Autor im Porträt
Thomas Melle
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Das leichte Leben
Jan und Kathrin hatten mal alles, ihr leichtes Leben ließ sie schweben durch eine Welt, die dem schönen Paar vor allem wohlgesonnen war. Doch dieser Zustand ist ihnen abhanden gekommen. Zu schnell verändert sich die Welt um sie herum und sie selbst fühlen nur Stillstand, sind gefangen in den Konventionen der Ehe und des bürgerlichen Lebens. Kathrin war mal eine gehypte Schriftstellerin, heute fristet sie ihr Dasein als Aushilfslehrerin und versucht sich bei einer Sexparty wieder zu spüren. Jan, ein berühmter TV-Journalist, wird geplagt von einem anonymen Erpresser, der Nacktfotos von ihm als Internatsschüler verschickt. Während ihr Mann panisch fürchtet, dass sein schreckliches Geheimnis ans Licht kommen könnte, begehrt Kathrin ausgerechnet den wunderschönen und mysteriösen Freund ihrer Tochter Lale, der dazu noch ihr Schüler ist.
Nach seinem autofiktionalen Roman »Die Welt im Rücken«, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand und in 22 Sprachen übersetzt wurde, liefert Thomas Melle mit seinem neuen Buch eine literarische Bestandsaufnahme einer Gesellschaft getrieben von Sehnsucht, eben nach dem leichten Leben.
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Die Welt im Rücken
Thomas Melle leidet seit vielen Jahren an der manisch-depressiven Erkrankung, auch bipolare Störung genannt. Er erzählt schonungslos und sprachlich brillant von seinem Umgang mit der Krankheit, von persönlichen Dramen und langsamer Besserung - und gibt so einen außergewöhnlichen Einblick in das, was in einem Erkrankten vorgeht. Die fesselnde Chronik eines zerrissenen Lebens, ein autobiografisch radikales Werk von höchster literarischer Kraft.
Das Buch stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2016 und hat Presse und Leser gleichermaßen begeistert.
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Thomas Melle
Melle, ThomasThomas Melle, 1975 geboren, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie in Tübingen, Austin (Texas) und Berlin. Er ist Autor vielgespielter Theaterstücke und übersetzte u. a. William T. Vollmanns Roman «Huren für Gloria». Sein Debütroman «Sickster» (2011) war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde mit dem Franz-Hessel-Preis ausgezeichnet. 2014 folgte der Roman «3000 Euro», der auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand. 2015 erhielt Thomas Melle, der in Berlin lebt, den Kunstpreis Berlin.Interview Thomas Melle, "3000 Euro"
In "Sickster" schrieben Sie über drei Hipster, die sich mehr oder weniger im Wahnsinn verlieren, auch in "3000 Euro" scheinen die Hauptfiguren Anton und Denise immer kurz davor zu stehen, aus dem bisschen Leben zu fallen, das sie gerade noch für sich erkämpfen konnten. Dieses "Aus-dem-Leben-Fallen" scheint Ihr Thema zu sein, was interessiert Sie daran?
Thomas Melle: Mich interessieren Randfiguren; an ihnen lässt sich viel ablesen, die Gesetze der "Mitte" der Gesellschaft, ihre Verfasstheit, ihre Ausschlussmechanismen. Wer am Rand steht, blickt von außen genauer auf das, was innen passiert. Und Randfiguren sind mir, ganz persönlich, näher. Ich bin selbst eine. Das heißt aber nicht, dass ich mich auch in Zukunft am Rand entlangschreiben und wie ein literarisches Sozialamt nur um die Aussortierten kümmern muss. Das wäre langweilig. Ich vermeide ja auch Sozialkitsch; die Randständigen sind keinesfalls automatisch bessere Menschen als irgendwelche erfolgreichen Player. Es geht um eine Form von Realismus, und diese Figuren, die Strauchelnden, Fallenden, haben mich in den letzten Jahren einfach mehr…mehr
Interview Thomas Melle, "3000 Euro"
In "Sickster" schrieben Sie über drei Hipster, die sich mehr oder weniger im Wahnsinn verlieren, auch in "3000 Euro" scheinen die Hauptfiguren Anton und Denise immer kurz davor zu stehen, aus dem bisschen Leben zu fallen, das sie gerade noch für sich erkämpfen konnten. Dieses "Aus-dem-Leben-Fallen" scheint Ihr Thema zu sein, was interessiert Sie daran?
Thomas Melle: Mich interessieren Randfiguren; an ihnen lässt sich viel ablesen, die Gesetze der "Mitte" der Gesellschaft, ihre Verfasstheit, ihre Ausschlussmechanismen. Wer am Rand steht, blickt von außen genauer auf das, was innen passiert. Und Randfiguren sind mir, ganz persönlich, näher. Ich bin selbst eine. Das heißt aber nicht, dass ich mich auch in Zukunft am Rand entlangschreiben und wie ein literarisches Sozialamt nur um die Aussortierten kümmern muss. Das wäre langweilig. Ich vermeide ja auch Sozialkitsch; die Randständigen sind keinesfalls automatisch bessere Menschen als irgendwelche erfolgreichen Player. Es geht um eine Form von Realismus, und diese Figuren, die Strauchelnden, Fallenden, haben mich in den letzten Jahren einfach mehr interessiert und meiner Wirklichkeitswahrnehmung eher entsprochen als die sicherlich nicht nur flauen Schicksale von Arztsöhnen oder Managertöchtern. In "Sickster" ging es übrigens eben nicht um Hipster. Aber das, wo wir schon dabei sind: nur am Rande.
