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Autor im Porträt
Anna Katharina Hahn
zur AutorenweltToptitel von Anna Katharina Hahn
Der Chor
Endlich wieder offline! Schon vor den Lockdowns war die Probe ihres Frauenchors für Alice, Marie und ihre ältere Freundin Lena der Höhepunkt der Woche. Nachdem sie viel zu lange nur hinter Masken oder gar nicht zusammen singen konnten, erkennen sie deutlich, was sie entbehrt haben. Ihre Freundschaften haben die Pandemie überlebt, allerdings auch ihre Probleme miteinander. Alice, der beruflich fast alles gelingt, leidet darunter, dass Marie nicht mehr mit ihr spricht. Während Lena, eine pensionierte Lektorin, sich über das Altern keine Illusionen macht. Ein offenes Geheimnis ist die Abneigung der meisten Sängerinnen gegen Cora, die in prekären Verhältnissen lebt und den Chor zur Jobsuche nutzt. Als Sophie, eine vereinsamte Studentin, bei den Proben auftaucht, beginnt ein emotionaler Aufruhr. Besonders für Alice: Plötzlich entdeckt sie Gefühle, die sie selbst überraschen.
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Kürzere Tage
Was geschieht, wenn man das Leben, das man immer haben wollte, endlich führt? Wenn die Kompromisse in Zwang umschlagen und das Glück sich nicht einstellt?
In ihrem Bestseller erzählt Anna Katharina Hahn von Frauen, deren Lebensraum zum Käfig geworden ist, und von einem Jungen, der ausbricht.
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Anna Katharina Hahn
Hahn, Anna KatharinaAnna Katharina Hahn, geboren 1970, gilt als eine der wichtigsten literarischen Stimmen ihrer Generation. 2009 erschien ihr Longseller Kurzere Tage, der auch ins Englische und Finnische ubersetzt wurde. Ihr Roman Am Schwarzen Berg stand 2012 auf der Shortlist fur den Preis der Leipziger Buchmesse und auf Platz 1 der SWR-Bestenliste. 2016 erschien Das Kleid meiner Mutter. Die Recherchen fur Aus und davon fuhrten sie in die USA und nach Mainz, wo sie 2018 die renommierte Stelle als Stadtschreiberin innehatte. Zugleich zeigt sie in ihrem neuen Roman ein unbekanntes Stuttgart, fern aller Klischees von der satten Schwabenmetropole.Literaturfestival - Das Kleid meiner Mutter
Eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte
Ana Marias Leben beginnt jeden Morgen mit der Frage, ob sich das Aufstehen lohnt. Ihren Freunden geht es genauso. Denn keiner der Clique, die sich La Plague nennt, "bekommt die Arbeit, fur die er ausgebildet wurde oder hat uberhaupt einen Job, geschweige denn eine eigene Wohnung". Wir erleben Madrid im Sommer 2012 - und die erwachsenen jungen Spanier leben wieder bei ihren Eltern, ziehen wieder in ihre fruheren Kinderzimmer ein. Auf einen ubel bezahlten Hilfsjob bewerben sich um die 18.000 Menschen. Eltern und Gro?eltern konnen es irgendwie nicht so recht fassen, dass diese Generation, obwohl sie nicht faul ist, einfach keine Arbeit findet. Und alte Manner machen jungen Frauen unverhohlen auf offener Stra?e Angebote. "Es wisse doch inzwischen jeder, solche jungen Schlampen wie sie konnten ihre Brotchen nicht anders verdienen als horizontal, weil niemand in diesem Land sie brauche." Halbwuchsige Teenager brechen in Supermarkten vor der Kasse zusammen, weil sie die geklaute Tiefkuhlware unter Mutzen verstecken und dadurch kollabieren. Wieder zu sich gekommen, erfahren die umstehenden Einkaufer, dass…mehr
Eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte
