Autor im Porträt
Håkan Nesser
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Ein Brief aus München
Schweden, Weihnachten 2020: der bekannte Künstler Ludvig Rute lädt - den Einschränkungen der Coronapandemie zum Trotz - seine drei Geschwister samt Anhang über die Feiertage in ein abgelegenes Anwesen in der Nähe eines Waldes ein. Obwohl sie nicht wissen, was sie dort erwartet, sind sie von weit her angereist. Sie haben sich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, die Atmosphäre ist angespannt. Es wird nicht besser, als der Gastgeber am Morgen des 25. Dezembers tot aufgefunden wird. Bei starkem Schneefall nehmen Gunnar Barbarotti und seine Kollegin und Ehefrau Eva Backman den Fall auf, der an einen alten englischen Kriminalroman erinnert. War es ein Bilderdieb, der in das Haus eingedrungen ist, oder kommt der Täter aus der Familie?…mehr
Das zweite Leben des Herrn Roos / Inspektor Gunnar Barbarotti Bd.3
Ante Valdemar Roos, 59 Jahre alt, ist der Prototyp des Langweilers: grau, unauffällig, in zweiter Ehe mit Alice verheiratet, seit mehr als zwanzig Jahren als Ingenieur in einer Firma beschäftigt, die mittlerweile nur noch Thermoskannen herstellt. Roos ist unzufrieden mit sich, dem Leben, seiner Ehe - bis eines Tages ein kleines Wunder geschieht. Er gewinnt im Toto. Doch anstatt seine Freude groß hinauszuposaunen, beginnt er ein Doppelleben in einem abgelegenen Häuschen im Wald. Schon bald wird die Idylle gestört - und Inspektor Barbarotti hat einen Mordfall zu klären ...…mehr
Håkan Nesser
"Groß gewachsen, freundlich und zögerlich" - so würde Håkan Nesser sich selbst in drei Worten beschreiben. Groß und freundlich ist er definitiv - ob in einem Interview oder im Gespräch mit seinen Lesern: Håkan Nesser wirkt aufmerksam, sehr nett und konzentriert. Seine psychologisch fein erzählten und sprachlich versierten Romane begeistern weltweit Millionen Menschen.Seit 1998 lebt der am 21. Februar 1950 im schwedischen Kumla geborene Nesser als freier Autor. Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof, später studierte er in Uppsala Englisch, Literaturgeschichte, Nordische Sprachen, Geschichte und Philosophie und schloss ein Lehramtsstudium in Schwedisch und Englisch an. Bis 1998 unterrichtete Nesser als Gymnasiallehrer in Märsta und später in Uppsala.
Wo genau seine bislang mehr als 25 Werke einzuordnen sind, stellt vor allem Buchhändler immer wieder vor ein kleines "Problem". Die meist praktizierte "Lösung": Håkan Nesser findet sich bei den Krimis. Das trifft sicher auf die Bücher der Van-Veeteren-Reihe und die Gunnar-Barbarotti-Serie zu - doch was ist mit den anderen Titeln? Was ist zum Beispiel dem wunderbaren Roman "Kim Novak badete nie im See Genezareth", der von einem Teenagersommer und dem Erwachsenwerden erzählt? Auch hier gibt es zwar einen Toten, doch ist es deshalb automatisch ein Krimi oder Thriller?
Håkan Nesser sagt dazu: "Ich mag den Tod, denn er garantiert eine Geschichte." Und so lebt er gelassen mit diesen Schubladen des Marktes und schreibt die Geschichten, die er schreiben will. Er sagt von sich, dass er überall arbeiten kann, "im Hotelzimmer oder im Zug". Aber am liebsten tut er es zu Hause auf der Insel Gotland. Dort lebt der vierfache Vater mit seiner zweiten Frau Elke idyllisch und einsam.
Sein Debüt "Der Choreograf" (1988), ein existenzieller Liebesroman, wurde bislang übrigens nicht ins Deutsche übersetzt. Es war ein Achtungserfolg, der eher wenige Leser erreichte. Fünf Jahre später gelang Nesser dann der Durchbruch mit dem ersten Van-Veeteren-Kriminalroman "Das grobmaschige Netz". Håkan Nesser erhielt zahlreiche Literaturpreise, viele seiner Romane wurden verfilmt.
Das meint die buecher.de-Redaktion: Håkan Nesser schreibt Geschichten, die er selbst auch gerne lesen würde - psychologisch und witzig, dunkel und abgründig, schön und klar. Egal ob "Krimi" oder "Literatur" - er gehört zu den ganz Großen!
Medien
Krimitipp des Monats - Strafe
Es gibt Bücher, die liest man mindestens zweimal. Doch normalerweise liegt zwischen der Lektüre fast immer eine gewisse Zeitspanne. Bei "Strafe" ging es uns so, dass wir - kaum am Ende angelangt - das Buch wieder von vorn anfingen. Warum? Nun ... Paula Polanski und Håkan Nesser haben sich hier ein ganz besonderes Spiel einfallen lassen. Ein Buch wie eine dieser russischen Babuschkas, der Schachtelpuppen; es steckt immer noch eine Puppe in der Puppe und hier steckt mindestens noch eine Geschichte in der erzählten Geschichte oder dahinter oder zwischendrin. Mindestens ... aber wir müssen aufpassen, um nicht zu viel zu verraten ...
