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Miro76
Wohnort: 
Österreich

Bewertungen

Insgesamt 152 Bewertungen
Bewertung vom 23.02.2025
Middletide - Was die Gezeiten verbergen
Crouch, Sarah

Middletide - Was die Gezeiten verbergen


ausgezeichnet

Elijah kehrt als gescheiterter Schriftsteller in die Hütte in Point Orchard, im Nordwesten der USA, zurück. Sein Vater ist vor einigen Jahren gestorben und so gehört die Hütte nun ihm. Er versucht autark zu leben, muss aber schnell einsehen, dass ihm das bisschen Geld, das ihm noch blieb durch die Finger rinnt.

Als Jugendlicher hat er die Kleinstadt mit großen Träumen verlassen. Er war sicher, dass er in der Stadt finden wird, was auch immer er gesucht hat. Das Fernweh und die Suche nach dem großen Wurf hat ihn fortgezogen von seiner Jugendliebe und die Veröffentlichung seines ersten Romans hat ihn dazu veranlasst, sein Versprechen eines Wiedersehens zu brechen.

Der Roman wurde ein fataler Flop und Elijah zieht sich komplett zurück. Er traut sich kaum Nakita unter die Augen zu treten. Erst muss er selbst wieder einen Weg ins Leben finden.

Zeitgleich lesen wir von einem Mord, der wie ein Selbstmord aussehen soll. Die Tote wurde ganz in der Nähe von Elijah Hütte gefunden und langsam ziehen sich die Fäden um Elijah zusammen. Alles scheint auf ihn als Täter zu deuten.

Sarah Crouch hat hier einen spannenden Unterhaltungsroman geschrieben. Durch die verschiedenen Zeitebenen ist die Geschichte abwechslungsreich und spannend. Gekonnt spielt die Autorin mit den Facetten der Wahrheit und zieht die Schlinge immer enger um ihren Protagonisten. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Da sind einerseits diese wunderschönen Naturbeschreibungen, die mich direkt in die Hütte am See versetzen. Gleichzeitig spüren wir einer alten Liebe nach und fühlen uns vorsichtig in eine neue Liebe ein, die von Verlusten und Schmerz geprägt ist und zusätzlich lesen wir von einem Todesfall, der sich immer wieder anders präsentiert. Ich fand das Buch sehr spannend und fühlte mich bis zu letzten Seite hervorragend unterhalten. Diese junge Autorin wird man im Auge behalten müssen.

Bewertung vom 14.02.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt


sehr gut

Vor 90 Jahren hat ein giftiger Nebel die Erde überzogen und die Menschheit fast ausgerottet. Nur Niemas Insel im Mittelmeer blieb verschont. Eine Barriere hält den Nebel auf Abstand. Ein Volk aus 122 Personen, geleitet von drei Ältesten lebt friedlich in einfachen Verhältnissen. Sie bestellen die Felder, versorgen das Vieh, essen abends gemeinsam und gehen früh zu Bett, denn wenn die Nachtglocke läutet bleibt nicht viel Zeit bis ihnen das Licht ausgeknipst wird. Wer dann nicht im Bett liegt, verbringt die Nacht auf dem blanken Boden.

Falls das jetzt die ersten Fragezeichen aufwirft, kann man sich gleich ins Buch versetzt fühlen. Denn so ergeht es den Leser*innen dieser Geschichte. Erst scheint alles ganz normal, dann fällt zum ersten Mal was aus der Rolle und die ersten Fragen drängen sich auf. Und es wird immer schräger. Nach und nach entblößt sich eine Welt, die man so nicht erwartet hätte und die ein ganz eigenen Licht auf die Menschheit wirft.