Ana Marias Leben beginnt jeden Morgen mit der Frage, ob sich das Aufstehen lohnt. Ihren Freunden geht es genauso. Denn keiner der Clique, die sich La Plague nennt, "bekommt die Arbeit, fur die er ausgebildet wurde oder hat uberhaupt einen Job, geschweige denn eine eigene Wohnung". Wir erleben Madrid im Sommer 2012 - und die erwachsenen jungen Spanier leben wieder bei ihren Eltern, ziehen wieder in ihre fruheren Kinderzimmer ein. Auf einen ubel bezahlten Hilfsjob bewerben sich um die 18.000 Menschen. Eltern und Gro?eltern konnen es irgendwie nicht so recht fassen, dass diese Generation, obwohl sie nicht faul ist, einfach keine Arbeit findet. Und alte Manner machen jungen Frauen unverhohlen auf offener Stra?e Angebote. "Es wisse doch inzwischen jeder, solche jungen Schlampen wie sie konnten ihre Brotchen nicht anders verdienen als horizontal, weil niemand in diesem Land sie brauche." Halbwuchsige Teenager brechen in Supermarkten vor der Kasse zusammen, weil sie die geklaute Tiefkuhlware unter Mutzen verstecken und dadurch kollabieren. Wieder zu sich gekommen, erfahren die umstehenden Einkaufer, dass sie ihren Familien helfen und das Abendessen beisteuern wollten.
"Das Kleid meiner Mutter" - Traumwelten und Realitat verschranken sich
Auch Ana Maria, genannt Anita, lebt wieder bei ihren Eltern. Ihr Bruder Angel, studierter Germanist und Gertrud-Kolmar-Leser, will in Deutschland sein Gluck finden und landet, auf der Suche nach einem Haus, in dem die Dichterin Kolmar gelebt hat, als Schwarzarbeiter auf dem Bau. Immerhin in besagtem Haus. Die au?ere Welt scheint sich aufzulosen, was mal gegolten hat, gilt nicht mehr, liegt wertlos im Stra?engraben der Geschichte. Wer nun denkt, aha, also ein Roman uber die junge verlorene Generation in Spanien, liegt zwar nicht ganz falsch, aber dennoch daneben. Denn Anna Katharina Hahn erzahlt in "Das Kleid meiner Mutter" (Suhrkamp) hier eine Geschichte, die Stuck um Stuck fantastischer wird. Traumwelten und Realitat verschranken sich und bald befinden wir uns mitten in einer rasanten Fahrt, bei der auf ein seltsames Ereignis die nachste seltsame Begegnung folgt. Hier steckt eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte ...
Die Eltern tot im Schlafzimmer - doch warum wird Anita fur ihre Mutter gehalten?
Das Abenteuer beginnt mit einem Schock: Anita findet ihre Eltern - Blanca und Oscar - tot im Ehebett liegend. Doch sie ruft weder die Polizei noch den Rettungswagen, sondern drapiert ihre Eltern in die Sessel im Schlafzimmer. Dort schrumpfen sie nach und nach vor sich hin und Anitas Sorge gilt erstmal dem Geld. Schlie?lich lebt sie nicht nur bei, sondern auch von ihren Eltern. Als sie ein Klingeln aus ihren Gedanken rei?t, fruh am Morgen, streift sie sich schnell das Hauskleid ihrer Mutter Blanca uber und offnet Senora Pipota, der Nachbarin, die Tur ... Pipota ist eine "unverbesserliche Francistin", [...] "besa? den dicksten Schnurrbart seit Frida Kahlo und benutzte purpurnen Lidschatten, so dass ihre Augen aussahen, als kame sie aus einer Schlagerei". Und diese Pipota halt Anita fur Blanca. Was geht hier vor? Denn die Ahnlichkeit zwischen Mutter und Tochter ist kaum vorhanden, Anita kommt nach ihrem Vater. Sie ist gro?er, dunner und, ja, nicht so schon wie ihre Mutter. Der Blanca-Effekt funktioniert auch bei anderen Menschen und als Blanca liest Anita auch die SMS auf dem Handy ihrer Mutter. Sie kommt von Blancas Liebhaber, der mit "R" unterzeichnet. Wer ist "R"?
