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Mark Billingham
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Mark Billingham
Billingham, MarkMark Billingham, 1961 in Birmingham geboren, ist einer der international erfolgreichsten britischen Krimiautoren, seine Bücher erscheinen in über zwanzig Sprachen. Einem großen deutschen Publikum wurde er erstmals mit seinem Thriller 'Die Lügen der Anderen' bekannt, der 2014 bei Atrium erschien und zum Bestseller wurde. Zuletzt erschien 'Die toten Katzen von London' (Atrium, 2018). Billingham lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Norden Londons und in Florida.Krimitipp September - Die Lügen der Anderen
Urlaub in Florida, drei Paare aus London lernen sich kennen, hängen am Pool ab, gehen abends essen, lästern heimlich übereinander - und werden diesen Urlaub nie mehr vergessen. Denn ein Mädchen aus ihrem Ferienresort verschwindet. Die Kleine ist geistig etwas zurückgeblieben, sehr vertrauensselig und eine Frohnatur. Und sie wurde zum Opfer eines Verbrechens, das wird schnell klar ... haben die sechs Engländer etwas damit zu tun, einer von ihnen? Diese Frage haben sich in Großbritannien schon sehr viele Leser gestellt: das Buch ist dort ein Bestseller.
Angie und Barry haben im "Pelican Palms" gebucht - einem "preiswerten Paradies". Sie Hausfrau, mit Sehnsucht nach Abwechslung, er selbstständiger Bauunternehmer mit Minderwertigkeitskomplexen. Das Einzige, worauf Barry sich überhaupt noch freut, sind ein paar abendliche Drinks und "ein heimlicher Blick in eine gut gefüllte Bluse". So gut gefüllt wie die von Marina zum Beispiel, einer dieser Urlaubsbekanntschaften vom Gemeinschaftspool. Marina ist 32, attraktiv, farbig, erfolglose Schauspielerin und mit Dave liiert, einem auf den ersten Blick…mehr
Urlaub in Florida, drei Paare aus London lernen sich kennen, hängen am Pool ab, gehen abends essen, lästern heimlich übereinander - und werden diesen Urlaub nie mehr vergessen. Denn ein Mädchen aus ihrem Ferienresort verschwindet. Die Kleine ist geistig etwas zurückgeblieben, sehr vertrauensselig und eine Frohnatur. Und sie wurde zum Opfer eines Verbrechens, das wird schnell klar ... haben die sechs Engländer etwas damit zu tun, einer von ihnen? Diese Frage haben sich in Großbritannien schon sehr viele Leser gestellt: das Buch ist dort ein Bestseller.
Angie und Barry haben im "Pelican Palms" gebucht - einem "preiswerten Paradies". Sie Hausfrau, mit Sehnsucht nach Abwechslung, er selbstständiger Bauunternehmer mit Minderwertigkeitskomplexen. Das Einzige, worauf Barry sich überhaupt noch freut, sind ein paar abendliche Drinks und "ein heimlicher Blick in eine gut gefüllte Bluse". So gut gefüllt wie die von Marina zum Beispiel, einer dieser Urlaubsbekanntschaften vom Gemeinschaftspool. Marina ist 32, attraktiv, farbig, erfolglose Schauspielerin und mit Dave liiert, einem auf den ersten Blick farblosen Computernerd. Und dann sind da noch Ed und Sue: Ed, ein Verlagsvertreter, der Bücher hasst, macht auf "Durchblicker" und reißt gern Witze auf Kosten anderer. Außerdem betrügt er notorisch seine Frau. Sue weiß davon, tut aber so, als stünde sie über den Dingen.
Die Sache mit dem Mädchen ...
Kurz vor Urlaubsende passiert die Sache mit dem Mädchen, die Sache mit Amber-Marie. Aufregung, alle helfen suchen, versuchen sich zu erinnern, wann man Amber-Marie zuletzt gesehen hatte, für die Mutter wird Geld gesammelt ... doch es scheint nicht viel mehr als eine Abendnachricht zu sein. Bald fliegen alle wieder zurück nach Großbritannien, wer denkt da noch an das Mädchen ... Für uns Leser allerdings lässt Mark Billingham den Täter sprechen - wir wissen mehr als die Londoner, nur einer von ihnen weiß mehr als wir: der, der Amber-Marie getötet hat.
"Es war nur ihr Lächeln, mehr nicht ... Sie lächelte ... mit feuchten Lippen, breit und leicht schräg, bis zum Schluss."
