Krimi des Monats Januar 2023
„Vermisst / Der Strand Bd.1“ von Karen Sander - Von der bücher.de-Redaktion gelesen und auf Herz und Nieren getestet
Krimi des Monats
Karen Sander „Der Strand – Vermisst“Normalerweise haben Polizisten auf dem Darß nicht viel zu tun. Wenn es auf der idyllischen Ostsee-Halbinsel überhaupt etwas zu ermitteln gibt, sind es meist Fahrraddiebstähle, hin und wieder mal einen Einbruch. Aus diesem Grund hat es auch Kriminalkommissar Tom Engelhardt hierhin verschlagen. Er wollte mit seiner kleinen Familie ein ruhigeres Leben führen als zuvor in Berlin. Doch es kam alles anders. Seine Frau, ebenfalls Polizistin, wurde bei einem Einsatz getötet. Tom muss sich nun in der Rolle des alleinerziehenden Vaters zurechtfinden. Seine Tochter Romy wird im Kindergarten gemobbt. Und nun ist auch noch Lilli verschwunden, die allseits beliebte Angestellte eines Blumenladens. Als das Fahrrad der jungen Frau aus einem Tümpel gezogen wird, ist das Schlimmste zu befürchten. Aber dann bekommt ihre beste Freundin Fabienne eine Nachricht von Lilli, ein Foto per WhatsApp. Es zeigt nichts weiter als ein paar geheimnisvolle Zeichen im Sand. Also wird Mascha Krieger dem eigenbrötlerischen Tom Engelhardt zur Seite gestellt, eine Kryptologin vom Landeskriminalamt Schwerin.
Das Ermittlerteam steht heftig unter Druck. Lilli ist gehörlos, was sie zusätzlich gefährden könnte. Als Enkelin des wohlhabenden Ex-Bürgermeisters Sternberg wäre sie ein lohnendes Entführungsopfer, und der zugezogene Engelhardt ist gut beraten, dem immer noch einflussreichen Strippenzieher Sternberg schnell Ergebnisse zu liefern. Dass sowohl Engelhardt als auch die dickköpfige Krieger ein düsteres Geheimnis aus ihrer Vergangenheit mit sich herumschleppen, macht ihre Zusammenarbeit nicht gerade entspannter. Dann untersucht eine Lokaljournalistin die zwielichtigen Geschäfte, in die Fabiennes Vater, der Bauunternehmer Mauritz, verwickelt ist. Zwischen Lillis engsten Freunden flammt lang unterdrückte Eifersucht auf, und es stellt sich heraus, dass an dem Ort von Lillis Verschwinden zehn Jahre zuvor schon deren Mutter ermordet worden war. Der Fall zieht immer weitere Kreise und bringt Engelhardt und Krieger zunehmend an ihre Grenzen …
Karen Sander – hinter dem Pseudonym steckt die Bestsellerautorin und Weltenbummlerin Sabine Klewe – hatte mit Hauptkommissar Georg Stadler und der Psychologin Liz Montario bereits ein ungleiches Duo fünf Krimis lang ermitteln lassen. Auch ihr neues Team begibt sich auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Zwischen langsam wachsender Sympathie und schroffen Zurückweisungen erweisen sich Tom Engelhardt und Mascha Krieger jedoch als versierte Profis, die letztlich auch deshalb gut zusammenarbeiten, weil sich beide als Außenseiter fühlen und Verständnis füreinander haben. Mit dem Blick einer Außenstehenden taucht auch die Düsseldorferin Karen Sander in die überschaubare Welt des Küstenortes Sellnitz in Mecklenburg-Vorpommern ein. Deren ältere Bewohner scheinen oft noch zerrissen zwischen ihrer DDR-Vergangenheit und der Ellenbogengesellschaft der Gegenwart. Die Jungen wirken eher etwas verloren und wissen nicht so recht, wohin mit ihren Träumen. Wie Lillis Verschwinden in diese Gemeinschaft einbricht, sie vor Sorge lähmt und gleichzeitig tiefes Misstrauen unter den Nachbarn schürt – auch davon erzählt Sander so präzise wie einfühlsam. Zugleich entwickelt ihre Geschichte einen subtil spannenden Sog, der für einen einzelnen Krimi schlicht zu stark ist: Die Bände 2 und 3 der Trilogie „Der Strand“ erscheinen im März bzw. Juni 2023.