Anita reagiert so auf die Affare ihrer Mutter: "Ich war wutend, das sage ich ehrlich. So wutend, dass ich fur eine Weile verga?, dass Mama tot war. Arger und Enttauschung verdrangten alles andere. Ich drehte die Handtasche um, ohne den Funf-Euro-Schein zu beachten, der dabei herausflatterte. Wer gab ihr das Recht dazu? Was glaubte sie denn, wer sie war? Fast sechzig Jahre alt! [...] Meine Mutter, die errotete, wenn sich im Fernsehen ein Parchen kusste. Meine Mutter, die auf der Stra?e starr geradeaus blickte, wenn Manner sich nach ihr umdrehten."
Doppelleben, Affaren und ein geheimnisvoller unsichtbarer Schriftsteller
Es bleibt nicht bei dieser einen Entdeckung. Auch ihr Vater, Journalist, scheint ein zweites Leben gefuhrt zu haben -auch Oscar hatte eine Affare. Und wie es aussieht, mit der Ubersetzerin des geheimnisvollen deutschen Schriftstellers Gert De Ruit. Der Autor, Jahrgang 1930, ist eine Legende im Literaturbetrieb, eine unsichtbare wie z. B. Pynchon oder Salinger. Nur dass De Ruit sich scheinbar handfest zu wehren wei? gegen unliebsame Nachschnuffeleien - er fuhrt eine Liste seiner Opfer, die er angeblich ins Jenseits befordert hat. Dieser De Ruit ist eine Schlusselfigur des Romans - mehr wollen wir hier nicht verraten. Anna Katharina Hahn legt sehr viele Faden in "Das Kleid meiner Mutter" fur uns aus, denen wir mit Freude und Lesegenuss folgen durfen. Bei all den uberbordenden Ereignissen geht es uns Lesern manchmal wie in einem David-Lynch-Film - man muss sich immer mal wieder orientieren und kommt aus dem Staunen, Entdecken und Nachdenken uber all die Querverweise und unterschiedlichen Ebenen nicht heraus. Faszinierend ist das und am Ende des Buches angelangt, kann es gut sein, dass man sofort wieder von vorn zu lesen anfangen mochte, um dieses intelligente und oft ungemein witzige Stuck Literatur - dass naturlich auch die Literatur feiert - noch einmal genie?en zu konnen ...
Interview mit Anna Katharina Hahn
Zu Ihrem letzten Roman "Am Schwarzen Berg" schrieb die FAZ, es sei eine "ebenso gruselige wie gro?artige Milieustudie". Dieser Roman spielte in Stuttgart, Ihr neuer Roman, "Das Kleid meiner Mutter", spielt zum gro?ten Teil in Spanien, genauer in Madrid - was hat Sie zu diesem "Ortswechsel" bewogen, was daran hat Sie interessiert?
Anna Katharina Hahn: Im Grunde ist mir dieser Schauplatz zugefallen: Vor einigen Jahren lernte ich Madrid kennen, an der Hand meiner spanischen Freundin Carmen. Es ist ganz leicht, sich der Faszination dieser Stadt hinzugeben. Sie ist wild und lebendig, gesattigt mit Vergangenheit, hungrig nach Zukunft - eine echte Metropole. Da ich nicht als nur als Touristin, sondern auch als Gast einer Madrile?a unterwegs war, konnte ich am Alltag teilnehmen - Familienleben, Arbeitswelt, Feiern ... all diese Selbstverstandlichkeiten, die man als Fremder sonst nicht aus der Nahe erleben kann.
Trotzdem hatte ich - als deutsche Schriftstellerin - nie gewagt, uber Madrid zu schreiben, wenn ich nicht, mitten in der Arbeit an einem anderen Roman, einen au?erst lebhaften Traum gehabt…mehr
Interview Anna Katharina Hahn
Zu Ihrem letzten Roman "Am Schwarzen Berg" schrieb die FAZ, es sei eine "ebenso gruselige wie gro?artige Milieustudie". Dieser Roman spielte in Stuttgart, Ihr neuer Roman, "Das Kleid meiner Mutter", spielt zum gro?ten Teil in Spanien, genauer in Madrid - was hat Sie zu diesem "Ortswechsel" bewogen, was daran hat Sie interessiert?
