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A. J. Grayson
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Boy in the Park - Wem kannst du trauen?
A. J. Grayson
Ashley Grayson schreibt am liebsten ganz altmodisch mit Stift und Schreibmaschine und betätigt sich außerdem als Komponist. "Boy in the Park" ist sein erster Roman.
Krimi des Monats - Boy in the Park - Oktober 2016
Raus aus dem Paradies
Dem Schriftsteller A. J. Grayson gelingt mit seinem Debüt "Boy in the Park. Wem kannst du trauen?" ein beklemmender und verstörender Thriller.
Dylan Aaronson führt ein behagliches, zurückgezogenes Leben "als Kassierer in einem Laden für Naturkost- und Nahrungsergänzungsmittel" in San Francisco. Der Mittvierziger hält sich für einen Dichter. Allerdings hat er noch nie ein Gedicht veröffentlicht. Seine Mittagspausen verbringt der Einzelgänger im Golden Gate Park in der Mitte der US-amerikanischen Westküstenstadt mit ausgedehnten Naturbeschreibungen.
"Ganz in der Nähe stößt ein Vogel herab - eine Einsiedlerdrossel, ich bin mir ziemlich sicher - und landet auf einem der Felsen im Wasser. Der Lufthauch der Flügel kräuselt die Oberfläche und versetzt den reglosen Spiegel in wellenförmige Bewegung. Hier liegt ein Gedicht. Ich spüre es. Eingewoben in das Grün, die Menschen, dem natürlichen Auf und Ab des Lebens. Ein Gedicht, das darauf wartet, gefunden zu werden, das darauf wartet, ausgesprochen zu werden. Eines, das von Hellerem kündet als der dunklen Welt, die es…mehr
Raus aus dem Paradies
Dem Schriftsteller A. J. Grayson gelingt mit seinem Debüt "Boy in the Park. Wem kannst du trauen?" ein beklemmender und verstörender Thriller.
Dylan Aaronson führt ein behagliches, zurückgezogenes Leben "als Kassierer in einem Laden für Naturkost- und Nahrungsergänzungsmittel" in San Francisco. Der Mittvierziger hält sich für einen Dichter. Allerdings hat er noch nie ein Gedicht veröffentlicht. Seine Mittagspausen verbringt der Einzelgänger im Golden Gate Park in der Mitte der US-amerikanischen Westküstenstadt mit ausgedehnten Naturbeschreibungen.
"Ganz in der Nähe stößt ein Vogel herab - eine Einsiedlerdrossel, ich bin mir ziemlich sicher - und landet auf einem der Felsen im Wasser. Der Lufthauch der Flügel kräuselt die Oberfläche und versetzt den reglosen Spiegel in wellenförmige Bewegung. Hier liegt ein Gedicht. Ich spüre es. Eingewoben in das Grün, die Menschen, dem natürlichen Auf und Ab des Lebens. Ein Gedicht, das darauf wartet, gefunden zu werden, das darauf wartet, ausgesprochen zu werden. Eines, das von Hellerem kündet als der dunklen Welt, die es gebiert."
Diese sprachlich fein gearbeiteten Beschreibungen, die Dylan als Icherzähler des Romans "Boy in the Park" (Droemer) aus der Feder des Debütanten A. J. Grayson verwendet, stehen im Gegensatz zu der düsteren, verstörenden und nervenzerreißenden Geschichte, die sich langsam entspinnt und den Leser in einen nahezu unerträglichen Spannungssog hineinzieht. Denn der Junge, den Dylan jeden Mittag im Park beobachtet und der ihn an Huckleberry Finn erinnert, taucht plötzlich mit einer blutenden Wunde auf. Und am Tag darauf ist er verschwunden. Dylan wendet sich an die Polizei. Aber da der Name des Jungen nicht bekannt ist, nimmt die keine Ermittlungen auf. Der Junge und sein mögliches Schicksal lassen Dylan nicht los. Er beschließt, sein geruhsames Leben zu verlassen, um sich auf die Suche nach ihm zu machen. Die erste Spur, ein Kassenbon für ein Getränk, führt ihn in die Kleinstadt Redding, vier Stunden von San Francisco entfernt.
