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Patrick Modiano
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Suspended Sentences
Broschiertes Buch
A trio of intertwined novellas from the 2014 Nobel laureate for literature
17,99 €
Ein Stammbaum
Broschiertes Buch
Die Mutter, eine schöne Flämin, kommt 1942 durch einen Offizier der Propagandastaffel nach Paris, um eine Schauspielkarriere zu beginnen. Der Vater, während der deutschen Okkupation als Jude verfolgt, ist ein Lebemann, der vom großen Geld träumt und alles, was er bei zwielichtigen Geschäften gewinnt, bald wieder verliert. Die Ehe der Eltern - eine Fehlentscheidung. Zwei Söhne haben sie, der jüngere stirbt im Alter von neun Jahren. Der ältere, Patrick, wird ins Internat abgeschoben, flieht, wird erneut eingesperrt, immer wieder, bis er schließlich mit dem Vater bricht, sich mit kleinen Diebstählen durchschlägt und sein erstes Buch schreibt, mit dem er auf Anhieb Erfolg hat.
Patrick Modiano erzählt von seiner unglücklichen Kindheit. Ohne Pathos, ohne Sentimentalität, ohne Hass oder Anklage: »Ich bin ein Hund, der so tut, als habe er einen Stammbaum.«
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Patrick Modiano erzählt von seiner unglücklichen Kindheit. Ohne Pathos, ohne Sentimentalität, ohne Hass oder Anklage: »Ich bin ein Hund, der so tut, als habe er einen Stammbaum.«
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8,90 €
©Catherine Hélie / Editions Gallimard
Patrick Modiano
Der französische Schriftsteller Patrick Modiano ist der Literaturnobelpreisträger des Jahres 2014. Modiano, am 30.Juli 1945 in Paris geboren, ist der Sohn eines italienisch-jüdischen Kaufmanns und einer belgischen Schauspielerin. Im Jahr 1957 starb sein Bruder Rudy im Alter von neun Jahren an Leukämie, was zur Trennung der Eltern führte. Beinahe seine gesamte Kindheit verbrachte er deshalb bei seinen Großeltern, bis er für seine schulische Ausbildung in ein Internat zog und 1962 sein Abitur erhielt.Bereits sein Debütroman "La Place de l´Etoile" (1968, dt. "Im düsteren Licht der Erinnerung" 2004) verhalf ihm in seiner Heimat zu großer Bekanntheit. Da in seinen über dreißig Werken vor allem die Themen Erinnerung und Vergessen von zentraler Bedeutung sind, bezeichnet man ihn dort auch als "Autor gegen das Vergessen". Außerhalb Frankreichs blieb Patrick Modiano der große Durchbruch trotz zahlreicher Auszeichnung, einer über die Jahre stetig wachsenden Leserschaft und der Übersetzung seiner Werke in verschiedene Sprachen bis heute verwehrt.
Nur wenige Tage vor der Verleihung des Nobelpreises erschien sein Roman "Pour que tu ne te perdes pas dans le quartier" (2014). In Deutschland wird derweil die Veröffentlichung des Vorgängerwerks "L'Herbe des nuits" (2012, dt. "Gräser der Nacht" 2014), das im November erscheinen soll, mit Spannung erwartet.
Mit seiner Frau Dominique Zehrfuss, die er 1970 heiratete, hat Patrick Modiano zwei gemeinsame Töchter: Zina und Marie. Das Ehepaar lebt heute in Paris.
Kundenbewertungen
Eine Jugend
Der französische Schriftsteller Patrick Modiano (Jg. 1945) erhielt den diesjährigen Literatur-Nobelpreis. Anlass genug für den Suhrkamp Verlag, in seiner taschenbuch-Reihe einige seiner wichtigsten Werke neu herauszugeben. Sein autobiografischer Roman „Eine Jugend“ aus dem Jahr 1981 ist wohl das bekannteste und packendste aller Modiano-Bücher. Es wurde 1985 von keinem Geringeren als Peter Handke übersetzt, der sich damals beim Suhrkamp Verlag sehr für Modiano einsetzte.
Odile und Louis sind ein glückliches Paar, mit Tochter und Sohn leben sie in den Hochsavoyen, wo sie seit zwölf Jahren ein Kinderheim führen. Odile will gerade mit Freunden ihren 35. Geburtstag feiern, da dreht der Autor mit einem harten Schnitt die Zeit um fünfzehn Jahre zurück. Odile und Louis erinnern sich an ihre Jugend, an eine Jugend in den 1960er Jahren in Paris. Sie ließen sich in der Seine-Metropole treiben, die Zeit verging, doch ihnen war das egal. Damals suchten die Neunzehnjährigen nach einer Startmöglichkeit fürs Leben. Louis hatte gerade seinen Militärdienst beendet und Odile träumte von einer Karriere als Sängerin. Ein undurchsichtiger Talente-Scout versprach ihr eine große Karriere, beging dann aber Selbstmord.
