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-Leselust-

Bewertungen

Insgesamt 31 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2018
Loyalitäten
Vigan, Delphine

Loyalitäten


sehr gut

Kurzmeinung:
Delphine De Vigan schafft es auf wenigen Seiten eine große und bewegende Geschichte zu erzählen. Ohne Kitsch und Pathos schreibt sie über schwere Schicksale und erschafft Figuren, die alle ihr Päckchen zu tragen haben und in ihrem Leiden sehr authentisch sind.

Meine Meinung:
Zunächst ist da Théo, der zu Beginn des Romans fast 13 ist und sich immer weiter in sich zurückzieht, bis er sich schließlich in den Alkohol flüchtet.
Delphine De Vigan liefert eine erschreckende, aber sehr realistische Beschreibung dessen, was mit einem Kind passieren kann, wenn sich die Eltern auf unschöne Weise trennen. Das zwischen den Stühlen Stehen. Es beiden recht machen zu wollen. Das kommt sehr gut rüber. Außerdem muss Théo viel zu viel Verantwortung übernehmen für sein Alter. Beide Eltern sind nicht für ihn da, kümmern sich nicht um ihn. Sind zu beschäftigt mit sich selbst. Im Gegenteil muss Théo sich um sie kümmern, will ihnen alles recht machen. Das alles wird sehr eindrücklich beschrieben. Mehrmals wollte ich die Eltern am liebsten schütteln und anschreien, was sie ihrem Kind da antuen. Wie sie sein stummes Leiden nicht wahrnehmen können. Wollte Théo am liebsten in den Arm nehmen.

Außerdem gibt es Hélène. Die Lehrerin hat in ihrer Kindheit Missbrauchserfahrungen gemacht und ist deswegen besonders wachsam und empfänglich für Anzeichen. Sie ist sehr besorgt um Théo, was schließlich fast schon zur Besessenheit wird. Mehrmals überschreitet sie Grenzen, überwacht zum Beispiel Théos Elternhaus. Sie hat ihre Missbrauchserfahrungen noch nicht verarbeitet und wird durch Théo gewissermaßen retraumatisiert. Alte, schmerzhafte Erinnerungen kommen wieder hoch und sie kann ihre Sorge um Théo schlecht von ihren Erinnerungen abgrenzen. Den Beschützerinstinkt, den sie Théo gegenüber hat, konnte ich als Leserin aber sehr gut nachvollziehen.

Eine weitere Figur ist Cécile, die Mutter von Théos bestem Freund Mathis. Cécile hatte selbst auch keine einfache Kindheit. Sie macht sich Sorgen um ihren Sohn und den vermeintlichen schlechten Einfluss, den Théo auf ihn hat. Außerdem sieht sie sich plötzlich mit einer schrecklichen Dunklen Seite ihres Mannes konfrontiert. Sie macht in dem Buch eine sehr spannende Entwicklung durch und war für mich ein sehr interessanter Charakter, den ich gern verfolgt habe.

Jede der Figuren in der Geschichte leidet, hat ihr Päckchen zu tragen. Bei einem 13-jährigen Junge ist es aber natürlich besonders schwer zu ertragen.

De Vigan erzählt von großem Leid, allerdings in einem eher nüchternen Ton. Sie dramatisiert nicht, schreibt ohne übertriebene Rührseligkeit oder Pathos. Das hat mir gut gefallen und die Schicksale für mich eigentlich noch umso eindrücklicher werden lassen. Die Autorin konfrontiert den Lesenden mit Fragen der Moral. Ist es vertretbar, aus den richtigen Gründen etwas Falsches zu tun? Zum Beispiel Hélène, die aus Sorge um ihren Schülern die Grenzen ihrer Befugnisse überschreitet. Oder Cécile, die aus Sorge um ihren eigenen Sohn die Augen vor dem Leid des jungen Théo verschließt.
Dabei stellt sich dem Lesenden unweigerlich die Frage, was man selbst in dieser Situation tun würde. Dabei gelingt es De Vigan jedoch, ohne erhobenen Zeigefinger zu schreiben sondern wirklich nur unvoreingenommen die Fragen aufzuwerfen und die Situationen ohne Wertung darzustellen.

