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Autor im Porträt
Lutz Seiler
zur AutorenweltToptitel von Lutz Seiler
Stern 111
Ein Panorama der ersten Nachwendejahre in Ost und West, ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse: Nach dem prämierten Bestseller Kruso führt Lutz Seiler die Geschichte in zwei großen Erzählbögen fort - in einem Roadtrip, der seine Bahn um den halben Erdball zieht, und in einem Berlin-Roman, der uns die ersten Tage einer neuen Welt vor Augen führt. Und ganz nebenbei wird die Geschichte einer Familie erzählt, die der Herbst 89 sprengt und die nun versuchen muss, neu zueinander zu finden.
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Am Kap des guten Abends
Bilder verlocken zum Erzählen, und manchmal fordern sie es regelrecht heraus. Im Laufe der letzten Jahre waren für Lutz Seiler immer wieder Gemälde, Fotografien und Zeichnungen Anlass zum Schreiben, es entstanden Erzählungen, Gedichte und Essays. So wurde beim aufmerksam-zerstreuten Hinschauen aus Edward Hoppers Cape Cod Evening das »Kap des guten Abends«, um das sich nun alle Geschichten dieses Bandes versammelt haben.…mehr
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Lutz Seiler
Lutz Seiler wurde 1963 in Gera/Thuringen geboren, heute lebt er in Wilhelmshorst bei Berlin und in Stockholm. Nach einer Lehre als Baufacharbeiter arbeitete er als Zimmermann und Maurer. 1990 schlo? er ein Studium der Germanistik ab, seit 1997 leitet er das Literaturprogramm im Peter-Huchel-Haus. Er unternahm Reisen nach Zentralasien, Osteuropa und war Writer in Residence in der Villa Aurora in Los Angeles sowie Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Fur sein Werk erhielt er mehrere Preise, darunter den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Bremer Literaturpreis, den Fontane-Preis und den Uwe-Johnson-Preis.Kruso
Poetisch, kraftvoll, magisch - Lutz Seilers Robinsonade "Kruso"
Sommer 1989, Insel Hiddensee. Lutz Seiler beschwort in "Kruso" kraftvoll und poetisch ein Paralleluniversum fur all die, die in der damals noch existierenden DDR aus dem Raster, dem System gefallen sind. Ein Eldorado fur Aussteiger, Unangepasste, Antragsteller und auch Abenteurer.
Einer, der auf der Insel strandet, ein Schiffbruchiger des Lebens, ist Edgar Bendler, genannt Ed. Seine Lebensgefahrtin ist bei einem Unfall mit einer Stra?enbahn getotet worden - gemeinsam studierten sie in Halle, Ed sa? an einer Abschlussarbeit uber den Dichter Georg Trakl. Nun fuhlt er sich "fremd in einem alten, ehemals eigenen Leben, wie ein Mann ohne Land" - Zeit, zu gehen, Zeit, neu anzufangen.
Der "Klausner" - ein pulsierendes, warmes, eigenen Gesetzen gehorchendes Zuhause
Hiddensee empfangt Ed zuerst frostig, verschlossene Turen, ausgebuchte Unterkunfte. Doch dann offnet sich die Tur der Gaststatte "Klausner" und das Lokal nimmt ihn auf in ein pulsierendes, warmes, eigenen archaischen Gesetzen gehorchendes…mehr
Poetisch, kraftvoll, magisch - Lutz Seilers Robinsonade "Kruso"
Sommer 1989, Insel Hiddensee. Lutz Seiler beschwort in "Kruso" kraftvoll und poetisch ein Paralleluniversum fur all die, die in der damals noch existierenden DDR aus dem Raster, dem System gefallen sind. Ein Eldorado fur Aussteiger, Unangepasste, Antragsteller und auch Abenteurer.
Einer, der auf der Insel strandet, ein Schiffbruchiger des Lebens, ist Edgar Bendler, genannt Ed. Seine Lebensgefahrtin ist bei einem Unfall mit einer Stra?enbahn getotet worden - gemeinsam studierten sie in Halle, Ed sa? an einer Abschlussarbeit uber den Dichter Georg Trakl. Nun fuhlt er sich "fremd in einem alten, ehemals eigenen Leben, wie ein Mann ohne Land" - Zeit, zu gehen, Zeit, neu anzufangen.
