Autor: bücher.de
Datum: 01.03.2019
Tags: Empfehlung, Kinderbuch des Monats


In "Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte" von Kirsten Boie wird die berührende Geschichte von Blau-Auge, einem jungen Fuchs, erzählt, der nach einem großen Waldbrand seine Familie verliert und von Mama Reh und ihren Kindern am Rande des Waldes gefunden wird. Trotz der tiefen Trauer über den Verlust seiner Familie gibt sich Blau-Auge alle Mühe, in seiner neuen Familie ein gutes Reh zu sein. Die …
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Kinderbuch des Monats

Kirsten Boie: Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte

Da liegt "ein kleines graues Puschliges" unter dem Heckenrosenstrauch. Die Waldtiere rätseln und lernen dann: Ein junger Fuchs hat zunächst graues Fell und blaue Augen. Ist seine Familie etwa bei dem großen Brand ums Leben gekommen? Kurzerhand nimmt Mutter Reh "Blau-Auge" unter ihre Fittiche. Doch die anderen Tiere bleiben auf der Hut. Als eine freche kleine Maus verschwindet, muss das Füchslein seine Unschuld beweisen. Zum Glück sind das Rehkitz Vielpunkt und er längst Freunde, "sogar fast Brüder".

Was?

"Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte" erzählt von den großen Themen Freundschaft und (Wahl-)Familie. Erstmals nimmt die berühmte Kinderbuchautorin Kirsten Boie dabei die Perspektive von Tieren ein. Auf diese Weise vermittelt sie nebenher einiges Wissen über die einheimische Fauna. Zum Beispiel teilen sich Füchse und Dachse tatsächlich zeitweilig den Bau. Im Kern geht es aber darum, Verständnis für verschiedene Perspektiven und fürs Anderssein zu lernen.

Wie?

Wie der Uhu weiß, muss eine Geschichte spannend sein, lustig und ein kleines bisschen traurig. Was Kirsten Boie augenzwinkernd eine ihrer Figuren aussprechen lässt, hat sie sich selbst zu Herzen genommen: Der Kinderroman ist ein liebenswürdiges, mitreißendes Beispiel für kindgerechtes Erzählen. Und eine Lehre am Rande darf es dann auch geben.

Für wen?

Das Buch ist für Kinder ab sechs Jahren geeignet. Die turbulente Geschichte hat ihre ruhigen Momente, die Kapitel eignen sicher daher ideal als Gute-Nacht-Geschichten.

Von wem?

Die 40 Kapitel sind von Barbara Scholz illustriert. Allein durch ihre liebevollen Zeichnungen schließt man die Tiere alle sofort ins Herz. Und einige doppelseitige Illustrationen vermitteln die Atmosphäre von sonnigen Wiesen und schaurigen Nachtszenen.

Kirsten Boie, 1950 in Hamburg geboren, promovierte über Brecht und arbeitete als Lehrerin, bevor sie zum Schreiben kam. Von "Paule ist ein Glücksgriff" über "Ritter Trenk" bis zur "Möwenweg"-Reihe haben ihre Bücher viele Preise erhalten. Von ihrer Arbeit und ihrem sozialen Engagement berichtet sie im Interview auf Bücher.de.

Und weiter?

Mehr als 100 Bücher hat Kirsten Boie inzwischen veröffentlicht. Und obwohl Kinder sie immer wieder fragen, wann sie denn in Rente geht, schreibt sie immer weiter. Zuletzt erzählte sie in dem Roman "Ein Sommer in Sommerby" ebenfalls von Familie und Landleben - allerdings aus Sicht von Menschenkindern.

Autoreninterview

Interview mit Kirsten Boie zu "Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte"

Frau Boie, "Vom Fuchs der ein Reh sein wollte" ist Ihr erstes Buch aus Tierperspektive. Was hat Sie dazu inspiriert?

Kirsten Boie
: Schon lange spielt für mich das Thema "Perspektive" eine große Rolle: Durch wessen Augen sehen wir in einer Geschichte die Welt? Wir nehmen im Leben dieselbe Situation ganz unterschiedlich wahr - die Eltern anders als das Kind, der Geflüchtete anders als der Einheimische - und das zu begreifen, ist im Leben eine wichtige Fähigkeit. In Büchern können Kinder genau das lernen. Siestecken im Kopf einer Person, die ganz anders ist als sie, entwickeln Verständnis, Mitgefühl-, und begreifen, warum jemand so handelt, wie er das tut. Diese Möglichkeit, in fremden Köpfen unterwegs zu sein, bieten wirklich nur Bücher! Deshalb sollten wir sie nutzen. Wenn man aus der Sicht von Tieren erzählt, ist das wirklich so anders, dass dieses Phänomen "Jeder sieht die Welt aus seiner Sicht und mit seinen Begrenzungen" jedem deutlich wird, wenn auch nicht immer bewusst. Und weil ich denke, dass diese Einsicht im Leben hilft, habe ich diese Geschichte geschrieben. Und weil wir etwas mehrüber die Natur nachdenken sollten. Und weil mir das Schreiben viel Spaß gemacht hat!

Wie gut kannten Sie sich vor der Recherche zum Buch mit einheimischen Tieren aus? Haben Sie Haustiere?

Kirsten Boie
: Meine Kinder hatten immer Hamster, Meerschweinchen und Kaninchen - und die haben mich oft sehr überrascht und berührt, z. B. ihre unvorstellbare Fähigkeit zu trauern beim Verlust eines Partners. Aber mit den heimischen Wildtieren kannte ich mich nicht besser aus als die meisten anderen Menschen. Auch das hat einen Teil des Reizes bei diesem Buch für mich ausgemacht: viel lesen, recherchieren und Naturdokumentationen ansehen.

