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leseleucht
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Alfter

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Insgesamt 93 Bewertungen
Bewertung vom 15.07.2024
Die Kraft der Bücher / Die Glücksfrauen Bd.2
Claire, Anna

Die Kraft der Bücher / Die Glücksfrauen Bd.2


gut

Auf der Fluchtroute der Großmutter
Im zweiten Teil der Reihe „Glücksfrauen“ trifft June auf die Enkelin von Maria, einer der Freundinnen, denen ihre Großmutter das Startkapital für ein Café in New York verdankt. Dies sollte die Zuflucht für die drei Freundinnen aus dem nationalsozialistischen Deutschland sein. Doch riss die Geschichte die drei auseinander. Jetzt ist es an den Enkelinnen, den Spuren ihrer Großmütter zu folgen, um vereint das Erbe antreten zu können.
Von New York aus geht es also zunächst einmal nach Brasilien, wo Sarah die Buchhandlung ihrer Großmutter Maria mehr recht als schlecht betreibt. Die reisefreudige Sarah ist sofort begeistert, als June den Vorschlag macht, der Fluchtroute von Maria und ihrer Familie zu folgen, die sich mit letzter Mühe und Not aus Deutschland retten konnte und den beschwerlichen Weg über Frankreich und Spanien auf sich nehmen musste, um sich mit einem der letzten Schiffe nach Brasilien retten zu können. Die beiden Enkelinnen hoffen, auf ihrer Reise etwas über die dritte im Bunde der Freundinnen zu erfahren.
Die Idee und die Umstände der Geschichte sind spannend und durch die Verknüpfung sowohl der drei Schicksale als auch der zwei Zeitebenen sehr vielschichtig und interessant. Hier liegt großes Potential zu einer spannenden Saga, das meiner Meinung nach aber eher schwach umgesetzt wird. Die Figuren wirken etwas einfach gestrickt, die Erzählweise ist bisweilen recht hölzern und holprig. Viele Ungereimtheiten und allzu abrupten Wendungen lassen keinen wirklichen Spannungsbogen entstehen. Von irgendwo kommt unvermittelt immer Hilfe. Vieles, was Möglichkeit zu Spannung und Dramatik böte, bleibt ungenutzt, löst sich quasi in Nichts auf. Ein Sturz in den Pyrenäen endet zwei Sätze weiter mit ein paar Kratzern. Einem Bekenntnis Marias, ihren Mann unermesslich zu lieben, läuft zwei Seiten später ein attraktiver Fluchthelfer über den Weg. Das wirkt leider wenig authentisch und eher aufgesetzt. Und zwischendurch gibt es ein paar moralische Lehren mit erhobenem Zeigefinger: Wir lesen zu wenig, wir sind zu viel auf Social Media unterwegs, wir leben zu sehr in Hektik und Ablenkung und Stress und sollten das Leben mehr genießen.
Auch bleibt die Story in der Gegenwart recht farblos. June kommt höchstens als kleinkariertes, verwöhntes Gegenstück zur lebenslustigen, aber ziemlich unbedarften Sarah vor. Ein bisschen Kummer um die Buchhandlung, ein bisschen Liebesreigen führen zu wenig Tiefgang in der Story. Da wäre definitiv mehr möglich gewesen.
Was der Autorin auf jeden Fall gut gelingt, ist, Spannung auf den dritten Teil aufzubauen, denn das Schicksal der dritten Freundin wird zwar angedeutet, aber die Aufgabe der Enkelinnen ist noch nicht gelöst.