Suart Turton geht streng ins Gericht mit uns Menschen und zeigt uns, dass die meisten von uns nicht fähig sind zu echter Empathie. Besitzdenken, Gier und Machtansprüche stehen uns im Weg und halten uns von einem friedlichen Zusammenleben in Gleichberechtigung ab. In diesem Buch wird versucht dafür eine Lösung zu finden, doch auch dieser Prozess ist nicht ohne Opfer umsetzbar und eins der Opfer ist die Anführerin selbst. Niema wird tot aufgefunden und es scheint sich offensichtlich um Mord zu handeln. Um zu klären, ob tatsächlich einer der Dorfbewohner zu so einem Verbrechen fähig wäre, wir Emory beauftragt Ermittlungen aufzunehmen. Stück für Stück setzt sie die Puzzleteile zusammen und kommt des Rätsels Lösung immer näher.

Das Buch bleibt spannend bis zum Schluss, denn die Auflösung birgt neue Rätsel und der Ausgang bleibt übers Aussterben hinaus ungewiss. Manches habe ich geahnt, anderes so nicht erwartet. Ich habe es gern gelesen, es hat mich hervorragend unterhalten und da es mein erstes Buch des Autors war, bin ich nun auch neugierig auf die beiden Vorgänger.

Bewertung vom 12.02.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Polina und Hannes lernen sich quasi im Krankenhaus kenne. Frisch geschlüpft liegen sie mit ihren Mütter in einem Zimmer. Beide bekommen keinen Besuch. Beide haben keine ordentlichen Väter vorzuweisen und Großeltern lassen sich auch nicht blicken. Da liegt es nahe, dass die beiden jungen Mütter zusammenhalten und so kommt es, dass sich Hannes und Polina ihr ganzes Leben lang kennen.

Wie Geschwister wachen sie auf und lernen sich lieben, obwohl sie sehr verschieden sind. Polina ist schlau, schnell im Denken und geschickt in der Schule. Das kann man von Hannes nicht behaupten. Er kämpft mit allem, was er zu lernen hat, ist empfindlich und fühlt sich ständig überfordert. Doch er hat ein ganz besonderes Gehör und ein ganz besonderes Talent, Klavier zu spielen.

Schon in jungen Jahren komponiert er ein Stück, dass Polinas Charakter widerspiegelt, denn Hannes denkt eher in Melodien, als in Bildern.

Doch Hannes hat wenig Glück im Leben und so kommt es, dass seine unbeschwerte Kindheit früh endet und er auch Polina verliert. Es braucht einige Jahre der Selbstkasteiung, bis Hannes begreift, dass auch er Schuld an seinem Schicksal trägt und so findet er wieder zur Musik um seine Polina wiederzufinden.

Bis jetzt mochte ich alle Romane von Takis Würger. Er konnte mich mit jedem einzelnen begeistern, doch diesen Roman liebe ich. Es ist eine wunderschöne Liebesgeschichte, ein tragischer Schicksalsroman, ein Buch über Freundschaft und ein Buch über Verluste. Die Geschichte hat mich sehr berührt und ich kann schon jetzt sagen, dass es ein Highlight in diesem Lesejahr ist. Ich fühle mich dankbar, solche Geschichten lesen zu dürfen!

Bewertung vom 04.02.2025
Das Dinner - Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder?
Rudolf, Emily

Das Dinner - Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder?


sehr gut

Fünf Jahre ist es her, dass Maria auf einem Festival spurlos verschwand. Die verbliebenen fünf Freund*innen sind längst keine Freunde mehr. Das Leben hat sie in die verschiedensten Ecken verschlagen und wie es scheint, hatten sie auch nicht wirklich Lust darauf, den Kontakt zu halten. Nun wollen sie sich alle wieder treffen und in Gedenken an Maria wird ein Krimidinner veranstaltet.

Wie schon im ersten Buch findet das ganze auch hier an einem aufregenden Standort statt. Diesmal treffen sich alle in einem Fine-dining-Restaurant mitten im Eiffel-Nationalpark. Die Kulisse ist spektakulär und wieder wütet ein Unwetter, dass dem Ganzen noch ein bisschen mehr Grusel verabreicht.

Die Geschichte entspinnt sich entlang des Menüs und das Spiel sollte beim Dessert gelöst sein. Doch schon recht früh ist klar, dass hier zu viele Parallelen zur Vergangenheit mit Maria zu finden sind, als dass das dem Zufall geschuldet sein kann. Irgendjemand spielt hier mit der Gruppe und versucht so, die Wahrheit aufzudecken.

Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven und in den zwei Zeitebenen. Das kreiert ein hohes Erzähltempo und baut Spannung auf. Wie Puzzleteile rutschen die Vorkommnisse auf ihren Platz und wir lernen die Protagonist*innen nicht gerade von ihrer besten Seite kennen. Im Alkohol- und Drogenrausch des Festivals haben sie sich alle was zu schulden kommen lassen und plötzlich haben alle ein Motiv.

So habe ich mich fast atemlos durch die Seiten gelesen, denn einmal gefangen in dem Spiel ist es schwierig, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Manche Szenen sind vielleicht etwas überspitzt und vielleicht findet sich hier eine Wendung zu viel, aber das sind auch schon meine einzigen Kritikpunkte. Mich hat das Buch ausgezeichnet unterhalten und ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Thriller von Emily Rudolf.

Bewertung vom 30.01.2025
Von hier aus weiter
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


ausgezeichnet

Marlene versinkt in den Trümmern ihres Lebens. Nachdem sie ihrem Mann zu Grabe getragen hat, betäubt sie sich mit Alkohol und Valium, weil sie eigentlich auch nicht mehr weiterleben möchte. Sie vergisst zu essen, zu duschen, den Haushalt und den Garten. Nur Trauer und Wut füllen sie aus. Wut darüber, alleine gelassen worden zu sein.

Doch dann tritt Jack überraschend in ihr Leben. Ein ehemaliger Schüler, der kurzfristig Obdach braucht und irgendwie auch spürt, dass er Marlene momentan besser nicht alleine lassen soll. Jack ist ein begnadetet Koch und es ist kaum zu glauben, was gutes Essen alles bewirken kann. So bahnt sich eine besondere Freundschaft an, die lebensverändernd wirkt. Zusätzlich gesellt sich noch Ida in die Runde. Sie ist die Hausärztin im Dorf und auch sie kann Freundschaft und Liebe brauchen.

"Von hier aus weiter" ist der perfekte Titel für diese Geschichte. Marlene steht an einem Scheitelpunkt und muss einen Weg finden, wo gefühlt keiner ist. Susann Pásztor zeigt uns mit ihrem Roman, dass es auch in ausweglosen Situationen einen Weg geben kann und wenn man ihn selbst nicht findet, darf man sich ruhig auch mal auf Freunde verlassen. Selbst wenn das ganz neue Freunde sind.

Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen. Es ist mitreißend, emotional und immer wieder auch humorvoll. Vor allem die Stiefsöhne laden zum schmunzeln ein. Es ist der Autorin gelungen eine breite Palette an Emotionen zu transportieren. Ich konnte Marlenes Wut nachempfinden, ihre Verlassenheit, ihre Trauer, ihren Mut, ihre Abenteuerlust und ihre Warmherzigkeit. Die Charaktere sind mit viel Liebe gezeichnet und Jack ist unglaublich sympathisch. Dieses Buch ist ein wunderschöner Roman übers Weiterleben! Ich wäre gerne noch ein bisschen länger bei Marlene, Jack und Ida geblieben. Doch so wie es ist, ist das Ende stimmig und ich vergebe von Herzen 5 Sterne!

Bewertung vom 13.01.2025
Der Sternenstaubdieb
Abdullah, Chelsea

Der Sternenstaubdieb


ausgezeichnet

Loulie al-Nazari ist die legendäre Mitternachtshändlerin. Am geheimen Souk im Untergrund handelt sie mit Dschinnmagie, die sie als Relikte in der Wüste aufstöbert. Sie scheint ein besonderes Talent dafür zu haben, sie zu finden.