Sehr gut gefallen hat mir auch, wie sich die Geschichte langsam aufgebaut hat. Schon von Anfang an hatte ich beim Lesen ein unangenehmes Gefühl. Diese dunkle Vorahnung hat sich immer weiter verstärkt, je weiter die Geschichte fortgeschritten ist. Wie in einer Abwärtsspirale werden die Geschehnisse immer dramatischer, spitzen sich immer weiter zu, bis sie schließlich in ihrem dunklen Tiefpunkt münden. Dabei braucht De Vigan nur wenige Seiten, um diesen großen Spannungsbogen aufzubauen und die Ereignisse eskalieren zu lassen. Dennoch wirkt nichts davon überstürzt oder gehetzt.

Bewertung vom 09.09.2018
Mit der Faust in die Welt schlagen
Rietzschel, Lukas

Mit der Faust in die Welt schlagen


sehr gut

Kurzmeinung:
Gut geschrieben liefert Lukas Rietzschel eine interessante Beschreibung des Lebens in einem sächsischen Dorf. Über das Beschreibende kommt dieser Roman aber leider nicht hinaus und so kann er für mich nicht halten, was der Klappentext verspricht.

Meine Meinung:
Ich hätte dieses Buch so gern mehr gemocht. Der Klappentext klang so vielversprechend, das Thema so interessant. Es hätte das Buch unserer Zeit sein können. Ich habe mir wirklich viel erhofft.
Doch leider hat es für mich nicht das erfüllen können, was ich erwartet habe.

Der Autor beschreibt sehr gut das Leben in einem sächsischen Dorf nach der Wende. Den Alltag einer Familie. Sehr gut werden die Charaktere eingeführt und dargestellt.
Doch dann passiert leider erstmal lange Zeit nichts. Der Roman kommt nicht über das Beschreibende hinaus. Mir fehlte die Handlung, die Spannung, das Analytische.

In der ersten Hälfte des Buches lernt man die Charaktere sehr intensiv kennen und ich habe gehofft, der Autor braucht die Zeit, um komplexe Figuren aufzubauen und dann irgendwann endlich mit dem eigentlichen Plot anzufangen. Aber leider kam da nicht so viel. Irgendwann hat die Handlung dann schon mehr Fahrt aufgenommen, aber mehr als einige gute Szenen gab es nicht. Der Rest verliert sich in Andeutungen. Da hatte ich mir einen differenzierteren, erklärenden Blick erhofft.

Sehr gut zu spüren sind die Tristesse und die Hoffnungslosigkeit, in der die Bewohner des Dorfes stecken. Der Landstrich scheint verloren, vergessen, abgehängt. Schulen werden geschlossen, Jobs gestrichen. Die Perspektivlosigkeit und gerade die Langeweile der Jugend spürt man auf jeder Seite.
Doch der wichtige nächste Schritt kam mir zu Kurz. Der Klappentext spricht von "Bedrohung", von den "Aufmärschen in Dresden" und einer "Eskalation der Situation im Heimatdorf". Erst im dritten Teil des Buches liest man davon überhaupt, und auch dann eher in kurzen Erwähnungen, Andeutungen oder knappen Passagen. Und auch dies wieder eher beschreibend. Kein Blick hinter die Fassaden, keine Verknüpfung der verschiedenen Standpunkte, keine literarische Analyse der Situation.
Vereinzelt tauchen sie aber auf: wirklich starke Sätze, die mich treffen, die mich kalt erwischen. Sie funkeln hervor zwischen den langen Beschreibungen wie Diamanten. Doch von denen habe ich in dem Roman ingesamt leider zu wenig gefunden.

Sehr gut gefallen hat mir die Sprache des Autors. Der Schreibstil ist sehr ruhig, sehr unaufgeregt. Manchmal sehr authentisch und roh, manchmal sehr literarische, fast poetisch.



Fazit:
Ingesamt konnte Mit der Faust in die Welt schlagen von Lukas Rietzschel für mich nicht das halten, was der Klappentext versprochen hat. Aber der Schreibstil des Autors ist toll, die Charaktere werden intensiv dargestellt und um einen Einblick in das Leben in einem Ex-DDR Dorf zu bekommen, ist das Buch ideal. Großer Pluspunkt ist auch die Aktualität der Thematik.

