Unter dem Motto "Ein Thema, vier Bücher" stellen die Lektorinnen und
Lektoren des Suhrkamp Verlags mit Unterstützung von Moderator Max
Spallek regelmäßig die unterschiedlichsten Romane, Wissenschafts- und
Sachbücher vor.
Lehnen Sie sich zurück, genießen Sie "Suhrkamp espresso" und lassen Sie sich zu Ihrer nächsten Lektüre inspirieren.
Die Titel im Überblick
Denkerin der Stunde von Richard J. Bernstein
»Begreifen«, schreibt Hannah Arendt in ihrem Hauptwerk
Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, bedeute, »sich aufmerksam und
unvoreingenommen der Wirklichkeit zu stellen, was immer sie ist oder
war«. Zur Lebenswirklichkeit der 1906 geborenen Arendt gehörten
Antisemitismus und Gestapo-Haft ebenso wie Flucht, Staatenlosigkeit und
die Erfahrung, von der US-Regierung systematisch über den Vietnamkrieg
belogen worden zu sein. 45 Jahre nach ihrem Tod gehören zu unserer
Gegenwart die schrecklichen Zustände in Flüchtlingslagern auf Lesbos
oder in Libyen, der Aufstieg autoritärer Bewegungen und ein
US-Präsident, der selten die Wahrheit sagt.
Die Scham von Annie Ernaux
Juni 1952, die kleine Annie ist 12 Jahre alt. Eines Sonntagnachmittags
geschieht etwas Entsetzliches - ohnmächtig muss sie miterleben, wie der
Vater die Mutter umzubringen versucht. Nach kurzer Zeit beruhigt sich
der Vater, und Annie versucht, den Eklat zu vergessen. Bis sie, nahezu
ein halbes Jahrhundert später, auf ein altes Foto stößt, das eine Flut
von Erinnerungen auslöst. Aber was genau ist damals geschehen? Und wie
ist es dazu gekommen?Je tiefer Annie in dieses entscheidende Jahr
eintaucht, umso deutlicher wird ihr die Spannung, in der die Eltern
lebten, zwischen dem Wunsch nach sozialem Aufstieg und dem demütigenden
Rückfall in die alten Verhältnisse. Und auch Annies Zerrissenheit
gewinnt an Kontur, ihr immer wieder schmerzhaftes Bemühen, dem Einfluss
einer religiösen Erziehung zu entrinnen und der bohrenden Sehnsucht nach
Aufbruch und einem besseren Leben zu folgen.Scham ist das beharrliche
Gefühl der eigenen Unwürdigkeit.
Herzl von Camille de Toledo & Alexander Pavlenko
Das moderne Israel entstand in der Welt des alten Europa Ende des 19.
Jahrhunderts. 1882 bricht Ilya Brodsky mit seiner Schwester Olga auf der
Flucht vor Pogromen vom Stetl in Russland auf. In Wien kreuzen sich
ihre Wege mit denen des jungen Theodor Herzl, der inmitten der alten k.
u. k.-Welt einen modernen jüdischen Staat entwirft. Ilya Brodsky erzählt
von dieser für ihn wie das ganze 20. Jahrhundert folgenschweren
Begegnung. Warum ergreift der mondäne, ganz Habsburgisch geprägte Herzl
plötzlich Partei für seine Schwestern und Brüder im Osten Europas?
Welche Träume, welche Gründe haben Herzl dazu geführt, ein "kommendes
Land" zu entwerfen, wo schließlich alle vor der Verfolgung in ihren
Heimatländern sicher sein sollten? Wie ist der zionistische Traum
beschaffen, der bei Anbruch des 20. Jahrhunderts der Zerstörung auf dem
alten Kontinent die Stirn bieten wollte?
Georg von Barbara Honigmann
"Mein Vater heiratete immer dreißigjährige Frauen. [Nur] er wurde
älter... Sie hießen Ruth, Litzy, das war meine Mutter, Gisela und
Liselotte..." Das ist die private Seite einer Lebensgeschichte, die um
die halbe Welt führt: Herkunft aus Frankfurt, Odenwaldschule,
Paris-London-Berlin, dazwischen Internierung in Kanada, nach der
Emigration der Weg in die DDR. Und bei alldem die wiederkehrende
Erfahrung: "Zu Hause Mensch und auf der Straße Jude." Barbara Honigmann
erzählt lakonisch und witzig, traurig und mitreißend von ihrer
deutsch-jüdisch-kommunistischen Sippe: Ein schmales Buch, aber ein
großes Buch über Deutschland - und die bewegende nachgetragene
Liebeserklärung an einen außergewöhnlichen Mann.