Ihr Leben scheint unbeschwert. Sie reist an der Seite von Qadir, ihrem Leibwächter und besten Freund, vergnügt sich gerne bei Tanz und lauscht ebenso gerne den Geschichten der reisenden Erzähler. Doch Loulie hat eine traumatische Vergangenheit und mit ihrem einfachen Leben ist es schnell vorbei, als der Sultan sie gefangen nimmt und zu einer Suche zwingt. Es gilt ein legendäres Relikt zu beschaffen, dass die Macht des Sultans immens vergrößern soll. Loulie hat keine Wahl, an der Seite des Kronprinzen und einer seiner Räuberinnen macht sie sich auf den Weg durch die Wüste um ins Sandmeer abzusteigen.

Viele Gefahren gilt es zu bezwingen und auch wenn Loulie immer wieder an ihrer Stärke und ihren Fähigkeiten zweifelt, hält sie vielem Stand. Die Not lässt sie über sich selbst hinauswachsen und verleiht ihr Kräfte, die sie nie in sich schlummern spürte.

"Der Sternenstaubdieb" ist ein großes Märchen, wie aus 1001 Nacht. Wir lesen von Abenteuern, Gefahren, Schätzen und Magie. Die Reise formt Charaktere und holt das Beste und Schlimmste aus den Figuren. Die Entscheidung liegt nicht immer in ihrer Hand.

Dieses Märchen ist von der ersten Seite an fesselnd und man fliegt nur so durch die Seiten. Am Ende hatte ich nicht das Gefühl, über 500 Seiten gelesen zu haben, denn die Spannung bleibt die ganze Zeit aufrecht. Die Dschinnmagie ist speziell und es wirkt möglich, dass tatsächlich das eine oder andere orientalische Märchen darin verarbeitet ist. Ich kann mir vorstellen, dass die Geschichten über die Ifrit zu Volkserzählungen gehören. Alles in allem hat man das Gefühl, eine alte Geschichte zu lesen.

Mich konnte Chelsea Abdullah mit diesem Märchen vollends begeistern und ich empfehle dieses Buch allen, die gerne ihrer Fantasie freien Lauf lassen und Lust auf eine Reise in den Orient haben.

Bewertung vom 22.12.2024
Die Wortlosen
Haass-Pennings, Marion

Die Wortlosen


sehr gut

Moon ist der Indianername von Sonja. Sie hat ihn von ihrem Bruder Uli bekommen und mit einer Mutprobe verdient. Fast wäre sie dabei ertrunken. Ein Schicksal, das Uli wenige Jahre später ereilt. Er ist erst 11 Jahre alt und es ist unklar, warum er in den Fluss gegangen ist.

Die Familie wird diese Wunde nie verarbeiten. Die Eltern ziehen mit Moon aufs Land und versuchen neu anzufangen. Doch das gelingt nicht wirklich. Die Mutter ertränkt ihrem Kummer in Alkohol und der Vater sucht sein Glück bei anderen Frauen. Nur für Moon scheint sich langsam alles zu bessern. Sie findet eine Freundin im Nachbarskind und es entwickelt sich ein starkes Band zwischen den beiden Mädchen, dass ganz einiges aushält.

Als Teenager beginnt Moon sich wieder stärker an ihrem Bruder zu erinnern und fängt an nachzuforschen, was damals wirklich geschah. Immer wieder durchlebt sie problematische Flashbacks und die Realität beginnt immer stärker in Visionen abzugleiten. Gegenwart und Vergangenheit verwischen mit den aufkommenden Erinnerungen immer mehr. Das ist für uns Leser*innen nicht immer einfach. Moon wird zu einer unzuverlässigen Erzählerin ihrer eigenen Geschichte und es wird immer schwerer zu erkennen, was wahr ist und was der Fantasie entsprungen. Klar ist von Anfang an, dass in dieser Familie etwas gröber im Argen liegt. Immer wieder gibt es Andeutungen und es gilt Schlimmes zu vermuten. Leider bleibt es auch bei Andeutungen.

Es liegt mir fern, mir in der Literatur detaillierte Beschreibungen des Grauens zu wünschen. Doch wenn es zu wage bleibt, ist es schwierig, die Auswirkungen dem Auslöser zuzuordnen. Für mich fühlt sich das hier etwas ambivalent an. Hier hätte die Autorin etwas konkreter werden können. Für meinen Geschmack hängt hier zu viel in der Luft.