Bewertung vom 14.07.2024
Faktencheck Psyche
Bachim, Sacha

Faktencheck Psyche


sehr gut

Nachschlagwerk für den seelischen Alltag
Der „Faktencheck Psyche“ von Sacha Bachim macht Schluss mit gängigen Alltagsmythen. In fünf thematischen Schwerpunktkapiteln räumt er mit 50 Glaubenssätzen auf, die den meisten Leser:Innen mehr oder minder geläufig sein dürften: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“; „Das muss am Alter liegen.“; „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ oder „Strafe muss sein“. Auf humorvolle Weise zeigt setzt er den Mythen Fakten entgegen, zieht sie durch geschickte Fragestellung in Zweifel und gibt am Ende jeden Kapitels mal mehr mal weniger einfach umzusetzende Tipps, die dem/der Leser:In alte Glaubenssätze zu überwinden helfen. Dabei nimmt der Autor, Psychologe und Psychotherapeut, die seelischen Probleme seiner Mitmenschen durchaus ernst, zeigt auch auf, woher die Alltagsmythen stammen und dass, wie bei Mythen üblich, in jedem auch ein Fünkchen Wahrheit steckt. Es kommt „nur“ darauf an, dass man richtig mit ihnen umgeht.
In den meisten Kapiteln trägt das Konzept. Der/Die Leser:in liest, hält inne, erkennt (auch gelegentlich, was eigentlich ganz offensichtlich und lediglich im Alltagstrott in Vergessenheit geraten ist) und ändert im besten Falle sein Verhalten.
Die beiden Großkapitel „Mythen über Gefühle“ und „Mythen über Beziehungen und Familie“ zeigen schon anhand der Überschriften zu den einzelnen Unterkapiteln, dass hier das Konzept an seine Grenzen stößt. Alltagsmythen lassen sich aus den Titeln nicht sofort erkennen. Sie wirken ein wenig konstruiert. Auch greift der Autor zur Lösung des Prinzips ganz gerne in die „Trickkiste“ der bekannten psychotherapeutischen Ansätze: „das innere Kind“, „das innere Team“, „ATT“, „Traumreise“. Natürlich müssen die Tools nicht immer neu sein, um zu wirken. Aber an diesen Stellen wird die Hilfestellung etwas schwammig oder beansprucht viel Zeit, und lässt sich nicht so einfach in den Alltag integrieren. Diese Kapitel lesen sich auch insgesamt nicht ganz so flüssig wie der Rest.
Aber zum Glück hat ja jeder mit seinen eigenen Alltagsmythen zu kämpfen und muss sicherlich nicht alle fünfzig auf einmal angehen. Für den, der gerne chronologisch liest, ergeben sich auf jeden Fall einige Fragestellungen, über die nachzudenken bestimmt lohnenswert ist, und der ein oder andere Tipp, der sich einfach und effektiv umsetzen lässt. Allen anderen sei empfohlen, wie der Autor selbst im Nachwort anregt, das Buch als Nachschlagewerk griffbereit im Schrank zu haben und bei Bedarf unter dem entsprechenden Schlagwort Hilfe zu suchen.