Odilie wurde dann von korrupten Polizisten als Köder missbraucht. Zufälle lenkten schließlich die beiden Verliebten in die Fänge von dubiosen Geschäftsleuten, für die sie am Ende eine große Geldsumme in die Schweiz schmuggeln sollten. Doch dann bekamen sie noch die Kurve und stiegen mit dem Geld nicht in den Zug nach Genf sondern nach Nizza, wo sie in Südfrankreich zwei glückliche, unbeschwerte Wochen verbrachten. Irgendwie war ihre Jugend damit vorbeigegangen.
In „Eine Jugend“ setzte sich Modiano im Rückblick mit dem Lebensgefühl der Jugend in 1960er Jahren auseinander. Als Leser kann man sich auf den knapp 200 Seiten so treiben lassen wie die beiden Protagonisten. Nach der Lektüre ist man sicher neugierig auf andere Werke des neuen Nobelpreisträgers.
Ein Stammbaum
Bewertung von Winfried Stanzick am 23.01.2015
Patrick Modiano, Ein Stammbaum, DTV 2014, ISBN 978-2-423-14435-3
Zuerst im Jahr 2007 erschienen, wird neben vielen anderen Büchern von Patrick Modiano der hier vorliegende autobiographische Bericht des Literaturnobelpreisträgers neu veröffentlicht. Sehr groß ist das Interesse einer nun viel größer gewordenen Publikums, etwas mehr über die Herkunft und das Leben eines Schriftstellers zu erfahren, der sehr zurückgezogen lebt und selten sich in der Öffentlichkeit zeigt.
Er selbst schreibt zu seinem „Stammbaum“. „Ich habe nichts zu bekennen, nichts zu erhellen, und ich verspüre keinerlei Neigung zur Introspektion und Gewissenserforschung. Im Gegenteil: Je dunkler und geheimnisvoller die Dinge bleiben, desto mehr haben sie mich immer interessiert.“
Das wird nicht nur in seinem neuen Roman „Gräser der Nacht“ überdeutlich, auch hier in seinem autobiographischen Bericht, der sich liest wie ein Roman, dominiert die eher nüchterne Betrachtung, die karge Beschreibung dessen, was er erlebt und erfahren hat.
Eine Betrachtung und Beschreibung einer Kindheit, wie sie trostloser, einsamer und unglücklicher kaum hätte sein können.
Seine Eltern leben in einer Welt, die mit ihren Sohn nichts zu tun hat. Es ist als gäbe es den kleinen Patrick gar nicht. Die Mutter ist permanent abwesend und kalt, der Vater ist von grausamer Härte und Lieblosigkeit.
Ablehnung, Einsamkeit und Bindungslosigkeit- so sieht seine Kindheit und Jugend aus.
Eher teilnahmslos bringt Modiano etwas Licht in die Dunkelheit seiner Herkunft. Erschütternd, das kein einziger Mensch auftaucht, der ihm mit Liebe oder Zuneigung begegnen würde. Umso erstaunlicher, wie sich sein Schaffen dennoch entwickeln konnte. Nicht ohne Grund endet „Ein Stammbaum“ mit der Veröffentlichung seines nersten Buches.
