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Pierre Jarawan
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Am Ende bleiben die Zedern
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Ein Lied für die Vermissten (Restauflage)
Als 2011 der Arabische Frühling voll entfacht ist, löst der Fund zweier Leichen auch in Beirut erste Unruhen aus. Während schon Häuser brennen, schreibt Amin seine Erinnerungen nieder: an das Jahr 1994, als er als Jugendlicher mit seiner Großmutter in den Libanon zurückkehrte - zwölf Jahre nach dem Tod seiner Eltern. An seine Freundschaft mit dem gleichaltrigen Jafar, mit dem er diese verschwiegene Nachkriegswelt durchstreifte. Und daran, wie er schmerzhaft lernen musste, dass es in diesem Land nie Gewissheit geben wird - weder über die Vergangenheit seines Freundes, noch über die Geschichte seiner Familie.
Nach dem internationalen Bestseller Am Ende bleiben die Zedern führt auch Pierre Jarawans neuer Roman in eine Welt voller unvergesslicher Figuren, sinnlicher Eindrücke und Emotionen, einfühlsam, spannend und virtuos verknüpft mit der bewegten Geschichte des Nahen Ostens.
»Pierre Jarawan schreibt temporeich und klar und mit einer erzählerischen Souveränität, die den Leser vorantreibt.« The Guardian
»Pierre Jarawan ist ein Hakawati, ein Geschichtenerzähler. Seine expressive Bildsprache, schwelgerisch durchzogen von Melancholie, lässt fremde Welten spürbar werden.« Lalena Hoffschildt/Hugendubel am Stachus, München
»Mit beeindruckender Leichtigkeit entwirft Pierre Jarawan eine Geschichte, die so lebendig aus den Seiten strahlt, dass ich mich beim Lesen tief eingehüllt gefühlt habe in diese besondere Atmosphäre aus Stimmen, Duft und Licht. Eine Welt, aus der man gar nicht mehr auftauchen möchte - eine Welt voller Figuren, denen man bis zum letzten Absatz folgen will. Scheinbar mühelos verbindet er dabei persönliches Erleben seiner Charaktere mit weltgeschichtlich Großem, verwebt wundersam Märchenhaftes mit politisch Hochbrisantem. 'Ein Lied für die Vermissten' ist soghaft spannend und atmosphärisch berauschend - und all das in einer Sprache, die wundervoll klar ist und genau meint, was sie sagt. Was für ein begnadeter Erzähler!« Maria-Christina Piwowarski/Buchhandlung ocelot, Berlin
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Pierre Jarawan
Jarawan, PierrePierre Jarawan wurde 1985 in Jordanien geboren. Im Alter von drei Jahren kam er mit seiner Familie nach Deutschland. 2012 wurde er Internationaler Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. Sein Romandebut >Am Ende bleiben die Zedern< (2016) war ein Sensationserfolg.Literaturfestival - Am Ende bleiben die Zedern
Die Suche nach der eigenen Geschichte
November 1992, eine deutsche Kleinstadt. Hier lebt der kleine Samir El-Hourani mit seiner Familie. Die Eltern waren 1983 "aus dem brennenden Beirut" geflohen. Im Libanon herrscht seit 1975 Burgerkrieg, in dem sich unterschiedliche religiose und politische Gruppen mit aller Brutalitat bekampfen. Die Familie hat sich eine bescheidene Existenz in der neuen Heimat aufgebaut, sie lebt in einer kleinen Sozialwohnung am Rande der Stadt, in einem Bezirk, wo die Satellitenschusseln nach "26,0? Ost" ausgerichtet sind. Samir, der wie seine sieben Jahre jungere Schwester bereits in Deutschland geboren ist, verehrt seinen Vater Brahim.
"Weil er mich so oft teilhaben lie? an seinen beflugelnden Gedanken. Weil er mich mitnahm in Wunderwelten, die er in seinem Kopf erschuf. Weil er mich berauschte mit seinen Worten."
Eines Tages, kurz nach Samirs achtem Geburtstag, verschwindet der Vater. Er verlasst seine Familie, ohne eine Erklarung. "Und so war das Letzte, was ich von meinem Vater sah, seine Silhouette im Turrahmen und wie er liebevoll - zumindest glaube ich das heute - zu mir…mehr
Die Suche nach der eigenen Geschichte
November 1992, eine deutsche Kleinstadt. Hier lebt der kleine Samir El-Hourani mit seiner Familie. Die Eltern waren 1983 "aus dem brennenden Beirut" geflohen. Im Libanon herrscht seit 1975 Burgerkrieg, in dem sich unterschiedliche religiose und politische Gruppen mit aller Brutalitat bekampfen. Die Familie hat sich eine bescheidene Existenz in der neuen Heimat aufgebaut, sie lebt in einer kleinen Sozialwohnung am Rande der Stadt, in einem Bezirk, wo die Satellitenschusseln nach "26,0? Ost" ausgerichtet sind. Samir, der wie seine sieben Jahre jungere Schwester bereits in Deutschland geboren ist, verehrt seinen Vater Brahim.
