Autor: Vera
Datum: 26.05.2023
Tags: Empfehlung, Unser Buchtipp

Wo Christina Walker das Fliegen gelernt hat? Vielleicht in der Dorfbibliothek ihres Heimatortes. Hier ließ sie sich schon als Kind von Geschichten beflügeln, war mit den Kinderbüchern schnell durch und griff bereits in jungen Jahren in die Erwachsenenregale. Oder vielleicht in Wien, wo die in Bregenz geborene Autorin eine prägende Phase ihres Lebens verbrachte: Hier erlebte sie die 1990er. In diesem Jahrzehnt wurde Wien, das jahrhundertelang für klassische Komponisten bekannt war, plötzlich zum Hotspot für elektronische Musik. Die Subkultur durchbrach eingestaubte Traditionen, Clubs schossen aus dem Boden – Wien wurde flügge und Christina Walker flog ein bisschen mit.


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Die Autorin, die inzwischen in Augsburg lebt, hat neben ihrer Tätigkeit als Werbetexterin bereits diverse literarische Texte veröffentlicht: Für Auto, ihr Romandebüt, erhielt sie 2018 den Literaturpreis des Landes Vorarlberg und für die Novelle „Das Krähennest“ wurde sie 2020 mit dem Schwäbischen Literaturpreis ausgezeichnet. Der Novelle fügte sie weitere Kapitel hinzu. Der daraus entstandene Roman Kleine Schule des Fliegens ist im April 2023 im Braumüller-Verlag erschienen und ist unser Buchtipp der Woche! Worum es geht und was der Autorin bei ihrer Arbeit wichtig ist, hat sie uns in einem persönlichen Gespräch verraten. 
(Foto: ©Petra Rainer)


Christina Walker im Interview

bücher.de: Würden Sie kurz beschreiben, worum es in „Kleine Schule des Fliegens“ geht?

Christina Walker: Super kurz gefasst ist es eine Geschichte über Menschen und Krähen, über Widerständigkeit und die Liebe zum Leben. Alexander Höch, der Erzähler, kommt gerade aus dem Krankenhaus, er hat eine längere Chemotherapie hinter sich und möchte eigentlich nach Hause. Aber dort lässt seine Frau Eva renovieren. Also wird Höch in der Wohnung seines Bruders untergebracht, was ihm überhaupt nicht passt. Dort ist es außerdem mit der Ruhe nicht weit her, denn Krähen ziehen in den Baum vor dem Fenster. Und da ist auch noch die rätselhafte Nachbarin, Frau Miller, die sich um Höch kümmern sollte, aber stattdessen eine Krähenabwehr ins Leben ruft …

bücher.de: Ruhe findet Alexander Höch demnach keine … er scheint dann aber ganz froh zu sein über die Ablenkung, oder?

Christina Walker: Natürlich, wenn man in einer fremden Wohnung festsitzt und nichts zu tun hat, ist man dankbar für die Krähen, die draußen im Baum ihr Nest bauen. Oder besser: bauen wollen. Die Vögel sind der treibende Motor der Geschichte. Während Melitta Miller und ihre Krähenabwehr immer heftigere Geschütze gegen die Ansiedlung der Vögel auffahren, formieren sich die Unterstützer der Krähen ebenso. Und Höch findet – zwischen diesen Fronten – seinen Lebenswillen endgültig wieder, was seine Frau aber nicht so interessiert. Die Entfremdung ist offensichtlich, jene zwischen Alexander und Eva genauso wie jene zwischen den Menschen und der Natur, die auf einmal so nahe rückt, dass man sich mit ihr auseinandersetzen muss.

bücher.de: Sie schreiben eher leise Geschichten mit Tiefgang – es geht nicht um radikale Wendungen und sensationelle Plots, sondern um langsame Entwicklungen, die ja schlussendlich auch lebensverändernd sein können. Woher kommen die Ideen für Ihre Geschichten?