Welches Spiel mit dem Anruf beginnt, ahnt Max Schmeling nicht ...
Die offen daliegende Geschichte - zumindest tut sie so - geht so: Max Schmeling ist Schriftsteller, um die 60 und erhält einen Brief von einem alten Schulfreund. Tibor Schittkowski heißt er und Max hat ihn bestimmt schon seit 40 Jahren nicht mehr gesehen. Doch Tibor hat ihm in der Jugend zweimal das Leben gerettet - und darauf beruft er sich nun. Er, Max, sei ihm schließlich noch etwas schuldig. Max Schmeling…mehr
Böses Spiel
Es gibt Bücher, die liest man mindestens zweimal. Doch normalerweise liegt zwischen der Lektüre fast immer eine gewisse Zeitspanne. Bei "Strafe" ging es uns so, dass wir - kaum am Ende angelangt - das Buch wieder von vorn anfingen. Warum? Nun ... Paula Polanski und Håkan Nesser haben sich hier ein ganz besonderes Spiel einfallen lassen. Ein Buch wie eine dieser russischen Babuschkas, der Schachtelpuppen; es steckt immer noch eine Puppe in der Puppe und hier steckt mindestens noch eine Geschichte in der erzählten Geschichte oder dahinter oder zwischendrin. Mindestens ... aber wir müssen aufpassen, um nicht zu viel zu verraten ...
Welches Spiel mit dem Anruf beginnt, ahnt Max Schmeling nicht ...
Die offen daliegende Geschichte - zumindest tut sie so - geht so: Max Schmeling ist Schriftsteller, um die 60 und erhält einen Brief von einem alten Schulfreund. Tibor Schittkowski heißt er und Max hat ihn bestimmt schon seit 40 Jahren nicht mehr gesehen. Doch Tibor hat ihm in der Jugend zweimal das Leben gerettet - und darauf beruft er sich nun. Er, Max, sei ihm schließlich noch etwas schuldig. Max Schmeling sieht die Sache zwar anders, aber da Tibor betont, er würde nicht mehr lange leben und bräuchte seine Hilfe, ringt sich der Autor zu einem Anruf durch. Welches Spiel mit diesem Anruf beginnt, ahnt er nicht ...
Tibor bringt Max dazu, ihn in Gimsen zu besuchen. Dort lebt er; Max lebt in Maardam. Die beiden fiktiven Städte kennen Håkan-Nesser-Leser natürlich aus der Van-Veeteren-Reihe ... Auch so eine Fährte, die gelegt wird - oder ist es ein Köder, durch den wir am Haken zappeln und uns so lange nicht lösen können, wie es die Geschichte eben verlangt ...?
"Bericht über mein Leben" und ein Köder, der Max nicht von der Angel lässt ...
Aber zurück zu Max und Tibor: Max fährt nach Gimsen und bekommt von Tibor eine Geschichte mit. Auf dem Titelblatt steht: Bericht über mein Leben. Tibor Schittkowski. Zuvor aber hat Tibor einen Namen fallen lassen: Kristiana Henkel. An Kristiana hat Max seine Unschuld verloren und auch für das Mädchen war es das erste Mal - und bislang dachte Max, nur er und Kristiana würden davon wissen ...
"Er [Max] verspürt einen intensiven Anflug von etwas Unwirklichem, als würde er träumen oder in einem Film mitspielen, in dem er aus unerklärlichen Gründen eine Rolle übernommen hat, die er einfach nicht in den Griff bekommt. Vielleicht befindet er sich auch in einem Roman, den er selbst schreibt und von dem er ganz genau weiß, dass er binnen weniger Seiten vor einem Zusammenbruch steht?"
Kristiana also. Mit diesem Köder hat Tibor Max an der Angel. Schließlich ist Max' Trennung von seiner dritten Frau, Brigitte Lacroix, noch schmerzhaft frisch und zudem, wie Max glaubt, sowieso ein Missverständnis. Warum nur haben sie es nicht geschafft, das zu klären ...? Er lernteBrigitte, 28 Jahre jünger und ebenfalls Autorin, bei einem Literaturabend in Lindau kennen und lieben. In der übernächsten Woche zog sie schon bei ihm ein. Aber das ist eine andere Geschichte ...
Was er da zu lesen bekommt, kann Max kaum glauben ...
Max beginnt zu lesen. Und was sein alter Freund Tibor da über seinen Lebensweg erzählt, kann Max kaum glauben - aber es fesselt ihn mehr und mehr. Denn nach Jahren, in denen Tibor zur See fuhr, strandete er in Barcelona und ergatterte einen Job als Barkeeper. Im Oktober 1977 fing er in dem Club an, im Februar des Jahres darauf kam Kristiana Henkel durch die Tür ...
