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Bewertung von Fernweh_nach_Zamonien aus Buchhaim
am 12.06.2024
Snapdragon
Leyh, Kat

Snapdragon


ausgezeichnet

Facettenreiche Figuren, spannende Erzählung und wertvolle Botschaften!


Inhalt:

Gemäß der Tradition der Familie Bloom wurde Snapdragon - genannt Snap - nach der Lieblingsblume ihrer Mutter Violet benannt: Snapdragon = Löwenmaul.

So weit, so normal!

Doch in ihrer Stadt geht das Gerücht um, dass dort eine Hexe haust.

Auf den ersten Blick erscheint Jacks tatsächlich furchterregend in dunkler Kutte und mit mürrischem Gesicht.

Allerdings auf den zweiten Blick ist Jacks einfach nur eine Crocs tragende, alte Dame, die Skelette von überfahrenen Tieren präpariert und anschließend online verkauft.

Als Snaps bei einer tödlich verunglückten Opossum-Mutter ihren Nachwuchs entdeckt, steht sie unerschrocken mit den Baby-Opossums vor Jacks Tür.

Gemeinsam versorgen sie die Tiere und als Snap beginnt, Jacks besser kennenzulernen, ahnt sie, dass vielleicht doch echte Magie im Spiel ist ... und dass eine Verbindung zur Vergangenheit von Snapdragons Familie besteht ...


Altersempfehlung:

etwa ab 10 Jahre


Mein Eindruck:

Kat Ley erzählt in diesem magisch-realistischem Comic vom Anderssein, dem nicht den Erwartungen der Gesellschaft Entsprechen und damit verbundener Vorurteile, aber auch von wahrer Freundschaft und magischen Kräften.

Nahezu alle Charaktere sind Außenseiter und vielschichtig angelegt. Der Großteil sind zudem POC. Nichts ist, wie es zunächst scheint.

Jacks wirkt eher männlich aufgrund ihrer schlaksigen, hochgewachsenen Art und auch in den Rückblenden liest man sie in ihrer Motorradkluft und mit kurzem Haar nicht als Frau.

Snapdragon ist (zeichnerisch durch den wilden Haarschopf verdeutlicht) ein richtiges Energiebündel. Sie liebt gruselige Filme und ihren dreibeinigen Hund Good Boy.

Snaps Mutter ist alleinerziehend, hat gerade eine toxische Beziehung beendet und ist mit Job, Haushalt, Weiterbildung & Co. mehr als ausgelastet.

Snapdragon hat in Louis einen Freund gefunden und teilt mit ihm Ängste und Sorgen. Ganz selbstverständlich wird im Verlauf der Geschichte aus Lou die fröhliche Lulu ... mit Glitzernagellack, lilafarbenem Rock und Ohrringen.

Hinterfragt werden aber nicht nur Geschlechterrollen, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz im Hinblick auf Beziehungs- und Familienkonstellationen.

Wir fahren alle besser damit, wenn wir die Unterschiede, uns selbst und einander akzeptieren.

Es gelingt scheinbar mühelos, viele Themen in die Handlung einfließen zu lassen, ohne den Lesefluss zu stören oder die eigentliche Handlung in den Hintergrund zu drängen.

Das Zusammenspiel von Bild und Text ist hervorragend gelungen und unterstreicht die jeweilige Atmosphäre.

Der Zeichenstil passt hervorragend, insbesondere die ausdrucksstarke Mimik der Charaktere, das Spiel mit Perspektiven sowie die Darstellung der Magie.

Auch die Kulissen sind beeindruckend und atmosphärisch. Die teils gruselige Stimmung ist ganz wunderbar umgesetzt und bleibt altersentsprechend harmlos.

Der Comic besticht neben vielfältigen und skurril-charmanten Charakteren sowie herzerwärmenden, wertvollen Botschaften auch durch die spannende und temporeiche Erzählung und das zu lüftende Familiengeheimnis.