Anton, eine der beiden Hauptfiguren in "3000 Euro", hatte eine juristische Karriere vor sich, mittlerweile aber hat er Schulden bei der Bank, 3000 Euro, und wartet auf einen Gerichtstermin. Sein verzweifelter Versuch, sich die 3000 Euro von Freunden zu leihen, scheitert an der Egomanie der Menschen. Schwer auszuhalten, diese Lektüre - wie wütend sind Sie über dieses System, in dem Geld alles und Menschen, die kein Geld haben, (scheinbar) nichts wert sind?
Thomas Melle: Sehr wütend. Wut ist ein guter Impuls, um zu schreiben.
Denise sitzt an der Kasse in einem Discounter und kämpft sich als alleinerziehende Mutter durch. Um ihr Konto aufzubessern und sich vielleicht ihren Traum von einer New-York-Reise zu erfüllen, hat sie einen Porno gedreht. Einer ihrer Kunden ist Anton - und zwischen ihm und Denise entwickelt sich auch privater Kontakt. Doch mit einem Happy End der zwei Underdogs lassen Sie Ihre Leser nicht davonkommen, oder?
Thomas Melle: Das Ende ist offen und dennoch eine Auflösung mit Drall nach oben, mit Hoffnung. Kein Happy End, aber auch kein verzweifeltes Verharren. Was genau passiert, wollen wir den Lesern doch nicht vor der Lektüre verraten, oder?
Anton pendelt zwischen Selbstmordgedanken und verzweifelten Versuchen, es vielleicht doch noch hinzukriegen, früher schaffte er das doch auch, vor dem Absturz und den Geldproblemen. Mittlerweile kennen dieses Gefühl, diesen schmalen Grat zwischen halbwegs normalem Leben und drohendem Absturz, viele. Nicht nur die Hartzer, auch junge und alte Kreative - Autoren, Künstler, Journalisten, Schauspieler etc. -, die in einem prekären Leben feststecken. Wie viel von Ihren Erfahrungen steckt in "3000 Euro"?
Thomas Melle: Alle und doch keine. Natürlich teile ich manches mit meinen Protagonisten. Es sind Versionen meiner selbst, die dann zu eigenständigen Figuren mit eigenen Verhaltensweisen und Charakteren werden. Aber es ist Fiktion, und die Imagination steht dabei an erster Stelle. Dass die Decke zwischen Oben und Unten sehr dünn ist, weiß ich allerdings auch aus eigener Erfahrung.
Anton sammelt Berichte über "Verschwinder", z. B. einen Mann, der beschlossen hat, in den Wald zu gehen und dort verhungert ist. Er selbst ist noch sichtbar - sucht er Trost bei denen, die ihm vorausgegangen sind?
Thomas Melle: Er sieht es als Möglichkeit, die ihm langsam zur Notwendigkeit wird. Und er wehrt sich gegen diese Logik.
Es gibt da diese Szene, in der Anton einen Journalisten am Telefon abwimmelt, der über ihn ein Porträt schreiben will. Er hat Anton beim Rappen auf der Straße gesehen. Der Dialog ist bitter und präzise. Wie finden Sie die Sprache von Anton, den anderen Figuren?
Thomas Melle: Ich fand den Dialog eher witzig, aber schön, dass er auch solche Reaktionen triggert. Die Dialoge, die Redeweisen kommen, wenn die Figuren zu mir gekommen sind, wenn ich weiß, wie sie gehen, essen, blicken, handeln und eben auch sprechen.
Wie verlief Ihr Weg hin zum Schreiben, zur Literatur, was bedeutet Literatur Ihnen?
Thomas Melle: Ohne das gäbe es mich gar nicht mehr.
Wie und wo arbeiten Sie am liebsten?
Thomas Melle: Ich habe früher mit Musik geschrieben, jetzt nicht mehr. Ruhe, absolute Ruhe. Drogen: Zigaretten und Kaffee.
Wer bekommt Ihre fertigen Romane bzw. Stücke als Erstes zu lesen?
Thomas Melle: Das wechselt mit den Jahren und Lebenspartnern, logischerweise. Wenn ich eine Freundin habe zu dem Zeitpunkt, dann die. Dieses Buch habe ich, sonst machte ich das eher nicht, einigen weiteren Freunden zum Lesen gegeben und mir ihre Reaktionen genau angehört. Ansonsten kontinuierlich: mein Agent, mein Verleger, mein Lektor.
Sie schreiben auch Theaterstücke und sehen Ihre Figuren bei der Aufführung lebendig werden. Was für ein Gefühl ist das und was für eines haben Sie beim Erscheinen eines neuen Romans?
Thomas Melle: Das Erscheinen eines Romans zieht sich länger hin. Gleichzeitig hat es etwas Existenzielleres, Tektonischeres. Es ist großartig, ein Theaterstück auf der Bühne zu sehen, wenn die Schauspieler sich den Rollen anverwandeln, die Szenen zum Leben erwachen. Der Moment ist gegenwärtiger als alles andere, aber auch völlig vergänglich. Ein Roman verschiebt die innere Landschaft radikal. Unddas über eine längere Zeit.
2011 standen Sie mit "Sickster" auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis, nun haben Sie es mit "3000 Euro" auf die Shortlist geschafft. Was bedeutet es Ihnen?
Thomas Melle: Ich freue mich sehr.
Und wie immer zum Schluss die Frage: Woran arbeiten Sie aktuell?
Thomas Melle: An einem neuen Roman, jedenfalls saß ich bis vor Kurzem dran. Er wird wieder sehr gegenwartsnah operieren - diesmal jedoch auch mit Vergangenheitsbewältigung zu tun haben. Und, um Gottes willen, mit Gott.
Interview Thomas Melle: Ulrike Bauer, Literaturtest