Autor: bücher.de
Datum: 27.10.2023
Tags: Empfehlung, Unser Buchtipp

bücher.de feiert den Leseherbst mit ausgewählten Neuerscheinungen: Beim Literaturfestival vom 23. bis 29. Oktober stellen wir Ihnen an sieben Tagen sieben lesenswerte Bücher vor. Und nicht vergessen: Beim Literaturfestival gibt's was zu gewinnen! Wir verlosen fünf Buchpakete mit je sieben aktuellen Titeln. Hier klicken, um zum Gewinnspiel zu gelangen!

An Tag 5 reisen wir mit dem Zug an einen fiktiven Ort in Schweden: Wir verraten Ihnen, worum es in „Endstation Malma“ von Alex Schulmann geht und präsentieren ein Interview mit dem Autor.

Drei Leben

Die Vergangenheit ist immer mit an Bord – auf der Reise nach Malma

Schon in seinem erfolgreichen Buch „Die Überlebenden“ entfaltete der schwedische Bestsellerautor Alex Schulman ein Familiendrama: das seiner eigenen Familie. Die Zeitung „Expressen“ sagte über ihn, er schreibe, als ob sein Leben davon abhinge. In einem weiteren Interview bemerkte er dazu, dass diese Formulierung es ganz gut treffe. Er würde immer dahin gehen, wo es am meisten weh tue, es am dunkelsten sei. Viele seiner Werke sind immer auch autobiografisch. Schulman stammt aus einer bekannten schwedischen Familie: Der Großvater war ein berühmter Schriftsteller, aber auch ein Tyrann, der Schulmans Großmutter erniedrigte. Die Mutter war Alkoholikerin. Auch darüber schrieb Schulman, Jahrgang 1976. In „Verbrenn all meine Briefe“ erzählt er das Drama seiner Großmutter, die es nicht schaffte, trotz einer anderen großen Liebe den Großvater zu verlassen. Zu groß war die Angst vor dessen Wut ... diese Wut, die kennt auch Alex Schulman. Er trägt sie in sich und begibt sich in seinen Büchern auf die Suche nach ihren Wurzeln. 

Auch in „Endstation Malma“ begegnen wir dieser Wut wieder. Hier nimmt sich Schulman der Schicksale unterschiedlicher Menschen an, die alle in einem Zug Richtung Malma sitzen, einem fiktiven Ort in Schweden. Der Roman kreist um drei Figuren: Harriet, Oskar und Yana. In 28 kurzen Kapiteln erzählt Schulman jeweils die Geschichte der Figur, oder besser: eine Geschichte der Figur. Und nach und nach erkennen wir, wie alles zusammenhängt. Den Anfang macht Harriet, ein Mädchen von etwa acht Jahren. Es ist ein heißer Augusttag, und sie sitzt mit ihrem Vater im Zug. Die Eltern haben sich scheiden lassen, und beide wollten nicht sie, sondern die andere Schwester, Amelia, zu sich nehmen. Harriet hat das Gespräch heimlich mitgehört. Ihr Vater sagte: „Ich finde es schwierig mit ihr. Wir haben nicht dieselbe Wellenlänge.“ Ein Schock für das Mädchen. Von da an – sie lebt nun doch beim Vater – fühlt sie sich ständig schuldig, in des Vaters Schuld. Sie versucht, dieselbe Wellenlänge herzustellen. Unterdrückt ihre Gefühle, weil Papa es nicht mag, wenn sie weint ... 

Auch Oskar sitzt im Zug mit Endstation Malma. Sein Vater hat ihm mal gesagt, „sobald er eine schöne Frau sehe, solle er sich vorstellen, wie sie wohl gehäutet aussähe. Dann laufe er nicht Gefahr, sich von irgendeiner Schönheit blenden zu lassen.“ Ein Ratschlag aus der Hölle. Oskar wird sich Hals über Kopf in eine schöne Frau verlieben, schwierig, neurotisch und exaltiert. Es ist die erwachsene Harriet.