Es ist schwierig, über diesen Roman, der als Krimi beginnt und sich in einen komplexen, äußerst klug konstruierten und teilweise sehr harten Psychothriller verwandelt, etwas zu schreiben, ohne dabei zu viel von der Handlung und den überraschenden Wendungen in der Geschichte zu verraten. Nur so viel: Dylan gerät in eine Familie mit Psychopathenvater, der seine Frau und Kinder schlägt und misshandelt. Und dies zwingt Dylan, diesen feinsinnigen Menschen, zu einer unglaublichen Tat. Die Passagen, die aus der Sicht von Dylan erzählt werden, wechseln sich mit Verhör- bzw. Therapieprotokollen aus einer Justizvollzugsanstalt ab. In ihnen interviewt eine Psychologin einen Insassen mit Namen Joseph, der behauptet, seine Frau nicht umgebracht zu haben. Auch dieser Fall hat mit Dylan zu tun - in welcher Form, das wird durch eine komplexe und spannend strukturierte Handlung nach und nach enthüllt. Das Ende ist, so viel muss verraten werden, sehr überraschend und originell.
"Wem kannst du trauen?", fragt der Untertitel des Buches. Diese Frage ist so etwas wie das Leitmotiv dieser schmerzvollen und kunstvoll erzählten Geschichte von einem Autor, der bereits in seinem Debüt eine erstaunliche Sprachkraft entwickelt. Und diese Frage deutet auch an, dass man nichts und niemandem trauen darf - womöglich auch dem Erzähler dieses Thrillers nicht. Häusliche Gewalt ist das Thema in "The Boy in the Park". Ein äußerst schwieriges Thema für einen Debütroman, das von Grayson aber sehr souverän und überzeugend dramaturgisch entrollt wird. Ein Vorgehen, das von einem Schriftsteller zeugt, von dem man in Zukunft noch einige herausragende Arbeiten des Thrillergenres erwarten darf.
Interview mit A.J. Grayson - Krimi des Monats
Ihre Biografie verrät, dass Sie als wissenschaftlicher Berater gearbeitet haben. Warum sind Sie letzten Endes aber Schriftsteller geworden?
A. J. Grayson: Im Internet ist mir aufgefallen, dass einige Seiten behaupten, ich sei wissenschaftlicher Berater gewesen, bevor ich mein Buch geschrieben habe. Aber das ist der wunderbare Fall einer falschen Identität. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass der Wissenschaftler, Professor Grayson - wer immer er auch ist -, ebenso überrascht sein dürfte, wenn er im Internet feststellt, dass er einen Psychothriller geschrieben hat. In Wirklichkeit sind die Geisteswissenschaften mein beruflicher Hintergrund. Ich habe mich schon immer gern in den Bereichen von Philosophie und Kunst, Geschichte und Kultur bewegt. Und ich habe immer schon Geschichten geliebt - sie zu lesen, sie zu hören und vor allem: sie selbst zu erzählen. Das Abenteuer, dieses Buch zu schreiben, begann sehr früh in einem bestimmten Jahr: Ich erinnere mich sehr gut, dass es der 18. Februar war, als mich ein Moment der Inspiration in einem Park erwischte und ich nicht anders konnte, als diesen Moment in ein Buch zu…mehr
Ihre Biografie verrät, dass Sie als wissenschaftlicher Berater gearbeitet haben. Warum sind Sie letzten Endes aber Schriftsteller geworden?
A. J. Grayson: Im Internet ist mir aufgefallen, dass einige Seiten behaupten, ich sei wissenschaftlicher Berater gewesen, bevor ich mein Buch geschrieben habe. Aber das ist der wunderbare Fall einer falschen Identität. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass der Wissenschaftler, Professor Grayson - wer immer er auch ist -, ebenso überrascht sein dürfte, wenn er im Internet feststellt, dass er einen Psychothriller geschrieben hat. In Wirklichkeit sind die Geisteswissenschaften mein beruflicher Hintergrund. Ich habe mich schon immer gern in den Bereichen von Philosophie und Kunst, Geschichte und Kultur bewegt. Und ich habe immer schon Geschichten geliebt - sie zu lesen, sie zu hören und vor allem: sie selbst zu erzählen. Das Abenteuer, dieses Buch zu schreiben, begann sehr früh in einem bestimmten Jahr: Ich erinnere mich sehr gut, dass es der 18. Februar war, als mich ein Moment der Inspiration in einem Park erwischte und ich nicht anders konnte, als diesen Moment in ein Buch zu verwandeln.
Wie ist es genau zu dieser Idee, zu dieser Inspiration gekommen?
