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alina_liest07

Bewertungen

Insgesamt 55 Bewertungen
Bewertung vom 23.03.2025
Schweben
Ben Saoud, Amira

Schweben


sehr gut

Originelle Ideen, fesselnd erzählt
„Schweben“ spielt in einer Zeit in dem der Klimawandel bereits geschehen und die Globalisierung im Zuge dessen beendet wurde. Die verbliebenen Menschen leben abgeschottet voneinander in Siedlungen, lediglich anonymer Warentausch findet statt.
In dieser Welt lebt die zunächst namenlose Protagonistin, deren Arbeit es ist, in sogenannten „Begegnungen“ andere Frauen zu imitieren - ihre Auftraggeber sind Angehörige oder Partner die kaputten Beziehungen nicht loslassen können. Doch hinter ihrem neusten Auftrag als Emma scheint mehr zu stecken, als sie auf dem ersten Blick vermutet hat….

Amira Ben Saoud zeichnet in „Schweben“ eine dystopisch anmutende Welt in der nicht allzu fernen Zukunft, die anders aber nicht komplett unerreichbar wirkt. Das Setting und der Ton spannend, geheimnisvoll und atmosphärisch – passend zu einer Welt die anonym, karg und düster geworden.

Im Laufe des Auftrags als Emma und der „Begegnung“ mit Gil kommen immer mehr Handlungsstränge und Themen zusammen: Gewalt und toxische Beziehungen, Identität und das menschliches Zusammenleben nach (oder vor?) der Katastrophe.
Generell ist diese literarische Dystopie voller spannender Idee und Ansätze. Dazu passt auch das hohe Tempo, allerdings hätte die ein oder andere Ideen etwas länger und ausgereifter erzählt werden können. Vieles bleibt angedeutet und vage und daher konnte ich die Protagonisten und ihre Beweggründe nicht immer fassen – aber das kann auch gut so gewollt gewesen sein.

Ein spannendes Romandebüt voller origineller Ideen und mit einem guten Tempo. Allerdings auch ein recht kurzes Lesevergnügen, in dem der ein oder andere Ansatz durchaus noch weiter ausgeführt hätte werden können.
Fazit: „Schweben“ hinterlässt durchaus offene Fragen, ist dennoch fesselnd und atmosphärisch erzählt und voller origineller Ideen!

Bewertung vom 19.03.2025
Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken
Lorenz, Sarah

Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken


ausgezeichnet

Poetisch, schonungslos und hoffnungsvoll zugleich
Auf der Rückreise aus Zürich erzählt Elisa der Dichterin Mascha Kaléko ihre Lebensgeschichte.
Und was für ein Leben das bisher gewesen ist: Von der Zeit im Heim, der Wohnungslosigkeit, Punk und der Kölner Domplatte, immer war Elisa auf der Suche nach Liebe und Sicherheit. Elisa erzählt auch von ihren Eltern, den Büchern und vor allem den vielen verschieden Lieben, bis sie endlich den Einen treffen soll…

Ich folge der großartigen Sarah Lorenz alias „buchischnubbel“ schon länger in den sozialen Medien und liebe ihr Schreiben und ihren Blick auf die Welt – umso mehr habe ich mich auf ihr Debüt gefreut.
Ihr erster Roman hat starke autobiografische Züge. Die Autorin erzählt von ihrer schweren Kindheit, von Kälte und von etlichen sexuellen Übergriffen. Dabei erspart sie uns nichts, ist offen und schonungslos, stellenweise war es wirklich schwer und erschütternd zu lesen.
Doch dann strahlt einem wieder die ganz besondere Stimme und Sichtweise von Lorenz entgegen – trotz aller Härte sprühen die Seiten nur voller Liebe: Liebe zu Büchern und Poesie, zum Leben, zur Hoffnung und zur Liebe selbst!

„Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ ist auch eine Hommage an Mascha Kaléko. Sie war mir bisher tatsächlich unbekannt, umso schöner sie durch die hier sehr passend verwendeten und großartigen Gedichte, die immer am Anfang eines Kapitels einleiten, kennenlernen zu können.