"Weil er mich so oft teilhaben lie? an seinen beflugelnden Gedanken. Weil er mich mitnahm in Wunderwelten, die er in seinem Kopf erschuf. Weil er mich berauschte mit seinen Worten."
Eines Tages, kurz nach Samirs achtem Geburtstag, verschwindet der Vater. Er verlasst seine Familie, ohne eine Erklarung. "Und so war das Letzte, was ich von meinem Vater sah, seine Silhouette im Turrahmen und wie er liebevoll - zumindest glaube ich das heute - zu mir heruberblickte."
"Am Ende bleiben die Zedern" - eine umwerfende Familiengeschichte
In Pierre Jarawans Debutroman "Am Ende bleiben die Zedern" (Berlin Verlag) ist das plotzliche Verschwinden des geliebten Vaters der entscheidende Wendepunkt, der vor allem Samirs Leben auf tragische und schmerzliche Weise pragen und seine Personlichkeit formen wird. Wie der 31-jahrige Jarawan, Kind eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter, diese Familiengeschichte erzahlt, ist umwerfend, packend und beruhrend, mit einer reichen, berauschenden Sprache, die in ihrer prallen Empathie die Stimmungstaler und -hohen von Icherzahler Samir auf unvergleichliche Weise plastisch werden lassen kann. Man wundert sich, wie Jarawan diese literarische Reife erlangen konnte. Schlie?lich ist es sein erster Roman. Bis dato hat er vor allem als Meister des "Poetry-Slams" auf sich aufmerksam gemacht.
Jarawan erzahlt die Geschichte der El-Houranis, berichtet von ihrem Ankommen in Deutschland, von ihren ersten Monaten in einer Turnhalle zusammen mit anderen Fluchtlingen, von ihren libanesischen Freunden, die im selben Haus unter der Familie wohnen, von dem Viertel, in dem sie in Deutschland wohnen, zusammen mit vielen anderen Libanesen, und vom Libanon, den der Vater so sehr vermisst. Es ist eine tiefe Sehnsucht, die er seinem Sohn einpflanzt.
"Als Junge verspurte ich eine unstillbare Sehnsucht danach, den Libanon zu sehen. Es war die gro?e Neugier nach einer unbekannten Schonheit, um die sich Legenden rankten. Die Art, in der Vater von seiner Heimat sprach, seine Leidenschaft und Begeisterung, griff wie ein Fieber auf mich uber. Der Libanon, mit dem ich aufwuchs, war eine Idee.Die Idee vom schonsten Land der Welt, mit alten und geheimnisvollen Stadten, die sich an der steinigen Kuste entlangreihten, um sich mit ihren bunten Hafen zum Meer hin zu offnen."
Bei einer Diashow, die der Vater eines Abends fur seine Familie und Freunde vorbereitet hat, taucht urplotzlich ein Foto auf, das den Vater an ein Geheimnis aus der Vergangenheit in der alten Heimat erinnert. Der Vater verandert sein Verhalten, es gibt seltsame Anrufe, schlie?lich ist der Vater weg. Samir fallt in eine tiefe Trauer, die ihn nie wieder ganz loslasst und die ihm ein gluckliches Leben unmoglich macht. "Die Stille, die er hinterlassen hatte, wucherte in meinem Kopf wie ein Nachtschattengewachs." Schlie?lich, da ist Samir bereits in den Zwanzigern, macht er sich auf in den Libanon, um seinen Vater zu suchen und die Geheimnisse, die seine Familie umgeben, zu luften.
Eine Suche nach der Identitat - die irgendwo zwischen dem Libanon und Deutschland liegt
In die Geschichte Samirs und seiner Familie bindet der Autor Jarawan gekonnt die politische und kulturelle Geschichte des Libanon mit ein - und zwar ohne dass die eigentliche Erzahlung erdruckt wird. Die Suche Samirs, die Jagd nach einem romantischen Bild eines Landes und eines Vaters ist schlie?lich die Suche nach Samirs eigener Geschichte, nach seiner eigenen Identitat - die irgendwo zwischen dem Libanon und Deutschland liegt. Es ist nicht nur ein universelles Thema des Menschseins, das Jarawan derart eindringlich und gekonnt zu entrollen wei?, sondern auch ein sehr aktuelles. Fluchtlinge, Migration, das Fremdsein, Integration - all das tangiert diese Geschichte, und zwar nicht moralinsauer, sondern sehr menschlich. Als Leser fuhlt man mit, man weint, man lacht - man fuhlt mit Samir in diesem wirklich au?ergewohnlichen Buch, das die Kraft hat, Leben zu verandern.