"Schittkowskis Geschichte scheuert ihm wie eine Fischgräte, die im Hals quer sitzt. [...] Tibor und Kristiana Henkel in Barcelona? Ein Liebespaar? Bei dem Gedanken bekommt er fast Lust, sich zu übergeben ..."
Schmeling weigert sich, weiterzulesen - und versucht, sich seinem eigenen Roman zu widmen. Doch was liest er da als zuletzt von ihm geschrieben (noch vor der Lektüre von Tibors Lebensbericht)? Das Wort Barcelona.
"Er starrt den Satz an. Liest ihn noch einmal und versucht sich zu erinnern, dass er ihn geschrieben hat, aber es taucht keine solche Erinnerung auf. Barcelona? Warum um Himmels willen Barcelona? [...] Er bleibt einige Minuten sitzen, ohne es zu begreifen und ohne zu wissen, wie er weitermachen soll."
Wie es weitergeht? Nun, so viel kann noch erzählt werden: Max liest die ganze Geschichte - der weitere Inhalt muss hier geheim bleiben -, und am Ende steht eine Bitte von Tibor an Max. Wird er dem alten Freund diesen Gefallen tun - und vor allem, worum bittet Tibor? All das muss hier im Dunkeln bleiben. Andeuten können wir, dass die Bitte nicht nur Max' Leben völlig verändern wird - sie hat auch viel mit ihm selbst zu tun. Dämonisch viel ... Am Ende starren wir auf die Worte, realisieren, was da für ein Spiel gespielt wurde, und blättern zurück zum Anfang der Geschichte, beginnen wieder zu lesen ... Atemlos.
Ermittlerporträt
Gunnar Barbarotti spricht mit Gott.
Der höchst sympathische Kriminalinspektor aus der Fantasiestadt Kymlinge zieht die Leser von Håkan Nesser vor allem mit diesem ungemein menschlichen Ringen in den Bann. Los ging alles, als Gunnar von seiner Ehefrau Helena verlassen wurde und sein Sinnsystem arg ins Rutschen kam: Er machte einen Deal mit Gott. Denn Barbarotti ist keiner dieser misanthropischen Kommissare, die ihren Kollegen die Nerven rauben und unter einem dürftigen Privatleben leiden. Nein, Gunnar Barbarotti ist Vater von drei Kindern und so gut "geerdet"; und er ist einer, der sich Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Welt stellt. Er hinterfragt, zweifelt und hadert, bleibt aber dennoch freundlich und den Menschen wohlgesonnen. Seine feinen Antennen und sein psychologisches Gespür helfen ihm ungemein bei seiner Arbeit als Ermittler. Barbarotti denkt viel nach, umkreist den Fall, die Verdächtigen, kombiniert fabelhaft und bleibt fast immer offen für Schwingungen.
Aber zurück zu seinem Deal mit Gott: Nach der Scheidung war Gunnar in denkbar schlechter Verfassung - und da tauchte Gott bei ihm auf. Ob es die schlaflosen Nächte waren oder irgendwelche…mehr
Gunnar Barbarotti spricht mit Gott.
Der höchst sympathische Kriminalinspektor aus der Fantasiestadt Kymlinge zieht die Leser von Håkan Nesser vor allem mit diesem ungemein menschlichen Ringen in den Bann. Los ging alles, als Gunnar von seiner Ehefrau Helena verlassen wurde und sein Sinnsystem arg ins Rutschen kam: Er machte einen Deal mit Gott. Denn Barbarotti ist keiner dieser misanthropischen Kommissare, die ihren Kollegen die Nerven rauben und unter einem dürftigen Privatleben leiden. Nein, Gunnar Barbarotti ist Vater von drei Kindern und so gut "geerdet"; und er ist einer, der sich Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Welt stellt. Er hinterfragt, zweifelt und hadert, bleibt aber dennoch freundlich und den Menschen wohlgesonnen. Seine feinen Antennen und sein psychologisches Gespür helfen ihm ungemein bei seiner Arbeit als Ermittler. Barbarotti denkt viel nach, umkreist den Fall, die Verdächtigen, kombiniert fabelhaft und bleibt fast immer offen für Schwingungen.
Aber zurück zu seinem Deal mit Gott: Nach der Scheidung war Gunnar in denkbar schlechter Verfassung - und da tauchte Gott bei ihm auf. Ob es die schlaflosen Nächte waren oder irgendwelche Projektionen ist ungeklärt, aber die freundschaftlichen Gespräche mit Gott waren lang und ergiebig. Doch Gunnar brauchte einen handfesteren Gottesbeweis und dachte sich dafür ein Beweismodell aus. Dass bei der Einigung darauf Gott schon mal die Worte "agnostische Kanaille" in Richtung Barbarotti schleuderte, macht den Ernst der Verhandlungen deutlich... Sie einigten sich auf zehn Jahre, in denen Barbarotti die "angebliche Existenz" des Herrn testen sollte - und zwar mit der Hilfe von Gebeten. Erhört Gott Gunnars Gebete, bekommt er Plus-, erhört er sie nicht, gibt es Minuspunkte. Natürlich darf es sich dabei nicht "um irgendwelche Idiotenwünsche handeln". Gott sagte dazu: "In Ordnung." Gunnar erwiderte: "We have a deal!" - und die Sache lief.