Bewertung vom 14.07.2024
Alte Eltern
Kitz, Volker

Alte Eltern


sehr gut

(Zu) persönlichDer Autor Volker Kitz schreibt in seinem Essay „Alte Eltern“ über die letzte Zeit mit seinem an Demenz erkrankten Vater. Dabei gewährt er zum einen Rückblicke in die Zeit davor und fügt zum anderen Exkurse ein über das Erinnern, über das Gedächtnis und über die Krankheit des Vergessens, die Demenz. Dazu bezieht er sich auf philosophische, neurowissenschaftliche, medizinische, aber auch andere literarische Quellen, wie z. B. Geigers „Der alte König in seinem Exil“, in dem dieser über die Krankheit seines Vaters schreibt.
Wie für ein Essay typisch fügt sich die Chronologie nur locker, mehr in Kreisen um das Thema, auch wenn der grobe Faden von dem Beginn der Erkrankung des Vaters bis hin zu seinem Ende verläuft.
Es ist ein sehr persönliches Buch. Der Vater, unterrichtet von dem Vorhaben seines Sohnes, über seine Geschichte zu schreiben, fragt, ob eventuell zu persönlich. Sicherlich gibt der Sohn sehr intime Einblicke dahinein, wie sich das Verhalten des Vaters aufgrund fortschreitender Erkrankung entwickelt, vor allem aber dahinein, welche Sorgen und Nöte dies im Seelenleben des Autors auslöst. Bewundernswert ist die Liebe, die Fürsorge und das Engagement, das der Autor zeigt, wenn er den Vater fast täglich für Stunden besucht, bemüht ist, sein Leben lebenswert zu gestalten, und alles versucht, den Verlauf der Krankheit für den Vater erträglicher zu machen. Er ringt um ein würdiges Leben für den Vater und um ein liebendes Bild auf ihn. Dabei zeigt er auch ehrlich seine Grenzen auf, seine Verzweiflung und seine Ohnmacht.
Es ist ein anrührendes Buch, bisweilen auch schwer erträglich, wenn man sieht, was diese Krankheit aus einem Menschen macht und dass es dafür kaum eine Lösung gibt. Wie geht man um mit Menschen, die ihr Gedächtnis und damit letztlich ihre Fähigkeit verlieren, den einfachsten Anforderungen im Leben nachzukommen? Wie kann man ihnen helfen, ihr Würde zu bewahren? Besonders schwer macht es, dass man nicht klar wissen kann, wie es den Menschen mit ihrer Krankheit geht, und dass man so schwer Vorsorge dafür treffen kann. Kann ein Leben mit Demenz noch Zufriedenheit versprechen oder gar glückliche Momente bescheren? Kann sich die Sichtweise ändern, wenn man für sich selbst beschließt, so nicht enden zu wollen?
Das Buch ist insofern ein sehr persönliches, weil es keine Anleitungen und konkreten Hilfestellungen für andere gibt, die vor demselben Problem stehen. Jeder Fall wird sicherlich anders verlaufen. Es kann Mut geben, aber auch ein Gefühl der Verzweiflung oder des Ausgeliefertseins vermitteln, da es – auch von medizinischer Seite – keine wirkliche Hoffnung zu geben scheint.
Der persönliche Teil ist sehr fesselnd. Die Einschübe der allgemeinen Reflexion habe ich dagegen als zum größten Teil etwas sperrig empfunden. Mir haben sie – bis auf gewisse medizinische Fakten – wenig gesagt, wie z. B. die Arten, Erinnertes zu kategorisieren laut Museumskatalog.
Auch der Titel hat sich mir als ein wenig irreführend erwiesen, vermittelt er doch so etwas wie Allgemeingültigkeit, als würde das Phänomen der „Alten Eltern“ doch allgemeiner behandelt. Bei Kitz kommt als Besonderheit noch hinzu, dass es „nur“ noch den alten Vater gibt, da die Mutter schon lange zuvor bei einem Autounfall verstarb. Das bedeutet für die Söhne im Hinblick auf die Pflege des Vaters eine besondere Verantwortung, da der sich kümmernde andere Partner weggefallen ist, somit aber auch nicht mehr selbst zum Gegenstand der Sorge wird.
Es ist sicherlich ein Buch, dass zum Nachdenken über den Umgang mit alten Menschen anregt und die Sorge um ein würdevolles Altern anregt. Es ist das persönliche Zeugnis eines Versuchs, dem Vater dies mit allen Unzulänglichkeiten zu ermöglichen. Ein Fazit ist für mich nicht erkennbar, es bleiben die losen Enden eines Lebensentwurfes, die in der Luft hängen bleiben.