Angie verfolgt, zurück in London, genau, was in den US-Medien darüber berichtet wird und sie ist es auch, die die zweifelhafte Idee hat, diese Urlaubsbekannten auch in London wiederzutreffen. Sie bittet zum Dinner. Ihr Barry schnaubt, als er das hört, aber zu spät. Und auch bei den anderen hält sich die Begeisterung in Grenzen. Für Sue sind solche Treffen "der reinste Albtraum", so in etwa, als würde man einen One-Night-Stand wiederholen oder ihn zum Tee einladen. Dave meint: "Kann nett werden, kann aber auch die Hölle werden." Und selbst Ed ist klar: "Witze reißen und lachen in dem einen Augenblick, tote Mädchen im nächsten" ... das würde mühsam werden.
Der Mörder spricht zu uns
Dann fängt die Polizei an, wegen des toten Mädchens auch in London zu ermitteln und die drei Paare zu befragen. Das, was im Urlaub schon anfing, das Lästern übereinander, das Abschätzen und Einschätzen, das Registrieren von Dingen, die eigentlich im Geheimen bleiben sollten, geht nun erst richtig los. Dave zum Beispiel denkt von sich, er sei der intelligenteste der Sechsergruppe, behält das aber für sich, "sich anpassen, das war immer das Wichtigste". Doch Barry hat diesen überheblichen Ausdruck in Daves Gesicht längst entdeckt. Diesen Ausdruck, den Dave nur zuließ, wenn er sich unbeobachtet fühlte ... Und so geht es weiter mit den Geheimnissen, kleine und unscheinbare, solche, die jeder kennt - und größere, abgründigere. Dann kommen die Lügen, das Misstrauen. Und immer wieder erzählt uns der Täter, wie es ihm geht:
"Den gewöhnlichen Alltag aufrechtzuerhalten, war nicht leicht, und ich schlief auch nicht allzu gut. Man weiß nie, wie gut man in diesen Dingen ist, woher auch? Ständig diese Show, so zu tun, als würde einen das alles nicht berühren, und einfach weiterzumachen: Ich war dabei zwar am Ende erheblich besser, als ich gedacht hatte, dennoch war es anstrengend."
Falsche Fährten legt Mark Billingham in "Die Lügen der Anderen" natürlich eine Menge, und zwar virtuos - schließlich sollen auch versierte Krimileser auf ihre Kosten kommen. Wer auch die zartesten Andeutungen, irgendwann einmal nebenbei fallengelassen, deuten kann, der kommt dem Täter vielleicht auf die Spur. Oder er folgt genau der Fährte, die Billingham mit Freude legt - und die ins Nichts führt ...
Mark Billingham, Die Lügen der Anderen, Atrium Verlag
Krimitipp September - Die Lügen der Anderen
Mark Billingham: Ein junges Mädchen verschwindet - Tochter einer anderen Urlauberin. Das ist der Wendepunkt in der Geschichte, und diese Sache verbindet die Paare zum einen zwar, aber auf der anderen Seite treibt sie auch einen Keil zwischen die Ehepaare. Von da an beginnen die Verdächtigungen und von da ab laufen die Dinge alles andere als unbeschwert weiter ...
Wieder zurück in London, treffen sich die drei Paare privat, auch wenn es keine gute Idee zu sein scheint, unverbindliche Urlaubsbekanntschaften wieder aufleben zu lassen. Was treibt Angie dazu - sie ist die, die den Anfang macht mit den privaten Einladungen -, diese Verbindung aufrechtzuerhalten?
Mark Billingham: Sagen wir so: Angie ist ziemlich einsam und ihr Leben verläuft öde, es geschieht wenig Aufregendes. Für sie ist nichts Falsches daran, den Kontakt zu ihren Urlaubsbekanntschaften nicht abreißen zu lassen. Die anderen allerdings - Angies Ehemann miteingeschlossen -…mehr
In "Die Lügen der Anderen" erzählen Sie die Geschichte von drei Pärchen, die sich im Urlaub in Florida kennenlernen - am Anfang ist alles unbeschwert, doch nicht lange. Was passiert?
Mark Billingham: Ein junges Mädchen verschwindet - Tochter einer anderen Urlauberin. Das ist der Wendepunkt in der Geschichte, und diese Sache verbindet die Paare zum einen zwar, aber auf der anderen Seite treibt sie auch einen Keil zwischen die Ehepaare. Von da an beginnen die Verdächtigungen und von da ab laufen die Dinge alles andere als unbeschwert weiter ...
