Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Magnolia
Wohnort: 
Bayern

Bewertungen

Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 05.11.2024
Hey guten Morgen, wie geht es dir? (eBook, ePUB)
Hefter, Martina

Hey guten Morgen, wie geht es dir? (eBook, ePUB)


gut

Ein eher distanzierter Blick hinter die Kulissen

Sie ist noch nicht alt, aber jung ist sie auch nicht mehr. Juno Isabella Flock. Als freiberufliche Performancekünstlerin verdient sie mal mehr, mal weniger Geld. Mit über fünfzig ist sie nicht mehr ganz so gefragt. Wäre da noch Jupiter, ihr Mann, der im Rollstuhl sitzt, der auf Hilfe angewiesen ist. Als Paar gibt es sie eher als Pflegebedürftigen und als Pflegerin. Er ist an Multipler Sklerose erkrankt, sein Bewegungsradius erschöpft sich weitgehend zwischen Pflegebett und Rollstuhl, sie hingegen lebt ihren Bewegungsdrang beim Tanzen aus. Und nachts, wenn sie nicht schlafen kann, chattet sie im Internet. Hier tummeln sich auch die Love-Scammer. Männer, die sich einsame Frauen herauspicken, ihnen Liebe vorgaukeln. Männer, deren Profilbild viel verspricht, deren Interesse jedoch ausschließlich monetärer Natur ist. Soweit, so bekannt. Wie wäre es, den Spieß einfach umzudrehen? Juno schreibt mit ihnen, beamt sich in eine Welt voller Lügen, auch sie erfindet Traumwelten. Ihre Wirklichkeit verschweigt sie.

Und dann trifft sie auf Benu, der im fernen Nigeria sitzt. Die Gespräche werden intensiver, beide wissen um die Lügen des anderen und doch bleiben sie in Verbindung. „Manchmal muss man lügen. Das geht nicht anders. Jeder lügt…“ Sätze, die Benu ihr schreibt, die aber auch von ihr kommen könnten.

„Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ Schon der Titel kommt leichtfüßig daher, er verspricht unterhaltsame Stunden, auch war ich neugierig auf das Gewinnerbuch des Deutschen Buchpreises 2024. Martina Hefter stellt die Chats in den Vordergrund, sie lässt darüber hinaus den ganz normalen Alltag mit einfließen. Häusliche Pflege und die Überforderung dessen etwa. Sie vergisst schon mal, wichtige Arzneien für Jupiter zu besorgen, ist irgendwann auch tagsüber am Chatten. Diese Gespräche, auch Video-Calls, nehmen immer mehr Raum ein. Juno lässt sich Tattoos stechen, berichtet von Hexen, der Walpurgisnacht und Voodoo-Priestern, bringt in ihren Chats mit Benu Lars von Triers „Melancholia“ ins Spiel.

Martina Hefter zeigt eine Frau, die nach mehr an Leben lechzt. Dieses Mehr findet sie in einer Scheinwelt zwischen ihrem künstlerischen Dasein und der Pflege von Jupiter. Sowohl die Chats als auch das Drumherum, der berufliche und der privaten Alltag, lassen mich ein wenig ratlos zurück. Es ist ein autofiktionales Buch, vielleicht gewährt die Autorin auch deshalb diesen eher distanzierten Blick auf das Private, lässt nicht zu viel Nähe aufkommen. Und doch kann ich nur das bewerten, was bei mir ankommt. Die Themen sind eher angerissen, Juno und Jupiter und auch Benu blieben mir weitgehend fremd. Es ist ein durchaus unterhaltsamer Roman, der aber eher an der Oberfläche kratzt.

Bewertung vom 01.11.2024
Die Bedrohung / Last Line of Defense Bd.2 (eBook, ePUB)
Gruber, Andreas

Die Bedrohung / Last Line of Defense Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Durchgehend fesselnd

„Die Bedrohung“ - der von mir lang ersehnte zweite Band von Andreas Grubers dreiteiliger Action-Thriller-Reihe „Last Line of Defense“ – ist Action pur. Nichts anderes habe ich erwartet, nachdem ich den ersten Band geradezu am Stück verschlungen habe.

Team Omega ist das jüngste Team der Last Line of Defense. Das sind Jaden D. Knoxville, Erik Tuomi und Lenny Zarakis. Sie sind die letzte Verteidigungslinie, eine streng geheime Organisation der britischen Regierung. Sie sind immer dann zur Stelle, wenn alle anderen versagen. Dementsprechend hart und anspruchsvoll ist ihre Ausbildung, nicht einmal der MI6 weiß von ihnen.