Bewertung vom 26.06.2024
Mitte des Lebens
Bleisch, Barbara

Mitte des Lebens


ausgezeichnet

Philosophisches Kreisen um die besten Jahre
Der Inhalt des Buches „Mitte des Lebens“ von Barbara Bleisch und ihr Anliegen sind am besten umrissen mit den Worten der Autorin: „Was ich vorschlage sind somit keine Lösungen, sondern Versuche, eine Lebensphase zu verstehen, die allzu oft nur als düster und verworren dargestellt wird und der ich eine Philosophie entgegensetzen will, die die mittleren Jahre als potentiell beste Zeit unseres Lebens auslotet.“
Und ich würde sagen, dass gelingt ihr auch. In verständlich,,en Worten, häufig mit Beispielen aus dem Alltag umkreist die Autorin die Frage, was der Mensch der „midlife crisis“ entgegensetzen könnte. Dazu bemüht sie vielfältige Antworten aus der Literatur sowie aus der Philosophie bzw. aus der Biographie verschiedener Philosophen, von denen sich nicht wenig auch recht schwer nicht nur mit der Lebensmitte taten. Oder vielmehr gewinnt sie Fragen aus Romanen, (Auto-)Biografien und philosophischen Essays, die sie an gängige Vorstellungen von der Lebensmitte heranträgt. Dabei zeigt sie auf, welche negativen Sichtweisen auf gerade diese Lebensphase bestehen: Das Lebensende rückt näher, eine Bilanz rechnet auch die verpassten Lebenschancen auf, das Erreichte fragt nach dem, was noch kommt. Und entwickelt – ganz im Stile der sokratischen Hebammentechnik – mit Hilfe des Infragestellens dieser Perspektiven Möglichkeiten, die Lebensmitte auch ganz anders zu sehen: Blütezeit, Hochebene, die Überblick ermöglicht, Zeit für Innehalten und Genuss des Erreichten.
Auch wenn sich manchmal ein wenig der Kopf dreht bei dem philosophischen Kreisen, dessen Ziel ja nicht die geradlinige Lösung, sondern der Versuch, d. h. der Weg ist, der auch Irrweg sein und neu versucht werden kann, so vermittelt das Buch doch einen Lebensoptimismus und eine Lebensfreude, die auch Zweifel und Ängste nicht negieren und somit umso authentischer wirken. Kein Lebensratgeber, sondern ein Buch, das nachdenklich macht und zum Selberdenken anregt. So erscheint mir – logisch ganz stimmig – das Bild vom Irrgarten des Lebens als tröstliche und ermutigende Quintessenz der Lektüre: Wenn ich auch vielleicht das Gefühl habe, mich in meiner Lebensmitte verlaufen zu haben, dann ist der Weg hinaus nicht immer mit blinden Aktionismus, der sich selbst erschöpft, zu finden. Sondern dann darf ich auch einmal verweilen, rasten, um mich blicken, mich neu ausrichten und ausgeruht und gestärkt bedächtig auf einen neuen Weg machen. Z. B. mit und nach der Lektüre von „Mitte des Lebens“.