Anna Katharina Hahn: Im Grunde ist mir dieser Schauplatz zugefallen: Vor einigen Jahren lernte ich Madrid kennen, an der Hand meiner spanischen Freundin Carmen. Es ist ganz leicht, sich der Faszination dieser Stadt hinzugeben. Sie ist wild und lebendig, gesattigt mit Vergangenheit, hungrig nach Zukunft - eine echte Metropole. Da ich nicht als nur als Touristin, sondern auch als Gast einer Madrile?a unterwegs war, konnte ich am Alltag teilnehmen - Familienleben, Arbeitswelt, Feiern ... all diese Selbstverstandlichkeiten, die man als Fremder sonst nicht aus der Nahe erleben kann.
Trotzdem hatte ich - als deutsche Schriftstellerin - nie gewagt, uber Madrid zu schreiben, wenn ich nicht, mitten in der Arbeit an einem anderen Roman, einen au?erst lebhaften Traum gehabt hatte, der meine Hauptfigur Anita und ihren Lebensort auf nahezu magische Weise vorgab. Ich bin eigentlich sehr rational, besonders in Bezug auf meine Arbeit, aber dieses Geschenk aus dem Unterbewusstsein konnte ich nicht ablehnen. Und wahrend der ersten Notizen wurde mir klar, dass der deutsche und der spanische Teil aufeinander angewiesen sein wurden. Keine Geschichte ist ohne die andere moglich. Der unheimliche Schriftsteller Gert de Ruit und seine spanischen Fans hangen durch zahllose Spiegelungen und Beruhrungspunkte miteinander zusammen, genauso wie die beiden Lander innerhalb Europas unendlich viel gemeinsam erlebt haben.
Eine der Hauptfiguren ist Ana Maria, Anita genannt. Die Wirtschaftskrise zwingt sie und ihre Freunde - bestens ausgebildete junge Menschen -, wieder bei den Eltern einzuziehen. Alle fuhren "ein Leben, das jeden Morgen mit der Frage beginnt, ob sich das Aufstehen lohnt". Menschen gehen weg, Beziehungen zerbrechen daran ... Wie fremd (oder vertraut) ist Ihnen diese Welt und wie erobern Sie sich diese Welt als Autorin?
Anna Katharina Hahn: Im Laufe der europaischen Finanz- und Wirtschaftskrise veranderte sich Spanien immer mehr. Durch Gesprache mit Carmen und ihren Freunden erfuhr ich viel uber die Auswirkungen der Krise, die gnadenlose Perspektivlosigkeit der spanischen Jugend, die neuen Protestbewegungen.
Meine Freundin wurde ?mein kleines Spanien' - mit unendlicher Geduld hat sie meine Fragen beantwortet, die sich oft zu ganzen Fragebogen auswuchsen, mich mit Kontakten versorgt, mir ihre Stadt Madrid, ihr Land aufgeschlossen. Und wie bei jedem meiner Bucher habe ich viel recherchiert, mich in die verschiedensten Fachgebiete eingearbeitet; das gehort fur mich einfach dazu.
Was als scheinbar reale Geschichte uber die"verlorene" Generation in Spanien anfangt, verandert sich im Lauf des Romans immer starker hin zu einem fantastischen Roman voller Wendungen, Uberraschungen. Wie durfen wir uns Ihren Schreibprozess vorstellen bzw. die Zeit vor dem Schreiben, in der sich die Idee zum Roman entwickelt?