An dieser Stelle wird selbstverständlich nichts verraten;-)

Eine Leseempfehlung für Jung und Alt, für Jungen und Mädchen!


Bonusmaterial:

Abschließend findet sich ein Blick hinter die Kulissen: erste Entwürfe, Charakterstudien, Skizzen sowie die Darstellung vom Rohszenario zum fertigen Panel.


Fazit:

Bildgewaltig - magisch - bewegend!

Ein außergewöhnlicher Comic ... nicht nur für Kinder!

Anderssein, tiefe Freundschaft und Selbstzweifel verwoben mit magischen und geheimnisvollen Ereignissen bieten ein spannendes und gleichermaßen berührendes Leseerlebnis!


...

Rezensiertes Buch: "Snapdragon" aus dem Jahr 2023
Fernweh_nach_Zamonien aus Buchhaim

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 06.06.2024
Die Töchter des Bärenjägers
Jordahl, Anneli

Die Töchter des Bärenjägers


ausgezeichnet

Der berüchtigte Bärenjäger Heikki Leskinen ist tot, gestorben im Kampf mit einem Bären. Als kurze Zeit später die ungeliebte Mutter stirbt, machen sich die sieben Schwestern auf den Weg in die Wildnis, um sich hundertfünfzig Kilometer von der Zivilisation entfernt ein eigenes Leben aufzubauen. Völlig unbedarft und unvorbereitet stellen sich die jungen Frauen dem rauen Dasein, nicht ahnend, dass der nahende Winter keine Gnade kennt.

„Ich konnte den Blick nicht von den drei Schwestern wenden. Sie zogen mich an, so diskret wie möglich umkreiste ich ihren Stand. Notierte ihre groben, von Kratzern und Wunden übersäten Hände, ihre langen Finger und die Schmutzränder unter den Nägeln, als sie ihren Kunden Pilze in Papiertüten reichten.“ (Seite 9)

Eine zu Beginn namenlose Erzählerin nahm mich mit auf die Reise in die finnischen Wälder, bekundete ihre Faszination für die Familie Leskinen und erzählte eine Geschichte über die sieben Schwestern, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, obwohl sogar zwei Zwillingspaare darunter waren. Anfangs tat ich mich schwer mit dem Buch und befürchtete schon, dass ich es abbrechen würde, als der Zauber zu wirken begann. Dies lag nicht etwa an den Schwestern oder ihrem Umgang miteinander, denn dieser war wild und ungestüm, von schwesterlicher Liebe gab es keine Spur, im Gegenteil war ich entsetzt darüber, wie barbarisch es zwischen ihnen zuging. Es lag auch nicht an der Sprache, die derb und oft mit den schlimmsten Schimpfausdrücken und unflätigsten Wörtern gespickt war. Anscheinend war ich einfach der gleichen Faszination erlegen, wie es der Erzählerin passiert ist, und konnte den Blick nicht mehr abwenden.

Ich bin froh, das Buch gelesen zu haben, obwohl mich bis kurz vor dem Ende jede der sieben Schwestern regelrecht abgeschreckt, um nicht zu sagen abgestoßen hat. Es gab nichts, was dazu beigetragen hätte, dass bei mir auch nur ein Funken Sympathie für eines der Mädchen beziehungsweise jungen Frauen gewachsen wäre. Dies muss man bei einer solchen Geschichte aber aushalten können und das habe ich mit großem Genuss getan. Auf den letzten Seiten versöhnte ich mich mit einigen der Schwestern, spürte fast so etwas wie Stolz auf die Leistung manch einer von ihnen. Es war eine aufregende, manchmal anstrengende, insgesamt aber eine atemberaubende Reise in eine andere Welt. Große Leseempfehlung!
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von Fernweh_nach_Zamonien aus Buchhaim
am 22.05.2024
Herr Elefant und Frau Grau: Abflug
Baltscheit, Martin

Herr Elefant und Frau Grau: Abflug


sehr gut

Das ungleiche und unzertrennliche Paar wagt den Abflug in die Zivilisation! Ein faszinierender Perspektivwechsel.