A. J. Grayson: Für mich begann meine Inspiration, und das ist schon recht interessant, genauso wie das Buch beginnt. Ich saß also tatsächlich in einem Park - demselben, der auch im Buch erwähnt wird -, ich genoss die Ruhe, ließ meinen Blick über den Teich wandern. Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, ein wunderschöner, ein sonniger Tag. Auf der anderen Seite des Teiches erschien plötzlich ein Junge. Er kam zwischen den Bäumen hervor und begann, einen Stock durch das Wasser zu ziehen. Diese Szene war irgendwie so friedlich und schön, und einige Momente später tauchte eine Frau zwischen den Bäumen auf - ich nehme an, die Mutter dieses Jungen. Sie nahm den Jungen in die Arme und beide verschwanden wieder im Grün. In diesem Augenblick hatte ich einen seltsamen Gedanken: Diese zärtliche Szene, sagte ich zu mir selbst, löst bei mir so viele Assoziationen aus. Ich vermute, dass das Kind glücklich ist. Ich vermute, dass die Frau die Mutter ist. Ich vermute, dass sie den Jungen in guter Absicht mitnimmt. Aber was weiß ich schon wirklich? Und diese Frage wurde zur Idee für "The Boy in the Park". Wie der Leser bereits weiß: Das Buch fängt genau mit dieser Szene an. Diese ersten Seiten des Buches haben etwas nahezu Autobiografisches, auch wenn ich die Szene mit meinem Schreiben entsprechend ausgedehnt habe und damit die Wirklichkeit, die ich gesehen habe, radikal verändert habe - aber das wurde zum Fokus der Handlung. Was sehen wir wirklich? Können wir unseren Augen trauen? Was machen wir aus den Geschichten, die sich hinter dem verbergen, was wir gesehen haben?
Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet? War es ein schwieriger Schreibprozess?
A. J. Grayson: Ich muss Ihnen sagen, dass die Geschichte selbst sehr schnell zu mir kam. Nach diesem Moment im Park bin ich von meiner Bank aufgestanden und habe einen langen Spaziergang unternommen. Ich hatte mein Mobiltelefon dabei, das auch ein Diktiergerät als App hat. Und so begann ich, die Idee für die Geschichte aufzunehmen. Diese Aufnahme habe ich immer noch. Sie ist fast 40 Minuten lang und sie beschreibt den Kern der ganzen Geschichte. Das war ein wirklich inspirierender und spannender Moment. Nach diesem Spaziergang verbrachte ich mehrere Tage und noch weitere Spaziergänge damit, um über die Wendungen der Geschichte nachzudenken. Und dann setzte ich mich hin und schrieb die Geschichte auf.
Ihr Buch liest sich nicht wie ein gewöhnlicher Thriller: Die Sprache und seine Struktur sind recht herausfordernd. Beides benutzen Sie, um das schwierige Thema der häuslichen Gewalt und des Missbrauchs auf eine sehr literarische Art und Weise zu transportieren. Mögen Sie selbst Thriller oder lesen Sie lieber kunstorientierte Schreiber wie Raymond Chandler oder John le Carré?
A. J. Grayson: Ich bin sehr dankbar, dass Sie mein Schreiben so beschreiben. Ja, ich mag sowohl Thriller und das, was man Schreiber nennt, die eine größere Kunst anstreben, die ein Genre anstreben, in dem die Schönheit der Worte eine immense Bedeutung hat - für die Atmosphäre, für das Setting, für die Idee. Ich habe immer daran geglaubt, dass diese beiden Genres natürliche Freunde sein können. Ja, man kann sicher auch Thriller oder Crime Stories schreiben, die keine besonders tiefe psychologische Dimension haben und deren Handlungen sich durch Action, Verfolgungsjagden und Explosionen erzählen, aber mein persönlicher Glaube ist es, dass der Bereich der menschlichen Psyche viel intensivere und packendere Dramen bereithält. Der Verstand kann so trügerisch, so atmosphärisch, so intensiv und so actiongeladen sein wie jeder andere Bereich - dazu kommt die Ambiguität dessen, was real und unwirklich ist. In diesen Tönen und Nuancen habe ich "The Boy in the Park" platziert. Es sind die Bereiche, in denen ich mich selbst sehr gern aufhalte.
Als Autor führen Sie den Leser und seine Erwartungen auf clevere Art und Weise hinters Licht. Sie führen ihn in Sackgasen oder überraschen ihn mit Wendungen. Es scheint, als hätten Sie eine Menge Spaß gehabt, diese literarischen Mechanismen zu kreieren. Was waren Ihre Inspirationen dafür? Vielleicht solche Bücher wie "Gone Girl"?
A. J. Grayson: Tatsächlich habe ich die Lektüre von "Gone Girl" sehr genossen (genauso wie die von "Girl on the Train") - aber beide Bücher habe ich erst gelesen, als die Arbeiten am Kern von "The Boy in the Park" bereits abgeschlossen waren. Aber ja: Diese Art des Storytellings spricht mich besonders an. Ich wollte vor allem mit der Idee spielen, dass nicht nur der Leser nicht weiß, was er zu erwarten hat - und dass ersichnie ganz sicher sein kann, was eigentlich passiert, sondern auch die Charaktere sollten diese Erfahrung der Ungewissheit machen. Ich wollte eine Geschichte schreiben, in der die wesentlichen Charaktere selber von sich glauben, dass sie sich die Handlung ausdenken - aus dem, was um sie herum passiert. So machen sie immer und immer wieder die Erfahrung, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint. So wird der Leser zusammen mit ihnen in diese Erfahrung der Verwirrung hineingezogen, in diesen Zustand der Angst, Überraschung und Spannung.