Ein Jahr nach der Scheidung existierte Gott nicht (minus 21 Punkte), das Jahr darauf schaffte er es auf minus 15 und im vierten Jahr, Mitte Juli, existierte Gott "tatsächlich mit einem sicheren Vorsprung von sechs Punkten". So ging es weiter, auf und ab für Gott und natürlich Barbarotti - der es eigentlich schön finden würde, wenn es "eine dem Menschen wohlgesonnene höhere Macht" geben würde, "an die man sich in den Stunden der Not wenden" könnte.
Diese Stunden der Not kommen im fünften und letzten Barbarotti-Band mit aller Heftigkeit gleich auf den ersten Seiten: Gunnars über alles geliebte zweite Frau Marianne stirbt. Nach dem kurzem Glück, das dem Paar vergönnt war, tötet ein geplatztes Aneurysma Marianne. Barbarotti befindet sich danach im "Permafrost der Seele", wie Håkan Nesser schreibt. Wie gut, dass der Deal mit Gott noch läuft und wie gut, dass Gunnar in "Am Abend des Mordes" auch der freundliche Trauertherapeut Rönn zur Seite steht. Und natürlich Eva Backmann, Gunnars wunderbare Ermittlerkollegin.
Als Barbarotti nach ein paar Wochen seinen Dienst wieder antritt, ist Eva für ihn da - soweit das möglich ist. Beide spüren sowohl ihre Freundschaft als auch schmerzlich, wie wenig sie eigentlich voneinander wissen. Durch die Trauer werden bei Gunnar auch andere schmerzliche Dinge aus seiner Vergangenheit wieder aktuell. Zum Beispiel, dass er seinen italienischen Vater nie kennengelernt hat. Welchen Plan er sich für diese Klärung ausgedacht hat und wen er sich dabei an seiner Seite wünscht, das wird hier natürlich nicht verraten. Aber Gott ist ganz sicher an Gunnars Seite. Schließlich haben die beiden einen Deal...
Autoren-Interview mit Håkan Nesser
Håkan Nesser: Nein, nicht wirklich. Ich habe von Anfang an ja eigentlich nur vier Bücher mit Barbarotti geplant, nun sind es fünf geworden. Wir hatten über die Jahre eine sehr gute Beziehung, ich und Barbarotti. Aber genug ist eben genug. Ich vermisse Barbarotti zwar ein wenig, bin mir aber nicht sicher, ob es ihm auch so geht...
Sie "leiden" also nicht unter Trennungsschmerzen, wenn Sie ein Buch beendet haben?
Håkan Nesser: Ich habe mittlerweile mehr als 25 Bücher geschrieben und viele Geschichten erzählt, und ich habe es gelernt, mich von den Figuren zu verabschieden, mich zu trennen. Ich spüre, wenn es genug ist - so wie ich auch beim Schreiben eines Buches und seiner Überarbeitung fühle, wann etwas fertig ist. Dann lasse ich es zurück, zurück für die Leser. Von da ab ist es in der Hand der Leser. Sicher ist das auch eine Art von Trennung, aber so ist das Leben. Das Leben ist voll von Trennungen, nicht wahr?
Gunnar Barbarotti hat eine sehr
Håkan Nesser: Nein, nicht wirklich. Ich habe von Anfang an ja eigentlich nur vier Bücher mit Barbarotti geplant, nun sind es fünf geworden. Wir hatten über die Jahre eine sehr gute Beziehung, ich und Barbarotti. Aber genug ist eben genug. Ich vermisse Barbarotti zwar ein wenig, bin mir aber nicht sicher, ob es ihm auch so geht...
Sie "leiden" also nicht unter Trennungsschmerzen, wenn Sie ein Buch beendet haben?
Håkan Nesser: Ich habe mittlerweile mehr als 25 Bücher geschrieben und viele Geschichten erzählt, und ich habe es gelernt, mich von den Figuren zu verabschieden, mich zu trennen. Ich spüre, wenn es genug ist - so wie ich auch beim Schreiben eines Buches und seiner Überarbeitung fühle, wann etwas fertig ist. Dann lasse ich es zurück, zurück für die Leser. Von da ab ist es in der Hand der Leser. Sicher ist das auch eine Art von Trennung, aber so ist das Leben. Das Leben ist voll von Trennungen, nicht wahr?
Gunnar Barbarotti hat eine sehr spezielle Beziehung zu Gott. So gibt es ein Punktesystem, nach dem Gunnar entscheidet, ob Gott existiert oder nicht. Wie hat sich die Idee dieser besonderen Gespräche mit Gott bei Ihnen entwickelt?