Langsam wird klar: Alle fahren nach Malma, doch die Zeitebenen sind verschieden. Figur drei, Yana, hängt natürlich auch mit Harriet und Oskar zusammen. Sie ist alleine unterwegs nach Malma. Sie war elf Jahre alt, als ihre Mutter verschwand. Wie ist ihr Leben verlaufen und warum fährt sie nach Malma? Das erfahren wir nach und nach in diesem faszinierenden Roman. 

Was macht die Kindheit, was machen die erlebten Dramen und Verletzungen aus uns? Wie gehen wir damit um, und wie werden Traumata und Erlebnisse weitergegeben an Kinder und Enkel? Wie unterschiedlich ist unsere Wahrnehmung und warum kommt es Oskar oft so vor, „dass sie Dinge zusammen erleben, die Harriet dann in ihrem Kopf völlig umformt, und dann kehren sie so verdreht und entstellt zurück, dass er sie nicht wiedererkennt“?

All das verhandelt und erzählt Schulman anhand dieser drei miteinander verbundenen Leben. Und er tut dies sprachlich eindrücklich und psychologisch überzeugend.

Interview mit Alex Schulman

Wenn Sie sich entscheiden müssten: Welche Charaktere in „Endstation Malma“ liegen Ihnen besonders am Herzen? Und warum?

Oh je, was für eine schwierige Frage! Oskar liegt mir in gewisser Weise am Herzen, weil er die Person sein könnte, die ich gewesen wäre, wenn ich meine Frau nicht getroffen hätte. Er ist so einsam und kämpft mit viel Wut. Aber am meisten liegt mir Harriet am Herzen, weil meine Frau für diese Figur eine so große Rolle gespielt hat. Sie ist magnetisch anziehend und gefährlich.

Welche Überraschung haben Sie beim Schreiben oder Recherchieren von „Endstation Malma“ erlebt?

Recherche habe ich gar nicht betrieben, denn „Malma“ ist ein imaginärer Ort, und selbst wenn er das nicht wäre, würde er mich nicht interessieren. Alles spielt sich in einer anderen Realität ab als in dieser. Aber was mich beim Schreiben dieses Buches am meisten überrascht hat, war, dass dies das erste Mal war, dass ich mit der Form des Textes begonnen habe und nicht mit der Geschichte. Ich wusste von Anfang an, dass ich wollte, dass diese Geschichte in einem Zug spielt.

Warum ist es eine besonders gute Idee, „Endstation Malma“ zu verschenken?

Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist. Aber wenn es eine gute Idee ist, dann deshalb, weil dieses Buch dich dazu bringen könnte, Fragen zu stellen über dich selbst, darüber, wer du bist – und wer du warst. Und über all die Dinge, die in deinem Leben passieren und die letztlich ein Teil von dir werden.

Der Herbst ist die Zeit mit den meisten Buchevents. Was war Ihr schönstes Erlebnis bei einer eigenen Veranstaltung? Und welches würden Sie am liebsten vergessen?

Ich werde nie vergessen, als ich zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse war. Es war 2020 anlässlich der Veröffentlichung von „Die Überlebenden“. Ich fand es so großartig, so fantastisch. Ich konnte es nicht glauben. Und ich sagte meiner Freundin Barbara Laugwitz von dtv: „Das ist so groß!!“ Und sie erklärte mir, dass die Frankfurter Buchmesse noch nie so klein gewesen sei. Aufgrund der Pandemie wurde sie auf ein Zehntel ihrer ursprünglichen Größe reduziert. Also, wenn ich dieses Jahr zur Frankfurter Buchmesse komme, in normaler Größe, weiß ich einfach nicht, ob ich ihre Größe überhaupt begreifen werde. Mein schlimmstes Erlebnis ist jede Veranstaltung, bei der ich Bücher signieren soll und niemand auftaucht. Das ist meine größte Angst, immer.

(Interview: Literaturtest, Oktober 2023)



Weitere Beiträge