Fazit: Ein tolles Debüt! Schonungslos und warmherzig zugleich, so traurig wie hoffnungsfroh – ein recht kurzer aber sehr bewegender Roman, den ich sehr gerne gelesen habe!

Bewertung vom 09.03.2025
Schwimmen im Glas
Lugbauer, Eva

Schwimmen im Glas


ausgezeichnet

Wunderschön erzählt und fein beobachtet

Lore ist zehn Jahre alt und wächst in einem österreichischen Dorf, zusammen mit ihren zwei Brüdern, auf. Die Familienstrukturen und Rollenverteilungen sind traditionell und von, teils unausgesprochenen, Regeln geprägt, sowohl zwischen ihrem Vater und Mutter, als auch ihren Großeltern. Doch es gibt noch ihre in der Stadt lebende Tante Ursula, die mit ihren feministischen Ansichten immer wieder für hitzige Diskussionen im Familienkreis sorgt – und durch die Lore eine ganz neue Welt kennenlernt…

Eva Lugbauer erzählt Großteils aus der Perspektive der kindlichen Lore, wechselt aber auch immer wieder in die spätere Jugend und in das Leben der erwachsenen Lore. Immer wieder schafft es die Autorin sehr elegant einen Bogen zwischen Gegenwart und Vergangenheit der Protagonistin zu spannen. Für mich liegt die Stärke des Romans in den vielen, scheinbar kleinen Momenten und Beobachtungen, die sehr eindrucksvoll zeigen, wie sich patriarchalen Strukturen und traditionellen Geschlechterrollen manifestieren.

„Weil nichts ist, und alles wird. Weil alles ein ständiges Werden ist.“

„Schwimmen im Glas“ ist fein beobachtet und wunderschön geschrieben. Es hat mich beeindruckt, die authentisch Lugbauer die Gefühlswelt der kindlichen Lore einfängt. Ich habe mich in vielen Momenten wiedererkannt und mitgefühlt.
Auch das Aufwachsen auf dem Dorf, die patriarchalen Familiendynamiken und Strukturen sowie das Unausgesprochene der Vergangenheit sind sehr treffend und einfühlsam dargestellt.

Fazit: Ein sehr schöner Roman, der mich berührt hat und der, auch durch die bildhafte, fast poetische Sprache, noch länger im Gedächtnis bleiben wird.

Bewertung vom 28.02.2025
Die Fletchers von Long Island
Brodesser-Akner, Taffy

Die Fletchers von Long Island


ausgezeichnet

Eine große jüdisch-amerikanische Familiengeschichte
Der Fabrikbesitzer Carl Fletcher wird aus der Einfahrt seines Anwesens in Long Island entführt. Die Aufregung ist groß, aber nachdem das geforderte Lösegeld gezahlt wurde, kehrt er nach einer Woche zurück zu seiner Familie. Aber das Ereignis wird die Familie Fletcher von nun an immer begleiten – und nicht nur Carl, auch sein Frau Ruth und allen voran seine drei Kinder Beamer, Nathan und Jenny müssen einen Weg finden mit dem Familienerbe zu leben…

Brodesser-Akner nimmt sich in „Die Flechters von Long Island“ wirklich die ganz großen Themen vor: Von transgenerationalen Traumata, Reichtum, seinem korrumpierenden Effekt und dem American Dream zu dysfunktionalen Familiendynamiken, Sucht, Schuld und Sühne – anhand einer amerikanisch-jüdischen Familie zeigt die Autorin die ganze Breite, Tiefe und Absurdität des Lebens.

Nach einem temporeichen Einstieg rund um die Entführung, nimmt die Autorin einiges an Tempo heraus. Dafür tauchen wir ein in die Leben und das Leiden der Familienmitglieder, vor allem die der drei Geschwister. Nacheinander erfahren wir von ihren Geheimnissen, ihrer Psyche und ihren inneren Dämonen– hier fand ich einiges etwas vorhersehbar und der Roman hat die ein oder andere Länge entwickelt.
Dennoch hat es die Autorin geschafft mich in den Sog der Familiengeschichte hineinzuziehen und den Spannungsboden hoch zu erhalten. Das liegt auch an ihrem bitterbösen Humor, dem satirischen Charakter der Erzählung und den scharfen Beobachtungen in menschliche Abgründe.
Für mich sind „Flechters von Long Island“ daher eine sehr gelungene Verbindung von Familienporträit, amerikanischer Geschichte und Gesellschaftskritik.