Schon der Prolog lässt meinen Puls nach oben schnellen. Ken Garrison vom Team Alpha der LLoD macht sich für den Absprung über der gut gesicherten Insel Hell Island bereit. 7 km im freien Fall liegen vor ihm. Er sondiert die Lage, sein Job sollte in einer Stunde erledigt sein, danach sollte ihn die Defense One mit dem Datenmaterial, das für den Undercover-Einsatz für das Team Omega notwendig ist und sofort ausgewertet werden muss, nach England zurückbringen.

Hell Island ist eine ehemalige portugiesische Strafkolonie, die einem Hochsicherheitstrakt gleicht. Ein herankommen auf dem Seeweg ist nahezu ausgeschlossen, denn die Insel ist vermint, auch das Innere der Insel wird geradezu militärisch überwacht. Warum diese komplette Abschottung? Und wie sind die Besitzverhältnisse? Durchgesickert ist, dass sie vor fünf Jahren verkauft wurde, weiteres ist weder bekannt noch nachvollziehbar.

Dass hier auf Hell Island irgendetwas im Gange ist, hat der strategische Aufklärungsdient der Last Line of Defense herausgefunden. MOEBIUS, eine skrupellose Verbrecherorganisation, hat Teenager rekrutiert. Dreiundzwanzig junge Erwachsene aus allen Ecken der Welt sind zur Insel unterwegs, Briten jedoch sind nicht darunter. Alle Zeichen stehen untrüglich auf Alarm, was den Einsatz von Team Omega geradezu herausfordert „Ihr seid zwar erst im zweiten Jahr eurer Ausbildung, aber da ihr euch bei eurem letzten Einsatz bewährt habt, möchten wir euch auf dieser Insel einsetzen.“ Auch altersmäßig passen sie perfekt zu den übrigen Teenagern, also bereiten sich Jaden, Erik und Lenny auf ihren Einsatz vor. Und der hat es in sich. Sie haben einen klaren Auftrag. Sobald sie über das Vorhaben von MOEBIUS Bescheid wissen, haben sie auf einer sicheren Route zurückzukehren, gleiches gilt auch dann, wenn Gefahr droht. Ob das so einfach sein wird? Lassen wir uns überraschen.

Action pur – ja, es geht auch hier, im zweiten Band von Andreas Grubers Thriller-Trilogie, rasant und äußert nervenaufreibend zur Sache. Die actionreiche Story ist durchgehend fesselnd, es gibt keine Längen, es peitscht mich regelrecht durch die Seiten. Das junge Team Omega ist auch hier extrem gefordert, dank ihrer gnadenlos harten Ausbildung sind sie zäh und widerstandsfähig. Ich bin immer direkt im Geschehen und wenn es zum besseren Verständnis notwendig erscheint, gibt es kurze Rückblenden, sodass ich dem Ganzen ohne Probleme folgen kann. Jaden, Erik und Lenny – alle drei sind sie mir wohlbekannt, sie sind gewitzt, sie sind intelligent, sie sind bestens geschult, sie wissen genau, was sie tun und – tolle Typen sind sie sowieso. Nun habe ich mit ihnen zum zweiten Mal mitgefiebert, ich habe um sie gebangt, denn zwischendurch war ganz schön brenzlig. Und nun bin ich gespannt, was das finale dritte Buch zu bieten hat. „Der Crash“ verspricht schon mal nichts Gutes – ich lass mich überraschen.

Bewertung vom 31.10.2024
Still ist die Nacht / Maya Topelius Bd.2
Åslund, Sandra

Still ist die Nacht / Maya Topelius Bd.2


gut

Guter Krimi mit zu viel an Privatem

Der Prolog lässt Schlimmes ahnen, ich bin sofort gefesselt. Auf Svartlöga, einer abgelegenen Schäreninsel, auf der es weder Strom noch sonstige Annehmlichkeiten gibt, findet ein Yoga-Retreat statt, auf das Maya sich schon freut. Emely, einer ihrer besten Freundinnen, wird den Kurs leiten. Für ein erstes Kennenlernen bietet sich das Mittsommerfest direkt an, jedoch läuft hier schon einiges schief. Maya beobachtet den Streit zweier Männer, Eifersucht scheint bei einem Pärchen im Spiel zu sein…

…und auch bei ihr und Emely sorgt eine unbedachte Äußerung für Missstimmung. Maya ist zutiefst verletzt, weil sie in eine lange zurückliegende, sehr private Sache ihrer Mutter, nicht involviert war und Emely ihr diese bis jetzt verheimlicht hat. Gut, Emely wusste davon, sie hat aber geschwiegen, ganz einfach deshalb, weil es sie nichts angeht. Maya dagegen macht hier ein Fass auf, Emely bekommt ihren Unmut zu spüren und auch ihrer Mutter gegenüber verhält sie sich direkt übergriffig. Nein, so etwas hat in einem Krimi nichts zu suchen, zumindest nicht in dieser Ausführlichkeit. Dieses Private wird zu breit gewalzt, es geht die ersten geschlagenen 15 % des Buches so weiter. Von kriminalistischen Elementen – bis auf den spannenden Prolog - weit und breit keine Spur.