Håkan Nesser: Ich wünschte, ich wüsste, wie meine Ideen entstehen - aber ich weiß es auch nicht so genau. Was ich weiß ist, dass ich eine Beziehung auf Augenhöhe wollte zwischen Gott und Barbarotti. Sie sprechen ja miteinander wie Vater und Sohn oder wie zwei gute Freunde, und Gott ist bei mir definitiv ein Gentleman. Barbarottis Beziehung zu Gott hat sich seit dem ersten Buch verändert - anfangs wirkte das vielleicht wie eine witzige Idee, doch die Beziehung ist nach und nach ernster geworden. Barbarotti stellt sich selbst viel mehr existenzielle Fragen und so richtet er die auch an Gott.
Hat Gunnar Barbarotti im Laufe der fünf Bücher eigentlich ein Eigenleben entwickelt - also mussten Sie Pläne, die Sie mit ihm hatten, deshalb verändern?
Håkan Nesser: Ich denke, ich hatte gar keinen wirklichen "Plan" für ihn. Ich fange mit einer Idee an und oft ist nicht klar, wie sich das Ganze entwickelt. Ich will es auch so offenhalten, weil ich glaube, dass nur so die Charaktere, die Figuren auch zum Leben erweckt werden. Für mich und mein Schreiben ist es wichtig, offenzubleiben.
In "Am Abend des Mordes" stirbt Barbarottis Frau Marianne auf den ersten Seiten. Barbarotti ist traumatisiert. Als er nach einiger Zeit wieder anfängt zu arbeiten, muss er sich um einen Cold Case kümmern. Ein Mann wird seit Jahren vermisst und alles deutet darauf hin, dass er ermordet wurde. Was erwartet Barbarotti in diesem Fall?
Håkan Nesser: Ja, Barbarotti ist traumatisiert durch den Tod seiner Frau und unendlich traurig. Doch obwohl er wirklich noch nicht fitist, fängt er wieder an zu arbeiten. Er glaubt, dass ihm diese Ablenkung ein wenig hilft. Sein Fall ist ein Cold Case - doch eigentlich geht es in dem Buch um zwei Morde. Der eine wurde aufgeklärt - der andere noch nicht, der Mann wird seit Jahren vermisst. Die Verbindung zwischen den Fällen ist Ellen Bjarnebo. Ihr erster Mann wurde getötet, in Stücke gehackt und hinter dem Haus im Wald versteckt. Dafür wurde sie verurteilt und saß im Gefängnis. Nun ist ihr zweiter Mann seit Jahren verschwunden, doch die Polizei konnte ihr nie eine Schuld nachweisen.
Barbarotti versucht lange, Kontakt zu dieser Frau zu bekommen - er scheitert aus verschiedensten Gründen, aber irgendwann gelingt es ihm. Das wird für ihn eine sehr seltsame Erfahrung, aber er erfährt auch viel über das Leben an sich und das Leben von Ellen. Ich habe versucht - und ich hoffe, es ist mir gelungen -, Barbarottis aktuelle Trauer in der Lebenstrauer von Ellen zu spiegeln. Auch sie ist traumatisiert. Die beiden haben also etwas gemeinsam und Barbarotti kann durchaus etwas von Ellen lernen.
In "Am Abend des Mordes" hat Gott das letzte Wort. Er sagt: "Der Mensch ist unergründlich - genau wie ich." Wie entwickelt sich eigentlich Barbarottis Geschichte mit Gott nach dem Tod von Marianne?
Håkan Nesser: Die brennendste Frage für Barbarotti nach Mariannes Tod ist: "Wie kann ich glauben, dass Marianne noch existiert, obwohl sie tot ist?" Und das ist eine große Frage für alle gläubigen Menschen. Barbarotti ringt darüber natürlich mit Gott, fragt, wie er weiterleben soll, wenn sie tot ist. Ja, er will stark sein, doch er ist nicht stark, er zweifelt - und er diskutiert sehr viel mit Gott. Zum Beispiel darüber, wie er glauben soll, dass er und Marianne sich wiedersehen werden … Die meisten Menschen haben keinen so speziellen Kontakt zu Gott wie Barbarotti. Aber wenn man Christ ist und an Gott glaubt, lautet eine der größten Fragen "Wie soll ich mein Leben leben?".
Ich selbst bin kein religiöser Mensch. Ich sehe mich in einer ähnlichen Situation wie Barbarotti. Ich glaube, es gibt einen Gott, aber ich besuche keine Gottesdienste. Nun, und wie wir wissen, betreibt Barbarotti sein "Punktesystem". - Wenn Gott führt, gibt es ihn, wenn nicht, gibt Gunnar ihm immerhin noch eine Chance. Ach ja: Wenn es Gott gibt, ist er in jedem Fall ein Gentleman!
Sie leben mit Ihrer Frau Elke und Ihrem Hund in einem Holzhaus auf Gotland. Es ist dort sehr einsam, und Sie erzählen ab und an in Ihrem Blog von Spaziergängen, der Natur, den Tieren auf Gotland. Welchen Vogel hören Sie morgens als ersten singen?