Etwas erinnert war ich an Susanna Tamaros Lebensbericht „Ein jeder Engel ist schrecklich“ wo sie schreibt:
„Weil ich mit dem Feind in mir lebe, mit dem Nebel, der Nacht, der Verwirrung. Weil ich den Schmerz sehe und nichts dagegen tun kann. Weil ich das Unvollkommene sehe, die Leere, das Scheitern, und deren Sinn nicht begreife. Weil ich allein bin, weil mir keiner zuhört, mich niemand an der Hand nimmt. Weil ich irgendwo in mir eine immense Harmonie und ein immenses Licht erahne, und ich mich von diesem Licht und dieser Harmonie entferne wie ein Schiff, das in See sticht. Was zu Anfang der Sinn jedes Atemzugs war, wird mit der Zeit zum Blinken eines Leuchtturms in der Ferne. Ich weine, weil ich Angst habe vor der Leere und der Einsamkeit, die mich erwarten.“
Unfall in der Nacht
Der wassergrüne Fiat
«Leben heißt, beharrlich einer Erinnerung nachzuspüren» lautet ein Zitat, dem Nobelpreisträger Patrick Modiano in vielen seiner Werke als Leitgedanken folgt, so auch in dem Roman «Unfall in der Nacht». Peter Handke ist es zu danken, dass der in Frankreich hochangesehene Autor auch in Deutschland bekannt wurde, ohne allerdings den Durchbruch bei einem breiteren Lesepublikum erreichen zu können. Wie der vorliegende Roman eindrucksvoll belegt, ist eine derartige Zurückhaltung nicht nur unbegründet, sie stellt vielmehr einen unnötigen Verzicht der Leserschaft dar, ein Versäumnis besser gesagt, wird doch Modiano als skeptischer Romantiker schon zu Lebzeiten als ein Klassiker der Weltliteratur angesehen. Ein Schriftsteller, der eine Fülle zeitloser Kunstwerke geschaffen hat, denen zweifellos eine sehr individuelle, so nur ihm eigene schöpferische Intention zugrunde liegt.
In Form einer literarischen Collage beschreibt der Autor die Suche des zwanzigjährigen Ich-Erzählers, der als Fußgänger Opfer eines Autounfalls wurde, nach der jungen Lenkerin des Wagens und ihrem wassergrünen Fiat. Ein geheimnisvoller Mann, dessen Funktion zunächst unklar bleibt, im Roman als brünetter Klotz bezeichnet, hatte ihn und die Fahrerin nach dem Unfall in die Klinik begleitet, ihn später ein Dokument unterschreiben lassen und ihm einen Umschlag überreicht, in dem sich ein dickes Bündel Geldscheine befand. Die spannende Geschichte ist in den 1960ziger Jahren angesiedelt, und auch hier finden sich die für Modiano so typischen, minutiösen geografischen Angaben, denen andererseits recht vage Zeitangaben gegenüberstehen. Namen unzähliger Straßen und Plätze also, Cafés und Kneipen der französischen Metropole, die der orientierungslose Protagonist, stundenlang und oft nachts, seltsam rastlos durchstreift. Bei diesem odysseeähnlichen Herumstreifen begegnet er, von dessen Vergangenheit und gegenwärtigen Lebensumständen der Leser nur andeutungsweise etwas erfährt, einem mysteriösen Philosophen, der wie ein Guru eine Schar von Jüngern um sich versammelt, zu denen auch Hélène gehört, die Musik studieren will. Ihre kurze Zweisamkeit endet abrupt, als sie nach London geht. Geradezu traumverloren sucht der Held der Geschichte nach Orientierung, nach festem Boden unter dem Treibsand seines Lebens. «Und ich zählte», heißt es dazu im Roman, «auf den wassergrünen Fiat und seine Fahrerin, um ihn zu entdecken». Er findet schließlich beide, und ganz Modiano-untypisch geht die nebulöse Geschichte diesmal gut aus.
Der kurze Roman ist flüssig geschrieben, in einer eleganten Sprache, die stark der gesprochenen Sprache ähnelt, wie die Übersetzerin angemerkt hat, zugleich aber sehr poetisch sei, ohne deshalb jedoch in einen gehobenen Ton zu verfallen. Eine Fülle von Assoziationen drängt sich dem Leser auf, mysteriös ineinander verwoben, dem Ätherrausch ähnelnd, der sich leitmotivisch in der Geschichte findet und die Grenzen zwischen Realität und Traum, zwischen Vergangenheit und Gegenwart verwischt. Es ist eine leise Stimme, mit der Modiano da spricht, lakonisch oft von unwichtig scheinenden Dingen erzählend, die uns gleichwohl aber in Bann schlagen, die uns geradezu zwingen, dem Fluss der Erzählung zu folgen, die subtilen Prozessen des Seelenlebens nachzuspüren. Ihm ist es wichtig, Stimmungen einzufangen, das Vergessene wiederzuentdecken.
Mit den Anklängen an die «Ewige Wiederkehr» Friedrich Nietzsches, wie sie sich im Verschwinden der Fahrerin, der Freundin Hélène oder des unnahbaren Vaters, ja auch dem eines Hundes zeigt, mit dem stets Nebelhaften seiner Geschichte zudem, in der vieles nur angedeutet wird, fordert der Autor vom Leser ein reflektierendes Mitwirken über die bloße Lektüre hinaus. Wer dazu willens ist, wird reich belohnt.