Irgendwann dann wendet sich das Blatt, ein Kursteilnehmer entdeckt im Schilf die Beine eines Menschen. Er liegt im Wasser. Maya, die verdeckt ermittelt, sieht sich den Toten genauer an, ohne ihn zu berühren. Sie sieht Stichwunden im Brustbereich - waren diese tödlich oder ist er ertrunken? Die Polizei wird hinzugezogen, ihr Partner Pär leitet die Ermittlungen, sie ermittelt undercover.

Die Krimianteile lesen sich flott, wenngleich die Ermittlungen ziemlich zäh voran schreiten, die Kursteilnehmer werden durchleuchtet, so mancher ist nicht recht zu durchschauen. Die Insel ist den Sommer über bewohnt, es leben an die hundert Leute hier. Maya weitet den Kreis der Verdächtigen aus, sie hört sich um, um nicht zu sagen, sie verhört alle für sie als Täter infrage kommenden Gestalten und das doch ziemlich auffällig, wie ich finde. Ich erfahre Interessantes über die Insel, die ich mir als wunderschönes, noch weitgehend unberührtes Kleinod vorstelle und wie überall gibt es nicht nur eitel Sonnenschein, Konflikte bleiben auch hier nicht aus. Zwischendurch dann und wann werfe ich einen Blick in den Seminarraum, ein wenig Esoterik gehört zu Tee und Linsencurry schon auch dazu.

Und als ob es anfangs nicht schon genug an Unmut zwischen Maya und Emely gegeben hätte, ploppt dieses zutiefst verletzt sein immer wieder auf und füllt so manche Seite, die dem Krimi und den Ermittlungen fehlen. Die Figur Maya hat Risse bekommen. Sie wirft Emely insgeheim vor, ihr nicht jedes intime Detail erzählt zu haben. Diese Denkweise, diese grenzüberschreitende, distanzlose Art passt so gar nicht zu der toughen Ermittlerin, als die ich Maya kennengelernt habe.

„Still ist die Nacht“, der zweite Fall für Maya Topelius, ist weniger gut gelungen als Buch eins „Im Herzen so kalt“. In einem Krimi darf Privates schon auch erwähnt werden, dies sollte allerdings eher am Rande geschehen. Das Kriminalistische dagegen hat mich durchaus gefesselt, hätte jedoch mehr Raum gebraucht.

Bewertung vom 28.10.2024
Die Nacht der Bärin
Mohn, Kira

Die Nacht der Bärin


ausgezeichnet

Ein erschütternder Roman um häusliche Gewalt, sehr einfühlsam erzählt

Fast dreißig Jahre war Anna nicht mehr hier, sie wollte auch nie mehr zurückkommen. Auch als sie die Nachricht erreicht, dass ihre Mutter gestorben ist, ist sie noch festentschlossen, nicht zur Beerdigung zu fahren. Annas Tochter Jule hat ihre Großmutter nie kennengelernt, es kamen lediglich nichtssagende Karten zu Festtagen, die Jule schnell zur Seite gelegt hat. Was ist damals passiert? Jule erreicht zumindest, dass sie und Anna zu dem Haus fahren, das an die Gemeinde verkauft werden soll. Die beiden Frauen sichten Papiere, legen für den Notar einige Sachen beiseite und kommen ins Gespräch.

Jasper, Jules Freund, hat sie gestoßen, er hat nach ihr getreten. Das wollte sie eigentlich für sich behalten, nur ein paar Tage Abstand halten. Japers Anrufe ignoriert sie, überlegt aber dennoch, mit ihm zu reden. „Es wird dabei aber nur ihm besser gehen“, meint ihre Mutter.

Häusliche Gewalt hat viele Gesichter, Kira Mohn erzählt davon. Von der zwölfjährigen Anna und ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Maja. Der nahe Wald und der See sind ihre Rückzugsorte, ihre Feen wohnen hier, sie sehen die Bärin und ihre Jungen, es ist ihre Welt voller Glückseligkeit und Abenteuer.

