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Arno Geiger
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Reise nach Laredo
"In jedem Menschen steckt ein zurückgetretener König." Karl hat sich in ein abgelegenes Kloster in Spanien zurückgezogen. Er ist krank und wartet auf sein Ende. Doch dann begegnet er dem elfjährigen Geronimo, und gemeinsam beschließen sie, davonzureiten, nachts, auf Pferd und Maulesel. Sie geraten in wilde Abenteuer, finden Weggefährten auf dem Weg nach Laredo. Karl lernt kennen, was er trotz Macht, Ruhm und Reichtum bisher nicht hatte: Freundschaft, Liebe, Unbeschwertheit und die Freiheit, die es bedeutet, nur im Moment zu leben. "Reise nach Laredo" ist ein fantastischer, magischer Roman über das Loslassen, über das, worauf es im Leben ankommt - und vor allem eine mitreißende Geschichte.…mehr
Reise nach Laredo (eBook, ePUB)
Arno Geiger
Geiger, ArnoArno Geiger, 1968 geboren, lebt in Wolfurt und Wien. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt Alles über Sally (Roman, 2010), Der alte König in seinem Exil (2011), Grenzgehen (Drei Reden, 2011), Selbstporträt mit Flusspferd (Roman, 2015) und Unter der Drachenwand (Roman, 2018). Er erhielt u. a. den Deutschen Buchpreis (2005), den Hebel-Preis (2008), den Hölderlin-Preis (2011), den Literaturpreis der Adenauer-Stiftung (2011), den Alemannischen Literaturpreis (2017), den Joseph-Breitbach-Preis (2018) und den Bremer Literaturpreis (2019).Interview mit Arno Geiger
Wie kamen Sie in "Selbstporträt mit Flusspferd" auf ein Zwergflusspferd als wichtige "Figur" und welche anderen Tiere kamen auch noch in die engere Auswahl?
Arno Geiger: Ich hatte einen Freund, der 2013 an einem Gehirntumor gestorben ist. Ein sehr guter Freund, Kinderarzt. Er hatte mir einige Dinge aus seiner Kindheit und Jugend erzählt, das Buch hat damit zu tun. Der Freund hat darunter gelitten, dass er als Kind dick gewesen war. Davon merkte man nichts mehr, er war schlank und sportlich, aber er hatte Angst, dass das dicke Kind zurückkehrt. Und irgendwie bin ich auf das Zwergflusspferd gekommen und hatte so ein Bauchgefühl, ja, das ist es, das fehlt mir. Und in dem Moment, als ich ein Zwergflusspferd vor Augen hatte, wusste ich auch, dass ich das Buch jetzt schreiben will. Dieses Gefühl hatte ich bei anderen Tieren nicht, überhaupt nicht.
Der Roman spielt in Wien im Jahr 2004, die Hauptfigur, Julian, ist 22 und auf der Suche nach Stabilität - innerer wie äußerer. Ist ihm dabei das standhafte Flusspferd ein guter Lehrmeister?
Arno Geiger: Das…mehr
Interview Arno Geiger, Selbstporträt mit Flusspferd
Wie kamen Sie in "Selbstporträt mit Flusspferd" auf ein Zwergflusspferd als wichtige "Figur" und welche anderen Tiere kamen auch noch in die engere Auswahl?
Arno Geiger: Ich hatte einen Freund, der 2013 an einem Gehirntumor gestorben ist. Ein sehr guter Freund, Kinderarzt. Er hatte mir einige Dinge aus seiner Kindheit und Jugend erzählt, das Buch hat damit zu tun. Der Freund hat darunter gelitten, dass er als Kind dick gewesen war. Davon merkte man nichts mehr, er war schlank und sportlich, aber er hatte Angst, dass das dicke Kind zurückkehrt. Und irgendwie bin ich auf das Zwergflusspferd gekommen und hatte so ein Bauchgefühl, ja, das ist es, das fehlt mir. Und in dem Moment, als ich ein Zwergflusspferd vor Augen hatte, wusste ich auch, dass ich das Buch jetzt schreiben will. Dieses Gefühl hatte ich bei anderen Tieren nicht, überhaupt nicht.
Der Roman spielt in Wien im Jahr 2004, die Hauptfigur, Julian, ist 22 und auf der Suche nach Stabilität - innerer wie äußerer. Ist ihm dabei das standhafte Flusspferd ein guter Lehrmeister?
Arno Geiger: Das Zwergflusspferd ist ein ganz besonderes Tier. "Ein Zwergflusspferd und weiter nichts", wie Professor Beham sagt: Es ist im besten Sinn unbrauchbar, nach herkömmlichen Maßstäben nicht schön, ungeeignet zur Freundschaft mit Menschen - und dadurch ganz bei sich. Für junge Menschen ist es ein großes Thema: Was denken die anderen von mir? Was erwarten die anderen von mir? Was will die Gesellschaft von mir? - Das Zwergflusspferd ist von derlei unberührt, ganz bei sich und dadurch freier. Und davon fühlt sich Julian angezogen.