Inhalt:

In der großen Stadt leben!

Täglich mit der U-Bahn zur Arbeit fahren!

Abends auf der Dachterrasse den Sternenhimmel genießen!

Ein Leben wie im Paradies!



Elefant Horst und Gazelle Elvira kommen ihrem Traum auf dem Weg von Kenia nach Hamburg wieder ein Stück näher.

Doch sie haben weder Geld noch Ausweisdokumente. Zum Glück treffen sie am Flughafen von Nairobi ein cleveres Chamäleon und gehen an Bord ...



Altersempfehlung:

etwa ab 10 Jahre



Illustrationen:

Max Fiedler erweckt auch im zweiten Teil des turbulenten Roadtrips die beiden sympathischen Protagonisten auf ganz besondere Weise zum Leben: Herr Elefant und Frau Grau geben ein wunderbares Paar ab und ihre Verliebtheit steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

Die Mimik des von Durst und Flugangst geplagten Horst ist aber auch sehr amüsant.

Der Kontrast von idyllischer Savanne und der Wunschvorstellung der traumhaften Stadt wird mit Blick auf die erschreckende Realität der Zivilisation eindrucksvoll gezeigt.

Unterstrichen wird die Atmosphäre auch dank verschiedener Gestaltung/Anordnung der Panels. Besonders beeindruckend (und tatsächlich idyllisch) ist der Blick vom Dach auf Hamburg bei Sonnenuntergang.



Mein Eindruck:

Auch wenn es eine kurze Rückblende gibt, sollte man mit dem ersten Abenteuer beginnen.

Hier wird die schüchterne Begegnung von Herrn Elefant und Frau Grau einfühlsam gezeigt. Es ist der Beginn einer außergewöhnlichen Liebe, die von allen anderen skeptisch beäugt wird.

Das frisch verliebte Paar träumt von einer gemeinsamen und vor allem ungestörten Zeit.

Dank Siri sind die beiden endlich am Flughafen angekommen und ihrem Traum ein Stück näher.

Auch im zweiten Abenteuer gibt es Hürden und die kindlich-naive und vertrauensvolle Art bringt Horst und Elvira mehr als einmal in schwierige Situationen.

Herzerwärmend ist ihr Zusammenhalt, ihr Optimismus und die (etwas starrsinnige) Haltung: Wir gegen den Rest!

Wie bereits im ersten Band wird auch hier der Blick auf uns Menschen und unsere (egoistischen) Verhaltensweisen aus der Perspektive der Tiere gelenkt, z. B. Großwildjagd zum Vergnügen. Auch dieses Mal sehr überspitzt, aber deutlich drastischer und düsterer dargestellt.

Einzig die Menschenkinder sammeln mit ihrer offenen und vorurteilsfreien Art Sympathiepunkte.

Das Ende ist nicht wirklich ein Abschluss; zumindest kein zufriedenstellendes Happy End ;-) Ich hoffe auf eine weitere Fortsetzung.



Fazit:

Eine sati(e)rische Gesellschaftskritik, die amüsiert und unterhält, aber auch zum Überdenken eigener Verhaltensweisen anregt.

Das etwas düstere, aber lustig und zugleich lehrreiche Abenteuer bietet ein Lesevergnügen für Jung und Alt.



...

Rezensierte Ausgabe: "Herr Elefant & Frau Grau - Abflug!" aus dem Jahr 2024
Fernweh_nach_Zamonien aus Buchhaim

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von Juma am 13.05.2024
Altern (eBook, ePUB)
Heidenreich, Elke

Altern (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Kann Optimismus altern?

