Autor im Porträt
David Safier
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Mord in der Therapie / Miss Merkel Bd. 4
Angela ist niedergeschlagen. Beim Schreiben ihrer Autobiografie ist ihr klar geworden, dass sie in ihrer Amtszeit das ein oder andere Problem des Landes eher suboptimal gelöst hat. Sei es zum Beispiel die Digitalisierung, die Energiewende oder die Bundesbahn, die allesamt Anlass zu Klagegebeten geben. Nachdem Angela auch noch Friedrich Merz anranzt, schlägt Ehemann Achim ihr einen Besuch beim Psychologen vor. Da aber auch in Angelas beschaulichem Heimatort Klein-Freudenstadt Fachkräftemangel herrscht, gibt es für sie nur einen Platz in einer Gruppentherapie bei Doktor Felix Fenstermacher. Dummerweise wird der Therapeut gleich nach der ersten Sitzung auf seinem Hausboot in die Luft gesprengt. Angela bekommt dadurch gleich viel bessere Laune, endlich kann sie wieder ermitteln. Verdächtig sind die Mitglieder der Gruppe: ein Wutbürger, eine Katzenfrau, eine Viren-Phobikerin, eine Klimaaktivistin und ein Mann, dem es buchstäblich die Sprache verschlagen hat. Allerdings fällt der Verdacht der anderen erst einmal auf Angela selbst, schließlich starb der Therapeut gleich nach ihrer ersten gemeinsamen Sitzung.
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Solange wir leben
David Safier erzählt in diesem dramatischen und zärtlichen Roman die Geschichte seiner Eltern: Sie führt uns vom Wien des Jahres 1937 durch die Gefängnisse der Gestapo nach Palästina, wo sein Vater Joschi als Barmann und Spion arbeitet und schließlich zur See fährt. Seine Mutter Waltraut wächst als Tochter eines Werftarbeiters in Bremen auf, erlebt Kriegszeit, Trümmerjahre und Wirtschaftswunder. Bei ihrer ersten Begegnung ist Waltraut eine junge alleinerziehende Witwe, Joschi zwanzig Jahre älter als sie. Wenig spricht dafür, dass die beiden sich ineinander verlieben und ein gemeinsames Leben wagen - ein Leben, geprägt von steilen Höhenflügen und dramatischen Schicksalsschlägen.
«Nie wäre ich auf die Idee gekommen, über meine Eltern zu schreiben, wenn sie nicht das Leben von großen Romanfiguren geführt hätten.» David Safier
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David Safier
David Safier wurde 1966 in Bremen geboren. Nach seiner Ausbildung zum Journalisten sammelte er erste Berufserfahrungen in Funk und Fernsehen. Als Drehbuchautor schrieb er die Dialoge zu "Nikola" und "Die Schule am See". Mit der Sitcom "Berlin, Berlin" gewann er den Adolf-Grimme-Preis, den Deutschen Fernsehpreis und den "International Emmy".2008 erschien Safiers erster Roman "Mieses Karma", die bizarre Geschichte einer Frau, die nach ihrem Tod als Ameise auf die Erde zurückkehrt und gutes Karma sammeln muss, um wiedergeboren zu werden. "Jesus liebt mich" erzählt von Marie, die sich in einen gewissen Jesus verliebt, den es ins 21. Jahrhundert verschlagen hat, und in "Plötzlich Shakespeare" gerät der Geist einer Frau durch Hypnose in den Körper des englischen Dichters. Safier ist verheiratet, hat zwei Kinder und einen Hund und lebt noch immer in Bremen.
Das meint die buecher.de-Redaktion: Wunderbar komisch mixt Safier Realität und Fiktion wild durcheinander - ein echter Lesespaß!