Bewertung vom 13.06.2024
Die kurze Stunde der Frauen
Gebhardt, Miriam

Die kurze Stunde der Frauen


sehr gut

Stunde null der Frauen
Dass diese Stunde null der Frauen genauso ein Mythos ist wie die Stunde null für Deutschland nach dem Krieg macht schon der Titel von Miriam Gebhardts neuem Sachbuch „Die kurze Stunde der Frauen“ deutlich. Sie räumt darin – nicht neu – mit dem Mythos der Trümmerfrauen auf, die Deutschland aus dem Nichts neu erschufen. Und sie fragt, wieso sich die Frauen nach einer kurzen Phase der Selbst- und Mitbestimmung wieder in die alte Rolle mit den drei Ks – Kinder, Küche, Kirche zurückdrängen ließen. Dazu trägt sie interessante Fakten und Kurzbiographien von Frauen zusammen, die die Stunde null mitgestalteten. Meist eher mitgestalten mussten, weil die Männer nicht (mehr) da waren, gefallen, gefangen genommen oder gebrandmarkt. Dagegen wurde ein Bild von der unschuldigen Frau aufgebaut, ideologisch unverdächtig, weil politisch inaktiv, das nun geeignet war, ein demokratisches Deutschland auf den Trümmern zu errichten. Dass auch dieses Bild eher ideologischen als realistischen Ursprungs war, wird in den Darstellungen Miriam Gebhards deutlich. Zwar gab es – schon vor der Stunde null – politisch engagierte Frauen, die für Mit- und Selbstbestimmung kämpften. Aber viele Frauen waren eben auch froh, als sie die Verantwortung für Familie, für die Beschaffung des Lebensunterhaltes und auch für politische Fragen wieder den Männern überlassen konnte. Dass sie nicht darin bestärkt wurden, die ihnen auferzwungenen Rollen nach dem Zweiten Weltkrieg weiter einzunehmen, war in West- wie auch in Ostdeutschland, wenn auch aus unterschiedlichen ideologischen Gründen, ähnlich.
Die Darstellung Gebhardts scheint wertfrei zu sein. Sie gliedert sich in verschiedene Bereiche: Trümmerfrau, Mutter, Ehefrau, Frau in Ost und West, Arbeitnehmerin, Frau des öffentlichen Lebens. Dennoch kommt es – in der Natur der Sache liegend, denn keine Frau ist nur Arbeiterin, nur Frau, nur Ehefrau, nur Mutter, nur Arbeiterin – zu Redundanzen in dem ewig gleichen Fazit: Die Stunde der Frauen währte nicht lang, war nicht gewollt, sondern aus der Not geboren und von daher auch schnell wieder freiwillig beendet, nicht aber ohne Spuren in der Gesellschaft zu hinterlassen, auch wenn diese lange brauchten, sichtbar zu werden, sich aber bis heute noch nicht vollends durchgesetzt haben. Denn auch heute noch regiert eher – aus unterschiedlichen Gründen – die Stunde der Männer. Und so klingt auch durch Gebhardts Darstellung, die weder die Frauen heroisiert noch die Männer verteufelt, bisweilen ein leicht ironisch-kritischer Zug, der sich vor allem gegen eine Geschichtsbildung richtet, die die Frauen für eine bestimmte Sichtweise auf eine schwierige Anfangsstunde instrumentalisiert.

Bewertung vom 27.05.2024
Fucking Famous (eBook, ePUB)
Hashagen, Anne

Fucking Famous (eBook, ePUB)


gut

Nicht wirklich witzig
Ich hatte das Buch „Fucking Famous“ gelesen in der Erwartung, dass es eine witzige, bissige Abrechnung mit dem Social-Media-Influencer-Gedöns würde. Ich fand es dann aber weniger witzig, als vielmehr die alte Leier: Vom Leben frustrierte, alternde Single-Frau mit wechselnden Hip-Berufen, Freundinnenclique, aber ohne Alltag und geregeltem Leben, was man ja nicht unbedingt haben muss, ist frustriert, gelangweilt und ohne tieferen Sinn im Leben. Das kann ja nicht alles gewesen sein. Da muss noch was kommen. Zum Glück hat sie eine reiche Hacker-Freundin mit viel Personal und guten Connections, die sie mit Make-Up, coolen Klamotten und Fake-News bzw. Videos geschickt in den Sozialen Medien in Szene setzt. Und der Plan geht auf: Lotte Hohenfeld, nicht adelig und ohne „von“, wird berühmt. Verbürgte früher einmal Berühmtheit so etwas wie Unsterblichkeit, so ist die Lebensdauer des Ruhms auf social media ungefähr so lang oder vielmehr so kurz wie die einer Eintagsfliege.
Die Mechanismen der Scheinwelt der Influencer, wie ihre Berühmtheit funktioniert, wie man in den Focus der Aufmerksamkeit gerät, nicht aufgrund besonderer Fähigkeiten oder Talente sondern vielmehr aufgrund der Abwesenheit von Scham und Schmerzgrenzen, wie man den Mainstream bedient, auch unter völliger Aufgabe seiner selbst, stellt die Autorin überzeugend und mit gewisser Expertise da.
Aber der Witz fehlt. Und so wird es doch wieder die Geschichte einer „alten, weißen Frau“, die den Sinn im Leben verpasst zu haben scheint und in Selbstmitleid und Verzweiflung nicht versinkt, sondern zur Tat oder eher zur Schlagzeile greift. Man kann es lesen, muss man aber nicht. Die Welt der Influencer wird sich weiter im Schnellkreisel drehen. Wer mitfahren will, viel Spaß.