Ich gehe davon aus, dass jeder, der gern liest, Elke Heidenreich kennt. Sie ist die Frau, die ohne mit der Wimper zu zucken Bücher liest, Bücher vergöttert und auch mal verreißt. In ihrem neuen Buch begibt sie sich in die eigenen und literarischen Untiefen des Alterns, mit der Prämisse, sich die verbleibende Lebenszeit nicht von ein „paar Defiziten“ verderben zu lassen. So mancher wird erstaunt sein, wie immer noch rotzfrech und draufgängerisch die unterdessen Einundachtzigjährige mit den Fragen von Leben und Tod umgeht. Ich bin es nicht, rund ein Jahrzehnt jünger kann ich bestens die Gedankengänge und -sprünge nachvollziehen, ich lese auch eine Verehrung Gottfried Benns heraus, und die unbändige Lust, in jedem schönen, schweren, bewegenden Buch, das sie liest, den ganz besonderen Satz zu finden, der in ihr Weltbild passt oder manchmal auch nicht. Einfach wunderbar lesen sich diese rund hundert Seiten. Mein Lieblingssatz folgt als Zitat: „Jetzt, im Alter, bin ich mit mir ausgesöhnt und möchte nicht mehr jemand anderes sein.“
Möge Elke Heidenreich weiter so jung und witzig, so unabhängig und frisch bleiben wie bisher. Das hier ist eine Leseempfehlung, die aus ganzem Herzen kommt.
#Altern #NetGalleyDE
Juma

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von Fernweh_nach_Zamonien aus Buchhaim
am 25.04.2024
Ein Beagle auf dem Mond / Peanuts für Kids - Neue Abenteuer Bd.1
Schulz, Charles M.

Ein Beagle auf dem Mond / Peanuts für Kids - Neue Abenteuer Bd.1


ausgezeichnet

Comic-Spaß für Jung und Alt! Neue Abenteuer mit alten Bekannten: lustig, absurd und philosophisch.


Inhalt:

Dem nimmersatten Snoopy ist es gelungen, den gesamten Vorrat an Hundefutter zu fressen.

Als Charlie Brown ihm stattdessen Katzenfutter serviert, wirft der Beagle wütend den Napf weg ... ausgerechnet über den Zaun in den Garten der Nachbarn.

Zurückholen kann er den Napf nicht, denn dort lebt eine fiese, fette Katze, mit der man sich besser nicht anlegen sollte!

Snoopy hasst Katzen! Der einzige Ort, an dem er keiner Katze begegnen wird, ist der Mond.



Er träumt davon, Astronaut zu sein.
Der erste Beagle auf dem Mond!

Dort angekommen, packen er und sein Caddy Woodstock die Golfschläger aus.
Denn auf dem Mond spielt man Golf. Mit all den Katern gleicht er einem riesiger Golfplatz. Klar, oder?

Jedoch ist es auf dem Mond nicht so gemütlich, wie es sich Snoopy vorgestellt hat ...


Eine Sammlung von neuen Abenteuern der Peanuts vereint mit klassischen Onepagern aus der Feder von Charles M. Schulz.




Altersempfehlung:

etwa ab 8 Jahre



Mein Eindruck:

Das Büchlein richtet sich explizit an Kinder, bringt aber auch Erwachsene zum Schmunzeln.

Gerade Neulingen wird der Start in die Welt der Peanuts erleichtert, da gleich zu Beginn mit Bild und Namen die Hauptfiguren vorgestellt werden.

Snoopy-Fans dürfen sich freuen über bekannte und geliebte Running Gags. Beispielsweise ist Snoopy ein unfassbarer Nimmersatt. Kaum dreht Charlie Brown seinem Hund den Rücken zu, ist der Napf schon leergefressen und Snoopy verlangt lautstark Nachschub.

Mit einem hungrigen Beagle ist nicht zu spaßen:

"Ein leerer Magen kennt keinen Humor."

