© Franka Bruns/Suhrkamp Verlag
Ralf Rothmann
Rothmann, RalfRalf Rothmann wurde am 10. Mai 1953 in Schleswig geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach der Volksschule (und einem kurzen Besuch der Handelsschule) machte er eine Maurerlehre, arbeitete mehrere Jahre auf dem Bau und danach in verschiedenen Berufen (unter anderem als Drucker, Krankenpfleger und Koch). Er lebt seit 1976 in Berlin.
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Elf Erzählungen und elf Entscheidungen
„Aber am besten verstehen wir es, feine Klingen zu machen, schön graviert. Manche Messer, die man im Ärmel trägt, sind schmal wie Bleistifte und so unglaublich spitz und scharf: Man spürt sie erst kaum, hat nur ein kleines unbehagliches Gefühl.“ (Zitat aus „Der Dick...
Elf Erzählungen und elf Entscheidungen
„Aber am besten verstehen wir es, feine Klingen zu machen, schön graviert. Manche Messer, die man im Ärmel trägt, sind schmal wie Bleistifte und so unglaublich spitz und scharf: Man spürt sie erst kaum, hat nur ein kleines unbehagliches Gefühl.“ (Zitat aus „Der Dicke Schmitt“, Seite 88)
Inhalt und Thema
Dieser Erzählband umfasst elf Geschichten, in denen es um Menschen und jenen kleinen Augenblick geht, in dem eine Entscheidung gefällt wird. Diesem Moment ordnen sich alle nachfolgenden Ereignisse unter. Es sind gefährliche Situationen, plötzliche Ereignisse, in denen das Handeln Mut erfordert, oder scheinbar ausweglose Momente, und immer besteht eine Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten.
Handlung und Schreibstil
Der Autor lässt in einer klaren, verständlichen, aber niemals überflüssig erklärenden Sprache seinen Figuren immer die freie Wahl der Entscheidung und des Handelns. Einige der Geschichten sind beklemmend und düster, doch auch hier gibt es mehrere Möglichkeiten, selbst ein Kind nach einer harten Kindheit im Elend könnte es im Erwachsenenleben anders machen und ein Genosse Major kann umdenken, auch wenn er riskiert, dann vom Täter selbst zum Opfer zu werden. Es sind Erzählungen über mutiges und weniger mutiges Verhalten und darüber, sich bietende Chancen zu ergreifen. Eine Geigerin vor dem Konzert, deren Problem nicht nur eine gerissene Seite und die Ersatzseiten im Hotel sind, fragt sich bei der Fahrt durch die Gegend, wo sie aufgewachsen ist „Wie viele Erinnerungen haben zwischen zwei Herzschlägen Platz?“ (Seite 16) und in der letzten Geschichte stellt der Protagonist mit Erstaunen fest, dass die Erinnerungen im Alter zu einer eigenen, völlig neuen Realität werden können.
Fazit
Elf Erzählungen, elf Situationen und elf Entscheidungen, die uns beim Lesen nachdenklich stimmen, noch lange nachklingen mit der Frage, was wir in einem ähnlichen Fall tun würden oder vielleicht getan hätten.
Im „Museum der Einsamkeit“ findet der Leser neun „Ausstellungsstücke“, die dem Leser unterschiedliche Menschen zeigen: Alte, Junge, Männer, Frauen, Berufstätige, Lehrlinge, Rentner, Gesunde, Kranke, Alleinlebende und Paare. Alle Portraits – um im Bild des Museums zu bleiben - sind durch das Thema der Einsa...
Im „Museum der Einsamkeit“ findet der Leser neun „Ausstellungsstücke“, die dem Leser unterschiedliche Menschen zeigen: Alte, Junge, Männer, Frauen, Berufstätige, Lehrlinge, Rentner, Gesunde, Kranke, Alleinlebende und Paare. Alle Portraits – um im Bild des Museums zu bleiben - sind durch das Thema der Einsamkeit miteinander verbunden.
Es sind alltägliche Menschen, denen der Leser begegnet, und es sind meistens auch alltägliche Situationen, in denen sich aber für den Protagonisten sein Leben entscheidend ändert. Alle Geschichten hallen im Leser nach. Das gilt auch für die Geschichten, die mich nicht zufrieden zurückgelassen haben. Da ist die Geschichte des einsamen und pflegebedürftigen Rentners, der mit seiner albanischen Pflegerin zusammenlebt, Eines Tages tauchen die Söhne seiner Geliebten auf und erfüllen mit Goldkettchen, teuren Autos, Erpressung und ihrem Macho-Gehabe alle mafiös-kriminellen Klischees. Ähnlich verhält es sich in der letzten Geschichte, in der der Lagerleiter des Durchgangslagers Westerbork seine Grausamkeiten und die seiner Geliebten in altbekannter Schönfärberei weinerlich verteidigt. Die Geschichte lässt Subtilität und Hintersinn vermissen, es gibt nichts zu entdecken. Außer vielleicht die Figur der Etty, die sich an die historische Etty Hillesum anlehnt, die von Westerbork aus nach Auschwitz deportiert wurde.