Bewertung vom 22.08.2018
Das weibliche Prinzip
Wolitzer, Meg

Das weibliche Prinzip


sehr gut

Kurzmeinung:
Ich fand dieses Buch toll, hätte es aber gern noch mehr gemocht! Ein gutes Buch mit einem sehr wichtigen Thema, interessanten Charakteren und einer vielschichtigen Handlung. Auf jeden Fall lesenswert!
Ich persönlich war aber leider auch ein bisschen enttäuscht, weil ich mir einfach noch mehr von dem Roman erhofft hatte.

Meine Meinung:
Dieses Buch war irgendwie ganz anders, als ich es erwartet hatte, aber es hat mir dennoch gefallen. Ich hatte mir einen stärkeren Schwerpunkt auf das Thema Feminismus gewünscht, etwas mehr auch inhaltlich dazu. Doch das Thema wird weniger explizit im Roman behandelt, schwingt aber dennoch die ganze Zeit mit.

Im Kern dieses Romans stehen Beziehungen. Die Beziehung zu unseren Eltern, Freunden, unserem Partner oder unserer Partnerin. Zu unseren Freund_innen, Kolleg_innen. Zu unseren Idolen. Beziehungen werden hier in all ihrer Bandbreite eingefangen und mit allen schönen und schwierigen Seiten dargestellt. Neben den feministischen Themen hat das einen Großteil des Reizes an diesem Buch ausgemacht.


Der Anfang des Romans hat mir sehr gut gefallen und mich gleich sehr in die Geschichte gesogen. Dort wird sehr gut beschrieben, wie es sich für Frauen anfühlt, Sexismus ausgesetzt zu sein und Übergriffe zu erleben. Die Ohnmacht, die Scham. Das in der Gesellschaft (leider!) noch weit verbreitete Victim Blaming, wenn Frauen mutig sind und die Täter anzeigen. Das alles hat sehr gut die Erfahrungen widergespiegelt, die ich als Frau schon selbst erlebt habe und von vielen anderen Frauen gehört habe.

Jungs und Männer hatten sie natürlich oft mit groben oder anzüglichen Bemerkungen bedacht, das passierte allen Mädchen, das geschah überall. (aus "Das weibliche Prinzip", S. 24)

Es ist so traurig, dass dieser Satz so geschrieben werden muss und wahr ist.

Außerdem geht es um die Themen "Frauen und Macht", dass Frauen sich eigentlich gegenseitig unterstützen müssten und gerade Frauen in Führungspositionen, die es "geschafft haben", ihren Einfluss nutzen sollten, sich für andere Frauen stark zu machen. Doch weil ihnen ständig das Gefühl der Bedrohung vermittelt wird, haben sie Angst und denken, sie können es sich nicht leisten, mit anderen Frauen freundlich umzugehen. Das ist zumindest die Erklärung, die das Buch gibt.

Auch die unbezahlte Care Arbeit, die zumeist Frauen überall auf der Welt leisten, wird thematisiert, und wie dies seinen Beitrag zur bestehenden Ungerechtigkeit leistet.
Und auch die unterschiedlichen Ansprüche, die an Männer und Frauen gestellt werden, kommen in dem Buch sehr gut rüber.

Das alles hat mir gut gefallen. Diese Analyse der Position der Frau in der heutigen Zeit, die Beschreibung der Entwicklung, die es von den 60ern bis heute gegeben hat. Die Schilderungen, was Frauen (auch heute noch) erleben und ertragen müssen. Ein kleiner Kritikpunkt daran ist, dass es sich hier hauptsächlich um recht privilegierte, weiße Frauen handelt. Das ist allerdings ein Punkt, der auch im Buch selbst angesprochen und diskutiert wird. Der Umgang damit hat mir gut gefallen und schwächt die Aussage des Buches in meinen Augen nicht.

Ein weiterer Aspekt, der mit mir persönlich sehr resoniert hat, ist Greers Situation nach dem College. Sie ist von Faith Frank begeistert, möchte unbedingt etwas bedeutsames tun, sich für den Feminismus und für Frauen engagieren. Gleichzeitig ist sie aber auch noch unsicher, hat sich selbst noch nicht so richtig als Person gefunden.
Ich selbst habe bald meinen Abschluss in der Tasche und stehe vor einer ähnlichen Situation. Ich weiß noch nicht genau, wo es mich hin verschlagen wird, was ich tun werde. Die Zukunft ist noch so ungewiss und das macht mir etwas Angst. Auch ich möchte gern etwas "wichtiges" tun, mich engagieren, den Menschen helfen. Und genau wie Greer fällt es mir schwer, es ruhig angehen zu lassen, sondern stürze mich lieber Hals über Kopf und mit vollem Engagement in ein Projekt.