Wieder zurück in London, treffen sich die drei Paare privat, auch wenn es keine gute Idee zu sein scheint, unverbindliche Urlaubsbekanntschaften wieder aufleben zu lassen. Was treibt Angie dazu - sie ist die, die den Anfang macht mit den privaten Einladungen -, diese Verbindung aufrechtzuerhalten?
Mark Billingham: Sagen wir so: Angie ist ziemlich einsam und ihr Leben verläuft öde, es geschieht wenig Aufregendes. Für sie ist nichts Falsches daran, den Kontakt zu ihren Urlaubsbekanntschaften nicht abreißen zu lassen. Die anderen allerdings - Angies Ehemann miteingeschlossen - stehen dem Ganzen eher unwillig gegenüber. Sie haben nicht wirklich Lust dazu, aber Angie neigt eben dazu, das Gute in Menschen zu sehen und vorauszusetzen. Sie ist also guter Dinge und freut sich auf den Abend. In der BBC-Verfilmung von "Die Lügen der Anderen" war Angie übrigens interessanterweise die Figur, die aktiv an der Sache mit dem verschwundenen Mädchen dranbleibt, recherchiert etc. Es wird für sie zu etwas, auf das sie ziemlich fixiert ist - und es bringt natürlich Aufregung und Abwechslung in ihr sonst so langweiliges und auch unerfülltes Leben.
Die privaten Treffen von Angie und Barry, Susan und Ed, Marina und Dave zeichnen sich schon mal dadurch aus, dass jeder über jeden lästert - natürlich nicht offen, zuerst jedenfalls nicht. Ob Musikgeschmack, Einrichtung oder was jemand anhatte ... Können Sie die Paare für uns mit je einem Satz beschreiben?
Mark Billingham: Ich frage mich, ob das eher eine britische Wesensart ist, dieses andauernde Spotten und sich vergleichen mit anderen ... aber ich denke, wohl eher nicht. Mich interessieren diese Dinge - wo kommt jemand her, wie vermögend ist er, was will er erreichen? So ist eine Dinnerparty vergleichbar mit einer Ansammlung von wilden Tieren an einem Wasserloch. Wer ist hier der Boss, der Alpharüde? Wer kommt als Letzter in der Fressreihenfolge ... Diese Situation stellte ich mir für diese entscheidenden Passagen im Buch vor, wenn die Paare sich treffen. Aber hier nun meine Beschreibungen:
- Ed und Sue sind vermutlich das Alphapärchen. Sie wirken nach außen anspruchsvoll, erfolgreich und so, als ob sie in einer stabilen Beziehung stecken würden. Nach außen ...
- Marina und Dave sind die Jüngsten und die mit dem wenigsten Geld. Sie scheinen ehrgeizig und ziemlich aufeinander fixiert zu sein.
- Angie und Barry sind wohl eher die "Normalos" und vielleicht auch die, die am wenigsten gut aussehen. Arbeiterklasse mit anstrengenden Kindern.
Sie spielen in "Die Lügen der Anderen" damit, dass jeder dieser sechs sehr unterschiedlichen Protagonisten irgendetwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun haben könnte. Dafür legen Sie eine Menge falscher Fährten und führen so richtig schön in die Irre. Das hat sicher Spaß gemacht, oder?
Mark Billingham: Oh ja, und WAS für einen Spaß das gemacht hat. Ich bin in erster Linie auch ein Krimileser und in diesem Fall eben der erste Leser. Ich weiß also ganz gut, wie wir Krimileser ticken und denke, dass ich daher ganz gut auf falsche Fährten locken kann. Dieses Legen von falschen Fährten genieße ich, einfach großartig ist das, denn gar nicht so wenige clevere Krimileser stehen sich manchmal ein wenig selbst im Wege ... ich gebe zum Beispiel nur einen winzigen Hinweis und sie springen sofort darauf an und kombinieren ... Aber natürlich hoffe ich, dass "Die Lügen der Anderen" viel mehr ist als ein Krimi, bei dem nur die Frage "Wer war es?" im Mittelpunkt steht. Im Kern ist dieses Buch, so glaube ich jedenfalls, ein Krimi über Menschen, ihre Persönlichkeiten, ihre Geheimnisse und ihre Leidenschaften und Abgründe. Und: Ja! Natürlich steht im Zentrum des Ganzen ein Geheimnis, und ich hoffe, dass die Leser wirklich überrascht sind über die Wendung ...