28 Tage lang - Literaturfestival 2014
Was für ein Mensch willst du sein? Packend, berührend und authentisch
David Safier, den Lesern bislang bekannt als Bestsellerautor humorvoll-intelligenter Bücher wie "Plötzlich Shakespeare", "Mieses Karma" oder "Happy Family" hat mit "28 Tage lang" sein "Herzensprojekt" verwirklicht und einen Roman über den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto geschrieben. Safier stammt aus einer jüdisch-christlichen Familie. Sein Großvater väterlicherseits ist in Buchenwald umgekommen, die Großmutter starb im Ghetto von Lodz und auch sein Vater wurde von den Nationalsozialisten verfolgt. Er widmet das Buch seinen beiden Söhnen - und will Erwachsene wie Jugendliche ansprechen. So erscheint von "28 Tage lang" auch eine Ausgabe bei rororo rotfuchs, dem Jugendbuchprogramm von Rowohlt. Wie "seine" Leser auf diesen Stoff reagieren werden, darauf ist Safier sehr gespannt - und natürlich möchte er "besonders viele Menschen damit erreichen". Vor allem auch die, " die normalerweise sagen: ‚Ein Buch über den Nationalsozialismus? Da habe ich jetzt keine Lust, das zu lesen.'"
Spannend, emotional und dramatisch: "28 Tage lang" packt den…mehr
Was für ein Mensch willst du sein? Packend, berührend und authentisch
David Safier, den Lesern bislang bekannt als Bestsellerautor humorvoll-intelligenter Bücher wie "Plötzlich Shakespeare", "Mieses Karma" oder "Happy Family" hat mit "28 Tage lang" sein "Herzensprojekt" verwirklicht und einen Roman über den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto geschrieben. Safier stammt aus einer jüdisch-christlichen Familie. Sein Großvater väterlicherseits ist in Buchenwald umgekommen, die Großmutter starb im Ghetto von Lodz und auch sein Vater wurde von den Nationalsozialisten verfolgt. Er widmet das Buch seinen beiden Söhnen - und will Erwachsene wie Jugendliche ansprechen. So erscheint von "28 Tage lang" auch eine Ausgabe bei rororo rotfuchs, dem Jugendbuchprogramm von Rowohlt. Wie "seine" Leser auf diesen Stoff reagieren werden, darauf ist Safier sehr gespannt - und natürlich möchte er "besonders viele Menschen damit erreichen". Vor allem auch die, " die normalerweise sagen: ‚Ein Buch über den Nationalsozialismus? Da habe ich jetzt keine Lust, das zu lesen.'"
Spannend, emotional und dramatisch: "28 Tage lang" packt den Leser vom ersten Satz an
"28 Tage lang" ist emotional, spannend und dramatisch erzählt und packt einen vom ersten Satz an. David Safier schafft es sofort, uns hineinzuziehen in das Buch und das Leben von Mira, seiner Hauptfigur. Sie ist 16 Jahre alt und lebt im Warschauer Ghetto. Eine der ersten Lektionen, die sie gelernt hat: Auch die Erwachsenen können ihre Kinder hier nicht mehr beschützen. Ihr Vater hat sie, so sieht es Mira, im Stich gelassen, als er sich umbrachte. Zuvor hatte er noch die gesamten Ersparnisse als Schmiergeld eingesetzt, um Miras älteren Bruder Simon bei der Judenpolizei unterzubringen. Die Mutter ist nur noch ein Schatten nach dem Tod ihres geliebten Mannes und Mira sorgt für ihre kleine Schwester Hannah und die Mutter, so gut es eben geht.
Ghetto-Alltag: Deportationen und Hunger - und Mira, 16, erlebt die erste Liebe
Das Grauen des Ghettos, die Willkür, mit der die Nazis regieren, denen ein jüdisches Leben nichts wert ist, die Deportationen, der Hunger, die lebensgefährlichen Schmuggeltouren Miras - Safier lässt den Alltag im Ghetto lebendig werden. Und dennoch, bei all dem Grauen, dem Töten und der Todesangst begleiten wir auch Mira im Erleben ihrer ersten zarten Liebe. Das ist nie unglaubwürdig oder gar sentimental, sondern gelingt David Safier sensibel und atemberaubend dicht. Auch die Komposition von "28 Tage lang", in der Safier historische Fakten und Personen mit der Geschichte fiktiver Figuren verwebt, macht den Roman zu etwas ganz Besonderem.