Bewertung vom 19.08.2018
Die Gabe
Alderman, Naomi

Die Gabe


sehr gut

Kurzmeinung:
Ein sehr interessantes Gedankenexperiment. Wie sähe die Welt aus, wenn die Frauen das starke Geschlecht wären? Das Buch ist spannend und lässt sich trotz des Umfanges schnell weglesen. Die verschiedenen Perspektiven machen die Geschichte sehr interessant. Allerdings hätte man aus diesem vielversprechenden Ansatz meiner Meinung nach mehr machen können. Da wurde einiges an Potential verschenkt.


Meine Meinung:
Was mich an diesem Buch besonders gereizt hat, ist das Szenario. Frauen, die plötzlich durch "die Gabe" den Männern körperlich überlegen sind und so zum starken Geschlecht werden. Diese "Gabe" wird dabei sehr realistisch und wissenschaftlich beschrieben und die Entwicklung ist nachvollziehbar und in diesem Rahmen durchaus glaubhaft, wenn man sich darauf einlässt. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft sind sehr interessant und vielschichtig und in den verschiedenen Kulturen auch sehr verschieden. In Saudi Arabien zum Beispiel, wo Frauen bisher stark unterdrückt wurden, findet ein kompletter Machtumschwung statt. In den USA sind die Auswirkungen nicht ganz so krass, aber Konsequenzen sind dennoch sichtbar. Jungs werden von Mädchen getrennt, um für die Sicherheit der Jungen zu sorgen. Mädchen lernen in Trainingslagern, ihre Gabe zu beherrschen. Die Politik reagiert auf die neue Weltordnung mit Aktionismus und schnellen Plänen. Verspricht eine Sicherheit, die sie nicht garantieren kann.
Auch auf die Religion hat die Gabe eine Auswirkung. Eine der Protagonistinnen, Allie, hat Eingebungen von einer Stimme und dieser Stimme folgend, gründet sie eine neue Religion und wird zu deren Führerin. Diesen Aspekt fand ich auch spannend, wie in solchen Zeiten des Umschwungs die Menschen Halt und Sinn in einer neuen Religion suchen.

In diesem Buch kommen viele Stimmen zu Wort, viele Ideen werden beleuchtet. Neben der Religionsführerin Allie, später "Mother Eve" genannt, gibt es die Politikerin Margot, die selbst auch die Gabe hat, dies aber zu verstecken versucht, damit sie im Amt bleiben darf. Außerdem ihre Tochter Jocelyn, die Schwierigkeiten hat, ihre Gabe zu kontrollieren.

Dann gibt es Roxy, die Tochter eines Gangsters, die ein großes Talent für den Einsatz der Gabe im Kampf hat und mit Hilfe derer versucht, das Untergrundimperium des Vaters zu übernehmen.

Als einzige männliche Perspektive gibt es den afrikanischen Reporter Tunde, der zufällig einen der ersten Berichte über den Ausbruch der Gabe dreht und so zu einem der wichtigsten Berichterstatter zu dem Thema wird.

Trotz der vielen verschiedenen Perspektiven ist es nicht schwer, beim Lesen den Überblick zu behalten. Im Gegenteil, ich fand es sehr spannend, die Geschichte aus Sicht so verschiedener Charaktere zu verfolgen. Die Charaktere kommen aus verschiedenen Ländern, haben verschiedene Hintergründe, Positionen und Funktionen. So erhält man ein vielschichtiges Bild von der Geschichte.
Keiner der Protagonist_innen war mir so richtig sympathisch, aber das hat irgendwie auch zu der ganzen Stimmung des Buches gepasst.

Neben den 5 Erzählperspektiven gibt es auch immer wieder Einschübe aus fiktiven "wissenschaftlichen Berichten", Abbildungen von Artefakten aus der Zeit, Zitaten aus historischen Schriften. Das ist mal was Anderes und hat mir sehr gut gefallen.