Die Landschaft spielt eine zentrale Rolle für die Geschichte. War ein konkreter Landstrich Vorbild?

Kirsten Boie
: Nein, tatsächlich nicht. Das ist so eine Mischung aus ganz vielen Landschaften, denen ich im Leben begegnet bin. Dietauchen dann beim Schreiben szenenweise in meinem Kopf auf. So ist das bei mir übrigens bei vielen Büchern.

Der kleine Fuchs lernt, sich selbst Mut zu machen - eine lebenswichtige Lektion. Machen Sie sich vor dem Schreiben Gedanken darüber, was Sie den Kindern mitgeben wollen? Oder entwickeln Sie Ihre Bücher eher anhand der Geschichte?

Kirsten Boie
: Meistens das Zweite. Ich finde es schwierig, eine Geschichte um eine Lehre herum zu entwickeln, das wird dann leicht sehr didaktisch. Mir gefällt es besser, eine Geschichte zu erzählen und beim Schreiben die Botschaften, die darin verborgen sind, zu entdecken und sichtbar zu machen. Das sind in jeder Geschichte eine ganze Menge!

Sie haben mehr als 100 Bücher für verschiedene Altersgruppen und zu diversen Themen geschrieben. Gibt es etwas, an das Sie sich bisher nicht herangetraut haben?

Kirsten Boie
: Natürlich! Das hat mit meinemSchreibprozess zu tun. Damit ich überhaupt den Wunsch habe und mir zutraue, ein Buch zu schreiben, muss ich schon eine (wie auch immer) enge Verbindung zum Thema haben; erst dann kann ich darüber schreiben. Sonst würde mein Buch eher papieren, steif, nicht realistisch werden. Es sind ja gerade die winzig kleinen Alltagserlebnisse, die eine Geschichte glaubhaft und lebendig werden lassen. Wenn ich mich über ein Thema nur theoretisch "schlau gemacht" habe, fehlen mir genau diese Dinge. Es gibt also eine gigantische Fülle wichtiger Themen auf der Welt, an die ich mich nicht herantrauen würde, obwohl ich finde, dass sie eigentlich ein Buch verdienen. Bei manchen fände ich es sogar fast respektlos, wenn ich ohne Erfahrung darüber schreiben wollte.

Was war die lustigste Frage, die Ihnen ein junger Fan bisher gestellt hat?

Kirsten Boie
: Seit einiger Zeit fragen mich Kinder - nachdem sie mein Alter aus mir herausgekitzelt haben - immer wieder, wie lange ich denn bloß noch schreiben will - und ob ich das überhaupt darf! Muss man nicht "Rentner werden"? Ist Opa schließlich auch! Da haben wir dann auch immer gleich ein spannendes Gesprächsthema, beidem alle mitreden können.

Neben Ihrer Arbeit als Autorin engagieren Sie sich unter anderem für die Leseförderung und haben die Möwenweg-Stiftung gegründet. Was haben Sie bei Ihrer Arbeit für Kinderprojekte gelernt?

Kirsten Boie
: Was die Leseförderung betrifft: Bei Lesungen macheich immer wieder die erschreckende Erfahrung, dass viele Kinder bei uns mit zehn Jahren tatsächlich nicht lesen können - offiziell sind das 18,9 % - und das ist nicht ihre Schuld. Welche Chancen haben sie denn wohl im Leben? Für unsere Möwenweg-Stiftung reise ich ja regelmäßig nach eSwatini, in das Land mit der höchsten HIV-Infektionsrate weltweit, wo wir gemeinsam mit einer anderen Stiftung in hundert Betreuungshäusern das große Projekt LITSEMBA für ca. 4000 zum großen Teil verwaiste Kinder und ihre Dörfer betreiben: Ernährung, Bildung, medizinische Versorgung, Kleidung, Arbeit für die Erwachsenen. Nach mehr als einem Jahrzehnt regelmäßiger Aufenthalte bin ich fast schon abgehärtet gegen das Elend - sonst ginge es auch nicht. Trotzdem erschüttert es mich immer wieder, wenn ich sehe, wie Fünfjährige Einjährige über weite Strecken zu unseren Betreuungshäusern schleppen, damit sie zu essen bekommen, wie Großmütter vier, sechs, acht verwaiste Enkel aufziehen und klagen, dass die Kinder hungrig schlafen gehen. 104 von 1000 Kindern sterben dort vor ihrem 5. Geburtstag, in Deutschland sind das gerade mal 3,7. Und von denen, die überleben, sind 26 % "stunted", dafür haben wir im Deutschen nicht mal ein Wort, d. h. durch Nahrungsmangel kleinwüchsig und in der Hirnentwicklung eingeschränkt. Durch diese regelmäßigen Aufenthalte in eSwatini und die vielen und regelmäßigen Kontakte dort gerade zu den "einfachen" Menschen, nicht nur zu Ministerien, studierten Mitarbeitern von Hilfsorganisationen etc., konnte ich z. B. die "Thabo"-Krimis schreiben. Wie ich gesagt habe: Es geht nur mit Erfahrungen.

Autorenporträt

Kirsten Boie ist eine der renommiertesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr Gesamtwerk, das Bundesverdienstkreuz und die Hamburger Ehrenbürgerwürde.

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