Bewertung vom 28.04.2024
25 letzte Sommer
Schäfer, Stephan

25 letzte Sommer


gut

Eher enttäuschend
Nachdem das Buch „25 letzte Sommer“ so hoch gelobt worden ist, habe ich es mit entsprechender Erwartung gelesen, bin aber darin doch eher enttäuscht worden.
Ein beruflich gestresster Familienvater trifft bei einem seiner Aufenthalte in seinem Ferienhaus auf dem Land auf einen alten Kartoffelbauer, der ihm die Fragen seines Lebens stellt und ihn an einem Tag dazu bringt, sein ganzes Leben zu hinterfragen. To-do-Listen versus Muße, Hektik versus Achtsamkeit, Profitstreben versus Selbstversorgung, Immer-weiter versus auf den Traum im Leben Hinleben.
Ja, sicherlich ist das Ambiente beschaulich, ein See im Wald, ein alter Hof mit einem Kartoffelacker und großem Bücherzimmer mit zwei Sofas für das erholsame Mittagsschläfchen. Leckeres, genußvolles Essen, tiefsinnige Gespräche, kunstvolle Bilder.
Allerdings ist das Buch nicht sonderlich originell. Ob nun der alte Bauer mit seinem Kartoffelacker oder eine alte Frau, die einem im Wald begegnet und einem die entscheidenden vier Fragen des Lebens stellt, oder ein Mann, der im Gespräch mit einem Baum auf Lebensweisheiten kommt usw.usf. Alles schon mal da gewesen. Auch die Erkenntnisse sind nicht neu: zu viel zu tun, zu oberflächlich leben, zu wenig Zeit für die Dinge, die wirklich wichtig sind, zu viel Social Media, zu viel Hektik, zu viel Profitstreben, zu wenig Beziehung, zu wenig unverwirklichter Lebenstraum.
Dabei ist auch der Ruf „Zurück zur Natur“ nicht neu: Das Landleben als Kartoffelbauer wird hier ziemlich verkitscht und naiv dargestellt: Man kann sich nicht wirklich vorstellen, dass ein Landwirt heute mit einem kleinen Acker seinen Lebensunterhalt bestreiten kann und Sonntags die freie Wahl hat: faulenzen oder auf den Acker. Da sind wir von der Realität dann doch ziemlich weit entfernt.
Mich hat auch der Tonfall gestört, der immer irgendwie an das naiv erstaunte Erkennen eines Kleinkindes erinnert, das offensichtliche Wahrheiten für sich zum ersten Mal entdeckt.

