Krimi des Monats Dezember 2021
„606“ von Candice Fox - Von der bücher.de-Redaktion gelesen und auf Herz und Nieren getestet
Krimi des Monats
Candice Fox: „606“Das Hochsicherheitsgefängnis Pronghorn liegt mitten in einer Wüste im US-Bundesstaat Nevada. Aus gutem Grund: Hier sitzen Terroristen, Serienkiller und sonstige Mörder ein, unberechenbare Psychopathen, denen keine Aussicht auf Besserung zugestanden wird. Vielmehr muss die zivile Gesellschaft vor ihnen beschützt werden. Selbst wenn es mal einen Ausbruch geben sollte, in dieser unwirtlichen Umgebung käme man nicht weit. Nun aber ist alles anders. Nicht nur einem Insassen gelang die Flucht, sondern so ziemlich allen. Im Zuge des einmal jährlich stattfindenden Softball-Spiels zwischen Wärtern und Häftlingen, zu dem auch die Angehörigen des Gefängnispersonals eingeladen sind, wurde ein kompletter Bus mit Angehörigen gekidnappt – um die Freilassung aller Insassen zu erpressen. Der Plan ging auf. Nun müssen Celine Osbourne, eine Aufseherin im Todestrakt, die Direktorin Grace Slanter und US-Marshall Trinity Parker schnellst möglich herausfinden, wer hinter diesem spektakulären Coup steckt und die Jagd auf die Flüchtigen organisieren.
Die australische Krimiautorin Candice Fox entwirft in „606“ ein wahres Albtraumszenario, das mit jedem Handlungsstrang, der die Flucht einzelner Häftlinge beschreibt, an Intensität gewinnt. Da gibt es etwa den massigen Homer Carrington, der seiner eigenen Gefühlskälte nichts anderes entgegenzusetzen weiß, als jede Gelegenheit dazu zu nutzen, einen unterlegenen Menschen mit bloßen Händen zu erwürgen. Mit Burke David Schmitz ist auch ein Neonazi-Terrorist auf freiem Fuß, der in New Orleans 15 Menschen während des Mardi Gras erschossen hatte. Der Bombenanschlag von Abdul Hamsi war zwar gescheitert, aber unglücklicherweise überfuhr er einen Parkplatzwächter mit seinem Fluchtwagen und war daraufhin hinter Gitter gewandert. Nun gilt es als wahrscheinlich, dass er seine Anschlagspläne wieder aufnehmen wird. Im Fokus steht aber vor allem John Kradle, der seit fünf Jahren wegen Mordes an seiner Frau und seinem Kind einsaß. Er behauptet, unschuldig zu sein und macht sich jetzt auf den Weg in seinen Heimatort, um den wahren Täter zu finden – vielleicht aber auch, um sich an jenen zu rächen, die an seiner Verhaftung beteiligt waren.
Auf der einen Seite beschreibt Fox also ungeschönt, zu welchen Grausamkeiten der Mensch fähig ist. Andererseits blickt sie hinter die Kulissen von Polizeiarbeit und Strafvollzug. Sie weckt Verständnis für die Menschen, die dort – in der Regel von der Öffentlichkeit unbeachtet – ihren Dienst an der Gesellschaft verrichten. Zugleich werden mit einer guten Portion Ironie auch hier zahlreiche Schwächen, die menschlichen und jene des Systems, aufgedeckt. Da verhindern persönliche Befindlichkeiten und Karrierismus effektive Ermittlungsarbeit. Rassismus und die auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich lassen das Justizsystem bisweilen wie eine Schimäre wirken. Candice Fox' Schilderung der – zum Glück fiktiven – größten Verbrecherjagd der US-Geschichte gelingt so der Balanceakt zwischen soziologisch informiertem Drama und einem spektakulären Horror-Story-Reigen.
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