Der "Klausner" - ein pulsierendes, warmes, eigenen Gesetzen gehorchendes Zuhause
Hiddensee empfangt Ed zuerst frostig, verschlossene Turen, ausgebuchte Unterkunfte. Doch dann offnet sich die Tur der Gaststatte "Klausner" und das Lokal nimmt ihn auf in ein pulsierendes, warmes, eigenen archaischen Gesetzen gehorchendes Zuhause. Ed verdingt sich als Arbeitskraft, bekommt dafur Kost und Logis. Sein Zimmer, das Giebelzimmer am Ausgang der Treppe, wirkt bewohnt, eine Brille steht noch im Zahnputzbecher, das Bettzeug benutzt, die Tapete schalt sich von der Wand ... doch Ed fuhlt sich geborgen und beginnt am 15. Juni 1989 seinen Job in der Kuche. Ed schalt Berge von Zwiebeln mit dem Kleinenspitzen, muss sich beweisen. Doch der, von dem alle sprechen und vor dem er sich vor allem beweisen muss, ist gerade noch unterwegs: Kruso.
Alexander Krusowitsch, genannt Kruso, und der Beginn einer Freundschaft
Alexander Krusowitsch, Kruso, scheint so etwas wie der Inselguru zu sein, der Name russisch klingend, aber er sieht mit seinem schwarzen, halblangen Haar eher aus wie ein Indianer. Alles, was Kruso tut, tut er mit Wurde, Ernst und Stolz: Teller abwaschen genauso wie magische Rituale durchfuhren. Die erste Begegnung zwischen Ed und Kruso ist der Beginn einer Freundschaft. Der Beginn einer Einweisung in das Leben, mit Freundlichkeit und Zartlichkeit.
In "Kruso" scheint die Insel trotz Grenzpatrouillen - Danemark ist schlie?lich nur 50 Kilometer weit entfernt, und wer sich zu weit aufs Wasser hinauswagt, gilt als Republikfluchtling - magisch, marchenhaft-wild, eine Oase des Anderssein-Konnens. Der "Klausner" ist die Arche, die Arbeit zur Sto?zeit am Mittag, Maloche, derb, roh, Akkord - fur alle.
"In den ersten Stunden wusch und schrubbte Ed, ohne aufzublicken. Die abgeschnittenen Fettstreifen, die ineinandergeruhrten Reste, die Papiertaschentucher voller Rotze oder Blut, die Schiffstickets, die Merkzettel, die Kaugummis, die verknoteten Haargummis (an denen ein paar ausgerissene Haare hingen), die Kippen, die Kotze, die Sonnencreme, der ganze Abfall, der auf den Tellern von der Terrasse zuruckkam in den Abwasch, das alles war jetzt Teil seiner Arbeit. [...] Die Teller tauchten im Sturzflug an Eds rotierenden Handen vorbei und vollfuhrten erst Zentimeter vor dem Aufprall eine nicht mehr fur moglich gehaltene Wendung, um sich schlie?lich waagerecht und geschmeidig wie traumende Flundern auf den Grund des Beckens zu legen."
Das Leben in einer schon-utopischen Welt: frei, so frei, wie es unter diesen Umstanden sein kann
Das Leben aber in dieser Zwischenwelt ist frei, so frei, wie es sein kann unter diesen Umstanden. Das liegt auch an Kruso, dem Freigeist und Trakl-Bewunderer, der in Edgar einen Seelenbruder gefunden hat. Vielleicht auch am berauschenden Haarwuchsmittel mit dem bezaubernden Namen "Exlepang", das in mancher abendlicher Runde kursiert. Oder an den Ritualen und berauschenden Literaturzirkeln in einem betorenden Sommer im historischen Jahr 1989.
Die Grenzen werden lochrig, die Reihen lichten sich
Aber diese schon-utopische Welt mit Kruso auf der Insel ist dem Untergang geweiht. Die Reihen lichten sich, Stuck fur Stuck fehlt ein Mitglied der "Klausner"-Mannschaft, die Grenzen werden lochrig, irgendwann ist das Tor zur Kaserne nicht mehr verriegelt. Die Wachen sind weg, die Grenzen offen - ob da drau?en auch wirklich die Freiheit wartet - und was genau ist das eigentlich? Ed hatte sie auf gewisse Weise hier gefunden - ob er sie hinuberretten kann in die neue Welt, wer wei? ...