Auch den Titel finde ich nicht optimal gewählt, denn wenn man dann das Ende kennt, weiß man, warum in der Familie nicht über das Unglück gesprochen wurde. Außerdem schafft es Moon ganz gut, mit ihrer Freundin über ihre Probleme zu reden. Meiner Meinung nach ist nicht die Wortlosigkeit in Familien Thema des Romans, sondern Schuld und Sühne.

Eine abschließende Bewertung fällt mir hier besonders schwer. Nach langem Nachdenken über das Gelesene habe ich mich für 3,5 Sterne entschieden, die hier zu 4 aufgerundet werden. Eine Empfehlung gebe ich nur an jene Leser*innen, die mit offenen Enden gut leben können.

Bewertung vom 08.12.2024
Über allen Bergen
Goby , Valentine

Über allen Bergen


ausgezeichnet

Der 12jährige Vadim ist in Paris aufgewachsen, als Sohn eines jüdischen Schusters und einer französischen Mutter. Als die Bedrohung der Deutschen immer greifbarer wird, taucht der Vater ab und Vadim wird in ein schwer zugängliches Tal an der Grenze zur Schweiz geschickt. Als Vincent Dorselle tritt er seine Reise an und nimmt dort eine ganz neue Identität an.

Aus dem asthmatischen Stadtkind wird ein fittes und findiges Landkind. Mit Vadim erkunden wir Leser*innen die Bergwelt. Geraten mit ihm ins Staunen über die Wunder der Natur und den Wandel der Jahreszeiten.

Trotz der Bedrohung des Krieges lesen wir hier einen wunderschönen Roman über Zusammenhalt, Vertrauen und Freundschaft. Die Dorfgemeinschaft ist liebevoll und hilfsbereit. Der Junge wird warmherzig begleitet bei seiner Entwicklung. Er fühlt sich eingebettet in eine Familie, die ihm hier geschenkt wurde.

Besonders die Naturbeschreibungen scheinen der Autorin leicht von der Hand zu gehen. Die Bilder der Berge, die dieses Tal umgeben und des majestätsich thronenden Mont Blanc in der Ferne werden direkt in mein Wohnzimmer projiziert. Fast meine ich die Almwiesen zu riechen, vor allem wenn das Heu eingebracht wird.

Besonders gut gefallen hat mir, dass wir es hier einmal nicht mit der üblichen wortkargen Landbevölkerung zu tun haben, deren Alltag allein von Härte geprägt ist. Klar müssen die Kinder auch hier arbeiten und ihren Anteil beitragen, aber es wird auch Wert gelegt auf Spiel und Spaß. Sie stromern durch die Gegend, erkunden den Wald und laufen Ski im Winter. Und sie kümmern sich umeinander. Vincent hatte eindeutig Glück.

Bleibt nur zu hoffen, dass das Glück auch bei Vadim bleibt!

Bewertung vom 01.12.2024
Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen
Brüggemann, Anna

Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen


ausgezeichnet

Regina ist eine Selfmadewoman und wird nicht müde das immer wieder zu betonen; bei jedem Geburtstag ihrer Töchter, bei deren Abifeiern und eigentlich bei jedem Anlass, wo man eine kurze Rede halten kann. Immer wieder hält sie ihren Töchtern vor Augen, was sie alles geschafft hat, ganz ohne Unterstützung ihrer Eltern und wie gut es nur ihre Töchter hätten, die ja so exzellent von ihr gefördert werden.

Wenn das mal nicht Druck auslöst, der sich irgendwie Bahn brechen wird.

Während die ältere Antonia auf die ganze Unterstützung pfeift und ihr Studium hinschmeißt, ergibt sie die jünger und vielversprechendere Wanda dem ganzen Druck und wird dabei zu einer anorektischen Perfektionistin.