(Snoopy, vgl. S. 95)

Mit viel Humor und Charme werden die Abenteuer geschildert und gezeichnet. Das Timing in den Panels (beispielsweise bei Snoopys Golfpartie oder der Flug eines Baseball) ist perfekt dargestellt. Ebenso die jeweilige Stimmung und Emotionen dank Farbwahl der Hintergründe.

Die zeichnerische Gestaltung ist dem Original nachempfunden und neben den Charaktereigenschaften orientiert sich auch die effektvolle Mimik der Figuren an der Vorlage.

Die erste Geschichte "Ein Beagle auf dem Mond" nimmt etwa die Hälfte des Buches ein. Danach folgen kürzere Episoden sowie Onepager aus der Feder von Charles M. Schulz: Geschwisterstreit, ein vermisstes Haustier, Schneebalschlachten, ein nerviger Ohrwurm, Baseballspiele uvm. Allesamt alltägliche Ereignisse mit einem überraschenden Kniff.

Abschließend findet sich u.a. ein Making-of zu "Ein Beagle auf dem Mond" und weiteres interessantes Bonusmaterial.



Fazit:

Comic-Spaß für große und kleine Peanuts-Fans und alle, die es noch werden wollen.

Mit Charme und Humor werden die Ereignisse geschildert und in den Bildern inszeniert.



...

Rezensiertes Buch: "Peanuts für Kids - Ein Beagle auf dem Mond" aus dem Jahr 2024
Fernweh_nach_Zamonien aus Buchhaim

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von UW aus MUC
am 16.04.2024
Das indoktrinierte Gehirn
Nehls, Michael

Das indoktrinierte Gehirn


ausgezeichnet

Ein absolutes must read. Sehr kompetent und interessant dargestellt und aufbereitet von einem, der es wissen muss und der über den wissenschaftlichen Background verfügt und, welch ein Juwel, der sich nicht in den Chor der mainstream Medien einreiht und nur blöckt. Ein herzliches Dankeschön für den Mut! UNBEDINGT LESEN...oder weiterhin mit den anderen blöcken.
UW aus MUC

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 28.03.2024
Wir werden jung sein
Leo, Maxim

Wir werden jung sein


ausgezeichnet

Vier Teilnehmer einer Medikamentenstudie an der Berliner Charité, deren Ziel es war, chronische Herzmuskelschwächen zu heilen, sind plötzlich nicht bloß gesund, sondern verjüngt. Und nicht nur das, sie werden unaufhaltsam immer jünger, was den zuständigen Professor vor eine große Aufgabe stellt, da sich unvorhersehbare Komplikationen einstellen, die es zu stoppen gilt. Gleichzeitig ist die Welt elektrisiert, denn wäre es nicht ein unvorstellbares Glück, für immer jung zu sein?

Durch den angenehmen Schreibstil war ich fast sofort im Buch angekommen, die ersten Kapitel stellten die vier Teilnehmer der Medikamentenstudie sowie ihre Besonderheiten vor, die Sicht des zuständigen Mediziners und eines Mitglieds des Deutschen Ethikrates vervollständigten das Bild. Zu Beginn war ich unsicher, ob mir die vielen wissenschaftlichen Erklärungen nicht zu viel werden würden, aber meine Bedenken waren unbegründet, weil der Autor eine tolle Art hat, die kompliziertesten Vorgänge gut zu erklären. Nicht dass ich mir anmaßen würde, zu behaupten, ich hätte auch nur annähernd verstanden, wie das Verfahren funktioniert, aber ich konnte es mir gut vorstellen. Erstaunlicherweise ist die Fiktion gar nicht mehr so fiktiv, wenn man sich in der Realität über den heutigen Stand der Forschung informiert. Ich weiß noch nicht, ob ich erfreut oder erschrocken darüber bin, wo die Reise hingeht.