Was mir auch gefällt: Alderman tut nicht so, als wäre die Welt eine bessere, wenn wir Frauen an der Macht wären. Es wird nicht idealisiert, sondern einfach eine interessante Alternative zu unserer Weltordnung geschaffen.
Die Geschichte und das Szenario regen zum Nachdenken an. Warum ist unsere Gesellschaft so aufgebaut, wie sie es ist? Erst durch das Umdrehen des Machtverhältnisses wird klar, wie viele Bereiche mit Macht und den Geschlechtsunterschieden zu tun haben. Auf welche Bereiche sich so eine Machtverschiebung auswirken würde. Das fand ich mit am interessantesten an dieser Geschichte und hat für mich den Reiz des Buches ausgemacht.

Bewertung vom 20.04.2018
Kleine Feuer überall
Ng, Celeste

Kleine Feuer überall


ausgezeichnet

Kurzmeinung:
Auch der zweite Roman von Celeste Ng konnte mich wieder begeistern. Auch diesmal waren es die psychologisch fein beobachteten und gut beschriebenen Charaktere und die Schilderungen der Beziehungen, die mich so in den Bann gezogen haben.

Meine Meinung:
Der Debütroman von Celeste Ng hat mich absolut begeistert und ich habe sehnsüchtig auf etwas Neues von der Autorin gewartet. Deswegen habe ich mich unglaublich gefreut, als Ngs neuer Roman "Kleine Feuer überall" angekündigt wurde. Allerdings war ich auch etwas skeptisch –würde mich die Autorin trotz meiner hohen Erwartungen noch einmal begeistern können? Spoiler: Ja, sie konnte!

Die Geschichte lebt vor allem durch die psychologisch fein beobachteten und gut beschriebenen Charaktere, ihre Entwicklung und die einfühlsam geschilderte Beziehungsdynamik zwischen den einzelnen Personen. Ng schafft es, Personen so gut zu beschreiben, dem Leser / der Leserin einen so tiefen Einblick in ihre Psyche zu gewähren, dass sie einem so nahe werden und berühren.
Auch Charaktere, die mir eigentlich unsympathisch waren und deren Handeln ich anfangs nicht nachvollziehen konnte, hat Ng mir näher gebracht, die Motive beleuchtet, ihre Beweggründe aufgezeigt, so dass ich sie schussendlich doch verstehen konnte.
Ng widmet sich jedem Charakter intensiv und dabei ehrlich; zeigt sowohl Stärken, aber widmen sich auch ohne Scham oder Zurückhaltung den Schwächen.
Sie gibt den Personen Raum sich zu entwickeln, erklärt ihr Handeln und ihre Motive, in dem auf ihre Vergangenheit und ihre Geschichte geblickt wird. Das gibt den Charakteren Tiefe und lässt sie sehr authentisch wirken.

Ein für mich wichtiger Teil in dem Buch war auch ein moralisch schwieriges Thema. Ohne zu viel verraten zu wollen, kann ich sagen, dass Mutterschaft, Erziehung und die Mutter-Tochter-Bindung eine zentrale Rolle spielen. Auch diesem Thema hat Celeste Ng sich einfühlsam genährt. Auch wenn ich am Anfang sofort eine erste Meinung hatte, hat mich die Autorin dann sehr zum Zweifeln und Schwanken gebracht, denn bei ihr gibt es kein schwarz-weiß. Das moralische Dilemma wird von allen Seiten und in allen Grautönen betrachtet und so fiel es mir dann sehr schwer, an meiner Meinung festzuhalten und ein Urteil zu fällen. Ng hat mich dazu gebracht, auch die anderen Seiten zu erkennen und darüber nachzudenken.
Denkanstöße bekam ich auch zum Thema Altruismus. Kann man auch aus den falschen Gründen das Richtige tun? Sich engagieren, weil es sich gut anfühlt. Anderen helfen und dafür dann Dankbarkeit erwarten und das eigene Überlegenheitsgefühl weiter ausbauen. Gibt es überhaupt echten Altruismus? Das alles sind Fragen, die Ng in ihrem Roman aufwirft.

Weitere wichtige Themen sind die Angepasstheit und die starken Reglementierungen, die das Leben und das soziale Miteinander in Shaker Heights. Das Leistungsstreben, der Perfektionismus und die Angst vor Fehlern.
Besonders interessant ist hier der Charakter Izzy. Sie ist eine Unangepasste in einer Stadt, wo der äußere Schein und das Einhalten von Normen das allerwichtigste ist. An ihr wird exemplarisch sehr gut der Konflikt zwischen Echtheit und Authentizität vs. Außenwirkung und Schein dargestellt.