Kira Mohn wechselt die Perspektiven, sie ist immer wieder im Gestern, erzählt von Karl Siegburg, Annas Vater und von ihrer Mutter Marjanna und den beiden Mädchen. Dabei wird zunehmend klar, dass sie alle unter Vaters Gewaltausbrüchen zu leiden hatten. Bestrafungen und Schläge waren an der Tagesordnung, und das nicht zu knapp. Anna und Maja flüchten sich in ihre Traumwelten, so ist dieses Martyrium zumindest kurzzeitig auszuhalten. Er war ein Psychopath, war jähzornig, war unberechenbar. Und die Mutter schweigt dazu, sie hat nicht die Kraft, ihn zu verlassen, auch sie bekommt seine Wut zu spüren.

„In diesem Haus war es nicht gut, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“ sagt Julias Mutter, als sie ein Fotoalbum hervorkramen und die Erinnerungen hochkommen. Sie öffnet sich ein Stück weit und je mehr sie von damals erzählt, desto eher versteht Julia ihr langjähriges Schweigen.

Der Roman ist nicht anklagend und doch klar und deutlich, die Kapitel sind mit prägnanten Sätzen überschrieben wie etwa „Du tust, was ich dir sage“ oder auch“ Denkst du etwa, mir macht das Spaß.“ Diese Aussagen werden noch sehr viel derber, sehr viel verletzender. Das Nachwort legt die Finger nochmal in die Wunde. Wer einmal schlägt, wird es in ähnlichen Situationen wieder tun. Hier geht es um Gewalt gegen Frauen. Häusliche Gewalt trifft vor allem sie, wenngleich gemäß den bekannten Zahlen auch 18 Prozent der Gewaltopfer Männer sind, die sich danach noch seltener als Frauen Hilfe suchen. „Würde mir das passieren – ich wäre sofort weg.“ Es beginnt schleichend, mir Worten, mit Vorwürfen, denen ein Rempler folgt, ein Hieb – und dann eine halbherzige Entschuldigung.

„Die Nacht der Bärin“ erschüttert, auch das Nichtgesagte, das zwischen den Zeilen Sichtbare, ist schlimm, zu schlimm, es geht an die Nieren. Es fesselt, es lässt einen nicht los, es wirkt nach, bleibt im Gedächtnis. Und das ist auch gut so. Ein wichtiges Buch, das jeder lesen sollte.

Bewertung vom 28.10.2024
Im Warten sind wir wundervoll
Inden, Charlotte

Im Warten sind wir wundervoll


sehr gut

Zwei Frauenschicksale

Luise Adler ist eine jener jungen Frauen, die sich während der Besatzungszeit in einen amerikanischen Soldaten verlieben. Eine Liebe, die nicht gerne gesehen war. Weder von den Deutschen - die Kriegsbräute wurden von ihren Landsleuten verachtet - noch von den Amis, die vor zu viel Nähe gewarnt wurden. Und doch gab es sie, die Liebe über Grenzen hinweg.

Charlotte Inden erzählt davon, von den War Bridges. Luise ist eine davon, sie findet mit Jo Hunter ihre große Liebe. An einem Dezembertag des Jahres 1948 sind deutsche War Bridges an Bord eines Flugzeuges, sie sind auf dem Weg zu ihren Verlobten, auch Luise ist eine von ihnen. Nach der Landung auf amerikanischem Boden wartet sie jedoch vergeblich, sie wird nicht abgeholt. Die Presse greift ihre Geschichte nur zu gern auf. Siebzig Jahre später sitzt wieder eine junge Frau in einem Flugzeug über den großen Teich, es ist Luises Enkelin Elfie. Mit Stephen, einem Reisejournalisten, der den Platz neben ihr einnimmt, kommt sie ins Gespräch. Die beiden verstehen sich sehr gut, sie fängt an, die Geschichte ihrer Großmutter zu erzählen.

„Im Warten sind wir wundervoll“ beruht auf einer wahren Geschichte, die beiden Hauptcharaktere Luise und Else dagegen sind fiktiv. Zwei Zeitebenen wechseln sich ab, wobei mir Luises Schicksal sehr viel näher war. Sie ist eine zupackende junge Frau, die 1945 den amerikanischen Soldaten Joseph Hunter und seinen Freund Wilson kennenlernt. Sie verliebt sich in Jo und er sich in sie, ihre Zeit jedoch ist begrenzt, Hunter muss zurück in die Heimat.