Mir gefiel das vorliegende Buch sehr, besonders positiv ist mir aufgefallen, dass Maxim Leo Fragen aufwarf, die mir im Zusammenhang mit einem verjüngenden Medikament nicht eingefallen, geschweige denn überhaupt in den Sinn gekommen wären; beispielsweise gibt es neben Fragen der Ethik und der Moral natürlich die wichtige Frage, wie wir das Problem des Platzmangels lösen würden, wenn die Menschen immer älter oder in Zukunft gegebenenfalls gar nicht mehr sterben würden. Manche Szenarien bekomme ich da wohl nie mehr aus meinem Kopf!

Der weitere Verlauf der Geschichte war spannend und überraschend, eine kriminelle Episode inklusive. Hervorheben möchte ich den feinen Humor, der nie in die Lächerlichkeit abrutschte, was ich als wohltuend empfand. Das Ende war schlüssig und ließ mich zufrieden zurück. Das war ein tolles Leseerlebnis, gerne empfehle ich das Buch weiter.
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 25.03.2024
Die Hungrigen
Insolia, Mattia

Die Hungrigen


ausgezeichnet

Die zwei Brüder Paolo und Antonio leben zusammen im elterlichen Haus; der ältere Paolo arbeitet auf der Baustelle und trägt zum Unterhalt bei, der jüngere Antonio ist ziellos und sucht noch nach dem Lebenssinn. In der süditalienischen Kleinstadt ist kaum etwas los, die Armut ist überall zu spüren, da kommt man schon auf seltsame Gedanken, dabei wollen beide nur eines; glücklich sein.

„Sie hätten gern miteinander gesprochen. Beide. Aber das Schweigen, zu dem sie sich gegenseitig erzogen hatten, war ihnen so zur Gewohnheit geworden, dass sie nicht gewusst hätten, wo sie überhaupt anfangen sollten. Sie blickten sich an, Paolo nahm den Kopf seines Bruders in die Hände und gab ihm ein paar Klapse auf die Wange. Das reichte schon.“ (Seite 97)

Das erste Kapitel fing mit einer Tragödie an, dramatische Szenen entstanden vor meinen Augen und lediglich eine Kleinigkeit ließ der Autor weg, um einen Weg zu ebnen für das, was danach kam. Der Sprung in die Vergangenheit, zwei Monate waren es genau, skizzierte das Leben der Brüder, verriet Werdegang und Grund für die Situation, in der beide sich befanden zu Beginn der Geschichte. Ich schwankte zwischen Entsetzen und Abscheu, suchte in meinem Inneren nach Mitleid, kam aber an meine Grenzen, je mehr ich erfuhr, war empört, angewidert, aber oft einfach nur traurig über die Zustände, die geschildert wurden. Natürlich gab es Stellen, die mich berührten, besonders als ich verstand, was die Brüder zu dem gemacht hat, der sie geworden sind. Aber immer, wenn sich mein Mitgefühl regte, geschah etwas, das alles zerbrechen ließ, die Scherben schnitten in mein Herz und schon war es weg, dieses Gefühl, das nur kurz aufgeblüht ist.

„Wie ein Grashalm beugte er sich in die Richtung, in die der stärkste Wind wehte. Mit Gefühlen konnte er nicht umgehen. Er ließ sich von den Befehlen derjenigen Menschen formen, die ihm nahestanden. Antonio lebte für die anderen, und so starb er jeden Tag.“ (Seite 51)

Vieles ereignete sich in den zwei Monaten, schlimme Dinge geschahen und einiges davon war so entsetzlich, es ergab einfach keinen Sinn. Ich spürte die Hoffnung und die Traurigkeit, verstand die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit. Ich hätte beiden gewünscht, dass es anders endet und wusste doch, dass dieser Wunsch sinnlos ist und einer Utopie gleich erlöscht, denn so funktioniert das Leben nicht. Aber trotzdem.