Lesungen mit Lutz Seiler 2014:
08., 10. und 11. Oktober - Frankfurt
12. Oktober - Leipzig
15. Oktober - Hamburg
20. Oktober - Berlin
21. Oktober - Osnabruck
22. Oktober - Frankfurt
23. Oktober - Koblenz
24. Oktober - Nurnberg
27. Oktober - Munster
30. Oktober - Potsdam
01. November - Braunschweig
05. November - Stuttgart
09. November, 11 Uhr - Oldenburg
09. November, 20 Uhr - Bremen
10. November - Lubeck
11. November - Rostock
12. November - Luneburg
13. November - Hannover
18. November - Bad Mergentheim
19. November - Schwabisch Hall
20. November - Sulzbach-Rosenberg
25. November - Koln
02. Dezember - Innsbruck/A
09. Dezember - Munchen
10. Dezember - Tubingen
Interview mit Lutz Seiler
"Kruso" spielt im Jahr des Mauerfalls, in den letzten Monaten der DDR. Sie beschreiben so eine Art Parallelwirklichkeit auf Hiddensee - die Insel wirkt wie ein Ort der (relativen) Freiheit in der Unfreiheit. Ein Ort fur "Aussteiger, Abenteurer, Antragsteller. [...] Sie alle gehoren nicht mehr wirklich zum Land, sie haben das Land unter ihren Fu?en verloren. Spiegelt das Ihre personliche Erfahrung mit der Insel wider?
Lutz Seiler: Literatur nimmt immer bei irgendeiner Form eigener Erfahrung ihren Anfang. Das kann eine Klangfolge sein, eine Melodie, eine Arbeit, ein Sommer. Sie braucht diesen als authentisch empfundenen Ausgangspunkt, um dann nach allen Gesetzen der Kunst ins Erfundene weiter zu marschieren, bis ins Fantastische hinein - das einem dann nicht weniger wahr vorkommt als das sogenannte Selbsterfahrene. Ohnehin folgt beim Schreiben alles den Gesetzen der jeweiligen literarischen Form. Es geht darum, ein Stuck Literatur so gut zu machen wie nur irgend moglich. Dabei ist die 20. oder 21. Uberarbeitung entscheidend und nicht die Tatsache, dass man selbst einmal ein paar Wochen als Saisonarbeiter…mehr
Interview mit Lutz Seiler
"Kruso" spielt im Jahr des Mauerfalls, in den letzten Monaten der DDR. Sie beschreiben so eine Art Parallelwirklichkeit auf Hiddensee - die Insel wirkt wie ein Ort der (relativen) Freiheit in der Unfreiheit. Ein Ort fur "Aussteiger, Abenteurer, Antragsteller. [...] Sie alle gehoren nicht mehr wirklich zum Land, sie haben das Land unter ihren Fu?en verloren. Spiegelt das Ihre personliche Erfahrung mit der Insel wider?
Lutz Seiler: Literatur nimmt immer bei irgendeiner Form eigener Erfahrung ihren Anfang. Das kann eine Klangfolge sein, eine Melodie, eine Arbeit, ein Sommer. Sie braucht diesen als authentisch empfundenen Ausgangspunkt, um dann nach allen Gesetzen der Kunst ins Erfundene weiter zu marschieren, bis ins Fantastische hinein - das einem dann nicht weniger wahr vorkommt als das sogenannte Selbsterfahrene. Ohnehin folgt beim Schreiben alles den Gesetzen der jeweiligen literarischen Form. Es geht darum, ein Stuck Literatur so gut zu machen wie nur irgend moglich. Dabei ist die 20. oder 21. Uberarbeitung entscheidend und nicht die Tatsache, dass man selbst einmal ein paar Wochen als Saisonarbeiter auf einer Insel namens Hiddensee im Abwasch stand.
Ihr Buch ist Bildungsroman, Aussteiger- und Abenteuerroman, ein Buch uber den Untergang der DDR, die poetische Geschichte einer gro?en Freundschaft ... Eine der Hauptfiguren: Ed. Er strandet nach dem Unfalltod seiner Lebensgefahrtin auf der Insel. Wo findet er dort eine Heimat?