Was für ein Mensch willst du sein? Wie weit gehst du, um zu überleben?
Da ist der weltberühmte Reformpädagoge Janusz Korczak, der im Ghetto ein Waisenhaus leitete, und da ist die fiktive Figur von Miras Freund Daniel, der im Waisenhaus Korczaks rechte Hand ist. Da sind der Vorsitzende des Judenrates, Adam Czerniakow, oder der Ghettonarr Rubinstein, der "alle gleich, alle gleich" rufend durch die Straßen lief und sich mit List und Witz Essen organisierte.
Und da ist Mira, die bei einer Schmuggeltour außerhalb des Ghettos fast erwischt wird - doch ein junger Mann steht ihr bei und rettet ihr das Leben - mit einem Kuss. Seit dem Kuss ist für Mira nichts mehr, wie es war - und sie wird sich entscheiden müssen, wem ihr Herz wirklich gehört, Daniel oder Amos. Das ist eine der großen Fragen, die Mira beantworten muss. Eine andere: Was für ein Mensch willst du sein? Einer, der sein Leben für andere gibt, oder einer, der andere verrät, um sein eigenes Leben zu schützen? Wie weit gehst du, um zu überleben? Um wenigstens noch einen Tag zu überleben? In der Hölle des Ghettos eine Frage, die sich jeden Tag stellt - oft genug mehrmals.
Die dritte Frage für Mira: Will und kann sie sich den Kämpfern im Ghetto anschließen? Kann sie wirklich Menschen töten? Als sie erfährt, dass alle noch lebenden Ghettobewohner getötet werden sollen - ohne Ausnahmen -, entscheidet sie sich für den Kampf. Er wird 28 Tage dauern, so lange schaffen es die meist jugendlichen Kämpfer, Widerstand zu leisten. So lange dauerte auch der reale Widerstand im Warschauer Ghetto.
"28 Tage lang": David Safier verharmlost nichts - kaum auszuhalten, manche Szenen
David Safier spart in "28 Tage lang" nichts aus, verharmlos nichts - kaum auszuhalten, manche Szenen ... Da gibt eine Mutter ihr Baby in den Tod, um ihr eigenes Leben zu retten, oder da ist diese Frau, die auf einem Platz die Kinder der zur Deportation zusammengetriebenen Menschen "erlöst", indem sie sie noch vor dem Transport vergiftet. Da geht Janusz Korczak zusammen mit seinen 200 Waisenkindern in den Tod, obwohl er sein Leben hätte retten können.
Was für ein Mensch willst du sein? Diese Frage kann jeder nur für sich selbst beantworten - viele Figuren in "28 Tage lang" entscheiden sich für den Kampf, manche weigern sich, selbst zu töten, auch wenn sie das ihr Leben kosten wird. Doch moralisierend ist "28 Tage lang" nie. Safier bewertet nicht, stellt Kampfesmut nicht über Friedfertigkeit - gerade deshalb berühren die Zeugnisse der Menschlichkeit wie das von Janusz Korczak besonders. Was für ein Mensch willst du sein ...?