Interview mit Pierre Jarawan
Vorab gleich ein Kompliment. Wenn man die Lekture des Romans "Am Ende bleiben die Zedern" beendet hat, hat man den Eindruck, man habe mehrere Welten und Universen durchschritten. So dicht, so organisch fuhlt sich Ihre Arbeit an. Wie ist die Idee zu der Geschichte entstanden?
Pierre Jarawan: Vielen Dank! Das ist ein schones Lob, weil dieser Effekt mir beim Schreiben tatsachlich wichtig war: den Leser hineinzuziehen in die Geschichte, damit es ihm vorkommt, als wurde er Samir Schritt fur Schritt auf seiner Reise begleiten. Ein bisschen ging es mir beim Schreiben wie Ihnen womoglich beim Lesen. Ich konnte sehr tief in die Geschichte eintauchen, habe uber viele Monate hinweg acht oder neun Stunden am Tag geschrieben und mich dabei sehr wohlgefuhlt. Tendenziell ist es mir also leichtgefallen. Das ist vielleicht sogar das gro?te Lob, das man einer Geschichte machen kann: wenn sie so leicht erzahlt daherkommt, dass man ihr die Arbeit nicht anmerkt, die in sie investiert wurde.
Was die Idee angeht, so gab es nie einen bestimmten Zeitpunkt, an dem ich sie festmachen kann. Es ist eher so, dass sie uber…mehr
Interview Pierre Jarawan
Vorab gleich ein Kompliment. Wenn man die Lekture des Romans "Am Ende bleiben die Zedern" beendet hat, hat man den Eindruck, man habe mehrere Welten und Universen durchschritten. So dicht, so organisch fuhlt sich Ihre Arbeit an. Wie ist die Idee zu der Geschichte entstanden?
Pierre Jarawan: Vielen Dank! Das ist ein schones Lob, weil dieser Effekt mir beim Schreiben tatsachlich wichtig war: den Leser hineinzuziehen in die Geschichte, damit es ihm vorkommt, als wurde er Samir Schritt fur Schritt auf seiner Reise begleiten. Ein bisschen ging es mir beim Schreiben wie Ihnen womoglich beim Lesen. Ich konnte sehr tief in die Geschichte eintauchen, habe uber viele Monate hinweg acht oder neun Stunden am Tag geschrieben und mich dabei sehr wohlgefuhlt. Tendenziell ist es mir also leichtgefallen. Das ist vielleicht sogar das gro?te Lob, das man einer Geschichte machen kann: wenn sie so leicht erzahlt daherkommt, dass man ihr die Arbeit nicht anmerkt, die in sie investiert wurde.
Was die Idee angeht, so gab es nie einen bestimmten Zeitpunkt, an dem ich sie festmachen kann. Es ist eher so, dass sie uber viele Jahre hinweg in mir gewachsen ist, bis es einfach an der Zeit war, sie aufzuschreiben.
Es ist die Geschichte des Jungen Samir, Kind einer libanesischen Familie, die 1982 vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland geflohen ist. Samirs Vater ist Geschichtenerzahler, der von seiner alten Heimat schwarmt und der plotzlich verschwindet. Danach kommt Samir, wie es scheint, nicht mehr richtig auf die Beine. Er lebt mit dem diffusen Bild seines Vaters und dessen ominoser Lebensgeschichte. Ist dieses Bild, diese Sehnsucht nach einem Vater, der fur Samir ja auch eine Heimat verkorpert (die er nie gesehen hat) und damit die Sehnsucht nach einer eigenen Geschichte, die Sinn ergibt, auch eine Metapher fur viele junge Migranten, die mit einem diffusen Heimatbild in Deutschland aufwachsen?