Das Buch braucht kein großes Drama, keine rasanten Actionszenen um große Spannung aufzubauen und mich absolut in den Bann zu ziehen. Es sind gerade die leisen Töne, die teils bedrückende Ruhe, die mich so begeistert und gefesselt haben und die dieses Buch so besonders machen.

Fazit:
Celeste Ngs zweiter Roman konnte mich trotz meiner sehr hohen Erwartungen restlos begeistern. Ein Buch über Familie, über Angepasstheit und Rebellion, über Mütter und Töchter. Über Altruismus und Moral. Ng wirft hier große Fragen auf, gibt Denkanstöße und macht es den Leserinnen und Lesern nicht leicht, sich ein Urteil zu bilden.
Aber letztendlich waren es vor allem Ngs herausragende Charakterbeschreibungen, die tiefen Einblicke in Psyche und Motive, die mich so sehr begeistern konnten.

Bewertung vom 07.02.2018
Kleine große Schritte
Picoult, Jodi

Kleine große Schritte


gut

Kurzmeinung:
Obwohl ich sonst ein großer Picoult Fan bin, kann ich mich dieses Mal der Begeisterung nicht 100%ig anschließen. Zwar ist das Thema sehr wichtig und die Intention sehr gut, die Umsetzung allerdings fand ich nicht so gelungen.


Meine Meinung:
"Kleine große Schritte" behandelt ein sehr wichtiges Thema –Rassismus– und ich bin froh, dass es geschrieben wurde und viel gelesen wird. Dennoch bin ich nicht so richtig warm mit der Geschichte geworden und ich habe einige Kritikpunkte.
Zum einen würde ich mir gerade zu diesem Thema lieber mehr "own voice" Bücher wünschen. Obwohl Picoult im Nachwort ganz gut beschreibt, dass sie sich der Problematik bewusst ist und was ihre Gründe waren, dieses Buch dennoch zu schreiben:


"Ich schreibe für meine eigene Gemeinschaft –Weiße–, die kein Problem haben, einen Neonazi als Rassisten auszumachen –den eigenen Rassismus aber nicht erkennen." S. 583

Außerdem ist die Übersetzung an mancher Stelle nicht gut gelungen. Elif hat das in ihrem Post (der auch sonst sehr lesenswert ist) sehr gut erklärt, besser als ich es kann. Aber zum Beispiel wird in dem Buch sehr oft das Wort "Farbige" verwendet, welches eine Fremdbezeichnung aus der Kolonialzeit ist. Also wird ein rassistisches Wort in einem Anti-Rassismus-Roman verwendet. Da muss man sich schon echt wundern, wie dass dem Verlag passieren konnte. Ich hoffe, dass wird in zukünftigen Ausgaben noch geändert.

Aber auch die gesamte Geschichte hat mir nicht so gut gefallen. Für mich wirkten viele Szenen sehr konstruiert und man konnte genau erkennen, warum diese Handlung gerade nötig ist, um uns einen bestimmtem Aspekt von Rassismus zu erklären. Dadurch wirkte der Roman für mich aber oft unauthentisch und die Personen kamen mir nicht sehr nahe. Da war für mich zu viel erhobener Zeigefinger dabei.
Manchmal fiel es mir aber auch schwer, die Geschichte zu akzeptieren, weil manche Situationen für mich so unvorstellbar waren, dass ich sofort eine gewisse Reaktanz gespürt habe. Ein bisschen "Kann das wirklich so sein, oder ist das nicht etwas übertrieben?" Und genau deswegen finde ich dieses Buch eben trotz meiner Kritikpunkte so wichtig. Denn es hat mich dazu gezwungen, mir immer wieder bewusst zu machen, dass es zwar nicht meine Lebensrealität ist, aber die von vielen anderen Menschen auf der Welt. Und dass auch Ignoranz schon ein Privileg ist.


Fazit:
Insgesamt ist es ein Buch, das man gut lesen kann und gerade für Picoult Zielgruppe (privilegierte, weiße Leser_innen) bestimmt sehr viel Lehrreiches und Denkanstöße enthält. Ich hatte mir aber mehr von dem Roman erhofft und war daher und wegen der angesprochenen Kritikpunkte etwas enttäuscht.

Für eine sehr interessante und kritische Meinung zu dem Buch schaut unbedingt bei Elif von "Lost in written words" vorbei.