Die beiden Geschichten werden im Wechsel erzählt, wobei sie oftmals ineinanderfließen. Mag Luises Part noch angehen, so war mir Elfie, deren Geschichte in der heutigen Zeit angesiedelt sein dürfte, sowas von Gestern, zu klebrig, zu klischeebehaftet. Ihre Geschichte hätte ich nicht unbedingt gebraucht. Ich mag Geschichten, die in zwei Zeitebenen erzählt werden und meist ist es diejenige, auf die wir zurückblicken, die wesentlich mehr Potential hat und auch hier ist es so. Gerne wäre ich bei Luise geblieben, ihre Geschichte hat mich interessiert, sie hat mich berührt, ich habe sie gerne gehört…

…gerne gehört, ja - dabei hat Julia Nachtmann, die Hörbuchsprecherin, ihren Anteil. Ihre angenehme Stimme, die sie sehr gekonnt einsetzt, gibt jeder einzelnen Figur ihre Charakteristik. Mag auch die Story zuweilen ins allzu Seichte abgleiten, gerade bei Elfies Part, so fängt sie mit ihrem perfekten Vortrag diese Sequenzen geschickt auf. Der vierte Stern, den ich für diesen Roman vergebe, gebührt somit ihr.

Bewertung vom 28.10.2024
Der Nachtschattenmann: Thriller
Shepherd, Catherine

Der Nachtschattenmann: Thriller


ausgezeichnet

Mörderisch guter Thriller

„Ich wolle, dass ihr die Tote mit eigenen Augen am Fundort seht.“ In einem für diese Jahreszeit viel zu dünnen Kleid liegt sie auf den eisigen Betonstufen vor der Tanzschule. Die Arme nach oben, ihr rechtes Bein angewinkelt, ihre rechte Hand umklammert einen Ballettschuh in Kindergröße. Wie hindrapiert liegt sie da, ein sorgfältig inszeniertes Bild. Es sieht aus, als ob sie tanzen würde - eine junge, schlanke Frau, deren Gesicht unter einem schwarzen Müllbeutel verborgen ist. Kriminalkommissar Florian Kessler bittet die Rechtsmedizinerin Julia Schwarz, sich an Ort und Stelle einen ersten Eindruck zu verschaffen. Die Stufen sind nicht der Tatort, sie wurde hier lediglich abgelegt, so viel steht schon mal fest.

Schon der Prolog hat es in sich. Eine junge Frau wacht auf, sie spürt den Fahrtwind, wie berauscht genießt sie die Geschwindigkeit und da – starren sie zwei dunkle Augen an. Nicht ausweichen! Mehrere kosmetische Operationen hat sie nach ihrem Unfall schon hinter sich. Sie erinnert sich, schaut in den Spiegel und ist geschockt…

Die raffiniert konstruierte Story hat es in sich, der Toten vor der Tanzschule folgen weitere. Alle sind sie jung, alle sehr attraktiv – sind es diese Kriterien, nach denen der noch Unbekannte seine Opfer auswählt? Wie es den Anschein hat, dürfte dies noch nicht alles sein. Johanna etwa, der wir ziemlich nahe kommen, erkennt sich in ihrem Spiegelbild nicht wieder. Tanzen muss sie mit ihrem Peiniger, auch verlangt er absoluten Gehorsam und noch so einiges mehr von ihr.

Catherine Shepherd ist eine Meisterin des Verwirrspiels. Sie erzählt hauptsächlich aus Julias Sicht und lässt zwischendurch den Täter zu Wort kommen. Sie gibt eine ganze Menge preis und doch bin ich ahnungslos, mache so einige sehr verdächtige Gestalten aus, verwerfe sie als Täter wieder, denn keiner scheint so wirklich ins Bild zu passen. Dabei erzeugt sie eine Spannung, die kaum auszuhalten ist. Kapitel um Kapitel hat es mich weitergetrieben, an ein Aufhören war nicht zu denken. Gut, ich weiß, dass ihre Bücher mich allesamt dermaßen gefangen nehmen, was ihrer durchdachten Story und ihrem so einnehmenden, so mitreißendem Schreibstil geschuldet ist. Ich bin ratlos, ich bange um Johanna, um Amelie und wie sie alle heißen und bin zum Schluss dann doch so verblüfft ob der Auflösung, die – im Nachhinein betrachtet – durchaus logisch ist.

