Autor: bücher.de
Datum: 28.10.2023
Tags: Empfehlung, Unser Buchtipp

Endspurt beim Literaturfestival: Am vorletzten Tag unserer Literaturwoche bringt US-Autor Richard Ford seinen Helden Frank Bascombe zurück, über den er zuletzt vor über vierzig Jahren schrieb. Wir stellen Ihnen den Roman „Valentinstag“ kurz vor und verraten Ihnen in einem Autorenporträt mehr über Richard Ford, der gegenwärtig zu den bedeutendsten amerikanischen Schriftstellern zählt.

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Der unverwechselbare Sound eines großen Autors 

Richard Ford erzählt von Frank Bascombes traurig-schönem Roadtrip mit seinem kranken Sohn

Wer je Richard Ford gelesen hat, der kennt Frank Bascombe. Der neue Roman „Valentinstag“ dreht sich, nach u. a. „Der Sportreporter“ oder „Unabhängigkeitstag“, wieder um diese, Fords legendäre Hauptfigur. Frank ist inzwischen 74 Jahre alt, und sein Sohn Paul, 47, todkrank. Diagnose: ALS. Nun machen sich Vater und Sohn auf einen Roadtrip zum Mount Rushmore, dem Ort, an dem vier Präsidentenköpfe – Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln – in Granit gehauen wurden. Es ist kurz vor dem Valentinstag, also Februar und bitterkalt. 

Als Kind und Teenager war Paul immer irgendwie anders. Unangepasst, nerdig, einer, der über Dinge lachte, über die sonst keiner lachte. Liebhaber von Sachen, die die Welt nicht braucht. Trash hat es ihm angetan, und T-Shirts mit pubertär-peinlichen Aufdrucken. Seine Krankheit beobachtet er ironisch-distanziert und mit bitterbösem Humor, meistens jedenfalls. Sein Zustand wird – trotz Teilnahme an einer Arzneimittelstudie einer renommierten Mayo-Klinik – immer schlechter. 

Nun hat sich Vater Frank Bascombe in den Kopf gesetzt, diesen Ausflug zu machen. „Warmer Wind“, so heißt das geliehene Retro-Wohnmobil, in dem das Vater-Sohn-Gespann unterwegs ist. Richard Ford erzählt diese Fahrt durch das „Herzland“ Amerikas meisterhaft in dieser ganz eigenen Frank-Bascombe-Art: unpathetisch, rotzig und mit einem genauen Blick, auch für die eigenen Unzulänglichkeiten, das eigene kleine Leben. „Heutzutage ist natürlich alles ein Narrativ. Und mir war mein eigenes eher scheißegal.“ Trump beschreibt er mal so: „Präsident Trumps gedunsenes, glubschäugiges Gesicht füllte den TV -Bildschirm hinter der Gratisbar, ganz Mussolini mit der Hündchenschnauze und den verschränkten Armen. Ich konnte nicht wegschauen – die knolligen Arme, das vorspringende Kinn, in alle Richtungen gleichzeitig spähend, ob er auch beklatscht würde, und nie war es genug.“ Zwei kleine Beispiele für diesen Bascombe-Sound, der einen immer wieder laut auflachen lässt. Übersetzer Frank Heibert hat eine wunderbare deutsche Fassung dieses Sounds geschaffen.

Paul und Frank schaukeln sich oft gegenseitig hoch mit schräg-komischem Humor, mal spielen sie „Republikaner“ und toppen einander mit Sprüchen wie „Grönland annektieren“ oder „Todesstrafe für alle, die sich weigern, Waffen zu tragen“. Und Paul schießen tausend Fragen durch den Kopf, ob „Denkst du, wenn wir in einer alten Kultur leben würden, würde sie aussterben, weil wir nicht klug genug sind?“ oder die, ob er noch einmal flachgelegt werden wird. Eher nein, so seine Prognose. 

Neben dieser Vater-Sohn-Geschichte erzählt Ford meisterhaft von dieser Fahrt durch das ländliche Amerika. Tote Tiere am Straßenrand, Dachse, Hasen, ein Kojote, eine Antilope. Dann Schilder für ein Indianerreservat, Elvis‘ Schrein, einen Dinosaurierpark oder einen versteinerten Wald. Die Hotels sind trist, trotz (oder wegen) tausender Leuchtreklamen, einzig der einzige „Maispalast der Welt“ in South Dakota erfreut Pauls Trash-Herz, vor allem der Shop, in dem es unfassbar schrottige Mais-Mitbringsel gibt. Manche Übernachtungsorte entlocken Paul Sätze wie „Sieht aus wie die Pforte zum Tod“. Und auch die vielen Begegnungen mit „Durchschnittsbürgern“, die Ford mit oft wenigen Sätzen so zum Leben erweckt, dass man glaubt, mittendrin zu sein in dieser Szene in einem schäbigen Wohnmobil-Verleih-Schuppen oder wo auch immer, zeichnen ein desillusioniertes Bild. Viele haben zwei Jobs, um sich über Wasser zu halten, und hangeln sich irgendwie durch ihr Leben. Genau wie Frank Bascombe.