Fun Fact:
Zu dem Buch gibt es auch ein kleines Prequel, "Das Mädchen mit den roten Schuhen", das nur als eBook erschienen ist. Darin wird die Kindheit der Protagonistin Ruth beschrieben wird. Ich finde es eine gute Idee und eine sinnvolle Ergänzung zu der Geschichte.

Den Roman "Kleine große Schritte" gibt es auch als Hörbuch. Von diesem möchte ich euch aber ausdrücklich abraten. Ich habe ein bisschen hineingehört, und immer mal wieder mit dem Roman verglichen. Die Hörbuch- Geschichte ist so stark gekürzt, dass wirklich viele wichtige Szenen fehlen. Der Rest wirkt wie zusammengestückelt und hat für mich auch teilweise nur wenig Sinn ergeben, weil eben wichtige Handlungsstücke weggelassen wurden.

Bewertung vom 04.02.2018
Woman in Cabin 10
Ware, Ruth

Woman in Cabin 10


sehr gut

Kurzmeinung:
Ein spannender Psychothriller auf hoher See. Leider hat mir die Protagonistin absolut nicht gefallen, es gab einige Längen und die große Dramatik am Ende war unnötig. Insgesamt aber dennoch ein sehr guter Thriller, der mich so gefesselt hat, wie lange keiner mehr und mir eine ordentliche Portion Nervenkitzel beschert hat.


Meine Meinung:
Mit "Woman in cabin 10" hat Ruth Ware einen wirklich spannenden Psychothriller geschaffen.
Der Einstieg war sehr gelungen und ich war sofort gefesselt. Leider gab es danach schon die ersten Längen, die sich streckenweise durch das ganze Buch ziehen.

Sehr gut gefallen an diesem Thriller hat mir das geschlossene Setting. Etwas passiert auf hoher See in Kabine 10 und der Täter muss einer der Menschen auf dem Schiff sein. Das Setting hat Potential, welches auch gut ausgeschöpft wurde. Nach und nach werden die anderen Passagiere vorgestellt und so kann man als Leser*in sehr gut miträtseln, wer verdächtig ist, was ein mögliches Motiv sein könnte. Die Spannung steigt immer mehr und irgendwann war ich beim Lesen schon richtig paranoid geworden und habe keiner Person mehr getraut.

Mein großer Kritikpunkt ist aber die Protagonistin. Lo ist sehr labil, hat Panikattacken, die sie mit Alkohol zu dämpfen versucht. Das hat zur Folge, dass sie sich manchmal nicht auf ihre Wahrnehmung verlassen kann. Solche Charaktere nerven mich in Krimis/ Thrillern ja immer sehr, weil dadurch einfach alles in Zweifel gezogen werden kann. Das empfinde ich immer als recht "billigen" Trick, um Spannung aufzubauen. Bei mir erzeugt es aber einen gegenteiligen Effekt: ich bin eher genervt. So ging es mir auch dieses Mal. Und die Passagen, in denen die Protagonistin nur jammert oder sich fragt, ob sie die Dinge wirklich gesehen hat, habe ich manchmal nur überflogen.

Auch die große Dramatik am Ende fand ich unnötig und ich habe die ganzen dramatischen Wendungen irgendwann einfach nur noch überflogen.
Die Auflösung des ganzen Story wiederum hat mir richtig gut gefallen. Sie ist sehr überraschend, aber plausibel. Einige Fragen bleiben zwar offen, aber damit kann ich gut leben.

Auch sehr gut gefallen haben mir die Einschübe am Ende jedes Teils. Dabei handelt es sich um E-Mails, Beiträge in Internetforen oder SMS. Sie brechen die Form ein wenig auf und machen den Roman interessanter. Sie sind meist einige Tage älter, als der aktuelle Zeitpunkt in der Handlung. Durch die Andeutungen und den Blick in die Zukunft wird viel Spannung aufgebaut. Ein cooler Kniff.

Fazit:
Insgesamt hat mir "Woman in cabin 10" von Ruth Ware gut gefallen. Die Längen und die unnötige Dramatik kann ich gut verzeihen, denn das Buch bietet unglaubliche Spannung und Nervenkitzel und hat mich so sehr gefesselt, wie lange kein Thriller. Einziger Wermutstropfen ist für mich die psychisch labile Protagonistin.