Ein wiederum perfekt inszenierter Thriller aus der Feder von Catherine Shepherd ist ausgelesen. „Der Nachtschattenmann“ war fesselnd, er war dramatisch, er hat mir in so mancher Szene schier den Atem geraubt. Der neunte Julia Schwarz-Thriller war spannend ab der ersten bis zur buchstäblich letzten Seite und nun warte ich voller Vorfreude auf ihren nächsten Fall, auch wenn es noch ein Weilchen dauern mag.

Bewertung vom 25.10.2024
All die kleinen Vogelherzen
Lloyd-Barlow, Viktoria

All die kleinen Vogelherzen


ausgezeichnet

Wundervoll erzählt

Sunday befindet sich in diesem Sommer vor drei Jahren in einer ausgeprägten Phase weißer Lebensmittel, die etliche Varianten umfasst, je nachdem, was sie gerade zu sich nehmen kann. Es gibt Tage, die nur trockene Nahrung erlauben und dann gibt es wieder solche, in denen sie auch ein Ei in abwandelbarer Form – wie etwa Rührei oder Omelette - essen kann. Sie ist in vielerlei Hinsicht anders als andere, ihr Autismus prägt ihr Leben und logischerweise auch das ihrer 16jährigen Tochter Dolly.

Viktoria Lloyd-Barlow zeichnet ein Bild einer autistischen Frau, die sich sehr bemüht, nicht unangenehm aufzufallen. Eine Benimmregel für Damen, um in Gesellschaft zu bestehen, liefert ihr dazu wertvolle Tipps. Sunday ist in dem Gartenbaubetrieb ihrer Ex-Schwiegereltern beschäftigt wie auch der gehörlose David, mit dem sie sich gut versteht. Ihr Leben ändert sich, als im Haus nebenan Vita und Rollo einziehen. Vita ist so anders, sie ist eine schillernde Persönlichkeit, sie ist forsch, sie ist charismatisch, dazu ohne jegliche Scheu, sie kommt im Schlafanzug, bittet um ein Glas Milch, setzt sich zu ihr – und bleibt. Einfach so, obwohl sie sich noch nicht kennen. Sunday ist fasziniert von ihr. Sie zerlegt die Worte, die sie aus Vitas Mund hört, betont die Silben, zieht sie in die Länge, wiederholt sie. „Vita spricht nicht, sie trilliert… wie ein kleiner Vogel.“ Sunday ist von Vitas Art sehr angetan, sie wird von ihr regelrecht umgarnt, umschmeichelt. Und bald schon zieht Vita Dolly an sich.

Ich staune, ich lese die ersten Seiten voller Neugier. Aus Sunday Sicht entwickelt sich die Geschichte um das Anderssein, um Freundschaft und Familie bis hin zur Übergriffigkeit, die jegliche Grenzen sprengt. Die Ich-Erzählerin ist sanftmütig, dazu scheint sie keinerlei Argwohn zu hegen, obwohl dies durchaus angebracht wäre. Ihre Welt ist geradlinig, Hinterlist erkennt und versteht sie nicht. Schon als Kind wird ihre Schwester ihr in jeglicher Hinsicht vorgezogen, diese Zurücksetzung zieht sich durch ihr Dasein und nun ist es diese Vita, die sich in ihr Leben drängt.

Es ist ein sehr berührender Roman, die Autorin bietet einen detaillierten Blick in Sundays Welt. Der schöne Schein gerät ins Wanken, Dolly entgleitet ihr, dunkle Kräfte sind am Werk. Die Story ist eher bitter, die Charaktere vielschichtig – von ehrlich und aufrichtig bis hin zu manipulativen und sehr eigennützigen, rücksichtslosen Personen. „All die kleinen Vogelherzen“ haben mich sehr berührt. Es ist trotz des ernsten Themas ein wunderbares Buch in einer wunderschönen Sprache, das bezaubert und auch nachdenklich macht. Ein Buch, das ich gerne gelesen habe und das ich sehr gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 25.10.2024
Kalte Erlösung / Mara Billinsky Bd.9 (eBook, ePUB)
Born, Leo

Kalte Erlösung / Mara Billinsky Bd.9 (eBook, ePUB)


sehr gut

„Wer sich auf das Böse einlässt…

…sollte auf alles gefasst sein.“ Mara Billinsky hat es mit einem psychosomatischen Serienmörder zu tun, dessen Markenzeichen es ist, seine Opfer mit Stacheldraht zu kennzeichnen und ihnen zuvor mit diesem stacheligen Instrument dermaßen zuzusetzen, dass sie diese Folter nicht überleben. Eine geradezu irre Vorstellung.

