Autor im Porträt
Eva Menasse
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Alles und nichts sagen
Nichts hat das Zusammenleben so umfassend verändert wie die Digitalisierung - wir denken, fühlen und streiten anders, seit wir dauervernetzt und überinformiert sind. Die Auswirkungen betreffen alle, egal, wie sehr sie die neuen Medien überhaupt nutzen. Es ist ein Stresstest für die Gesellschaft: Der Überfluss an Wissen, Geschwindigkeit, Transparenz und Unlöschbarkeit ist, unkanalisiert, kein Wert an sich.
Demokratiepolitisch bedeutsam wird dies bei der vielbeschworenen Debattenkultur. Denn die Umgangsformen der sogenannten Sozialen Medien haben längst auf die anderen Arenen übergegriffen, Politik und Journalismus spielen schon nach den neuen, erbarmungsloseren Regeln. Früher anerkannte Autoritäten werden im Dutzend abgeräumt, ohne dass neue nachkommen, an die Stelle des besseren Arguments ist die knappe Delegitimierung des Gegners getreten. Eine funktionierende Öffentlichkeit - als Marktplatz der Meinungen und Ort gesellschaftlicher Klärung - scheint es, wenn überhaupt, nur noch in Bruchstücken zu geben.
In ihrem Essay kreist Eva Menasse um die Fragen, die sie seit vielen Jahren beschäftigen: vor allem um einen offenbar hoch ansteckenden Irrationalismus und eine ätzende Skepsis, vor denen niemand gefeit ist.
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Dunkelblum
August 1989: Im österreichischen Städtchen Dunkelblum taucht ein rätselhafter Besucher auf, eine junge Frau verschwindet, ein Skelett wird gefunden. Und hinter der nahen Grenze zu Ungarn warten bereits Hunderte DDR-Flüchtlinge. Da kommen wie von selbst Erinnerungen an ein furchtbares Verbrechen zurück, das die Dunkelblumer gern für immer verdrängt hätten.
Mit Witz und Suspense entwirft Eva Menasse ein großes Geschichtspanorama am Beispiel einer kleinen Stadt und erzählt vom Umgang der Bewohner mit einer historischen Schuld.
»Die ganze Wahrheit wird, wie der Name schon sagt, von allen Beteiligten gemeinsam gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann immer gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gedächtnis.«…mehr
Eva Menasse
Menasse, EvaEva Menasse, geboren 1970 in Wien, lebt seit 2003 als freie Schriftstellerin in Berlin. Ihr Debütroman »Vienna« sowie ihre folgenden Erzählungen und Essays waren bei Kritik und Lesern ein großer Erfolg. Für ihren Roman »Quasikristalle« wurde sie mit dem Gerty-Spies-Literaturpreis, dem österreichischen Alpha-Literaturpreis sowie dem Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln ausgezeichnet. 2015 war sie Stipendiatin der Villa Massimo in Rom und erhielt für ihr bisheriges Werk den Jonathan-Swift-Preis für Satire und Humor. 2017 erschien ihr Erzählungsband »Tiere für Fortgeschrittene«. Im selben Jahr wurde sie mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg ausgezeichnet.Interview Eva Menasse
Eva Menasse: Ich fand es immer schon faszinierend, wie verschieden verschiedene Menschen dieselbe Sache oder denselben Dritten betrachten. Wie unterschiedlich man selbst von anderen gesehen wird, stark oder schwach, vorlaut oder schüchtern. Und dann war wohl ein Satz meines Mannes der letzte Auslöser: Als wir im Krankenhaus mit unserem neugeborenen Sohn waren, so glücklich und überfordert wie alle Eltern. Irgendwann sagte er: "Und die Hebammen machen das jeden Tag". Da wurde mir noch eine Variante klar: Der Unterschied zwischen Einzigartigkeit und Routine. Auch das erzeugt einen völlig anderen Blick.
Sie schildern die Protagonistin aus der Sicht der verschiedensten Menschen, die mit ihr zu tun haben. Was mögen Sie selber an Ihrer Figur Xane Molin?
Eva Menasse: Ich weiß nicht, ob ich irgendetwas besonders an ihr mag. Auch nicht das Gegenteil. Sie ist ja keine besondere oder außerordentliche Figur, sie hat viel Temperament, das Talent, Leute für sich zu interessieren, gelegentlich eine spitze…mehr
In "Quasikristalle" erzählen Sie das Leben einer Frau - aus 13 verschiedenen Perspektiven, in Momentaufnahmen. Wie entstand diese Idee?