Håkan Nesser: Zuerst höre ich die Amseln. Ich mag Amseln sehr gerne und finde sowieso, dass sie viel schöner singen als Nachtigallen. Aber es gibt auch Schwäne bei uns und Eulen und Falken.
Hatten Sie ein Lieblingsbuch als Kind?
Håkan Nesser: Ja, "Rasmus und der Landstreicher" von Astrid Lindgren. Ich war 10, als ich es gelesen habe, und ich habe es geliebt. Es geht um einen Jungen, der in einem Waisenhaus aufwächst. Als er etwas anstellt, beschließt er, dass er nicht mehr dort bleiben kann und läuftweg. Er verlässt also den einzig sicheren Ort, den er hat ... es ist eine wunderschöne Geschichte, die müssen Sie lesen.
Wie würden Sie sich selbst mit drei Worten beschreiben?
Håkan Nesser: Groß, freundlich, zögernd.
Und welche drei Worte finden Sie für Barbarotti?
Håkan Nesser: Offen, fragend, gut.
Wie sieht ein Arbeitstag aus und wo schreiben Sie?
Håkan Nesser: Ich habe keinen allzu starren Rahmen, ich kann überall arbeiten, zumal ich die erste Fassung immer mit der Hand schreibe. Am liebsten arbeite ich natürlich auf Gotland, aber ich schreibe auch in einem Hotelzimmer oder im Zug. Die liebste Zeit dafür ist mir der Morgen. Auf Gotland setze ich mich - nach einem Spaziergang mit meinem Hund Norton und einem Frühstück - an die Arbeit und schreibe vier, fünf Stunden lang.
Was für einen Unterschied macht das Schreiben mit der Hand für Sie?
Håkan Nesser: Ich verfasse meist Kapitel für Kapitel - also ich schreibe ein Kapitel mit der Hand und dann tippe ich es in den Computer. Ich bin es einfach gewöhnt, mit der Hand zu schreiben, seit meiner Kindheit mache ich das so. Und ich glaube, für mich ist dieser Prozess gut, dieser Prozess des Zuerst-mit-der-Hand-Schreibens und dann das Übertragen in den Computer. Auch das mache ich selbst, meine Handschrift könnte auch sonst niemand lesen. Aber diese Schritte machen für mich den Text klarer.
Wie würde ein "perfekter Tag" für Sie aussehen?
Håkan Nesser: Hm ... das kann ich so nicht sagen. Denn ob ein Tag ein "perfekter Tag" war, kann ich erst sagen, wenn der Tag vorbei ist. Ich würde auch nicht vorher wissen wollen, was an einem "perfekten Tag" passiert, denn ein solcher Tag wäre für mich ein Tag mit schönen Überraschungen, Begebenheiten - und hätte nichts zu tun mit Routine oder so etwas ... An einem guten Tag trifft man z. B. interessante Menschen und es passieren schöne Dinge, die man eben nicht erwartet hätte. Und ich glaube auch, dass man selbst einen "perfekten Tag" nicht wiederholen könnte mit dem gleichen Genuss. Wenn ich einen perfekten Tag, sagen wir fünf Tage hintereinander, wiederholen würde, wäre er vermutlich nicht mehr perfekt, sondern langweilig. Die Definition, was ein "perfekter Tag" ist, verändert sich also auch ständig.
Sie sind ein sehr erfolgreicher Autor, eigentlich jedes Ihrer Bücher ist ein Bestseller. Gibt es da noch eine Nervosität, eine Angst, wenn ein neues Werk auf den Markt kommt - vor allem vor schlechten Kritiken?
Håkan Nesser: Nein, ich fürchte mich nicht vor schlechten Kritiken. Kritiken sind das eine, die Leser das andere. Ich bin glücklich, wenn meine Bücher gelesen werden und die Leser meine Bücher mögen. Das will ich erreichen. Ich will Geschichten schreiben, die ich selbst gerne lesen würde. Darum geht es mir beim Schreiben: Meine Leser sollen glücklich sein mit meinen Büchern.
Gibt es eine Frage, die Sie gerne beantworten würden, die Ihnen aber nie in einem Interview gestellt wurde?
Håkan Nesser: (lacht) Nein, nicht wirklich. Aber in dem Zusammenhang fällt mir die seltsamste Frage ein, die mir jemals gestellt wurde. Nach einer Lesung fragte mich eine Frau aus dem Publikum - es war übrigens eine deutsche Leserin -, warum Van Veeteren in all den Büchern keine Milch trinkt. Darauf wusste ich wirklich keine Antwort - aber es war natürlich sehr witzig.
Am Ende von "Am Abend des Mordes" entscheidet Barbarotti, sich auf die Suche nach seinem italienischen Vater zu machen, und er will auch jemanden mitnehmen. Wollen Sie uns wirklich mit diesem offenen Ende zurücklassen - keine Chance auf ein Comeback von Barbarotti, irgendwann einmal?
