Krimi des Monats Februar 2021
„Leichenblume / Heloise Kaldan Bd.1“ von Anne Mette Hancock - Von der bücher.de-Redaktion gelesen und auf Herz und Nieren getestet
Krimi des Monats
Anne Mette Hancock: LeichenblumeEben noch war für Heloise Kaldan alles in bester Ordnung. Als freie Journalistin beim konservativen „Demokratisk Dagblad“ wurde sie von denen gefürchtet, die es verdient haben, und genoss die Anerkennung der meisten anderen. Ihr Privatleben war erfüllt, manchmal sogar aufregend. In ihrer Wohnung im Zentrum von Kopenhagen fühlte sie sich wohl und sicher. Doch dann spielte ihr ausgerechnet ihr Liebhaber Martin Duvall brisante Dokumente zu, die sich – zu spät – als Fälschung herausstellten. Das Vertrauen ist verletzt – auf allen Ebenen. Unversehens stehen Job und Beziehung auf der Kippe. Und weil eine Krise selten allein kommt, entdeckt Kaldan eines Tages auf einem fremden Instagram-Account ein Foto aus ihrem Wohnzimmer. In den Wochen zuvor hatte Heloise zwei rätselhafte Briefe von Anna Kiel erhalten, einer flüchtigen Mordverdächtigen. Beide waren sich nie zuvor begegnet, hatten keinerlei Kontakt. Und nun sieht es so aus, als hätte eine Frau, die vor fünf Jahren den jungen Anwalt Christoffer Mossing brutal ermordet hatte, sich Zugang zu Kaldans Wohnung beschafft. Und offensichtlich legte sie Wert darauf, die Journalistin wissen zu lassen, dass sie das jederzeit wieder tun könnte.
Mit großem Einfühlungsvermögen und einer guten Prise trockenen Humors breitet „Leichenblume“ ein ganzes Beziehungsgeflecht aus, das sich innerhalb weniger Jahre – zum Teil unbemerkt – zwischen Journalisten und Polizei, Tätern, Opfern und Hinterbliebenen gespannt hat. Aus ihrer jeweiligen Perspektive erzählt, bekommt die Geschichte jedes Einzelnen einen individuellen Ton und eine eigene Dynamik. Als Anna Kiel in ihrem Versteck in Südfrankreich dämmert, dass sie entdeckt wurde und jemand zwielichtige Privatschnüffler auf sie angesetzt hat, entwickelt sich vor der schönsten Urlaubskulisse eine Mischung aus Agententhriller und Melodram. Die bisweilen gemeinsamen Ermittlungen der leidenschaftlichen, lebenslustigen Kaldan und des abgebrühten, eigenbrötlerischen Kommissars Schäfer entfalten den Reiz einer, allerdings lebensgefährlichen, Schnitzeljagd.
Dem Romandebüt der dänischen Journalistin Anne Mette Hancock ist anzumerken, dass sie sich in der Welt ihrer Heldin zuhause fühlt. Den Druck, der auf der Jagd nach der nächsten guten, möglichst brisanten Story entsteht, macht sie geradezu beklemmend spürbar – ebenso das Wechselbad der Gefühle, in das Heloise Kaldan immer wieder stürzt, wenn ein beruflicher Erfolg mit deprimierenden Einblicken in die Schattenseiten von Gesellschaft und Politik einhergeht. Hancock erzählt nicht nur von einem Kriminalfall und zwischenmenschlichen Dramen. Sie ruft in Erinnerung, dass auch in einem demokratischen Rechtsstaat hinter den Kulissen Machtmissbrauch und Korruption an der Tagesordnung sein können. So setzt die gelernte Journalistin gleichsam ein Denkmal für ihren ersten Beruf, der die Welt ohne Frage zu einem etwas gerechteren und sichereren Ort macht.
Autoreninterview
Interview mit Anne Mette Hancock zu „Leichenblume“Sie haben in Roskilde Geschichte und Journalismus studiert. Wie sind Sie dann Krimiautorin geworden?