Man könnte Julian in seiner Lethargie und mit seinem Zweifeln und Zaudern als Langweiler abstempeln. Doch wie beim Flusspferd auch - ein zweiter, dritter Blick, ein genaues Hinschauen und Wahrnehmen zeigen, dass viel mehr da ist als anfangs vermutet. Wie geht es Ihnen mit Ihrer Hauptfigur: Ist sie für Sie auch ein unterschätzter Typ?
Arno Geiger: Jeder Mensch wird von anderen unterschätzt, wir alle, von den einen, aber eben nicht von den andern. Und das spiegelt sich in meinem Schreiben auf vielfältige Weise wider, und das spiegelt sich auch nach außen. Aber insgesamt haben Sie recht: Julian ist ein unterschätzter Typ, überhaupt nicht lethargisch, allenfalls bedächtig. Aber "bedächtig" kommt von "denken". Und da sind wir wieder beim Zwergflusspferd, von dem es heißt, die Langsamkeit habe in diesem Tier einen entschiedenen Verfechter. Langsamkeit ist heute nicht sonderlich in Mode. Langsamkeit und Abwägen gelten als Charakterschwächen. Dynamik hingegen ist ein Wert an sich. - Ich selber war auch einer wie Julian, mir der Unsicherheiten der Welt früh bewusst. Und heute weiß ich, Neugier, Zweifeln und Fragenstellen tragen weit, menschlich weit. Entschlussfreude und der Glaube zu wissen, wo es langgeht, werdenallgemein überschätzt. Deshalb wird Julian unterschätzt.
Was interessiert Sie als Autor, Jahrgang 1968, an diesen Anfang 20-Jährigen?
Arno Geiger: Als ich zweiundzwanzig war, 1990, unmittelbar nach Ende des Kalten Krieges und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, herrschte Aufbruchstimmung. Das ist passé. Heute leben wir in einer verunsicherten Welt, und das junge Erwachsenenalter ist ganz allgemein ein Alter der Verunsicherung. Das kommt mir heute drängender und relevanter vor, denn wir leben in einer Epoche der Ratlosigkeit, und das färbt auf junge Menschen ganz besonders ab, weil sie meistens noch nicht in sich selbst Fuß gefasst haben. Also: Wie fühlt es sich an, jung zu sein? Wie fühlt es sich an, in dieser ganz speziellen Welt jung zu sein? Wie fühlt es sich an, hier einen Platz suchen zu müssen? Solche Dinge.
Mit Julian und seinem Kumpel Tibor stellen Sie zwei sehr unterschiedliche Männer(rollen) gegenüber: Julian hat den Traum von der einen großen Liebe im Herzen. Sein Kumpel Tibor bleibt mit seiner aktuellen Freundin Claudi, die er nicht liebt, nur zusammen, weil er nicht schon wieder seine Kindheitsgeschichte einer neuen Frau erzählen will. Wo Tibor an Sex mitnimmt, was er kriegen kann, ist Julian überfordert, wenn seine Flamme Aiko auch noch andere Geliebte hat. Warum haben Sie sich für diese zwei "Rollen" entschieden?
Arno Geiger: Jeder junge Mann hat einen Freund wie Tibor, auch jede junge Frau eine solche Freundin: einen Menschen, der alles leichter nimmt und an dem die Schrecken der Welt abprallen. Davon geht eine große Anziehungskraft aus, gerade auch deshalb, weil man als junger Mensch meist noch nicht den Mut zu sich selber hat und sich nach dem sehnt, was man selber nicht ist. Deshalb sind Freunde und Freundinnen oft so verschieden. Alle probieren sich noch aus, versuchen, vom anderen zu lernen, reiben sich gleichzeitig am Gegenüber. Julian spürt, dass Tibor ihm in mancher Hinsicht etwas voraus hat. Und umgekehrt. Aber zunehmend spürt Julian auch, dass seine eigenen Talente, soziale Talente, ein vielleicht noch größeres Geschenk sind.
"Wir alle hätten gern bessere Freunde gehabt, aber dieser Mangel schien nicht behebbar zu sein, es war wie seit eh und je. [...] Freundschaften, Beziehungen, das härteste Geschäft der Welt, dasjenige, das die meisten Todesopfer fordert. Deshalb misstrauten wir einander, deshalb gaben wir uns nicht preis." Woher kommt diese Verzagtheit, diese Angst?