Håkan Nesser: Nein, ich glaube nicht, dass es ein Comeback gibt. Für mich ist es ein gutes Ende, ein guter Schlusspunkt. Ich würde auch nicht über diese Reise Barbarottis schreiben wollen. Ich überlasse das alles lieber der Fantasie meiner Leserinnen und Leser; ich bin mir sicher, dass sie schöne Fantasien dazu haben werden...
Sie erzählten, dass Sie nach dem Ende der Barbarotti-Reihe keine Serien mehr schreiben und auch raus aus dem Krimigenre wollen. Was erwartet uns in Ihrem nächsten Buch?
Håkan Nesser: Der nächste Titel, der in Deutschland erscheint, ist das Buch, das ich in London geschrieben habe. Ich habe dort ein paar Jahre gelebt. Es heißt "Der Himmel über London" - so wie der Wim-Wenders-Film "Der Himmel über Berlin". Und es ist vielleicht eher ein Thriller, aber kein Krimi. Eigentlich so etwas wie ein Crossover-Buch, eine Mischung aus Thriller und Roman, wo auch immer man das dann in den Buchläden einordnet.
Interview: Ulrike Bauer, Literaturtest
Interview mit Hakan Nesser
Håkan Nesser: Sie haben recht. Es beginnt wie eine Art Krimi oder wie eine Spionagegeschichte. Das Schreiben hat mir sehr viel Spaß gemacht, auch wenn es durchaus kompliziert war. Denn ich hatte zunächst diesen ersten Teil des Buches, in dem die Geschichte mehr oder weniger geradeaus entwickelt wird. Aber dann wollte ich diesen Charakter einbauen, der der eigentliche Erzähler ist. Ich wollte dem Leser vor Augen führen, was das Geschichtenerzählen ausmacht. Denn eine Geschichte kommt immer von jemandem. Und das ist im übertragenen Sinne nicht unbedingt der Autor. Als ich "Himmel über London" schrieb, hatte ich immer ein Buch im Sinn. Und das war "Abbitte" von Ian McEwan, wo es ja auch diese junge Autorin Rachel gibt, die die Geschichte erzählt und in gewisser Weise manipuliert. Das ist zu Anfang für den Leser eben nicht klar. Und das war für mich ein großer Reiz, dies auch in meinem Buch…mehr
Ihr Buch "Himmel über London" beginnt mit einem Satz, der auf den Agatha-Christie-Roman "16 Uhr 50 ab Paddington" verweist. Später findet man Elemente einer John-le-Carré-Spionagegeschichte. Und dennoch entwickelt sich ein ganz anderer, überraschender Plot.
Håkan Nesser: Sie haben recht. Es beginnt wie eine Art Krimi oder wie eine Spionagegeschichte. Das Schreiben hat mir sehr viel Spaß gemacht, auch wenn es durchaus kompliziert war. Denn ich hatte zunächst diesen ersten Teil des Buches, in dem die Geschichte mehr oder weniger geradeaus entwickelt wird. Aber dann wollte ich diesen Charakter einbauen, der der eigentliche Erzähler ist. Ich wollte dem Leser vor Augen führen, was das Geschichtenerzählen ausmacht. Denn eine Geschichte kommt immer von jemandem. Und das ist im übertragenen Sinne nicht unbedingt der Autor. Als ich "Himmel über London" schrieb, hatte ich immer ein Buch im Sinn. Und das war "Abbitte" von Ian McEwan, wo es ja auch diese junge Autorin Rachel gibt, die die Geschichte erzählt und in gewisser Weise manipuliert. Das ist zu Anfang für den Leser eben nicht klar. Und das war für mich ein großer Reiz, dies auch in meinem Buch umzusetzen.
Es ist nicht ganz leicht, über Ihr Buch zu reden, ohne dass man zu viel über die Handlung verrät, oder?
Håkan Nesser: Ja, absolut. Es ist nicht ganz leicht, über dieses Buch zu reden. Ich habe mit "Himmel über London" sehr viele Lesungen in Schweden gemacht. Und da fiel mir das auch auf. Die Struktur des Buches ist recht komplex und herausfordernd. Es ist eine Art Metastruktur mit zwei parallel laufenden Handlungen, die aber ineinandergreifen, mit vielen Rückblicken und Querverweisen. Wenn man über die Handlung nicht viel verraten will, ist es nicht ganz leicht, das Buch zu diskutieren. Das stimmt.
Hatten Sie nicht Angst, den Leser zu überfordern?
Håkan Nesser: Das Buch ist ja nicht schwer zu lesen. Nur die Konstruktion und das Schreiben waren halt etwas schwieriger. Aber ich schreibe nur die Dinge, die ich selbst gern lesen würde. Und ich lese nun mal unheimlich gern diese Geschichten, die einen mit Twists und Tricks auf falsche Fährten locken und am Ende sehr überraschend sind. Und auch vom Ende meines Buches waren sehr viel Leser sehr fasziniert. Aber darüber können wir an dieser Stelle natürlich nicht sprechen (lacht).