Das ist nicht so einfach zu beantworten. Manchmal kommt es mir so vor, als hätte es in den Sternen gestanden. Ich kann diesen Traum bis in meine frühe Kindheit zurückverfolgen, obwohl es damals eher ein unbewusster Traum war. Dann denke ich wieder, es war Zufall; als wäre ich vor ein paar Jahren eines Morgens plötzlich aufgewacht und hätte mir gedacht: Hey, warum versuche ich nicht, einen Thriller zu schreiben? Als Journalistin habe ich allerdings 2010 ein Interview mit dem Chefpathologen von Kopenhagen geführt. Da wurde auf jeden Fall ein Funke in mir entzündet.
Ihre Heldin in „Leichenblume“ heißt Heloise Kaldan. Wie kamen Sie auf diesen ungewöhnlichen Namen?
Ich habe einen Bachelorabschluss in Geschichte, und Heloise ist eine historische Figur. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen, ohne zu viel von der Handlung zu verraten.
Kaldan arbeitet als investigative Journalistin an einem Mordfall, in dem gleichzeitig ein Kommissar ermittelt. War es Ihnen nicht genug, nur über die Polizeiarbeit zu schreiben?
Das hätte sicherlich auch reichen können. Aber die meisten Autoren schreiben gerne über das, was sie kennen, und Heloise ist in gewisser Weise eine fiktive Version von mir. Wir haben viele Dinge gemeinsam, unseren Beruf zum Beispiel. Mich verbindet auch viel mit meinem Kommissar Erik Schäfer, aber eher auf der persönlichen Ebene. Wir haben den gleichen Sinn für Humor.
Klassischer investigativer Journalismus kostet viel; die meisten Zeitungen müssen aber sparen. Welche Folgen hat es, wenn es immer weniger investigativen Journalismus gibt?
Die Investigativabteilung ist bei allen wichtigen Zeitungen von entscheidender Bedeutung. Die Arbeit, die sie leisten, beleuchtet schwerwiegende Probleme, seien es politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche. Viele wichtige politische Reformen in Dänemark sind das direkte Ergebnis von Artikeln investigativer Journalist*innen. Wenn die Zeitungen Geld sparen wollen, sollten sie es an anderer Stelle tun.
Ihr Buch belegt eine große Affinität zu Südfrankreich und mediterranem Flair. Wollen Sie damit das Spektrum des „skandinavischen Krimis“ erweitern?
Als Kind lebte ich eine Weile mit meiner Familie in Frankreich und ging dort auch zur Grundschule. Ich war auch auf Urlaub in Südfrankreich, als ich die erste Idee zu „Leichenblume“ hatte. Das war also eine ganz natürliche Entwicklung, und ich habe keinerlei Ehrgeiz, das nordische Krimigenre mit südeuropäischen Zutaten aufzupeppen. Die Fortsetzung und das Prequel von „Leichenblume“ finden jedenfalls in Dänemark statt.
In einer Szene erinnert sich Kaldan daran, wie ihr Vater ihr als Kind bei jedem gemeinsamen Ausflug drei neue Wörter beigebracht hat. Welche drei dänischen Wörter möchten Sie uns beibringen?
Erstens: Hygge. Es ist das Wort, das Dänen am meisten definiert, und es ist aus irgendwelchen Gründen in andere Sprachen nicht wirklich übersetzbar. Es bedeutet eine gewisse Art von Gemütlichkeit, eine Wohlfühlstimmung. Uhygge ist das genaue Gegenteil. Es bezieht sich auf etwas Unheimliches. Eine gruselige, furchteinflößende Atmosphäre. Drittens: Kærlighed, die Liebe. Denn was zählt sonst noch im Leben?
Ihre ersten beiden Thriller werden dieses Jahr in Deutschland und in vielen anderen Ländern veröffentlicht. Wie geht es Ihnen mit dieser rasanten Karriere?
Es liegen auf jeden Fall ein paar arbeitsreiche Jahre hinter mir, aber ich fühle mich außerordentlich gesegnet und dankbar, eine so wundervolle und engagierte Leserschaft zu haben, sowohl in Dänemark als auch in anderen Ländern. Ich schreibe gerade an meinem vierten Roman, ebenfalls mit Kaldan und Schäfer ...
Interview: Literaturtest, 2021
Autorenporträt
Weitere Beiträge