Anna Katharina Hahn: Es war mir von Anfang an klar, dass die Geschichte der jungen Spanierin Ana Maria, die ihre Eltern verliert und sich, angetan mit den Kleidern ihrer Mutter Blanca, allein in ein neues Leben kampft, unmoglich funktionieren konnte ohne den Bezug zu Deutschland, ohne Gert de Ruit, den ?unsichtbaren' Autor, ohne die Vergangenheit der beiden Lander - politisch wie literarisch. Die unterschiedlichen Handlungsorte und Zeitebenen, auch die meisten Personen, standen sehr fruh fest. Ich habe sie mir auf der Ruckseite eines gro?en Kalenderblattes mit einem Diagramm verdeutlicht und ihre Verbindungen zueinander mit Buntstiftstrichen skizziert. Was im Laufe des Schreibprozesses an Ideen hinzukam, betraf vor allem die Form, also die vielen unterschiedlichen Textsorten, die den Roman durchziehen: fiktive Interviews und Buchbesprechungen, Briefe, Marchen, WhatsApp-Nachrichten, mundliche Berichte ...
Einer der fantastischen Momente des Buches ist der Auftritt Anitas im Kleid ihrer Mutter Blanca. Die Eltern starben kurz davor und liegen tot im Schlafzimmer. Anita streift, als eine Nachbarin klingelt, schnell das Teil uber. Und obwohl Anita ihrer Mutter wirklich nicht ahnlich sieht, schlanker ist, gro?er, naturlich junger und viel mehr ihrem Vater gleicht, sprechen sie alle als Blanca an. Wie geht Anita damit um, was lost das bei ihr aus?
Anna Katharina Hahn: Anita ist vom plotzlichen Tod der geliebten Eltern vollig aus der Bahn geworfen. Sie steigt aus der Normalitat aus. Schlie?lich hatte es ja auch die Moglichkeit gegeben, sich Hilfe aus der Au?enwelt zu holen. Sie hatte Freunde oder den Bruder anrufen konnen. Stattdessen verlasst sie sich auf sich selbst. Sie schlupft in die Kleider ihrer eleganten Mutter, bemachtigt sich damit eines anderen Lebens. Sie muss fur sich selbst sorgen, immer angetrieben von ganz konkreten wirtschaftlichen Zwangen: den Schulden bei der Bank, der drohenden Entmietung, einem Leben auf der Stra?e. Im Schutz von Blancas Kleidern kann Anita Verschiedenes ausprobieren, sich auch Dinge trauen, die sie ohne diese Kostumierung nie gewagt hatte. Trotzdem stellt sie sich haufig die Frage, ob sie noch bei Verstand ist, ob das alles mit rechten Dingen zugeht - und der Leser tut dies auch.
Anitas Bruder, Angel, ist einer von den jungen Spaniern, die in Deutschland ihr Geld verdienen. Eigentlich hat er studiert, doch nun arbeitet er auf einer Baustelle, allerdings einer sehr besonderen Baustelle. Er arbeitet an einem Haus, in dem die von ihm geschatzte Dichterin Gertrud Kolmar lebte. Was verbindet Angel mit GertrudKolmar und was Anna Katharina Hahn?
Anna Katharina Hahn: Angel sprichtflie?end Deutsch, er arbeitet unter anderem als literarischer Ubersetzer - an einer Ubertragung der Gedichte Gertrud Kolmars ins Spanische. Ubersetzungen spielen eine gro?e Rolle im Roman, der Transfer von einer Sprache in die andere und die Menschen, die ihn moglich machen, sind ein Schlussel zur Entdeckung von Literatur. Ubersetzer sind Mittler zwischen unterschiedlichen Kulturen, Zeiten und Welten - in meinem Buch gibt es sehr viele Querverbindungen zwischen Deutschland und Spanien: Angel oder Carmen Salamanca, Gert de Ruits spanische Stimme, sind Schlusselfiguren fur die Komposition des Romans.