Eine Jugend
Genese einer humanitären Befreiung
«1945 geboren zu sein, nachdem Städte zerstört und ganze Bevölkerungen verschwunden waren, das muss mich, wie andere meines Alters, sensibler für die Themen Erinnerung und Vergessen gemacht haben» hat Patrick Modiano 2014 in seiner Nobelpreisrede erklärt. Und so steht auch sein 1985 auf Deutsch erschienener Roman «Eine Jugend» unter der Maxime einer «Pflicht der Erinnerung», mit der Übersetzung und Protektion von Peter Handke wurde der Schriftsteller dann einem breiteren deutschen Publikum bekannt. Trotz hoher literarischer Ehrungen aber blieb die Rezeption seines beachtlichen Œuvres eher verhalten, ein Schicksal, welches er mit vielen anderen großen Schriftstellern teilt.
«Die Kinder spielen im Garten, und bald ist es Zeit für die tägliche Schachpartie». Mit diesem Satz beginnt der Roman, geschildert wird eine Familienidylle in den Bergen. Es ist der Tag vor Odiles 35ten Geburtstag. In dem Chalet von Louis und seiner Frau haben sie bislang ein Kinderheim betrieben, sie wollen es jetzt aber allein benutzen, eventuell einen Schuppen zum Restaurant umbauen. «In Saint-Lô, in jenem Herbst vor fünfzehn Jahren, regnete es tagelang» heißt es dann nach zehn Seiten, der gesamte Rest des Romans ist ein Rückblick auf ihre gemeinsame Zeit in Paris.
Nach dem Militärdienst in Saint-Lô lernt Louis den deutlich älteren Jean-Claude Brossier kennen, der ihm Arbeit bei seinem Freund in Paris vermittelt, einem zwielichtigen Geschäftsmann namens Bejardy. Louis arbeitet als Aufsicht in dessen Garage und macht Botendienste für ihn. Eines Tages lernt er Odile kennen, eine angehende Sängerin, die nach dem Selbstmord ihres Förderers Bellune völlig aus der Bahn geworfen wird. Durch seine Protektion wurden Chansons für sie geschrieben und eine Schallplatte aufgenommen, mit der sie sich bei den Plattenfirmen bewerben konnte. Als die Neunzehnjährige - nach dem Recht der 1960er Jahre eine Minderjährige - nachts von der Polizei aufgegriffen wird, verlangt der Kommissar von ihr, der Polizei als Lockvogel bei der Verhaftung eines gesuchten Vergewaltigers zu helfen. Schließlich findet sie auch einen Musikagenten, der ihre Probeaufnahmen anhört und ihr eine Anstellung im Varieté vermittelt. Als er sie darauf – als Gegenleistung sozusagen – in seinem Büro auszieht, wehrt sie sich nicht, ist ihm zu Willen. Nachdem Louis und Odile ein Paar geworden sind, verschafft Brossier ihnen eine Wohnung und stellt ihnen seine schöne äthiopische Freundin vor, eine Studentin, mit der er auf dem Campus wohnt. Schließlich erhalten sie von Bejardy den Auftrag, eine halbe Million Franc nach England zu schmuggeln, getarnt als Mitglieder einer Reisegruppe Jugendlicher zu einem Englischkurs im Seebad Bournemouth. Als sie zurückkommen, erfahren sie von Brossier, dass er sich mit Bejardy überworfen habe. Von dessen Freundin hören sie, er werde sich in Kürze nach Argentinien absetzen. Durch Zufall lernen Louis und Odile in einer Café einen Künstler kennen, in dessen ehemaligem Atelier sie jetzt wohnen, und der erzählt ihnen, Bejardy sei als Mörder verhaftet gewesen, mangels Beweisen aber freigesprochen worden. Als letzten Auftrag - Bejardy hat seine Wohnung bereits aufgelöst - sollen Louis und Odile für ihn wieder eine halbe Million Franc schmuggeln, diesmal nach Genf. Sie aber besteigen den Zug nach Nizza.
Bruchstückhaft wird in diesem kurzen Roman der Erinnerung über soziales Alleinsein erzählt, über eine nebelhafte Zeit der Selbstfindung, dem Leser wird reichlich Gelegenheit für eigene Reflexionen und Phantasien gegeben. Der auktoriale Erzähler zeigt seine jugendlichen Protagonisten auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Dabei stellt er sie wie emotionslose Statisten auf seine atmosphärisch dicht beschriebene, literarische Bühne. Er enthält sich jedweder psychologisierenden Deutung, charakterisiert seine Figuren vielmehr ausschließlich über das äußere Geschehen, die hindernisreiche Genese einer humanitären Befreiung.
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