Sinkende Sterne
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Heute steht Sinkende Sterne von Thomas Hettche im Mittelpunkt. Wir verraten Ihnen, worum es im Roman geht und präsentieren ein Interview mit Thomas Hettche. Welcher Charakter aus seinem Buch ihm besonders am Herzen liegt lesen Sie weiter unten auf dieser Seite!
Wenn die Soldaten wieder patrouillieren
Thomas Hettches fantastische Reise in eine absurd-komische Welt
Am Hang: zwei Chalets im Wallis. Viele sollten es werden. Eines davon gehörte dem Vater Thomas Hettches, realer Autor von „Sinkende Sterne“ und fiktiver Autor im Roman. Seit seiner Kindheit kennt er die Fahrt hierher in die Schweiz, von Deutschland aus. Doch etwas ist passiert. Anreisen darf nur, wer eine Genehmigung hat. Bewaffnete Soldaten kontrollieren den Zugang. Ein Unglück, ein Bergsturz. Danach hatte sich die Rhone aufgestaut, und nun sind ein halbes Dutzend Dörfer im Wasser versunken, der Lötschbergtunnel ist geflutet. Es gab Tote. Nun liegt da ein See, Kirchturmspitzen ragen noch heraus. Das Telefon in dem Chalet hat keinen Empfang. Stille.
Als Ausländer darf Hettche nicht länger bleiben. Seine Eltern sind hier begraben, das Chalet gehört ihm. Aber all das zählt nicht mehr. Denn der Bergsturz hat den Menschen einen Vorwand dafür geliefert, uralte Ordnungen wiedereinzusetzen. Sie wollen gar nicht, dass das Wasser wieder abfließt, im Gegenteil. Sie sichern die Talbreite, Soldaten patrouillieren. Nun ist es wieder wie früher. Zugang gibt es nur noch über Bergpässe, denn der Tourismus hat, wie es der Kastlan von Leuk sagt, der nun regiert, „die Seelen der Bergbewohner angegriffen, er hat sie erniedrigt“. Das habe nun ein Ende.
Hettche nimmt uns in „Sinkende Sterne“ mit auf eine fantastische Reise. Traumsequenzen, philosophische Diskurse und Überlegungen zu aktuellen Debatten um political correctness verweben sich mit dem ebenso fantastischen Geschehen im Wallis, der Sagenwelt dort. Der Kastlan, Jesko Zen Ruffinen heißt er und ist Bannerherr der Sieben Zenden, herrscht nun wieder über die Untertanen. Und natürlich gibt es auch so etwas wie Gegenspieler. Einer davon ist der Sulpice von Werra, Notar und Viztum, also Bevollmächtigter der Bischöfin von Sion. Richtig gelesen! Kein Bischof, eine Bischöfin, schwarz, wunderschön und höchst überraschend in der Begegnung ...
Der Notar will Hettche helfen, denn der will das Chalet behalten. Seine Dozentenstelle hat er, der angeblich auf „Texte eines westlichen Kanons“ fixiert sei, „überholte Qualitätsvorstellungen“ pflege und dem auch noch „sexistischer Sprachgebrauch“ vorgeworfen wurde, verloren. Er hatte sowieso nur noch einen Studenten, Dschamil. Und er hatte ein Seminar zur Odyssee angeboten. Odysseus, der sich danach sehnt, seine Seele zu retten. Hettche, heimatlos geworden im geistigen Leben, will nun nicht auch noch die zweite reale Heimat im Wallis verlieren. Denn da gibt es auch noch Marietta, eine Jugendliebe. Deren Tochter Serafine scheint, wie die armen Seelen, vor denen sie sich fürchtet, der Geister- und Sagenwelt des Wallis ebenso verfallen wie dem Gaming. Denn beim „RalliSport Challenge“ kann sie gegen ihren toten Vater noch Wettrennen fahren. Besser gesagt, gegen seinen „Ghost Car“. Als Rekordhalter wurde sein Subaru gespeichert, und andere Spieler können sich mit ihm messen. Geister auch hier, in der digitalen Welt.
Wer sich auf diese vielschichtige Reise einlässt, taucht ein in eine faszinierende, dunkle, aber oft auch absurd komische Welt. Die Natur übermächtig und gleichgültig, die Menschen ausgeliefert. Auch sich selbst und ihren inneren Kämpfen, Träumen und Wunden. Welche Kraft dabei das Schreiben, das Erzählen hat, auch das verhandelt Hettche in „Sinkende Sterne“. Die Kraft des Erzählens durch die Zeiten und seine eigenen Erfahrungen damit. Wie in dieser Szene, in der er einen Füller findet und mit ihm zu schreiben beginnt. „Es war wieder so wie früher beim Schreiben, als säße ich dabei am Rand der Welt. Jeder Satz wird neben der Welt geschrieben, dachte ich glücklich, wie hatte ich das vergessen können.“