Man liest, dass Sie nicht den Computer für das Schreiben nutzen, sondern eine Schreibmaschine. Was mögen Sie an dieser, sagen wir, romantischen Art des Schreibens?
A. J. Grayson: Ich bin nicht ganz sicher, woher so viele Leute wissen, wie ich arbeite. Aber, ja, es stimmt. Ich liebe es, auf meiner Schreibmaschine zu arbeiten. Aber es wäre falsch zu sagen, dass ich keine moderne Technologie benutze. Ich habe einen Computer und ein iPad. Beides habe ich auch benutzt, um "The Boy in the Park" zu schreiben. Aber es gibt tatsächlich nichts Aufregenderes, als ein leeres weißes Papier in eine Schreibmaschine zu spannen und dieses Physische des Tastendrückens und der anschlagenden Hämmer zu erfahren und zu erleben, wie sich das Blatt Papier langsam mit Buchstaben und Text füllt. Vielleicht ist es in der Tat zu romantisch, aber ich glaube, dass ich so besser schreibe. Es ist viel zu einfach, einen Text am Computer zu editieren: Du schreibst eine Version und kannst sie tausendfach verbessern. Aber ein Stück der Reinheit einer anfänglichen Idee, Emotionen und Gedanken gehen in diesem Prozess verloren. Mit einer Schreibmaschine ist es wesentlich aufwendiger, Änderungen vorzunehmen. Also muss ich mir genau überlegen, was ich schreibe.
Die Handlung spielt in San Francisco und im Hinterland von Kalifornien. Im Gegensatz zu dem klischeehaften sonnigen Kalifornien scheint es dort auch eine ausgewachsene düstere Seite zu geben. Woher kommt diese?
A. J. Grayson: Ich verbringe tatsächlich sehr viel Zeit in San Francisco - und auch in diesem Botanischen Garten, wo "The Boy in the Park" beginnt. Es ist wirklich eine wunderbare Stadt mit sehr gastfreundlichen Menschen, die mich während meines Buchprojekts mit offenen Armen empfangen haben. Und ich würde nicht sagen, dass ich mich auf eine dunkle oder böse Seite von Kalifornien konzentriert habe. Aber mich inspiriert die Idee, dass sich hinter schönen Fassaden, wunderbaren Landschaften und malerischen Szenerien geheimnisvolle Geschichten verbergen können. Wenn ich mich durch eine Stadt bewege, so vor allem in einer wirklich herausragend schönen Stadt wie San Francisco, treibt mich immer der Gedanke um, dass sich hinter jedem glücklichen Gesicht eine traurige Geschichte verbergen kann und dass sich hinter einem weinenden Gesicht auch bestimmte Freuden verbergen können. Das war auch die grundlegende Inspiration für dieses Buch.
Ihr Buch hat auch das Zeug für einen Spielfilm. Gibt es dahingehend bereits Ideen? Und arbeiten Sie bereits an einem neuen Buch?
A. J. Grayson: Ich weiß nicht, ob die Filmrechte bereits verkauft wurden. Mir fehlt jeder Geschäftssinn für solche Sachen. Deswegen kümmert sich mein Literaturagent um diese Dinge. Aber ich erinnere mich daran, dass ich - bevor mein Buch überhaupt fertiggestellt war - zu hören bekam, dass das Buch Potenzial für einen Film hätte. Aber diese Entscheidung müssen andere Leute treffen, die ihre eigenen Visionen und Hoffnungen haben. Was mich anbetrifft: Meine Liebe ist das Schreiben - und, ja, ich arbeite bereits an einem neuen Buch. Ich will nicht zu viel preisgeben. Nur so viel: Ich konzentriere mich auf die Erfahrung einer Frau, die herausfindet, dass es in ihrem Leben Geheimnisse gibt, die sie nicht erwartet hätte, und dass ihre Wirklichkeiten weit weniger stabil und sicher sind, als sie dies erahnt hätte. Wie "Boy in the Park" wird auch dies - so hoffe ich - ein dichter Thriller werden mit Action und Drama, aber von der Sorte, die im menschlichen Verstand diese Spannungen einer seltsamen, schönen und verstörenden Realität erschaffen.
Interview: Literaturtest