Sie haben ja bereits angekündigt, dass Sie keine Krimis mehr schreiben werden. "Himmel über London" wirkt wie eine Hommage an die Krimi- und Thrillerliteratur, weil Sie eben mit vielen Versatzstücken spielen. Sie scheinen sich teilweise als Autor der Krimiliteratur selbst ironisch auf die Schippe zu nehmen.
Håkan Nesser: Das stimmt. Ich spiele mit dem Genre, mit meiner Rolle als Autor und mit der Rolle des Erzählers. Das ist an manchen Stellen sicher komisch oder ironisch, wie Sie sagen. Aber die Idee ist es natürlich, eine ernste Geschichte zu erzählen. Denn die Geschichte des eigentlichen Erzählers ist eine sehr traurige Geschichte.
Eben weil "Himmel über London" so gekonnt hinter die Kulissen des Schreibens und Erzählens blickt, könnte man es auch als einen finalen Abschied vom Schreiben verstehen.
Håkan Nesser: Ja, das wäre ein gutes letztes Buch gewesen, nicht wahr?! (lacht) Ich werde natürlich noch ein, zwei weitere Bücher schreiben. Aber in einer gewissen Weise ist es tatsächlich mein Abschied von der Krimiliteratur. Ich benutze eine Menge von den Zutaten, die man in Spionagegeschichten und in der Krimiliteratur findet. So ist eine Art spielerische Hommage an die Krimiliteratur zustande gekommen. Ich bin zwar mit der so genannten Krimiliteratur bekannt geworden, aber ich lese eine Menge - und dazu gehören eben nur selten diese Krimigeschichten. Mein nächstes Buch, das ich veröffentliche, ist die Übersetzung des Werks einer deutschen Autorin. Und auch das ist keine Krimigeschichte. Ich habe mich tatsächlich davon verabschiedet.
Wie ist die Idee zu der Geschichte entstanden?
Håkan Nesser: Anfangs hatte ich diese Idee mit dem Satz, der auf den Roman von Agatha Christie verweist. Und es war mir klar, dass ich ein Buch schreiben wollte, das in London spielen sollte. Denn wie Leonid Vernin, der Hauptcharakter des Buches, habe auch ich sehr viel Zeit in London verbracht. Ich wollte, dass er auf diese Zeit in London zurückblickt und gleichzeitig die letzten Tage seines Lebens erlebt. Und es war mir klar, dass der Erzähler des Buches jemand anderes sein sollte. Aber wo das Ganze angefangen hat, kann ich nicht genau sagen.
Normalerweise veröffentlichen Sie jedes Jahr ein Buch. Aber dieses Buch wirkt so, als hätten Sie viel länger daran gearbeitet. Eben weil so viele Details und Verweise in ihm stecken.
Håkan Nesser: Ich kann mich nicht ganz genau daran erinnern, wie lange die Arbeit an diesem Buch gedauert hat. Ich habe in den vergangenen zwanzig Jahren jedes Jahr ein Buch veröffentlicht. Die Arbeit an diesem hat wohl etwas länger gedauert, vielleicht so etwa zwei Jahre.
Es tauchen auch Verweise auf deutsche Philosophen auf, so zu Leibniz und Schopenhauer, dessen Buch "Die Welt als Wille und Vorstellung" als ein Motto für "Himmel über London" herhalten könnte. Sie scheinen sich sehr für Philosophie zu interessieren.
Håkan Nesser: Philosophie interessiert mich wirklich sehr. Ob es nun deutsche, angelsächsische oder französische Philosophie ist. Aber ich bin kein Philosoph. Ich benutze Hinweise auf die Philosophie, um bestimmte Dinge zu veranschaulichen oder ihnen einen Unterbau zu geben. Aber für so eine Geschichte sollte man nicht zum Philosophen werden. Denn dann verlierst du dich in tiefen Wassern.
Auch in Ihren anderen Büchern dominieren die rätselhaften, gebrochenen und düsteren Charaktere. In "Himmel über London" wimmeltes von neurotischen und komplizierten Protagonisten. Woher kommt Ihr Hang zu solchen Charakteren?
Håkan Nesser: Wenn man sich anschaut, über was geschrieben wird oder über wen Filmegemacht werden, dann sieht man, dass wir uns eben für gebrochene, gefallene dunklere Charaktere interessieren. Wir lieben das Leiden. Und vom Leiden zu erzählen, ist viel interessanter als von Leuten, denen es gut geht. Warum das so ist, weiß ich nicht. Aber so sind wir.
Haben Sie schon ein neues Buchprojekt?
Håkan Nesser: Ich habe gerade, wie schon erwähnt, die schwedische Übersetzung einer deutschen Autorin abgeschlossen. Und wahrscheinlich werde ich im nächsten Jahr für zwei, drei Monate in Berlin sein, um für ein neues Buch zu recherchieren - denn diesmal soll die Stadt Berlin im Mittelpunkt stehen.
Interview: Ingo Petz für Literaturtest