Lutz Seiler: Die Ankunft Eds im "Klausner" und seine Beheimatung dort sind Thema des ersten Drittels. Ed wird Teil der legendaren Mannschaft dieser Waldgaststatte hoch oben auf der Steilkuste von Hiddensee. Zugleich wird er Teil der Utopie Alexander Krusowitschs, Kruso genannt, insbesondere aber seiner Praxis der Freiheit. Eine schwierige, zartliche Freundschaft beginnt, die im Zentrum des Buches steht. Ed, vom Leben gebeutelt, wird von Kruso unter die Fittiche genommen - das ist vielleicht die unmittelbarste Form neuer Behausung. Dazu kommen andere Formen: die Zwolf-Mann-Besatzung des Klausners, der Klausner als Eds Universitat, die Saisonkrafte als exotische Kaste mit ihren ganz eigenen Regeln und ihrer ganz eigenen Ritterlichkeit.
Sie stellen in Kruso Fragen, die, wie Sie in einem Gesprach sagten, "wir vielleicht vergessen haben zu stellen". Kruso, die zweite Hauptfigur des Buches, betreibt ja eine ganz eigene Art der Utopiepflege ... Er sieht aus wie ein Indianer, soll aber Russe sein und pflegt unter anderem ein magisches Ritual. Gibt es eine reale Figur, die Sie zu Kruso inspiriert hat und was will Kruso, diese Figur, erreichen?
Lutz Seiler: Kruso ist eine Kunstfigur, die verschiedene, fur die Handlung des Buches wichtige Projektionen aushalten muss. Kruso ist Sohn eines russischen KGB-Generals, aufgewachsen im Potsdamer "Russenstadtchen Nr. 7", der sogenannten "Verbotenen Stadt". Nachdem seine Mutter, eine Seiltanzerin, bei einer Auffuhrung, bei der er selbst dabei war, ums Leben gekommen ist, wachst er bei Stiefeltern auf Hiddensee auf. Kruso bringt also einen Teil der Nachkriegsgeschichte mit auf die Insel. Ein paar Facetten Krusos erinnern auch an den Sanger der ersten ostdeutschen Punkband "Feeling B", Aljoscha Rompe. Auch Rompes Stiefeltern lebten auf Hiddensee, auch sein Stiefvater war ein beruhmter Physiker mit eigenem Labor und einigen Hausern auf der Insel usw. usf. Aber Kruso ist auf keinen Fall mit Aljoscha Rompe identisch - er sieht schlie?lich auch ganz anders aus, eher wie ein Indianer. Ein Kapitel beschreibt das Konzert einer Band am Strand - "Feeling B", aus der spater die Band "Rammstein" hervorgegangen ist, hat auch auf Hiddensee gespielt.
Ed, Kruso und all die anderen arbeiten im Klausner, Gasthaus und Heimat fur all die, die ein wenig anders ticken, nicht ins System passen. Sie selbst haben, wie Ed, als Tellerwascher im Klausner gearbeitet und beschreiben die Arbeit so dicht, sinnlich, dass man sich fast schwindelig liest - all die Geruche, die Hitze, der Dreck, die Plackerei. Und am Ende wartet die "Mudseligkeit" ...
Lutz Seiler: Was diese Arbeit, wenn sie geschafft war, fur die Besatzung des Klausners bedeutet, erzahlt das Buch so: " Fur diesen Moment waren sie alle vereint in ihrem Stolz. Ein aufrichtiger Stolz, der vielleicht weniger von der Art ihrer Arbeit (Sklavenarbeit) herruhrte als davon, etwas im Grunde Unmogliches geschafft, ja, einem Sturm standgehalten zu haben. Nichts gab ihnen so deutlich das Gefuhl von Gemeinschaft ... Sie gehorten zu jener Besatzung, die ihr Schiff bis zum Letzten verteidigen wurde, so viel war sicher ..." Und so geht es weiter.
Ein gro?es Thema im Buch: Wie weit ist individuelle Freiheit moglich in einem sehr reglementierten Umfeld, in einem Staat. Wie definieren Sie Freiheit?