Wir begleiten die beiden Töchter auf ihrem Abnabelungsprozess, der alles andere als linear verläuft. Beide haben ihre Päckchen zu tragen und müssen auch einen Weg finden, miteinander klar zu kommen. Denn die Ansprüche der Mutter reißen eine tiefe Kluft zwischen die Schwestern. Sie werden ständig in eine Rivalität gedrängt, die beiden nicht zusagt. Ihre Wege sind sehr unterschiedlich und doch nagen beide and den selben Wunden und sehnen sich dabei nach nichts anderem als bedingungsloser Mutterliebe.

Dieser Roman hat mich sehr beeindruckt. Als Leserin mit Schwestern und einer Mutter im Alter von Regina kann ich ganz einig Parallelen finden. Zum Glück waren sie bei uns bei weitem nicht so ausgeprägt. Aber zu denken gibt mir das schon. Man beginnt Muster und Strukturen zu erkennen, die unterschwellig immer zu spüren waren.

Der Weg aus der traumatisierenden Kindheit wird hier so schön dargelegt. Die Töchter gehen völlig verschiedene Wege und sehen sich immer wieder mit anerzogenen Mustern konfrontiert, die sie manchmal handeln lassen, sich aber auch immer wieder auch hinterfragen lassen. So ein Weg ist nicht einfach zu gehen, aber in einem stetigen Auf und Ab, ist doch ein vorankommen zu erkennen. Das hat mir außerordentlich gut gefallen!

Somit empfehle ich das Buch allen, die sich mit der Mutterrolle mal kritisch auseinandersetzten wollen. Es werden so viele Themen abgehandelt, dass sich wahrscheinlich alle Interessierten was für sich herausholen können. Für mich war das Buch ein Highlight und wird dem coolen Titel absolut gerecht. Ich hoffe, es findet noch viele begeisterte Leser*innen!

Bewertung vom 01.12.2024
Das perfekte Grau
Jamal, Salih

Das perfekte Grau


sehr gut

In einem schäbigen Hotel an der Ostsee kreuzen sich die Wege von Dante, Rofu, Mimi und Novelle. Sie alle haben ihr Päckchen zu tragen und sind irgendwie auf der Flucht. Dante ist auf der Flucht vor seinem Leben, weil es ihm nie gelungen ist Entscheidungen zu treffen. Rofu ist über das Mittelmeer geflohen und musste auf seinem Weg so einiges mitansehen. Mimi ist irgendwie auf der Flucht vor der Polizei und Novelle flieht regelmäßig in Alkoholexzesse.

Auf einem gemeinsamen Ausflug lernen sich die Vier besser kennen und langsam Schritt für Schritt beginnen sie sich einander zu öffnen. Nach einem speziellen Ereignis machen sie sich wieder auf den Weg und treten eine gemeinsame Reise an, die sie in ein neues Leben bringen soll. Welches auch immer auf sie warten wird.

Mit diesem Buch machen wir uns auf den Weg mit vier Fremden, die wir anfangs überhaupt nicht verstehen. Seite für Seite bringt uns der Autor die Facetten der Persönlichkeiten näher und wir erfahren stückchenweise was sie zu den Leuten gemacht hat, die sie nun sind. Sie lernen langsam wieder zu vertrauen und beginnen zu erkennen, dass man Familie auch finden kann. Sie stehen für einander ein und beginnen sich dabei selbst zu finden.

Auf ihrem Weg thematisieren sie die verschiedensten Problematiken und das wirkt manchmal leider etwas aufgesetzt. Hier hat der Salah Jamal vielleicht ein bisschen zu viel reingepackt. Das wird allerdings durch die Eloquenz des Autor wieder wettgemacht. Seine Sprachbilder sind beeindruckend, emphatisch und anschaulich. Das macht das Buch zu einem vielversprechenden Debüt. Auch wenn mir inhaltlich nicht immer gefällt, wie sich die Handlung entwickelt, bleibt das Buch sprachlich durchgängig auf einem sehr hohen Level.
Mich macht das Buch definitiv neugierig auf das nächste Buch aus der Feder von Salah Jamal. Und es wartet auch bereits auf meinem SuB.