„Das war nicht abgesprochen.“ Anstatt Seide spürt er etwas ganz anderes auf seiner Haut – kalt und unangenehm… Der erste Tote ist ein durchaus angesehener Rechtsanwalt, weitere werden folgen. Aber nicht genug damit, hat Billinsky es daneben mit einem Fall zu tun, an dem sie nicht nur beruflich nahe dran ist. Und als ob dies nicht genügen würde, hat sie ihren Vater in seiner Eigenschaft als Strafverteidiger gegen sich.

Der mittlerweile neunte Fall für die Kommissarin Mara Billinsky ist so, wie sie selber ist. Sie ermittelt schonungslos, ist unnachgiebig und immer gesetzestreu, auch wenn sie sich dabei selber keinen Gefallen tut. Es sind viele lose Fäden, die – wie es den Anschein hat – nichts miteinander zu tun haben und doch gibt sie nicht auf, sie verbeißt sich regelrecht in das Böse, das sie noch nicht so ganz durchschaut.

„Kalte Erlösung“ wird in vier Teilen erzählt, dabei ist „Das Böse“ immer gegenwärtig - es bleibt, es hasst, es liebt und letztendlich vergisst es nie. Dieser Thriller hat Suchtpotenzial – einmal angefangen, muss man einfach dran bleiben. Mit Mara Billinsky hat Leo Born eine Ermittlerin erschaffen, die sich in der Männerwelt durchzusetzen versteht. Sie ist mutig und erfasst schnell komplizierte Zusammenhänge, sie ist mit Leib und Seele Polizistin, sie verbeißt sich regelrecht in ihre Arbeit. Ihr Kollege Rosen ist eher das Gegenteil von ihr und doch ergänzen sie sich super.

Dazwischen kommt einer zu Wort, der lange nicht zuzuordnen ist. Neben den Morden geht es auch ansonsten ganz schön brutal zur Sache, jeden kann es treffen, sie alle müssen eine Menge einstecken. Das war mir dann stellenweise doch ein wenig zu viel des Schlechten, ansonsten bin ich auf den nächsten Fall gespannt, denn natürlich werde ich ihn mir nicht entgehen lassen. Übrigens kommt man auch ohne Vorkenntnisse ganz gut zurecht, das Buch ist in sich abgeschlossen.

Bewertung vom 25.10.2024
Happy End (eBook, ePUB)
Bestgen, Sarah

Happy End (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Absolut lesenswerter Thriller

Gerade eben war ihre kleine Welt noch in Ordnung, die kurze Zeit später krachend einstürzt. Für einen kurzen Moment ist Isa aus dem Zimmer gegangen, in dem Ben, ihr viermonatiger Sohn, in sein Spiel vertieft war und nun – ist er verschwunden. Wie kann das sein? Die Türen sind verschlossen, die Fenster zu und außerdem kann Ben noch nicht mal krabbeln. Das muntere, fröhliche Baby dreht sich altersgerecht um seine eigene Achse, das wars dann aber auch.

Florian Simons und sein Kollege Thorsten Schwarz von der Vermisstenstelle der Kripo Köln sind für die Eltern die Ansprechpartner, die Soko ist eingerichtet, die Suche nach dem kleinen Ben hat oberste Priorität. Die Nachbarn werden befragt, keiner scheint von der Entführung etwas bemerkt zu haben. Ben ist wie vom Erdboden verschluckt, auch gibt es keine Lösegeldforderung, die Ermittlungen stocken. Und dann, nach Monaten ohne jegliche Spur von ihrem Baby überbringt Simons der verzweifelten Isa die ersehnte Nachricht: „Wir haben ihn, er lebt.“

Wahnsinn! Die ganze Story ist wahnsinnig gut, sie ist sehr lange nicht durchschaubar. Isas aufkommende Zweifel sind dabei so nachvollziehbar, so normal dargestellt trotz dieser abnormen, dieser irrwitzigen Situation, dass ich gar nicht anders konnte, als mich an die Story festzubeißen. Isa kann Ben wieder in ihre Arme schließen und doch kommt ihr alles falsch vor. Für ihren Mann, für ihre Psychologin, die ihr eine Freundin empfohlen hat, für beinahe ihr ganzes Umfeld ist ihre innere Zerrissenheit immer weniger begreiflich. Aber es kommt noch schlimmer, sehr viel schlimmer. Der Albtraum scheint kein Ende zu nehmen.