Christina Walker: So unradikal ist der Plot diesmal gar nicht.

bücher.de: Stimmt auch wieder. Der Krähenkrieg schaukelt sich ja hoch …

Christina Walker: Meistens beginnt die Idee für eine Geschichte bei mir mit einem Ort. In „Kleine Schule des Fliegens“ war es der Krähenbaum. Den gibt es tatsächlich, schräg gegenüber von meiner Wohnung. Die Krähen waren laut, überall am Gehweg lag plötzlich Kot, beides konnten die Menschen in der unmittelbaren Umgebung schlecht ignorieren. „Was passiert jetzt? Wie reagiert die direkte Nachbarschaft?“, habe ich mich gefragt. Wenn ich den Ort und die Protagonisten für meine Geschichte gefunden habe, braucht es den ersten Satz – der muss den Ton treffen und die Stimmung, die sich dann mehr oder weniger durch das Buch zieht. Danach lasse ich die Geschichte sich entwickeln. Ich lasse mich selbst überraschen, was alles passiert, durch welche Höhen und Tiefen die Heldinnen und Helden müssen, bevor sich eine Lösung auftut.

bücher.de: Wir haben 2021 Ihr erstes Buch „Auto“ bei uns im Magazin vorgestellt. Darin geht es um einen Mann, der sich selbst inmitten unserer rastlosen Gesellschaft den absoluten Stillstand verordnet. In „Auto“ war Ihre Erzählperspektive personal, in „Kleine Schule des Fliegens“ schreiben Sie aus der Ich-Perspektive. In beiden Büchern ist der Protagonist ein Mann. Ist das ein Zufall oder war das eine ganz bewusste Entscheidung?

Christina Walker: Das war keine Absicht. Die Protagonisten stellen sich einfach ein … Vielleicht tue ich mir auch leichter mit der männlichen Perspektive auf die Dinge. Sie bietet womöglich die nötige Distanz, die man zu seinen Protagonisten beim Schreiben wahren sollte. Viele meiner kürzeren Texte erzählen hingegen aus weiblicher Sicht. In „Kleine Schule des Fliegens“ ist es ausgerechnet der männliche Held, der unerwartet seine Empathie entdeckt: für die Vögel, für die Mitmenschen, sogar für seine Frau, die ihn – aus seiner Sicht – ziemlich vernachlässigt. 

bücher.de: Wie wir miteinander und mit der Natur, hier vertreten durch die Krähen, umgehen, ist ein zentrales Thema in Ihrem Buch. Könnte man es auch als Gleichnis lesen? Stehen die Krähen, beziehungsweise deren versuchte Vertreibung für unseren Umgang mit dem Fremden?

Christina Walker: Ja, das ist eine mögliche Lesart. Gegenseitiger Respekt, Verständnis und Toleranz sind ja alles andere als selbstverständlich. Das merken im Buch die Krähen und neben Höch noch andere Figuren. Trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen?) gibt es, glaube ich, einiges zum Schmunzeln oder sogar zum Lachen beim Lesen. 

bücher.de: Nebenbei sind Sie durch viel Beobachten und Recherchieren zur Krähen-Expertin geworden – wie ist Ihr Verhältnis zu Krähen? Liebe oder Abneigung oder vielleicht ein bisschen von beidem?

Christina Walker: Es hätte beides sein können. Aber tatsächlich bin ich mittlerweile ein Krähen-Fan geworden. Krähen und Rabenvögel insgesamt haben ja eine sehr wechselhafte Entwicklung in der Kulturgeschichte durchgemacht – vom Göttervogel bei den alten Römern und den Raben, die Odin als Ratgeber an seiner Seite hatte, bis zum typischen Galgenvogel. Im Mittelalter wurden sie zum Todessymbol. Davon ist viel geblieben, vielleicht wegen der schwarzen Farbe und weil diese Vögel eben auch Aasfresser sind. Meine Hochachtung haben die Krähen, weil sie schlau und hartnäckig sind, weil sie sich anpassen können. Zudem leben einige Krähenarten in großen Sozialverbänden ohne schwerwiegende Reibereien zusammen. Da könnten wir Menschen uns ein Stückchen davon abschneiden. 

„Kleine Schule des Fliegens“ bei bücher.de

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