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ID66
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Hemmingen

Bewertungen

Insgesamt 3 Bewertungen
Bewertung vom 15.08.2022
Lügen über meine Mutter
Dröscher, Daniela

Lügen über meine Mutter


ausgezeichnet

Lügen über meine Mutter beschreibt das Leben der Familie aus der Sicht des Kindes Daniela Dröscher in den 1980-er Jahren. Nach jedem Kapitel wechselt die Autorin die Perspektive und bewertet die Ereignisse aus ihrer heutigen Sicht als Erwachsene neu. Dabei fließt auch der Blick darauf ein, was damals als normal und üblich galt.

Hat sich in den vierzig Jahren, die seitdem vergangen sind, etwas geändert? Wenn man ehrlich ist: zu wenig. Frauen werden immer noch zu oft auf ihr Äußeres reduziert und verdienen nach wie vor im Durchschnitt weniger als Männer. Die Organisation des Haushalts und die Sorge um die Kinder bleiben nach wie vor mehrheitlich an ihnen hängen. Aber die Bereitschaft, sich dagegen aufzulehnen, ist stärker geworden.

Deshalb kann Daniela Dröschers Roman als Aufruf verstanden werden, nicht nachzulassen, wenn es eine gesellschaftliche Veränderung zugunsten der Frauen geben soll.

Bewertung vom 08.07.2022
Violeta
Allende, Isabel

Violeta


sehr gut

Die chilenisch-amerikanische Erfolgsautorin Isabel Allende ist in ihrem neuesten Roman Violeta einem vertrauten Muster treu geblieben: Sie setzt sich auch hier für die Rechte der Frauen ein und hat folgerichtig eine Frau in den Mittelpunkt gestellt.
Violeta del Valle wird 1920 als jüngstes Kind einer bürgerlichen Familie in Südamerika geboren. Zu dieser Zeit bahnt sich die Spanische Grippe ihren Weg in ihre Heimat. Der Vater handelt jedoch vorausschauend und schickt die ganze Familie in häusliche Quarantäne. Alle überleben, aber die später folgende Weltwirtschaftskrise bricht ihnen finanziell das Genick. Die Schande treibt den Vater in den Selbstmord, die Familie ist nun nahezu mittelos.

Violetas älterer Bruder schickt seine Schwester, die Mutter, die Tanten und das britische Kindermädchen in das wilde Hinterland, wo sie bei einem älteren Lehrerehepaar unterkommen. Die Lebensverhältnisse sind sehr einfach, doch die Familie gewöhnt sich irgendwann daran. Hier wächst Violeta zu einer jungen Frau heran, die ihrem Herzen folgt. Sie heiratet einen wohlhabenden deutschen jungen Mann und kommt so mit dem Nationalsozialismus in Berührung. Doch diese Ehe soll nicht ihre einzige bleiben.

Isabel Allende hat ihren Roman als Violetas Brief an ihren Enkel Camilo angelegt, in dem diese nicht nur über die Höhen und Tiefen schreibt, die sie im Laufe der Jahrzehnte erlebt hat, sondern auch historische Begebenheiten einflicht. Violeta entwickelt sich von einem Anhängsel ihres ersten Mannes zu einer eigenständigen Frau, die ihr eigenes Geld verdient, häusliche Gewalt erlebt und dagegen ankämpft. Immer wieder werden gesellschaftliche Themen aufgegriffen wie z. B. der Kampf der Frauen um das Wahlrecht und ein selbstbestimmtes Leben.

Violeta enthält unübersehbare Parallelen zu Allendes eigener Geschichte: Die Schriftstellerin ist zum dritten Mal verheiratet, hatte etliche Affären und hat ebenso wie ihre Protagonistin ein Kind verloren. Sogar die Situation, wegen einer Krise flüchten zu müssen, hat Allende selbst erlebt.

Violeta ist ein großer Familienroman, der in einer Pandemie beginnt und hundert Jahre später, kurz vor Violetas Tod, in einer anderen - der heutigen - Pandemie endet. Allende beschreibt Violeta sehr facettenreich, in Bezug auf deren Kinder sind allerdings nur wenige tiefe Emotionen spürbar. Violeta kümmert sich zwar um sie, doch das Verhältnis zu ihnen wirkt distanziert.

Der Schreibstil des Romans wirkt etwas irritierend: So, wie Allende formuliert, würde man nicht einen persönlichen Brief schreiben. Mit Ausnahme einiger hin und wieder eingestreuter Passagen, in denen Violeta ihren Enkel direkt anspricht, passt die Wortwahl zu einer romanhaften Erzählung, aber nicht zu einem persönlichen und sehr privaten Schriftstück. Davon unabhängig ist das Buch sehr lesenswert und bietet einen tiefen Einblick in die Geschichte Südamerikas während der letzten einhundert Jahre.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.05.2021
Hauskonzert
Levit, Igor;Zinnecker, Florian

Hauskonzert


ausgezeichnet

Um sich für Igor Levit zu interessieren, muss man kein Fan von Klaviermusik sein. Das Buch gibt nicht nur Einblicke in seine Persönlichkeit, sondern auch in unsere Gesellschaft, in der es Menschen gibt, die andere wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft angreifen und bedrohen. Levit musste sogar erleben, dass sich ein bekannter deutscher Musikkritiker mit antisemitischen Zwischentönen über die Art des Pianisten, Beethoven zu spielen, äußerte und sich dabei eines im Nationalsozialismus verbreiteten Narrativs bediente, wonach jüdische Künstler außerhalb der deutschen geschichtlichen Gemeinsamkeit aufgewachsen und deshalb nicht zu einer eigenen Schöpfung in der Lage sind, sondern die wahre Kunst nur nachahmen. Diese Äußerung stammt aus einem Aufsatz von Richard Wagner aus dem Jahr 1850. Levit wird (glücklicherweise) nicht müde, gegen diese Entwicklung Stellung zu beziehen. Leseempfehlung!