Lutz Seiler: "Uberwaltigend unbeantwortbar", hatte Gottfried Benn gesagt. Vielleicht hatte ich es wie Kruso gemacht, ware ich an seiner Stelle gewesen: Ich hatte die Schiffbruchigen gewaschen, heilige Suppen gekocht und ihnen drei Nachte auf der Insel verschafft; all das, um sie zuruckzufuhren zu den "Wurzeln der Freiheit", jener Freiheit, die von Anfang an in uns wohnt. Kruso spricht ja daruber, und er benutzt die verschiedensten Quellen fur seine Utopie, von Rousseau uber Schestow bis Bloch, auch Castaneda kommt vor, ein bisschen Drogenkunde, auch ein wenig Schamanentum.
Im Klausner existiert so etwas wie eine Tafelrunde. Was hat es mit dem "Perso-Tisch" auf sich?
Lutz Seiler: Das war das ubliche Kurzel fur den Personaltisch, jenen Tisch in der Gaststatte, an dem die Besatzung des "Klausners" zu jedem Fruhstuck fruh um sieben Uhr zusammenkam, um die Anweisungen des Direktors entgegenzunehmen und die ersten Schnapse zu trinken - Kirschlikor, Pfefferminzlikor, Weinbrande, den ganzen "Alkohol der Glucksseligkeit", wie Rick, der kluge Barmann des Klausners, das nennt.
Ed erlebt auf Hiddensee auch seine literarische Ausbildung - wird in "Exzessen der Literatur" initiiert. Einer seiner Lehrer, Rimbaud genannt, lebt in der Bienenhutte und wird vom "Buchdealer" beliefert, einem Verlagsvertreter, der die schweren Kisten wie ein Kohlenmann auf dem Rucken transportiert. Auch Ihr Weg zur Literatur war ein ganz besonderer. Sie entdeckten erst spat das Lesen ... Wie und wann war das und wie hangt all das mit Ihrem Schreiben zusammen?
Lutz Seiler: Das Lesen begann wahrend meiner Armeezeit. Alle neun Soldaten auf unserer Stube machten in der Freizeit Laubsagearbeiten, auch ich. Es ging um die Herstellung von thuringischem Weihnachtsschmuck, Schwibbogen, Kerzenhaltern etc. Nachdem ich alle Sageblatter und auch die Reservesageblatter meiner Kameraden zerbrochen hatte, wurde ich vom Tisch verbannt - ich hatte einfach kein Talent fur diese Filigranarbeiten. Also lag ich auf dem Bett und begann zu lesen. Das Lesen war als Ereignis so stark, dass ich auch sofort mit dem Schreiben begann, das Schreiben war gleich mit dabei. Spater musste ich mich erst daran gewohnen, dass es ein Lesen gab ohne Holzbearbeitungsgerausche im Hintergrund und ohne diesen feinen Staub, der sich auf die Schleimhaute legte ...
Sie sind gelernter Maurer und Zimmermann. Wann schrieben Sie Ihr erstes Gedicht und was bedeutet Sprache/Literatur Ihnen?
Lutz Seiler: Mein erstes Gedicht schrieb ich 1983 - es war gleich ein Langgedicht, mit blauem Tintenfuller aufgeschrieben, uber mehrere linierte Blatter. Die erste Niederschrift war auch die Endfassung. Zweiter Teil der Frage: Literatur ist Sprache, alles entscheidet sich an ihr - was man erzahlt, wie man erzahlt, ob man erzahlt.
Sie leben abwechselnd in Wilhelmshorst nahe Potsdam und Stockholm. Was lieben Sie an beiden Orten und wie kam es zu der Entscheidung, auch in Stockholm leben zu wollen?
Lutz Seiler: Meine Frau ist Schwedin - nach der Entscheidung fur sie brauchte Stockholm keine Begrundung mehr. Stockholm war eine Art Schreibhohle fur mich, "Kruso" habe ich fast ausschlie?lich dort geschrieben.
"Kruso" steht auf der Shortlist fur den Deutschen Buchpreis - wie fuhlt sich das fur Sie an?
Lutz Seiler: Gut. Sehr gut fur "Kruso".
Interview Lutz Seiler: Ulrike Bauer, Literaturtest