Pierre Jarawan: Ja, ich denke, dass es vielen jungen Menschen so geht wie Samir. Man muss bedenken, dass diese Generation nicht die Wahl hatte und sich nie bewusst fur Deutschland entschieden hat. Sie wachst mit den Geschichten ihrer Eltern an die alte Heimat auf, mit einem "kulturellen Gedachtnis", das womoglich auch stark verklart wird. So entsteht eine emotionale Verbindung, die aber nicht auf Erlebtem, sondern auf Gehortem basiert. Samir hindert diese Tatsache daran, sich vollstandig in Deutschland zu integrieren. Auf der anderen Seite gibt es aber naturlich auch viele junge Menschen in Deutschland, denen es so geht wie Yasmin. Sie ist gewisserma?en das Gegenstuck zu Samir: Obwohl sie den Libanon noch selbst erlebt hat, verspurt sie nicht das Bedurfnis, dorthin zuruckzukehren. Sie ist bestens integriert und ihrem Vater Hakim sehr dankbar dafur, ihr durch seine Flucht ein besseres Leben ermoglicht zu haben.
Schlie?lich reist Samir in den Libanon und macht sich auf die Suche nach seinem Vater. Er stellt fest, dass die Bilder und Geschichten, die er von Beirut, vom Libanon, von seinem Vater und von seiner Familie hat bzw. kennt, romantisch, oberflachlich und falsch sind - ein Schockerlebnis. Dies aber ist die Voraussetzung dafur, dass Samir sich seiner Zukunft stellen kann. Kann Samir ein Beispiel fur junge Leute sein, die eine ahnliche Geschichte haben und die versuchen, ihre eigene Geschichte zu finden?
Pierre Jarawan: Das wei? ich nicht. Sollten Migranten das Buch lesen und daraus etwas fur sich selbst ableiten, das ihnen weiterhilft, wurde mich das naturlich freuen. Fur Samir dreht sich alles darum, endlich die losen Faden der Geschichte seines Lebens zu einem sinnvollen Ende zu verknupfen und Antworten zu finden. Wenn wir das auf die heutige Situation ubertragen, dann reden wir automatisch von vielen jungen Mannern und Frauen, die aus Landern stammen, in die sie nicht in absehbarer Zeit zuruckkehren konnen, ohne ihr Leben zu gefahrden. Das ist ungleich schwieriger.
"Am Ende bleiben die Zedern" ist ihr erster Roman. Vorher waren Sie vor allem ein Meister der kurzen Form, u. a. wurden Sie auch Deutscher Meister im Poetry Slam. Woher ruhrte der Wunsch, sich in der langen Form und in der Prosa probieren zu wollen?
Pierre Jarawan: Aus kunstlerischer Sicht war es der logische nachste Schritt. Zudem sind der Kurzform naturliche Grenzen gesetzt, die schnell klargemacht haben, dass fur diese Geschichte nur ein Roman infrage kommt. Der Wunsch war also in erster Linie, diese eine Geschichte zu erzahlen und der Roman war als Gattung dafur am besten geeignet.
War Ihnen relativ schnell klar, dass Ihnen das gelingen wurde? Oder hat es langer gedauert, bis Sie sich in der Welt der Prosa heimisch gefuhlt haben?
Pierre Jarawan: Ich wusste von Anfang an, wie die Geschichte verlaufen sollte und was wann mit welcher Figur passiert. Also habe ich mir eine detaillierte Struktur und einen Plan gezeichnet und ihn an die Wand gehangt. Aber es war ein bisschen, als hatte ich einen Stadtplan fur eine Stadt, in der ich noch nie gewesen war - und als ich dort ankam, merkte ich, dass ich den Plan nicht brauchte, weil mir alles sonderbar vertraut vorkam. Vieles von dem, was im Roman zu lesen ist, ist intuitiv entstanden, ich habe mich oft von den Figuren leiten lassen - statt umgekehrt - und trotzdem ist am Ende die Geschichte herausgekommen, die ich erzahlen wollte.
Sie selbst sind in Jordanien geboren, haben eine deutsche Mutter und sind im Alter von drei Jahren nach Deutschland gekommen. In dem Roman aber erzahlen Sie sehr emotional uber den Libanon. Was verbindet Sie mit diesem Land und warum war es Ihnen wichtig, die Geschichte dort anzusiedeln?
Pierre Jarawan: Es ist das Land meines Vaters. Die einzige Verbindung, die ich zu Jordanien habe, ist meine Geburtsurkunde. Jordanien war nur eine Zwischenstation fur meine Eltern, nachdem sie den Libanon wahrend des Krieges verlassen hatten. Ich habe den Libanon anschlie?end durch viele Urlaube und Besuche bei Verwandten kennengelernt und bin umgeben von vielen Libanesen in Deutschland aufgewachsen. Ich erwahne Jordanien so gut wie nie, ich bin in Deutschland und im Libanon zu Hause.