Bewertung vom 23.01.2018
Dann schlaf auch du
Slimani, Leïla

Dann schlaf auch du


gut

Kurzmeinung:
Das eindringliche Psychogramm einer Nanny. Der Anfang ist gleich ein Schock und so verläuft der Rest des Romans eher antiklimaktisch. Dennoch konnte ich mich dem Sog nicht entziehen und das Unbehagen wuchs mit jeder Seite mehr. Teilweise hatte die Geschichte aber auch einige Längen.

Meine Meinung:
Über diesen Roman hatte ich im Vorfeld schon sehr viele Meinungen gelesen –und diese gingen sehr auseinander. Das Buch scheinte zu polarisieren und so war ich sehr gespannt, wie es mir gefallen würde.
Die Geschichte beginnt gleich mit einem großen Paukenschlag. Die große Katastrophe –die Nanny hat die beiden Kinder umgebracht. Überall Blut, Panik und die verzweifelten Schreie der Eltern.
Da ist es natürlich klar, dass der Rest des Romans antiklimaktisch verläuft. Die Handlung macht einen Sprung zurück in die Zeit, als das Ehepaar Massé auf der Suche nach einer Nanny sind und ihr Glück kaum fassen können, als sie Louise finden und sie sich als wahrer Engel erweist. Wir erfahren nun abwechselnd aus Miriams und Louises Sicht, wie sich die Dinge entwickeln. Ab und zu gibt es auch Einschübe von anderen Personen, die Louise beschreiben. Die Darstellung von Louise wird auch durch Rückblicke in ihr Leben ergänzt. So entwickelt sich nach und nach das Psychogramm der Nanny, wie ihr Leben verlaufen ist, was sie zu der Person machte, die sie heute ist und was sie schließlich zu der schrecklichen Handlung gebracht hat.
Dies geschieht in leisen Tönen. Nach dem Höhepunkt direkt am Anfang fällt die Geschichte in einen ruhigen Erzählton und erzeugt nach und nach eine subtile Spannung und erzeugt beim Leser ein stetig wachsendes Unwohlsein.
Es ist fast schon gruselig mitzuerleben, wie Louise sich nach und nach "ihr Nest inmitten der Wohnung" bereitet (S. 56) und immer wichtiger wird, wobei man doch als Leser*in weiß, was Schreckliches passieren wird.
Die Spannung baut sich in diesem Roman nicht dadurch auf, dass man nicht weiß, was passiert. Das ist schließlich schon nach dem ersten Satz klar. Die Spannung entsteht durch die Rückblicke und Einblicke, in das Leben. Dadurch, dass man mitverfolgen kann, wie es dazu kam, was Louise hat so eskalieren lassen.

Gleichzeitig gewährt uns "Dann schlaf auch du" einen Einblick in die französische Gesellschaft. In die verschiedenen Schichten. Auf der einen Seite die wohlhabenderen Familien, auf der anderen Seite ihre Nannys, die oft Einwanderer sind, manchmal illegal. Wir lesen von Müttern im Zwiespalt zwischen den Wunsch, bei ihrer Kindern zu sein und dem Bedürfnis nach beruflicher Verwirklichung und Anerkennung. Wir begegnen frustrierten Vätern, die das Familienleben nicht auslastet und gleichzeitig überfordert. Diese vielen verschiedenen Perspektiven haben mir gut gefallen.

Verwirrt war ich allerdings manchmal, wenn diese Perspektiv- oder auch Zeitenwechsel so überraschend kamen. Manchmal mitten im Absatz. Da habe ich dann erstmal ein paar Zeilen gebraucht, um mich neu in der Geschichte zu orientieren. Das hat meinen Lesefluss manchmal gestört.

Das Buch hat von mir außerdem keine bessere Bewertung bekommen, weil es mich trotz der unheilvollen Geschichte nicht wirklich erreicht hat. Die Personen blieben mir immer fremd und distanziert. Zwar hat der Roman mich zwischendurch gefesselt und mich auch in seinen Bann gezogen, aber nachdem die letzte Seite gelesen und das Buch zugeschlagen wurde, blieb nichts zurück. Kein Nachhall, keine Emotionen, die erst noch abklingen müssen.

Fazit:
Ein gutes Buch, dass trotz des ungewöhnlichen Aufbaus einen Sog auf die Leser*innen ausübt. Sehr analytisch und kühl gewährt es Einblicke in die Psyche einer Frau –der Nanny– und in das ganze Familiengefüge der Mas