Eine Warnung will und muss ich aussprechen, denn eine Stelle im Buch könnte, wie für mich, schwer zu ertragen sein, es handelt sich um abscheuliche Tierquälerei, die der Autor leider nicht der Phantasie der Leserschaft überlassen, sondern in Einzelheiten geschildert hat. Obwohl es wichtig war für den Gesamtzusammenhang, hätte ich es mir anders gewünscht.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass dieses Debüt mir einiges abverlangt hat, ich aber froh und glücklich darüber bin, durch Zufall auf dieses Buch gestoßen zu sein, und glaube, dass da noch Größeres entstehen wird; ich freue mich sehr darauf. Große Leseempfehlung für dieses Highlight!
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 11.07.2024
Wir sehen uns im August
García Márquez, Gabriel

Wir sehen uns im August


ausgezeichnet

Vor acht Jahren starb die Mutter von Ana Magdalena Bach und wurde gemäß ihrem letzten Wunsch auf einer Karibikinsel begraben. An jedem 16. August fährt die Tochter dahin, besucht das Grab und legt einen Strauß Gladiolen darauf. Sie bleibt über Nacht und fährt am nächsten Tag zu Mann und Kindern zurück. In diesem Jahr ist da ein Mann, der sie auf einen Drink einlädt, sie umgarnt, bis eines zum anderen führt und Ana Magdalena ihn mit auf ihr Zimmer nimmt.

Liebe im reifen Alter, diese Überschrift könnte die Erzählung tragen, würde der Geschichte damit aber nicht gerecht. Eine Situation wird ausgenutzt, Verlangen entsteht und das prickelnde Gefühl von etwas Verbotenem liegt in der Luft. Innerhalb von Minuten entscheidet sich Ana Magdalena, etwas zu tun, was sie nie gereizt hat, und sie kommt auf den Geschmack, zumindest bis am nächsten Morgen eine bestimmte Tat den schalen Nachgeschmack einer Erniedrigung hinterlässt. Die folgenden Jahre reduziert der Autor auf die Besuche der Karibikinsel und ich bin fasziniert vom Gefühlschaos, das dieses Erlebnis bei der auf die Fünfzig zugehenden Frau hinterlässt.

Das bisher unveröffentlichte Werk aus dem Nachlass des Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez wollte dieser zu Lebzeiten nicht veröffentlichen, dessen Erben entschieden sich Jahre später dafür und erläutern dies im Vorwort. Für mich war es die erste Begegnung mit einem seiner Bücher, aber sicherlich nicht die letzte, das kann ich versprechen, nachdem ich fertig geworden bin. Ich freue mich darauf.
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 10.07.2024
Reichlich spät
Keegan, Claire

Reichlich spät


ausgezeichnet

Diese Erzählung über einen Tag im Leben von Cathal ist nicht wirklich lang, aber vollkommen ausreichend, damit ich das Gefühl habe, ihn bereits seit langer Zeit zu kennen. Dies ist der Erzählkunst von Claire Keegan geschuldet, die es zustande bringt, auf wenigen Seiten so unglaublich viel zu erzählen.

„Das war das Problem mit Frauen, denen die Liebe abhandenkommt: Der Schleier romantischer Gefühle fällt von ihren Augen, und sie schauen dich an und können in dir lesen.“ (Seite 41)

Bereits auf den ersten Seiten kann ich mich in den Protagonisten hineinversetzen, solche Tage kennt wahrscheinlich jeder zur Genüge. Je weiter die Erzählung aber voranschreitet, umso mehr schwindet meine Sympathie und macht einer leichten Abneigung Platz. Mit minimalem Aufwand erzielt die Autorin eine große Wirkung, ein solches Talent ist nur wenigen gegeben. Am Ende bin ich fast genauso erschöpft wie Cathal und habe das Gefühl, noch länger ertrage ich ihn nicht. Zufrieden klappe ich das Buch zu und lasse die Geschichte wirken. Absolut meisterhaft!
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.