Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Pascal Gregory

Bewertungen

Bewertung vom 18.02.2023
Von Wespen und Raubfröschen
Leshenko, Alla

Von Wespen und Raubfröschen


ausgezeichnet

Eine Leseprobe von Alla Leshenkos vorliegendem Sammelband hatte mich sofort gepackt. Ich fand den Anfang erfrischend, kreativ und wurde in eine Geschichte mit plastischen Charakteren hinein gesogen.
Desweiteren finde ich die Entscheidung grandios, einen Sammelband anstelle eines Romans zu veröffentlichen - Kurzgeschichten sind angeblich nicht mehr so beliebt, ich kenne aber einige Menschen, die gern kürzere Stoffe lesen.
Nicht mehr so selbstverständlich heute - noch vor der Veröffentlichung des mir vorliegenden E-Books wurde das gebundene Buch beworben (nachhaltig produziert - on demand.
All diese Eindrücke und Infos vorab haben mir imponiert. Neben dem literarischen Gehalt möchte ich noch die phantastischen Illustrationen von Peter Schildwächter hervorheben, die von den jeweiligen Geschichten inspiriert worden sind und einen beunruhigenden Realismus ausstrahlen, der Motive geschuldet.
Ein paar Notizen zu den Stories, bei denen mir besonders der teilweise "gemeinsame Kosmos" aufgefallen ist.
"Ich folge Dir"
Aus einer den meisten von uns bekannten Ausgangssituation heraus beginnt die Reise ins Grauen... aus der Perspektive der kleinen Sofie, welche nach der Beerdigung ihrer Oma (zunächst) einer niedlichen Fee begegnet... Viele der Ideen, auch die Einführung der skurrilen und etwas sinistren Berta - erinnern mich ein wenig an russische Märchenfilme, die ich in den 70er Jahren gern sah. Herrlich überzogen, und nicht ohne schwarzen Humor.
"Das Poster"
Beginnt wie eine Coming-Of-Age Geschichte, ausgehend vom Vater-Sohn-Konflikt, der in dem Sprößling die Entscheidung reifen läßt, sich einer Clicque anzuschließen, die ihn damit lockt, Sehnsüchte zu erfüllen, die sozusagen den Rahmen sprengen.
"Der Neue"
Und da wir bereits bei Sehnsüchten sind... ein neuer Nachbar ist nicht nur stets ein ergiebiges Gesprächsthema in einer kleinen Stadt, sondern auch mit einer gewissen Anziehungskraft gesegnet, sofern er nur dir richtigen Knöpfe drückt... allerdings ist hier keine alternder Puppenspieler am Werk, sondern ein durchaus charmanter Rattenfänger.. Wie auch bei "Ich folge Dir" mündet das Szenario in einen wahrlich Giger-mäßigen Showdown, wobei ich die Pointe diesmal sehr gelungen (auch ein wenig kontrovers) finde. Ich mag hier nur Herbert Grönemeier zitieren: "Wann ist der Mann ein Mann?"
"Ertragreicher Boden"
Wir begegnen wieder unserer sinsistren Freundin Berta, in der nicht nur der selbstverliebte Ottmar seine Meisterin findet...
"Ich sehe was, was Du nicht siehst"
Atmosphärischer Plot um einen Sonderling mit seinem besonderen Blick auf die Welt... Ich hatte zunächst an ein besonderes Talent dieser Person gedacht, eben Dinge zu sehen, die - nun, die etwas ungewöhnlich sind. Ansonsten ist besagte Person namens Dittrich eine Leseratte mit einem selbst auferlegten Tunnelblick (eben wegen der Dinge), und seine Schwester macht ihm zum Geburtstag ein besonderes Angebot. Man muß schließlich mit der Zeit gehen!
"La Fleur du mal"
in der zweiten Hälfte des Buches wird es etwas unbehaglicher, Der Sonderling dieser Geschichte ist ein Sandsack für die Schulkamerade, ausgelöst durch seine nachteilige familiäre Situation und durch sein Los einer noch allzu jugendlichen Erscheinung und Kleidung, ergreift er des öfteren die Flucht in die Natur.
Dort begegnet er seinem Liebling...
Dem einen oder der anderen wird beim Lesen der Geschichte gleich bei mehreren Passagen ein Aufschrei entweichen. Aber das macht "Horror" schließlich aus.
"Wo einst das Meer war"
Ein Schnappschuß ökologischer Dystopie und Dark Fantasy... hat mir als Science Fiction Fan sehr gut gefallen, wie auch das doppelbödige Ende.
"Mitahrgelegenheit"
Ich muß die Geschichte, die aus verschiedenen Abschnitten, Handlungsebenen und Zeiten besteht, noch ein wenig verdauen. Aber das Beste kommt ja bekanntlich zum Schluß... sehr ergreifend, und bei all den sprachlichen Zwischentönen und der hervorragenden Darstellung von Land und Menschen fühlte ich mich mehr als einmal an Stephen King erinnert.
Fasziniert hat mich hier, dass wir wieder Geschöpfen der Gattung Schlangenfrau begegnen - wie in der Eröffnungsgeschichte! Ich habe bis jetzt nur eine vage Vermutung, bezogen auf eine ganz eigene Dimension der Schrecken...
Ich wäre nicht überrascht, wenn es mit einer großen Schildkröte zu tun hätte!
Die Stories bewegen sich zwischen Horror und FantasyPointen Richtung Roald Dahl. Und es gibt mindestens genau so viele "Böse" weiblichen Geschlechts! Die Plots behandeln Verführung der Schwachen im weiteren Sinne, und Assimilation im direkten Sinne. Der Strudel aus Alpträumen gewinnt von Geschichte zu Geschichte an Intensität gewinnt.
Alla Leshenko verliert sich nie in einem intellektuellen oder dogmatischen Ton, sondern schreibt ungefiltert in einer Sprache mit eingängiger Melodik. Dieser Beat ist das Gegenteil von trivialem Geplätscher, und sehr suggestiv. Und Monster gibt es nicht. Die Schrecken mutieren aus dem Inneren der Protagonisten heraus, und Fürchterlicheres kann es wahrlich nicht geben.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.