Bewertung vom 28.04.2024
Die Kranichfrauen
Greil, Renate

Die Kranichfrauen


sehr gut

Nette Sommergeschichte
Die Freundinnen Anna und Paula erleben einen ereignisreichen Sommer am Ammersee zur Zeit der amerikanischen Besatzung in München. Sie sollen für die Amerikaner ein Sommercamp auf dem Gelände des ehemalgen Yachtclubs von Paulas Vater errichten. Dort lehren sie die Kinder Segeln, Schwimmen, aber auch Nähen und allerlei Dinge über die Natur. Und lernen dabei auch etwas über sich selbst und ihre Träume vom Leben: Anna möchte Boote bauen, Paula Lehrerin werden, nicht ganz einfach in einer Zeit, als die Männer langsam aus dem Krieg wiederkehrten und ihre alte Rolle in der Gesellschaft zurückverlangten, während sie die Frauen wieder auf die ihnen angestammten Plätze in Kirche, Küche und bei den Kindern zurückverwiesen.
Am Anfang entwickelt sich die Story etwas schleppend, aber zunehmen nimmt sie an Fahrt und auch an Tiefe auf. Aus den Figurenkonstellationen ergeben sich spannende Ent- bzw. Verwicklungen um Liebe, Sehnsucht und Selbstverwirklichung. Die beiden Mädchen treffen auf Kriegsheimkehrer, einen Juden, der ins gelobte Land auswandern möchte, aber Angst vor dem Wasser hat und auf die Amerikaner, die mit dem Bewusstsein der siegreichen Besatzer den Deutschen ein amerikanischen Lebensgefühl vermitteln, aber auch die Sonnenseiten des Siegers auskosten wollen. So beanspruchen sie die „Kranich“, Paulas geliebtes Segelboot, als Siegestrophäe für sich. Das kann Paula nicht zulassen, und mit Anna schmiedet sie einen Plan.
Mit gut leserlichem Ton, wenn auch manchmal mit ein wenig einfacher Rührseligkeit schreibt die Autorin mit dem Roman „Die Kranichfrauen“ einen netten, unterhaltsamen Sommerroman, der dem Leser das Lebensgefühl und die Stimmung im Nachkriegsdeutschland mit besonderem Blick für die sich wandelnde Rolle der Frau vermittelt.

Bewertung vom 22.04.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen


ausgezeichnet

Grausam
Man kann alles schaffen, was man schaffen muss. So ungefähr im Wortlaut formuliert es Sigrid gegenüber ihrem Geliebten Konrad. Doch angesichts der Unmenschlichkeit, die beiden widerfährt, scheint das mehr als menschenmöglich.a
Konrad fährt auf einem norwegischen Frachter, als dieser von Japanern im Zuge des 2. Weltkrieges bombardiert wird und sinkt. Als einer der wenigen Überlebenden strandet er an der Küste Indonesiens. Dort lernt er die Krankenschwester Sigrid kennen, die eigentlich auch aus Norwegen stammt und dort mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester lebt. Beide verlieben sich ineinander. Doch dann wird Java von den Japanern besetzt und auch die Norweger in Internierungslager gesperrt. Konrad und Sigrid sind sich zugleich nah und doch unerreichbar für einander, da sie getrennt in Männer- und Frauenlagern gefangen gehalten werden.
In ihrem zweiten Roman schildert die norwegische Autorin Trude Teige eindringlich die Grausamkeit und Unmenschlichkeit, die Menschen anderen Menschen zuteil werden lassen. Unter den schlimmsten Bedingungen von Hunger, Krankheiten wie Malaria und Ruhr, aber auch der Demütigungen und rohen Gewalt der japanischen Besatzer versucht Sigrid, ihre kleine Schwester und ihre alkoholkranke Mutter durch die Zeit der Gefangenschaft zu bringen. Sie setzt sich auch für gemäß ihrer Rolle als Krankenschwester für die Kranken und Leidenden des Lagers ein. So versucht sie, ohne ein Zeichen der Hoffnung, ohne ein Wissen um ein Ende, abgeschnitten vom Lauf der Weltgeschichte, ausgesetzt der Willkür des Stärkeren ein bischen Menschlichkeit zu wahren. Nicht weit davon kämpft Konrad mit seinen Gefährten um das nackte Überleben.
Haben beide eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft?
Ein spannendes, berührendes, zutiefst betrübendes und nicht immer leicht zu ertragendes Buch über ein noch nicht so oft thematisiertes grausames Stück Zeitgeschichte an einem abseits gelegenen Ort des Zweiten Weltkrieges, das doch das Schicksal so manchen Lebens vielleicht auch bis in die nachfolgenden Generationen hinein beeinflusst hat.
Auch wenn man nicht immer alles schaffen kann, so kann man vielleicht doch an den Versuch erinnern und den nachfolgenden Generationen den Mut mitgeben, dass der Mensch doch in der Lage ist, über sich selbst hinauszuwachsen, auch wenn er das Schicksal nicht immer selbst in der Hand hat. Aber das Schicksal geht bisweilen verworrene Wege, auf dem die einen verloren gehen müssen, damit andere gerettet werden.
Und so führt dieser Roman am Ende zwei schreckliche Schicksale zusammen, aus denen neue Hoffnung entsteht. (Spoiler: Wenn man die Titel der beiden Romane von Teige hintereinander liest, hat man die Verbindung.)
Unbedingt lesenswert!