HAPPY END kling so leicht, so positiv, das Cover dagegen ist mit Dornenzweigen durchwirkt, was diese Düsternis, diese Ausweglosigkeit, in der sich Isa befindet, erahnen lässt. Sarah Bestgen lässt in psychische Abgründe schauen, ihr Erstlingswerk hat mich vollkommen überzeugt, auch – oder gerade deswegen - weil sie mir eine durchlesene, schlaflose Nacht bereitet hat, denn ein Weglegen des Buches war keine Option. Es ist ein in jeder Hinsicht gelungener Psychothriller, den ich jedem Thriller-Fan ohne Wenn und Aber empfehle.

Bewertung vom 23.10.2024
Am Fluss der Zeiten
Renk, Ulrike

Am Fluss der Zeiten


ausgezeichnet

Das Leben einfacher Bauern im 16. Jahrhundert – eindrucksvoller Auftaktband

„Am Fluss der Zeiten“ ist der Auftakt eines historischen Mehrteilers, der im 16. Jahrhundert angesiedelt ist. Er basiert auf einer wahren Geschichte mit Personen, die damals gelebt haben. Das besondere daran ist, dass es die Vorfahren der Autorin waren, sie lebten auf dem Hof Kalmule, den es auch heute noch gibt, jedoch hat dieser mit Ulrike Renks Familie nichts mehr zu tun. Fiktionale Momente mischen sich mit den sorgfältig recherchierten Verhältnissen der damaligen Zeit.

Zunächst möchte ich auf die Personenliste am Ende des Buches hinweisen, gegliedert nach den einzelnen Höfen, der Burg Kakesbeck, dem Haus Senden und der Domkurie Münster. Gerade anfangs ist es sehr hilfreich, hier immer mal wieder nachzuschauen und auch das Glossar danach war für mich unverzichtbar.

Elze lebt mit ihren Eltern, ihrer jüngeren Schwester Nele, ihren drei Brüdern sowie ihrer Vaterschwester Stine auf Hof Kalmule und seit ihr ältester Bruder Drees seine Käthe geehelicht hat, lebt auch sie hier. Sie sind Eigenbehörige – der Begriff war mir fremd. Sie waren unfrei, sie standen in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Grundherrn mit allen Pflichten, die sie dadurch hatten. Auch so manch andere Benennungen und Ausdrücke, die diesen Roman so authentisch machen, waren mir nicht geläufig und so habe ich auch erfahren, dass eine Hofübernahme, für welche Zahlung – und das nicht zu knapp - geleistet werden musste, als Auffahrt bezeichnet wurde. Im Prolog erfahren wird, dass Drees auf Hof Kalmule auffahren will, sein Vater ist alt und angeschlagen und wird aufs Altenteil gehen. Den ersten Seiten ist auch zu entnehmen, dass Amtmann Valcke die siebzehnjährige Elze zum Gesindedienst nach Münster verplichtet. Drees Einwand, dass sie auf dem Hof gebraucht wird, lässt Valcke nicht gelten, er duldet keinen Widerspruch. Bis dahin mag es noch ein Weilchen dauern, denn nach dem kurzen Prolog gehen wir ein Jahr zurück. Die Bauern sind mitten in der Ernte, die Trockenheit hat die Böden hart gemacht und nun ist der Damm gebrochen, die Stever steigt, auch der Kleuterbach tritt über die Ufer, das Wasser kommt in die Höfe. Wir sind mittendrin im ganz normalen Alltag der einfachen Leute und ihres arbeitsreichen Daseins. Alle müssen mit anpacken, alles wird verwertet, sie sind weitgehend Selbstversorger.

Vom Sommer 1551 bis ins Frühjahr 1553 begleiten wir Elze und die ihren ein Stück ihres Weges. Es sind Tage voller Arbeit, so mancher Schicksalsschlag in der Familie ist schwer zu verkraften, auch spielt der Aberglaube mit hinein. Die Reformationsbewegung, die Zeit der Widertäufer und deren Auswirkungen sind Thema, aus Stines Sicht lässt uns die Autorin daran teilhaben. Das Bild vom finsteren Mittelalter drängt sich mir unweigerlich auf. Auch war das Wissen der Kräuterfrauen sehr gefragt, lesen und schreiben konnten die wenigsten, geheiratet wird nicht nur aus Sympathie und doch spielen auch Zuneigung und die ersten zarten Bande eine Rolle.

Ulrike Renk hat das Leben der einfachen Bauern gut eingefangen. Sie lässt Geschichte lebendig werden, sie nimmt ihre Leser mit auf eine Reise ins fünfhundert Jahre zurückliegende Gestern. Der Auftaktband der Trilogie um Hof Kalmule macht Lust auf mehr – ich bin auf die Fortsetzung gespannt.