Am Ziel der Reise entlockt der Mount Rushmore Sohn Paul dann echte Begeisterung. Während Vater Frank ein „körniges Gefühl“ erlebt, dass er auf der Aussichtsplattform eine ideale Zielscheibe für einen Amokschützen liefern würde, dem Gedanken nachhängend, dass das „Leben im öffentlichen Raum nicht mehr ist, was es mal war“. Paul hingegen liebt es, weil es „komplett sinnlos und lächerlich“ ist und dennoch „super“. Gleichzeitig starrt eine junge Frau verständnislos auf die Granitgesichter und fragt: „Machen die irgendwas?“ Für Paul und Frank aber gibt es nicht genug „absichtlich stupide Dinge auf der Welt“. Und Frank macht genau das glücklich: dass er und sein Sohn ein einziges Mal etwas gleich wahrnehmen.

Richard Ford: Autorenporträt

Richard Ford, Jahrgang 1944, zählt zu den bedeutendsten Autoren der USA. Dass Ford überhaupt Schriftsteller wurde, ist eher einem Zufall geschuldet. Denn eigentlich wollte er lernen, ein Hotel zu führen, so wie sein Großvater. Doch die Hotelfachschule war nicht das Richtige, genauso wenig wie die Armee, aus der er wegen einer Erkrankung entlassen wurde. Warum er danach englische Literatur studierte, kann er selbst nicht so genau erklären. Ein Impuls sei das gewesen, das ist oft zu lesen in Gesprächen mit ihm. Und das, obwohl Ford eine Leseschwäche hatte und sich Bücher langsam Wort für Wort erschließen musste. Weitere Versuche in unterschiedlichsten Berufen folgten, u. a. als Lehrer, Baseball-Trainer oder Sportreporter. Das Schreiben aber ließ ihn nicht los, und sein Debüt wurde für den „Ernest Hemingway Award“ nominiert. Ford wehrte sich allerdings vehement gegen eine Einordnung als Südstaatenautor. Er wuchs in Mississippi auf, und das Buch „Ein Stück meines Herzens“ spielt sowohl dort als auch in Arkansas. So ließ Ford seinen nächsten Roman in Mexiko spielen. Verkaufserfolge waren beide Bücher nicht. 

So arbeitete Ford wieder als Sportreporter, sehr zufrieden damit. Doch das Magazin, für das er arbeitete, wurde eingestellt, Ford war wieder ohne Job. Da seine Frau, Kristina Hensley, als Stadtplanerin sehr erfolgreich war, begann Ford wieder zu schreiben. Er erfand seine wohl bekannteste Hauptfigur: Frank Bascombe, ein Sportreporter und Autor aus New Jersey. „Der Sportreporter“, so hieß denn auch das erste Bascombe-Buch. Es erschien 1986 in den USA und wurde ein Erfolg. Es folgten die Bascombe-Bücher „Unabhängigkeitstag“, „Die Lage des Landes“, „Frank“ und „Valentinstag“. Für „Unabhängigkeitstag“ erhielt Ford sowohl den Pulitzer-Preis als auch den PEN/Faulkner-Award – beide Preise hatte vor ihm noch nie ein Autor für dasselbe Buch erhalten. Neben den Frank-Bascombe-Titeln veröffentlichte Ford u. a. 2012 den Roman „Kanada“, diverse Erzählungen und verfasste auch ein Drehbuch. 

Ford lebt mit seiner Frau – das Paar heiratete 1968 – in Maine. Was er gern tut, wenn er nicht schreibt, das hat Ford in einem Interview mit dem New York Times Magazine erzählt. „Man könnte es Zeitverschwendung nennen, aber ich nenne es einfach Leben. Auf Vogeljagd gehen, Bücher lesen, die Red Sox spielen sehen, mit meiner Frau Dinge unternehmen, für die ich sonst keine Zeit habe, wenn ich einen Roman schreibe ...“. 2024 wird Richard Ford 80 Jahre alt. Ob er einen weiteren Frank-Bascombe-Roman schreiben wird?




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