Autoreninterview
Interview Karen SanderSie haben Ihre Kommissare bisher durch ganz Europa geschickt. Warum haben Sie nun als Handlungsort die Halbinsel Darß gewählt?
Mich hat an dem Schauplatz gereizt, dass er begrenzt ist und dass es fast wie bei einem klassischen Detektivroman eine begrenzte Zahl von Verdächtigen innerhalb einer engen Gemeinschaft gibt. Und dann ist da die traumhafte Landschaft auf dem Darß, auf dieser schmalen Landzunge zwischen Bodden und Meer, mit den malerischen Dünen und dem Wald mit seinen sturmgebeugten Bäumen, die bis an den Strand reichen. Was für ein Krimischauplatz!
In „Der Strand – Vermisst“ geht es um das Verschwinden einer jungen Gehörlosen. Kennen Sie Worte in der Gebärdensprache?
Ich habe mir für die Recherche einige Gebärden selbst beigebracht und gründlich zu dem Thema recherchiert. Allerdings ist Lilli ja verschwunden, deshalb spielt die Gehörlosigkeit fast nur in der Wahrnehmung ihrer Umwelt eine Rolle.
Neben Ihrem Ermittlerteam ist auch die Lokaljournalistin Dayita Kumar in den Fall involviert. Wie würden Sie Kumar beschreiben?
Dayita ist eine Person, die das Richtige will, aber nicht immer das Richtige tut. Zudem ist sie getrieben von dem Drang, sich zu rehabilitieren. Das trübt ihren Blick. Aber ihre Stunde wird kommen.
Haben Sie selbst einmal darüber nachgedacht, Reporterin zu werden, oder war Ihnen fiktionales Erzählen immer näher?
Das wäre tatsächlich eine Option für mich gewesen, und ich habe ernsthaft darüber nachgedacht. Ich habe auch im Laufe der Jahre einige nicht-fiktionale Texte verfasst, und das hat mir großen Spaß gemacht. Aber in meinem Kopf sind noch so viele Geschichten, die unbedingt rauswollen …
„Der Strand – Vermisst“ ist der Auftakt einer dreibändigen Krimireihe unter dem Pseudonym Karen Sander. Wonach entscheiden Sie, unter welchem Namen Sie veröffentlichen und wieviel Raum es erfordert, eine Geschichte oder über bestimmte Charaktere zu erzählen?
Das Pseudonym steht vor allem für ein bestimmtes Genre. Deshalb erscheinen meine historischen Romane unter anderen Namen als meine Thriller. Als ich die Idee zu „Der Strand“ hatte, wusste ich gleich, dass diese Geschichte mehr Zeit braucht, um erzählt zu werden, deshalb habe ich sie auf drei Bände angelegt. Das hat vielleicht auch mit dem Setting und den Figuren zu tun, denen ich diesmal besonders viel Raum gebe.
Ist ein Wiedersehen mit dem Team Engelhardt und Krieger nach Band drei ausgeschlossen?
Ich denke, ich darf verraten, dass Engelhardt und Krieger noch einmal zusammen ermitteln werden.
Sie sind Mitglied im Köln-Düsseldorfer Kriminalkomitee. Was ist das?
Als Köln-Düsseldorfer Kriminalkomitee bestreiten sieben Autorinnen und Autoren aus Düsseldorf und Köln gemeinsam Lesungen. Neben mir sind das Ilka Stitz, Brigitte Glaser, Horst Eckert, Martin Conrath, Stefan Winges und Martin Schüller. Das Besondere dabei ist, dass wir unsere Texte mit verteilten Rollen lesen. Das macht uns viel Spaß – und dem Publikum hoffentlich auch. Für mich ist der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen enorm wichtig, und fremde Texte vorzutragen oder zu hören, wie andere die eigenen Texte lesen, ist eine total spannende Erfahrung.
Interview: Literaturtest, 2022
Autorenporträt
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