Bewertung vom 21.04.2024
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


ausgezeichnet

Weiterleben
Mit großer Begeisterung habe ich Caroline Wahls ersten Roman „22 Bahnen“ gelesen und die Fortsetzung mit Spannung erwartet. Letztlich bin ich in meinen Erwartungen nicht enttäuscht worden. Auch „Windstärke 17“ hat in mir einen Lesesog ausgelöst, und ich habe das Büchlein nur ab und an ungern aus der Hand gelegt. Die Autorin hat ein Talent, schwere Dinge in lakonischen, aber dennoch nicht weniger eindringlichen Sätzen zwischen Kindheitswohlfühlmomente wie pinken Nikianzug oder Botincheneis zu verpacken. Manchmal schon so, dass man sich als Leser nicht verleiten lassen darf, Ida als verwöhntes Ferienmädchen bei Marianne und Knut zu sehen, sondern sich bewusst zu machen, was es für ein Mädchen von Anfang 20 bedeuten muss, die eigene Mutter nach einem Streit und einem besonders schönen Wochenendtrip nach Prag in der Wohnung tot aufzufinden: Tablettenüberdosis.
Darum geht es in dem zweiten Roman von Caroline Wahl: um Ida, Tildas jüngere Schwester. Tilda hat ihren Lebensweg gefunden. Ida haut nach dem Tod der Mutter ab, nach Rügen, möglichst weit weg. Und trifft dort auf Knut und Marianne, die sie bei sich aufnehmen, ohne Fragen zu stellen. Und auf Leif, aufgewachsen auf der Insel, eigentlich international erfolgreicher DJ, aber aus nur angedeuteten Gründen gerade bei seinem dementen Großvater auf der Insel. Eigentlich jemand, den Ida im Moment so gar nicht gebrauchen kann. Und als dann auch Marianne ein schwerer Schicksalsschlag trifft, bricht Idas fragile Welt erneut in sich zusammen, und all ihre Schuldgefühle hinlänglich des Todes ihrer alkoholabhängigen Mutter brechen wieder hervor. Wie lässt es sich weiterleben in einer solchen Welt?
Man muss Caroline Wahls ersten Roman nicht kennen, um „Windstärke 17“ lesen und verstehen zu können. Ida hat ihre ganz eigene Geschichte. Und auch ihren ganz eigenen Charakter. Wirkte Tilda so überlegt und handfest und ruhig und fand in Viktor ihr Pendant, so ist Ida das genaue Gegenteil. Sie schwankt, durchlebt ihren ganz eigenen Hypertornado mit Windstärke 17, und lässt sich treiben und ordentlich durchschütteln. Auch sie sucht nach Linderung in exzessiven Waldläufen und im Schwimmen, strebt aber mehr als bei Tilda danach, ihre physischen und psychischen Grenzen zu überschreiten. Auch die Beziehung zu Leif ist fragil, kein Fels in der Brandung. Und so bleibt konsequenter Weise das Ende offen. Schade ist nur, dass Ida das Malen – zugunsten des Schreibens – aufgegeben hat. Denn die Schilderung der Bilder, die die junge Ida im ersten Roman malt, waren ein Lesevergnügen für sich. Ob Ida der Autorin mehr ähnelt als Tilda mag Raum für Spekulationen bieten.
Die beiden Romane verknüpfen der Caroline Wahl eigene Schreibstil und die beiden Schwestern Tilda und Ida. Aber „Windstärke 17“ ist nicht einfach eine Neuauflage des Erfolgsromanvorgängers, sondern eine Geschichte, die es um ihrer selbst willen wert ist, gelesen zu werden.