Krimi des Monats Oktober 2019
„No Exit“ von Taylor Adams - Von der bücher.de-Redaktion gelesen und auf Herz und Nieren getestet
Krimi des Monats
Taylor Adams: No ExitEs ist ein grauenvolles Bild, das Darby Thorne nicht mehr loslässt: Die Hand eines kleinen Kindes taucht aus der Dunkelheit auf, klammert sich kurz an einem Gitter fest und verschwindet wieder. War das Einbildung? Oder wird in dem Transporter, durch dessen Seitenfenster die Studentin im Vorbeigehen einen Blick warf, tatsächlich ein Kind in einem Käfig gehalten? Ist sie hier – auf dem Parkplatz einer Raststätte mitten in den verschneiten Bergen des US-Bundesstaats Colorado – zur Zeugin einer Entführung geworden? Wie kann sie helfen? Mit diesen Fragen betritt Darby die nicht besonders einladende Gaststätte namens „Wanapa“, in der sich eine Handvoll weiterer Gestrandeter aufhalten, um sich bei ein paar Drinks und einem lustlosen Kartenspiel die Zeit zu vertreiben. Was sie alle verbindet: Sie sitzen hier fest, zehn Meilen von der nächsten Stadt entfernt, auf 3.000 Meter Höhe. Bis Schneepflüge die durch einen Schneesturm unpassierbar gewordene Straße geräumt haben, kann es Stunden dauern, möglicherweise die ganze Nacht. Und alle hier sind verdächtig, ein kleines Kind möglicherweise entführt und in ihrem Auto in einen Käfig gesperrt zu haben.
Als wäre das nicht genug, treibt Darby auch noch die Sorge um ihre Mutter um. Die liegt wegen Bauchspeicheldrüsenkrebs in einem Krankenhaus im Nachbarstaat Utah. Darby ist eigentlich auf dem Weg zu ihr. Nun empfängt sie vom Krankenbett nur unverständliche Nachrichten von ihrer älteren Schwester. Auch hier sieht es nach einem Rennen gegen die Zeit aus, das Darby unbedingt gewinnen will, obwohl das Verhältnis zu ihrer Mutter seit jeher zerrüttet ist. Wahrscheinlich auch gerade deshalb.
Taylor Adams hat mit Darby Thorne eine Heldin geschaffen, die zunächst wenig heldenhaft daherkommt. Sie wirkt etwas eigenbrötlerisch, ihre engste Beziehung pflegt sie zu ihrem Auto, einem Civic Honda, den sie zärtlich „Blue“ nennt. Ihr Leben im Wohnheim an der Universität von Boulder entspricht so gar nicht dem Klischee der wilden Studienjahre, in denen man es „so richtig krachen lässt“. Darby wirkt wie eingesperrt zwischen den Geistern ihrer nicht sehr behüteten Kindheit und einer ungewissen Zukunft. Ihre hartnäckige und zunächst vorsichtige Spurensuche wird zu ihrem eigenen Befreiungskampf – mit körperlichem Einsatz auf Leben und Tod.
Adams bettet den Krimi in die atmosphärischen Bilder einer düsteren Winternacht. Die Spannung eines geschickt konstruierten Kammerspiels erinnert bisweilen an Agatha-Christie-Klassiker, während die drastischen Passagen manchem Horrorfilm gleichen. Dazu verweisen Popmusik-Zitate und Referenzen an die Angst schürende US-Politik auf den Zeitgeist. So funktioniert „No Exit“ gleichermaßen als hochspannender Escape-Thriller wie als Spiegelbild einer von Gewalt und Misstrauen geprägten Gesellschaft.
Autorenporträt
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