Uber den Libanon und die Geschichte des Nahen Ostens sowie dessen Kultur erfahrt man als Leser sehr viel in dem Roman. Es wirkt fast kinderleicht, wie Sie Samirs Geschichte im Deutschland der achtziger und neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit der Geschichte der dortigen Region verbinden. Wir gehen davon aus, dass es nicht leicht war, diese Verbindung handwerklich herzustellen, oder?
Pierre Jarawan: Mir ist ziemlich schnell klargeworden, dass man nicht uber den Libanon schreiben kann, ohne uber Politik zu schreiben. Darum war es notwendig, die Geschichte der Familie mit der gro?en Geschichte des Nahen Ostens zu verbinden. Die gro?te Schwierigkeit war es, sich in dem Wirrwarr aus Fakten und Zahlen auf einen Erzahlstrang festzulegen. Ich habe mich stark auf die Geschichte zwischen dem Libanon und Syrien konzentriert, weil dabei Dinge vorgefallen sind, die bis in unsere Gegenwart hineinwirken. Genauso gut hatte ich aber auch das Verhaltnis zu Israel oder zu Palastina wahlen konnen. Der Libanon ist das Land im Nahen Osten, in dem seit Jahrzehnten die Konflikte einer ganzen Region ausgetragen werden. Die gro?e Tragik dieses Landes ist, dass es so sehr um gesellschaftliche und religiose Vielfalt bemuht ist, eben diese Vielfalt jedoch fortlaufend zu Konflikten fuhrt. Ich glaube in jedem Fall, dass die Kenntnis der Vergangenheit des Libanon dabei helfen kann, unsere Gegenwart besser zu verstehen.
An einer Stelle des Romans beschreiben Sie die Zeit, welche die Familie El-Hourani nach der Ankunft in Deutschland Anfang der 1980er-Jahre in einer Fluchtlingsunterkunft verbringt, sehr eindrucklich. Man meint, dass es Ihnen ein Bedurfnis ist zu erklaren, wie schwierig und einengend die Verhaltnisse in solchen Unterkunften sind. Ist das so? Und haben Sie fur diese Szenen heutige Fluchtlingsunterkunfte besucht?
Pierre Jarawan: Ich hoffe, ehrlich gesagt, nicht, dass es Romane braucht, um jemandem klarzumachen, wie schwierig das Leben in einer Turnhalle ist. Aber Sie haben recht: Ich habe viel Kontakt zu Fluchtlingen gehabt, auch weil ich mit einigen ein Schreibprojekt fur das Munchner Literaturfest auf die Beine gestellt habe. Tatsachlich ist die besagte Stelle im Buch mit der Turnhalle ja eine von sehr wenigen, bei denen die Fluchtgeschichte der Familie explizit thematisiert wird. Samir hat in der Turnhalle die Geburtsstunde seines Vaters als gro?en Erzahler erlebt. Er lenkt die Menschen in der Halle von der Wirklichkeit ab, indem er fantastische Geschichten fur sie erfindet und verlasst die Halle als der Geschichtenerzahler, der er fur seinen Sohn werden wird.
Stimmt unser Eindruck, dass Sie sich mit diesem Roman selbst auch ein Stuck weit Ihrer eigenen Geschichte und Identitat vergewissert haben?
Pierre Jarawan: Ehrlich gesagt, bin ich da deutlich weniger zwiegespalten, als es der Roman vielleicht vermuten lasst. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater ist Libanese. Fur mich war es immer selbstverstandlich, in beiden Landern zu Hause zu sein. Wenn Sie diesen Eindruck beim Lesen gewonnen haben, nehme ich das aber gerne als Kompliment, weil das wohl ein Verdienst der Authentizitat der Geschichte ist, die mir so wichtig war. Und ganz freimachen kann ich mich von Ihrer Annahme naturlich nicht. Ich habe eine starke emotionale Verbindung zum Libanon und die steckt sicher auch mit im Roman, weswegen es zwar kein autobiografisches, aber doch ein sehr personliches Buch geworden ist.
Nach solch einem sehr personlichen Buch: Was planen Sie als Nachstes?
Pierre Jarawan: Ich freue mich jetzt auf eine sehr gro?e Lesereise in beinahe 40 Stadten. Irgendwann wird dann der Zeitpunkt kommen, das Buch und die Figuren loszulassen und etwas Neues zu beginnen. Ich werde auf jeden Fall einen zweiten Roman schreiben, eine grobe Idee gibt es auch schon, aber mehr kann ich nicht verraten, nur so viel: Der Libanon halt zahllose Geschichten bereit, die noch nicht erzahlt worden sind.
Interview: Literaturtest