Keiner weiß wirklich, was in einem anderen Menschen vorgeht, welche Abgründe da lauern ... eine Urangst. Darüber wurden schon viele Thriller geschrieben - was fasziniert uns so an diesem Thema und was Sie ganz persönlich?
Mark Billingham: Ich glaube, es fasziniert uns alle, weil es universal ist. JEDER von uns hat Geheimnisse - harmlose und weniger harmlose. Genau diese bergen Gefahren und die Furcht vor dieser Gefahr ist eine Furcht, die wir alle teilen. Die Furcht, dass Menschen, die wir lieben, von denen wir denken, dass wir sie kennen, uns plötzlich fremd werden, wir erfahren müssen, dass wir nichts von ihnen wirklich wussten. Ob bei Freunden oder in der Familie - wir wissen immer nur genau so viel, wie wir wissen sollen, uns der andere preisgibt - und darüber zu schreiben ist einfach faszinierend. Geheimnisse sind die "Hauptzutat" für einen guten Thriller. Die Leser genießen es, dass sie Teil mancher Geheimnisse werden und versuchen herauszufinden, welche Geheimnisse in diesem Plot noch auftauchen könnten.
Sie sind vor allem durch die Tom-Thorne-Thriller bekannt, "Das Leben der Anderen" ist ein sogenannter Stand-Alone-Titel. Brauchen Sie als Autor ab und an "Erholung" von Tom Thorne?
Mark Billingham: Ja, so ist es. Mal einen Schritt wegzugehen von einer Reihe, tut gut, hält einen Autor frisch. Manchmal taucht eine Stimme in meinem Kopf auf, die mir sagt, dass es Zeit ist, mal wieder etwas anderes zu machen und ich ignoriere diese Stimme ab und an. Aber eine Pause von den Tom-Thorne-Krimis zu machen, ermöglicht mir eben auch, mich ein Jahr später mit Begeisterung und neuer Energie wieder auf diese Reihe zu konzentrieren. Außerdem gibt es natürlich Geschichten, die mit Tom Thorne einfach nicht funktionieren. Aber ich habe Tom immer eine winzige "Rolle" in all meinen "Stand-Alones" gegeben - auch in "Die Lügen der Anderen" taucht er gegen Endes des Buches auf ...
Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Sie Schriftsteller werden wollten?
Mark Billingham: Das war, als ich so elf oder zwölf Jahre alt war. Wir hatten in der Schule die Aufgabe, ab und an Geschichten zu schreiben. So in der Art "Was habe ich in den Ferien gemacht?". Und manchmal wurde ich gefragt, ob ich meine Geschichte vor der Klasse vorlesen möchte, und ich erinnere mich genau, wie aufregend das für mich war. Von da an versuchte ich, Geschichten zu schreiben, die meine Klassenkameraden unterhielten, und ich schrieb immer die ein oder andere Geschichte. Eigentlich mache ich das IMMER noch: Ich will meine Leser unterhalten; nur die Geschichten, die ich heute erzähle, sind ein wenig dunkler als die, die ich in Schulzeiten erzählt habe.
Wenn Sie kein Autor wären, was für einen Beruf könnten Sie sich noch vorstellen?
Mark Billingham: Nun, ich war mal Comedian. Vielleicht würde ich das wieder machen - ansonsten bin ich mir nicht sicher, ob es noch etwas geben würde, das ich wirklich tun KÖNNTE. Ich habe nämlich keine besonderen Fähigkeiten, bin also - unter uns gesagt - eigentlich ein schamloser Angeber ...
Was für ein Buch liegt auf Ihrem Nachttisch und wartet darauf, gelesen zu werden?
Mark Billingham: Aktuell lese ich sechs unterschiedliche Krimis, über die ich in einer Fernsehsendung sprechen werde. Aber normalerweise komme ich nicht hinterher damit, all die anderen Krimis meiner Kollegen zu lesen - vor allem dann nicht, wenn ich selbst gerade an einem Buch schreibe. Zum Vergnügen lese ich gerne Biografien. Auch die Musik spielt eine große Rolle in meinem Leben, und ich sitze hier und warte darauf, eine neue Biografie von Jerry Lee Lewis lesen zu können.
Interview: Literaturtest