Eva Menasse: Ich fand es immer schon faszinierend, wie verschieden verschiedene Menschen dieselbe Sache oder denselben Dritten betrachten. Wie unterschiedlich man selbst von anderen gesehen wird, stark oder schwach, vorlaut oder schüchtern. Und dann war wohl ein Satz meines Mannes der letzte Auslöser: Als wir im Krankenhaus mit unserem neugeborenen Sohn waren, so glücklich und überfordert wie alle Eltern. Irgendwann sagte er: "Und die Hebammen machen das jeden Tag". Da wurde mir noch eine Variante klar: Der Unterschied zwischen Einzigartigkeit und Routine. Auch das erzeugt einen völlig anderen Blick.
Sie schildern die Protagonistin aus der Sicht der verschiedensten Menschen, die mit ihr zu tun haben. Was mögen Sie selber an Ihrer Figur Xane Molin?
Eva Menasse: Ich weiß nicht, ob ich irgendetwas besonders an ihr mag. Auch nicht das Gegenteil. Sie ist ja keine besondere oder außerordentliche Figur, sie hat viel Temperament, das Talent, Leute für sich zu interessieren, gelegentlich eine spitze Zunge, ansonsten aber dieselben Probleme wie die meisten heutigen Frauen.
Verändert sich Xane Molin im Lauf ihres Lebens? Glauben Sie persönlich, dass Menschen sich verändern können, bestimmte Erlebnisse Menschen verändern können?
Eva Menasse: Jeder verändert sich automatisch dadurch, dass er älter wird. Dass er Kinder hat. Oder eben ohne Nachkommen alt wird. Ob er einen Partner hat oder keinen oder immer wechselnde. Jede Langzeitbeziehung verändert sich und einen, automatisch. Und dann gibt es natürlich zusätzlich einschneidende Erlebnisse, Fehlgeburten, Arbeitslosigkeit, Krankheiten, früher Tod von nahestehenden Menschen. Eigentlich glaube ich, dass sich jeder Mensch unaufhörlich verändert, manchmal eher schleichend, manchmal sprunghaft.
An einer Stelle spricht Xane Molin vom österreichischen und vom jüdischen Selbsthass. Was hat es damit auf sich, wie bestimmend ist dieser Selbsthass für Ihre Protagonistin?
Eva Menasse: Kleine Gruppen neigen dazu, sich ständig zu hinterfragen. Kleine Völker genauso wie Minderheiten. Und oft hassen sie ihre vermeintlich unterlegene Position und versuchen, sich neu zu erfinden. Um dem Gruppenmagnetismus zu entkommen. Da das aber nie vollständig gelingen kann und jeder Mensch auch, ich betone auch, immer Produkt seiner Herkunft bleibt, gibt es so eine innere Schaukelbewegung, hin und weg. Das nennt man dann manchmal Selbsthass, aber vielleicht ist dieses Wort ohnehin zu dramatisch.
Ihre Freunde sind Xane sehr wichtig - und doch kann sie sich nicht auf sie verlassen, als es darauf ankommt. Was ist da zerbrochen?
Eva Menasse: Zum Glück lassen nicht alle Freunde Xane im Stich, aber die, auf die sie meinte, sich ganz besonders verlassen zu können. Das ist extrem schmerzhaft, weil es so überraschend kommt. Aber so etwas hat immer eine lange, sozusagen unterirdische Vorgeschichte. Da hat sich Groll, Neid, Eifersucht oder ähnliches angestaut und bricht dann bei einem vergleichsweise kleinen Anlass in voller Wucht aus.
Wie Ihre Hauptfigur Xane Molin leben auch Sie seit einigen Jahren in Berlin. Was schätzen Sie an dieser Stadt und ihren Bewohnern? Was vermissen Sie?
Eva Menasse: Berlin ist herrlich in vieler Hinsicht, es ist riesig, es ist anarchisch, es gibt keine festgefahrenen oder spießigen Verhaltensweisen, ich sage oft im Scherz, man kann hier nackt oder in einem Leopardenkostüm in den Supermarkt gehen und keiner wird sich auch nur umdrehen. Der Berliner Humor ist gewöhnungsbedürftig, aber auf seine ruppige Weise extrem witzig. Die Stadt ist unglaublich international, aber ohne dabei glitzerig oder jetsettig zu sein. Künstler und freie Geister aus aller Welt versuchen hier, ihr Ding zu machen. Die Mieten und Lebenskosten sind immer noch so niedrig, dass fast jeder irgendwie durchkommen kann. Manchmal ist mir die allgemeine Atmosphäre aber zu rau, gerade auch in Hinblick auf heranwachsende Kinder. Da sehne ich mich manchmal nach dem gemütlichen Wien.
Was ich vermisse: meine alten Freunde, den spezifischen Wiener Schmäh und das sensationelle österreichische Essen. Überhaupt die ganze Lebensart. Ich vermisse den österreichischen Wein, aber ich lasse ihn inzwischen manchmal hierher liefern. Ich vermisse die Kaffeehäuser, hier gibt es nur eine Handvoll, die diesen Namen verdienen, und die sind eher weit weg.
Interview: Ulrike Kuennecke für Literaturtest