28 Tage lang - Literaturfestival 2014
David Safier: Diese Idee gab es schon sehr lange. Vor ziemlich genau 21 Jahren wurde ich gebeten, zum 50. Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes eine Rede zu halten. Ich war damals Journalist im Jugendprogramm bei Radio Bremen und man hat jemanden gesucht, der jung und jüdischer Herkunft ist und auch ein paar Sätze geradeaus sprechen kann. Natürlich wusste ich damals schon etwas über den Warschauer Ghettoaufstand, aber in der Vorbereitung auf diese Rede habe ich angefangen zu recherchieren und sehr, sehr viel dazu gelesen. Und seither war ich fasziniert von diesem Thema, weil es dort so viele Geschichten - sowohl von menschlicher Niedertracht als auch menschlicher Größe - zu finden gibt, dass ich damals schon wusste: Darüber möchte ich irgendwann schreiben. Da ich ja auch als Drehbuchautor arbeite, habe ich auch immer mal wieder Exposés zu dem…mehr
Ihre Leser kennen Sie bislang durch Bücher wie "Plötzlich Shakespeare", "Jesus liebt mich" oder "Happy Family" - nun haben Sie mit "28 Tage lang" einen Roman geschrieben, der im Warschauer Ghetto spielt und den Aufstand der Juden dort thematisiert. Wie hat sich die Idee zu diesem Buch bei Ihnen entwickelt?
David Safier: Diese Idee gab es schon sehr lange. Vor ziemlich genau 21 Jahren wurde ich gebeten, zum 50. Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes eine Rede zu halten. Ich war damals Journalist im Jugendprogramm bei Radio Bremen und man hat jemanden gesucht, der jung und jüdischer Herkunft ist und auch ein paar Sätze geradeaus sprechen kann. Natürlich wusste ich damals schon etwas über den Warschauer Ghettoaufstand, aber in der Vorbereitung auf diese Rede habe ich angefangen zu recherchieren und sehr, sehr viel dazu gelesen. Und seither war ich fasziniert von diesem Thema, weil es dort so viele Geschichten - sowohl von menschlicher Niedertracht als auch menschlicher Größe - zu finden gibt, dass ich damals schon wusste: Darüber möchte ich irgendwann schreiben. Da ich ja auch als Drehbuchautor arbeite, habe ich auch immer mal wieder Exposés zu dem Gettoaufstand angeboten - aber aus verschiedensten Gründen sind die Finanzierungen zu Filmen nicht zustande gekommen. Jetzt, nach fünf lustigen Bestsellern, hatte ich das Gefühl: Ich kann dieses Buch schreiben, ohne meine Leser zu "verstören".
Ihr Verlag, Rowohlt, bringt das Buch sowohl in der rotfuchs-Reihe für Jugendliche als auch bei Kindler für Erwachsene heraus. Ihre Anregung?
David Safier: Ja, das war mein Wunsch. Ich wollte den Titel eben nicht nur als "Erwachsenenbuch" herausbringen. Ich denke, so ab 13/14 Jahren - das kommt natürlich auch auf den Jugendlichen an - ist das eine Geschichte, die Jugendliche verkraften können. Die Hauptfiguren sind Jugendliche - so wie auch die Kämpfer im Warschauer Getto sehr, sehr junge Menschen waren, das fing mit 13 Jahren an und reichte bis Ende 20. Und es gibt sehr wenige Geschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus, mit der sich junge Leute identifizieren können, vor allem keine Geschichten von "Helden", die aktiv etwas tun, die kämpfen.
Im Warschauer Ghetto gab es drei Menschen, so schreiben Sie, die alle kannten: einer war Janusz Korczak, der Pädagoge, der Zweite war Rubinstein - der Ghettonarr. Er lief tanzend durch die Straßen und rief "Alle gleich, alle gleich!". Sogar die SS ließ ihn lange in Ruhe. Er hat wirklich existiert. In Ihrem Buch gibt er Mira in einem für seine Verhältnisse ernsten Gespräch Entscheidendes mit auf den Weg: "Die Frage ist, kleine Mira, was für ein Mensch möchtest du sein?" Es ist die wichtigste Frage des Buches - warum haben Sie sie Rubinstein in den Mund gelegt?