Andere Geschichten dagegen sind inhaltlich anrührend. Ob das der Pfarrer ist, der seiner sterbenden Tochter keine Hilfe ist, sondern sich selber mit Witzen und platten Sprüchen belügt, oder der Junge, der seinen ungeliebten und behinderten Bruder beaufsichtigen muss und sich aufopfernd eine Nacht um die Ohren schlägt. Oder der alternde Ben, der eine Jugendsünde bereinigen will und damit erst neues Unglück heraufbeschwört. Sehr schön die titelgebende Geschichte „Abschied von Baden-Baden“: Mutter und Tochter, die sich gegenseitig quälen und beherrschen wollen. Die Mutter verkauft ihr Haus, das „Museum der Einsamkeit“, wie es die Tochter scharfzüngig nennt. Sie will in eine Seniorenresidenz am Meer ziehen und der Einsamkeit entfliehen, aber sie kommt vom Regen in die Traufe.
Das alles erzählt Rothmann in einer gewohnt unprätentiösen Sprache, immer treffend und kurz.
Ein Museum soll nicht nur zeigen, sondern auch verstehen lassen. Das musss nun der Leser selber entscheiden, ob Rothmanns „Museum“ ihm hilft, die Realität der Einsamkeit besser zu verstehen.
Fazit: Eine Sammlung von neun Geschichten, die dem Leser nachgehen und ihn nachdenklich zurücklassen. Trotz der genannten Einschränkungen: absolute Lese-Empfehlung!
Sommerbuch fürs Freibad ****
Lange her, dass ich ein Kurzgeschichtenbuch gelesen habe. Früher habe ich einmal jede Geschichte bewertet und dann den Schnitt gebildet. Ich versuchs:
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Normschrift: Es wird das Leben in einem Gesellenwohnheim im Ruhrgebiet geschildert. Dabei geht es rau zur Sache: „Ich möchte n...
Sommerbuch fürs Freibad ****
Lange her, dass ich ein Kurzgeschichtenbuch gelesen habe. Früher habe ich einmal jede Geschichte bewertet und dann den Schnitt gebildet. Ich versuchs:
***
Normschrift: Es wird das Leben in einem Gesellenwohnheim im Ruhrgebiet geschildert. Dabei geht es rau zur Sache: „Ich möchte nichts lieber als von dir in den Arsch gep**** zu werde. Und mach dir keine Sorgen. Bei deinem kleinen Schnipel tut mir das bestimmt nicht weh.“ Der Ich-Erzähler freundet sich mit einem Außenseiter an. Aber ein Ende fehlt. 3 Sterne
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Herr Dingens: Eigentlich gleich zwei Erzählungen. Der Vater ist Pfarrer und liebt Beerdigungen mehr als Hochzeiten, weil die Leute bei Hochzeiten anderes im Kopf haben. Außerdem ist er alleinerziehender Vater, weil seine Frau eine neue Liebe hat. Er muss seine Tochter Weisheiten beibringen und tut dies mit einer Puppe, Herr Dingens. 4 Sterne, da nicht so nachhaltig, will sagen Inhalt wird schnell vergessen.
*****
Eine kleine Metall-Unterhaltung: In der 3sat-Buchzeit wurde diese Erzählung verfilmt. Ein plötzlich Erkrankter braucht eine albanische Haushaltshilfe, die von ihren Söhnen besucht wird, die den Mann wegen der Beziehung zu ihrer Mutter zur Rede stellen. 5 Sterne
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Budenzauber: Familiengeschichte aus dem Ruhrgebiet, wo die allein gelassenen Kinder keinen Budenzauber veranstalten sollen. Rest habe ich vergessen. 1 Stern
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Engel auf Krücken: Wir sind wieder bei der Arbeit, auf dem Bau, wo Willi wegen der Hüfte in Frührente gehen müsste, aber der Antrag läuft noch. Ich muss hier immer ans Ruhrgebiet denken. Sozialkritisches Thema mit Resozialisierung. 4 Sterne
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Schimmel in der Orgel: Zwei ehemalige Schulfreunde treffen sich seit Jahren wieder. Endlich mal ein echter Schluss. 5 Sterne
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Abschied von Baden-Baden: Die alt gewordene Mutter hat ihr Haus in Baden-Baden verkauft, weil dort ein Museum der Einsamkeit gebaut werden soll. Dafür will sie an die Ostsee ziehen und in einem Seniorenwohnheim gibt der Makler Tipps. So sollen sich die Alten einen Hund halten, damit ihr Tod auch bemerkt wird. Die beste Story: 6 Sterne
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Psalm und Asche: Altnazi berichtet von seinem Verschicken der Juden nach Ausschwitz. Gleichzeitig wird aus dem KZ berichtet. Geschichte soll historischen Hintergrund haben, was aber die Lesende so nicht weiß. 2 Sterne, da es mich etwas an das Verschwinden von Josef M. erinnerte.
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Gesamtnote: 4 Sterne
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Diese Geschichten lassen den Leser nicht kalt. Sie gehen unter die Haut, gerade weil wohl jeder das Gefühl der Angst kennt, ob aus Kindertagen oder aus Ausnahmesituationen im Erwachsenenleben. Rothmann gelingt es, elf verschiedene Ängste so zu beschreiben, dass sofort spürbar ist, was die betroffenen Personen durchm...
Diese Geschichten lassen den Leser nicht kalt. Sie gehen unter die Haut, gerade weil wohl jeder das Gefühl der Angst kennt, ob aus Kindertagen oder aus Ausnahmesituationen im Erwachsenenleben. Rothmann gelingt es, elf verschiedene Ängste so zu beschreiben, dass sofort spürbar ist, was die betroffenen Personen durchmachen. Dabei spannt er den Bogen von der Stalinzeit in der besonders erschütternden Titelgeschichte bis zur Jetztzeit.
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