue Vorzeit zurückreichend" die Ahnen nicht das Weihnachts-, sondern das Julfest feierten: "Das Julfest begann mit der ,Weihenacht' am 24. Jul (Dezember), der ,Wintersonnenwende', unserem heutigen Heiligabend. Das war die ,Heilige Nacht', in der die Sonne wiedergeboren wurde." Deshalb verschenkte der SS-Reichsführer Himmler vorzugsweise Julleuchter.

Nach einer NS-Illustration brannte der Lichterbaum sogar auf dem Soldatenfriedhof, und Propagandaminister Goebbels zitierte Weihnachten 1942 während der Schlacht um Stalingrad Hölderlin: "Lebe droben, o Vaterland, und zähle nicht die Toten! Dir ist, Liebes, nicht einer zuviel gefallen." Dann tröstete er die trauernden Mütter, Witwen und Waisen der Gefallenen mit den Worten: "Sie opferten sich, damit wir im Licht stehen."

Auf einem Weihnachtskalenderblatt für 1942 werden zwei andächtig auf einen Weihnachtsbaum starrende Frontsoldaten noch von einem Kranz aus Zweigen und Kerzen eingerahmt, auf denen Kriegsschauplätze und besetzte Länder aufgezählt werden: Afrika, Frankreich, Atlantik, Niederlande, Norwegen, Osten, Südosten und Kreta. Über dem Schriftzug Niederlande sind Windmühlen zu sehen, während der Ostkriegsschauplatz bezeichnenderweise durch brennende Häuser symbolisiert wird. Ein Jahr später wurde auf den Lichterkranz schon verzichtet, weil sich das militärische Desaster abzeichnete. "Unser Führer, der Retter, ist da" - und der wollte Deutschland entweder zum "Endsieg" oder in den Untergang führen.

Wer Plätzchen noch nicht gebacken hat, findet Rezepte für Graupen-Krokant und Maisgrieß-Makrönchen. Der Geschmack ist sicherlich unabhängig von der abgebildeten Plätzchen-Form "Eisernes Kreuz", wenn auch viele der Weihnachtsutensilien gerade nicht von Geschmack zeugen.

RAINER BLASIUS

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