David Safier: Beim Schreiben gibt es ja oft keine bewussten Entscheidungen, jedenfalls bei mir nicht. Ein Autor - David Milch, der u. a. die Fernsehserie Deadwood geschrieben hat - hatte mal zu mir gesagt: "Alles, was du übers Schreiben denkst, wenn du nicht schreibst, ist falsch." Man kann so eine Szene eben nicht vorher am Reißbrett entwerfen. Ich habe diese Szene geschrieben und sie entfaltet sich dann aus dem eigenen Gefühl, aus der eigenen Fantasie heraus - und da machen die Figuren, was sie wollen. Und Rubinstein hatte eben diese Frage gestellt - und sie wurde zur entscheidenden Frage des Romans. Es war also nicht so, dass ich gesagt hätte: Das ist die entscheidende Frage des Romans, wer könnte sie denn jetzt stellen? Sondern ganz im Gegenteil - die Figuren haben das "gemacht" und daraus hat es sich entsponnen.
Mira steht in Ihrem Buch zwischen zwei jungen Männern. Daniel und Amos - Daniel kümmert sich um Waisenkinder im Ghetto, Amos organisiert den Widerstand. Auch Mira muss sich entscheiden, ob sie kämpfen will, töten kann oder nicht. Sie widmen diesem Aufstand im Warschauer Ghetto, der auch in Wirklichkeit 28 Tage gedauert hat, Ihr Buch. - Was war das Besondere an diesem Aufstand?
David Safier: Der Warschauer Ghettoaufstand von 1943 ist schon etwas Besonderes. Dass da 1.400 Kämpfer zusammenkommen und sich wehren. Ich glaube, dass man in dem Buch sehr gut sieht - gerade auf den Seiten, die ich der Deportation widme -, warum das so war, dass die Menschen sich nicht gewehrt haben. Ich glaube, dass das einerseits so war, weil die Nationalsozialisten ein perfides Spiel mit der Hoffnung der Menschen gespielt haben. Der Einzelne dachte immer noch: Auch wenn andere umkommen, ich kann überleben. Auf der anderen Seite waren viele Menschen gebrochen und hatten keinen Lebensmut mehr. Die jungen Kämpfer, das kann man so sehen, konnten zu den Waffen greifen, weil sie nichts mehr zu verlieren hatten. Die hatten nur noch den Kampf - das ist das Besondere.
Was mich außerdem sehr faszinierte, war die Tatsache, dass viele Menschen im Warschauer Ghetto etwas Großes gemacht haben. Da gibt es unglaubliche Geschichten, die manchmal bei mir nur in einer oder zwei Zeilen vorkommen. Zum Beispiel, dass Eltern sich entscheiden, mit ihren Kindern in die Züge zu gehen - und dass andere Eltern gesagt haben, ich kann noch weiterleben, Kind, geh du alleine in die Züge.
Faszinierend auch die Geschichte, dass die Kämpfer im Kampf eines Nachts Brot gebacken haben für die Hungernden. Das sind Sachen, die mich unglaublich fasziniert haben. Es geht eben nicht nur darum, dass da Juden zu den Waffen gegriffen haben, sondern in all dem Wahnsinn haben dort auch viele Aktionen stattgefunden, die von menschlicher Größe zeugen. Solche Dinge haben mich sehr beeindruckt.
Der dritte Mensch, den im Ghetto alle kannten, aber verachteten, war Adam Czerniaków, der Vorsitzende des Judenrates. Was war der Grund für diese Verachtung?
David Safier: Die Gefühle für Czerniaków waren sehr zwiespältig - und es gibt im Buch ja auch den Dialog, woihn jemand verteidigt. Der Judenrat wurde ja von den Nationalsozialisten eingesetzt als Verwaltung. Im Getto von Lodz z. B. saßen Verbrecher im Judenrat, in Warschau war Czerniaków z. B. keiner, der sich selbst bereichert hat, aber er hat sozusagen aus seiner schwachen politischen Position heraus dafür gesorgt, dass viele Anordnungen der Nationalsozialisten umgesetzt wurden. Und viele, gerade die Kämpfer, haben ihn deswegen als Marionette der Nazis gesehen. Doch als es dann den Befehl gab, die Kinder in die Konzentrationslager zu deportieren, hat er sich selbst umgebracht. Diesen Befehl konnte er nicht mehr unterzeichnen. Er wollte kein Mensch sein, der andere Menschen in den Tod schickt.