Indem ich uber Getrud Kolmar schreibe, verbeuge ich mich nicht nur vor einer der besten deutschen Dichterinnen uberhaupt, sie und ihre Lebensgeschichte gehoren au?erdem zur wichtigen Schicht der Vergangenheit, die einen wesentlichen Teil des Buches ausmacht. Unsere heutige europaische Gegenwart ist wie von einem Pilzmyzel mit feinsten Fadchen der Geschichte durchzogen. Ohne Kenntnis des Gewesenen ist die Gegenwart ausgehohlt und die Zukunft nicht vorstellbar. Ein geschichtsloser Mensch kann niemals Selbsterkenntnis erlangen. Darum muss die Vergangenheit immer wieder erzahlt und mit dem eigenen Leben verknupft werden, auch von mir in diesem Buch.
Unbedingt zu sprechen kommen mussen wir auf die herrliche und geheimnisvolle Figur des Schriftstellers de Ruit. Was konnen und mochten Sie uber ihn hier preisgeben, wie real ist er und was stellt er dar, wofur steht er in "Das Kleid meiner Mutter"?
Anna Katharina Hahn: Es ist immer schwierig, als Autorin das eigene Werk zu durchleuchten, gerade bei einer Figur wie de Ruit.
Naturlich steckt viel von mir in diesem ?Superhelden', allein schon sein Name signalisiert das. Er pfeift auf den Literaturbetrieb und macht sein eigenes Ding. Korperliche Starke, Mut bis zur Tollkuhnheit, sexuelle Dominanz - das sind in der Regel mannliche Eigenschaften, die ich als Frau schon gerne einmal ausprobieren wurde. Aber de Ruit ist viel mehr als Betriebssatire und Selbstironie. Er arbeitet sich an der Schuld seiner Eltern ab, die begeisterte Nazis waren, wurde unschuldig schuldig und erzahlt damit stellvertretend die Geschichte meines Landes, meiner Familie, auch die Geschichte der Verwicklung von Kunstlern und Bildungsburgern in eine Diktatur und einen Genozid. Wie wird so etwas moglich? Welche Voraussetzungen gehoren dazu, normale Menschen zu Massenmordern werden zu lassen? Kann Kunst davor schutzen? Diese Fragen gehoren zu mir als deutsche Schriftstellerin; ich werde immer wieder versuchen, Antworten auf sie zu finden.
Welche Gefuhle begleiten Sie, wenn ein Roman abgeschlossen ist und nach einer gewissen Zeit als Buch auf den Markt kommt, an die Offentlichkeit tritt?
Anna Katharina Hahn: Wenn ein Manuskript tatsachlich nachdem letzten Korrekturlauf vor mir liegt und ich es aus der Hand geben kann, bin ich zunachst erstaunt und dankbar - schlie?lich habe ich etwas geschafft, das am Anfang nahezu unmoglich schien. Erschopfung, Freiheit fur Neues und eine gewisse Aufregung mischen sich danach zu einem ziemlich angenehmen Cocktail.
Und zuletzt die Frage: Woran arbeiten Sie aktuell?
Anna Katharina Hahn: Im Augenblick arbeite ich mit der Stuttgarter Werbeagentur Schneider/Waibel an meiner eigenen Autorenwebsite - das macht mir Spa?, weil wir etwas Lebendiges gestalten wollen, Verbindungen zwischen Texten und Bildern herstellen, Moglichkeiten ausloten, die nur das Internet bietet. Ich mochte nicht nur eine Pinnwand fur Termine und eine Ablage fur Geschriebenes, sondern etwas Besonderes, das mir entspricht und meine Arbeit bereichern kann.
Besonders schon ist die Tatsache, dass ich auf der Buchmesse einige Auftritte in den ?Kleidern meiner Mutter' absolvieren kann. Vier junge Designerinnen von der Staatlichen Modeschule Stuttgart haben zwei von Blancas Kleidern nach dem Roman entworfen und fur mich genaht. Durch die Arbeit von Laura Both, Rosa Kaiser, Svetlana Katasova und Veronika Luer kann man erleben, auf welchen kuriosen Wegen Literatur Gestalt annehmen kann.
Und naturlich gibt es schon eine Menge Notizen und Skizzen zu einem neuen Roman - da ich aber etwas aberglaubisch bin, mochte ich dazu lieber noch nichts sagen.
Interview: Ulrike Bauer, Literaturtest