Arno Geiger: Unter den vielen Unverständlichkeiten dieser Welt sind soziale Beziehungen besonders rätselhaft, gerade auch, wenn man sie erstmals in Freiheit eigenverantwortlich führen darf. Es ist verwirrend, was aus Freundschaften oft wird und was aus Liebe oft wird. Als junger Mensch war ich bedrückt und erschrocken über diese Verwandlungen, ich meine, was in kurzer Zeit aus einer Liebesbeziehung werden kann. Vermutlich ist das mit ein Grund, weshalb ich ein Schriftsteller bin, bei dem Einsamkeit ein weniger großes Thema ist als Verlorenheit. In meiner Jugend war das Gefühl der Verlorenheit überwältigend.
Politik, Weltgeschehen schwappt in "Selbstporträt mit Flusspferd" nur am Rande ins Bewusstsein - in Form von Nachrichten von Attentaten, Anschlägen, Naturkatastrophen. Die Figuren sind sehr mit ihrem Liebesleben und ihren Befindlichkeiten beschäftigt, zu mehr als Biolebensmittel kaufen reicht das politische Statement oft nicht ... Gehört den jungen unpolitischen Neospießern die Gegenwart oder sehen Sie die Sache anders?
Arno Geiger: Ich finde, hier haben Sie unrecht, und hier tun Sie den Figuren unrecht - sowohl Julian als auch Aiko. Es gibt im Buch viele Stellen, die Ihrer Aussage heftig widersprechen. An einer Stelle sagt Julian: "Für mich stand trotzdem fest, dass das Wachstum ausgewachsen war und nur noch in die Breite ging und überall Druck erzeugte. Ich wollte zum Wachstum nichts beitragen, ich wollte nicht, dass irgendwer an die Wand gedrückt wurde." Und über die vom Homo petrolensis geprägte, im Krieg mit der Natur befindliche Gesellschaft sagt er, sie sei "getrieben von einem Mangel an Liebe, in schmerzhafter seelischer Dürre, felsenfest überzeugt, dass die Welt immer ein Schlupfloch bieten werde und am Ende nicht die Falschen ersaufen."
Ganz allgemein - ich weiß nicht, wem die Gegenwart gehört. Aber es ist vermutlich naheliegend, diese Welt als scheiternde Welt wahrzunehmen. Und in einer als scheiternd wahrgenommenen Welt will man wenigstens selbst etwas auf die Reihe bekommen, das mag im Privaten mitunter spießig herauskommen und ist es oft auch, wenn jedes Engagement fehlt. Na, jedenfalls, ich finde es schade, wenn ich sehe, dass Julians Idealismus ein bisschen von oben herab abgetan wird. Man kann sich vom Idealismus junger Menschen etwas abschneiden. Idealismus lässt einen etwas anfangen, von dem nicht sicher ist, ob es gut ausgehen wird. Abgeklärt wird man noch früh genug - und umso früher, desto schneller wird man zynisch.
Ihre Hauptfigur Julian kommt, wie Sie selbst auch, aus Vorarlberg und lebt in Wien. Wie viel von dem jungen Arno Geiger steckt in Julian?
Arno Geiger: Ich bringe eigene Erfahrungen ein, ganz selbstverständlich. Und ich fühle mich Julian sehr verwandt, emotional, der Person, ein wenig verloren, ernsthaft, unsicher. Verlorenheit, wie gesagt, ist ein großes Thema in diesem Alter. In diesem Alter ist man ungleich verlorener als Menschen, die zehn Jahre älter sind. Und dann ... das Gefühl, wie es war, auf eigenen Beinen zu stehen... ah, das fand ich toll! Dorthin hatte ich mich gesehnt, schon sehr lange. Ich wollte mein eigener Herr sein, über mich selbst bestimmen dürfen. Und gleichzeitig hatte ich wie Julian Angst, alles falsch zu machen. "Ich bekomm das nicht hin. Ich bekomme das überhaupt nicht so hin, wie ich mir dasvorgestellt habe!" Da steckt einiges von mir drin. Aber letztlich ist Julian dennoch eine Person eigenen Rechts.
Was für ein Buch liegt auf Ihrem Nachttisch und wartet darauf, gelesen zu werden?
Arno Geiger: Susan Neiman, Warum erwachsen werden? - Eine philosophische Ermutigung.
Und die letzte Frage: Woran arbeiten Sie aktuell?
Arno Geiger: Ich bin in unruhigem Wasser, wie immer unmittelbar nach einer Veröffentlichung. Deshalb arbeite ich vor allem an der Entwicklung eines ausgeprägten "Rutsch-mir-den-Buckel-runter-Gefühls", also an meiner Tibor-Seite. Ich brauch keinesfalls zu viel davon, aber zuzeiten doch ein bisschen etwas.
Interview Arno Geiger: Ulrike Bauer, Literaturtest