Die Kraft/Die Macht der Fantasie hilft Mira oft, weiter zu hoffen und den Lebensmut nicht zu verlieren. Miras Schwester Hannah erzählt z. B. wunderbare Geschichten. Wie wichtig ist diese Kraft in dunklen Zeiten und wie wichtig ist sie dem Autor David Safier?
David Safier: Ich entdecke mein Buch beim Schreiben. Und so habe ich auch entdeckt, dass die kleine Schwester von Mira Geschichten erzählt. Später übernimmt auch Mira das Weitererzählen der Geschichte von den 777 Inseln. Und sie werden wie eine Rettungsinsel für sie.
Auch ich als Autor lebe natürlich in Fantasiewelten. Aber eigentlich kennen wir das alle, denn viele Menschen finden in der Fantasie Trost. Jeder, der auch nur ein kleines Problem hatte während seines Tages und der abends ins Kino geht oder ein Buch liest, findet da oft Trost und Kraft ...
Sie erzählten schon, dass Sie dieses Buchprojekt schon sehr lange mit sich herumgetragen haben. Wie aufwendig waren die Recherchen, wie sahen die Vorarbeiten aus?
David Safier: Ja, ich habe schon vor 21 Jahren angefangen, mich in das Thema "Aufstand im Warschauer Ghetto" einzuarbeiten und habe seither darüber immer wieder etwas gelesen. Es gibt viele Erinnerungsbücher und es gibt unglaublich gut dokumentierte Sachbücher, das sind oft schon Metastudien über den Ghettoalltag. Es gibt z. B. Karten, wo welcher Laden wann war oder wie viel in welchem Monat ein Ei gekostet hat. Das Getto ist also extrem gut dokumentiert, auch dadurch, dass es Menschen wie z. B. Emanuel Ringelblum [Ringelblum-Archiv] gab, die alles für die Nachwelt aufgezeichnet und diese Aufzeichnungen verscharrt haben. Ich habe mich in dieser Vorbereitung noch mal durch all diese Bücher und Erinnerungen gearbeitet.
Ein Teil Ihrer Familie, der väterliche Zweig, stammt aus Wien und wurde im Dritten Reich ermordet. Ihr Großvater ist in Buchenwald umgekommen, Ihre Großmutter starb im Ghetto von Lodz und auch Ihr Vater wurde von den Nationalsozialisten verfolgt ...
David Safier: Ja, das ist richtig. Mütterlicherseits stammt die Familie aus Bremen und hat einen christlichen Hintergrund. Meine Mutter (Jahrgang 1936) ist ein Kriegskind, das durch den Bombenhagel traumatisiert war. Aber mein Vater war Jahrgang 1915, ist in Wien aufgewachsen, dort zur Schule gegangen, hat sein Abitur gemacht und an der Wiener Universität Bauingenieurwesen studiert. Als es 1938 den Anschluss gab, wurde er erst mal verhaftet und war in einer Zelle mit sehr vielen anderen - und er hat mir erzählt, dass da auch, und das gab es sehr selten, ein Polizist ohne Hakenkreuzbinde war. Dieser Polizist hat die Zellentür geöffnet und ein paar Gefangene rausgelassen. Mein Vater hatte das Glück, dass er vorne stand und rauskonnte - und er floh daraufhin nach Palästina. Viel mehr hat mein Vater allerdings auch nicht erzählt. Ich weiß nicht, wie er aus Österreich rauskam. Was er mir noch erzählt hat, war, dass auch seine zwei Jahre ältere Schwester nach Palästina geflohen war.
Über die Geschichte meiner Großeltern weiß ich nur das, was ich in den ganz wenigen Unterlagen gefunden habe. Mein Vater hat - das gibt es ja bei sehr vielen Menschen aus dieser Generation der Verfolgten - nichts aus der Zeit erzählt. Wenn er über Wien erzählt hat, hat er immer nur über das Kabarett und die Kabarettisten erzählt und dass er als Claqueur immer umsonst Eintritt hatte, weil er immer geklatscht hat. Da gab es eine große, große Liebe zu Wien, die eben dann abgebrochen ist. Über seine Eltern hat er nichts erzählt. Ich weiß, wann sie geboren sind - und dass meine Großmutter in Lodz gestorben ist, das steht in einer Todesurkunde und der Name meines Großvaters taucht in einer Datenbank auf. Ich selbst habe in Wien also keine Verwandten mehr.
Durch die Zeugnisse meines Vater wusste ich ja, auf welcher Schule in Wien er war, und durch einige Urkunden wusste ich ebenfalls, in welcher Straße er gewohnt hat und in welchem Haus. Als ich zu einer Preisverleihung im Wiener Rathaus war - mein Buch "Plötzlich Shakespeare" hatte den Leserpreis für den beliebtesten Roman in Österreich bekommen -, habe ich mir diese Adressen angesehen. Und beim Stöbern in einer Wiener Buchhandlung habe ich ein Buch aus den 1980er-Jahren gefunden über Erinnerungen aus dem jüdischen Viertel. Ich habe mir das Buch gekauft und ein Gedicht gefunden, in dem eine junge Frau beschreibt, wie sie in den 1970er-Jahren zurück nach Wien kommt und sich an ihre Kindheit erinnert - und diese Frau war meine Tante. Diese Tante trat übrigens auch im Wiener Kabarett auf. Mehr weiß ich nicht von dieser Familiengeschichte.
Ein großes Thema sind heute auch die Traumata von Kindern und Enkeln der Opfer von Verfolgung und Ermordung. Wie haben Sie das erlebt?
David Safier: Das ist schwer zu beantworten. Das Problem haben aber nicht nur Familien von Holocaustopfern, sondern auch die gesamte Kriegsgeneration ist betroffen. Die heute 75-Jährigen erlebten z. B. ja auch den Bombenhagel als Kinder. Ich glaube, das Thema wird generell unterschätzt. Wenn da Menschen sagen, dass sie die Vergangenheit nicht mehr interessiert, sage ich, Leute, das ist eure Familiengeschichte. Das sind eure Eltern, Großeltern, die haben euch erzogen und das geht natürlich weiter, was z. B. Traumata angeht.
Zu mir persönlich möchte ich nur sagen: Ich denke, ich habe überproportional viele Verfolgungsträume und sicher kein umfassendes Sicherheitsgefühl - und natürlich arbeite ich mich selbst auch daran ab, dass dem so ist. Mein Vater war ja Jahrgang 1915, direkt kriegsverfolgt, und ich bin die Generation danach, und es gibt all diese Traumata. Auf der anderen Seite gibt es ja auch die Tatsache, dass mein Vater, trotz allem, was ihm passiert ist, Leben in die Welt gesetzt hat. Und das ist für mich schon so etwas wie ein positiver Auftrag. Immer gewesen.
Bald wird es keine lebenden Zeitzeugen mehr geben, die z. B. in Schulen gehen und von ihrer Verfolgung erzählen. - Was löst dieser Gedanke in Ihnen aus?
David Safier: Ja, bei mir war es so, dass zwischen 1995 und 2000 meine Tante, mein Vater und mein Onkel starben. Sie sind nicht mehr da, aber ich würde jetzt gerne mit ihnen über diese Zeit reden - und es ist eben zu spät.
Als Autor hoffe ich, dass das, was ich da jetzt mit "28 Tage lang" versucht habe, die Möglichkeit einer neuen Annäherung an diese Zeit schafft. Sich also anzunähern, indem man mit einer modernen Sprache, einer modernen Dramaturgie eine höhere Identifikation für die Leser schafft und so eine Brücke sein kann.
Interview: Ulrike Bauer, Literaturtest