Fazit: Ein großer, ambitionierter Roman von einer spannenden Autorin, der mich - trotz der ein oder anderen Länge – sehr fasziniert und unterhalten hat.

Bewertung vom 07.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


ausgezeichnet

Mitreißendes Debüt
„Achtzehnter Stock“ wirft uns mitten hinein in das Leben der jungen, alleinerziehenden Wanda und ihrer fünfjährigen Tochter Karlie. Und dieses Leben ist voll mit großen Problemen und noch größeren Träumen: Auch in dem harten, grauen Alltag in der Berliner Platte, zwischen Armut und Krankheit gibt Wanda ihre Schauspielkarriere nicht auf – und dann erhält sie tatsächlich die Chance, die ihr Leben und das ihrer Tochter verändern könnte…

Der besondere Schreibstil der Autorin, ehrlich, schroff und dennoch humorvoll, hat mich sofort abgeholt und berührt. Und mit Wanda hat Sara Gmuer eine authentische und spannende Protagonistin erschaffen, mit der man trotz all ihrer Fehler, ab Seite eins mitfiebert.
Kurze Kapitel, schnelle Szenen (und noch schnellere Gemütswechsel von Wanda), an der ein oder anderen Stelle hat die Autorin mich dabei fast abgehängt. Nur um mich sofort wieder in den Sog dieser mitreißenden, turbulenten Geschichte zu ziehen, sodass ich den recht schmalen, aber sehr temporeichen und fesselnden Roman in kürzester Zeit verschlungen habe.

Trotz der vielen schweren Themen und Schicksalsschläge mit denen Wanda und Karlie zu kämpfen haben – von Armut, dem überlastetem Gesundheitssystem, verpassten Chancen zu prekären Wohnsituationen – ist „Achtzehnter Stock“ auch ein hoffnungsvoller Roman.

Fazit: „Achtzehnter Stock“ ist ein mitreißendes Debüt voller Tiefgang und Wucht – eine gute Portion Gesellschaftskritik und Humor ist ebenfalls inklusive. Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.10.2024
Intermezzo
Rooney, Sally

Intermezzo


ausgezeichnet

Wunderschöne Geschichte über Liebe, Familie und Trauer
Peter ist ein erfolgreicher, 32-jähriger Anwalt, von außen scheint sein Leben in Dublin geordnet. Doch nicht nur seine Beziehungen zu zwei sehr unterschiedlichen Frauen auch seine Schlafprobleme geraten immer mehr außer Kontrolle.
Sein wesentlich jüngerer Bruder Ivan hingegen war schon immer eher ein sozialer Außenseiter. Bei einem Schachtunier trifft auch er eine Frau, die sein Leben verändern wird.
Auf den ersten Blick scheinen die Brüder und ihre Leben nicht viel gemein zu haben. Daran ändert auch der Tod ihres Vaters zunächst scheinbar nichts – im Gegenteil….

In „Intermezzo“ erzählt Sally Rooney die Geschichte zweier entfremdeter und trauernde Brüder. Dabei gibt es insgesamt drei Perspektiven und so tauchen wir ab in die Gedanken- und Gefühlswelt von Peter, Ivan und Margaret. Und während die unterschiedlichen Perspektiven nahtlos in einander greifen, hat doch jede Person ihre ganz eigene Stimme und Ton – dies ist wirklich großartig geschrieben von Rooney.

Wie von der Autorin gewohnt, liegt der Fokus auf den Charakteren und ihren Entwicklungen. Dabei gibt Rooney einem das Gefühl, die Charaktere wirklich zu kennen und zu verstehen, warum sie so sind, wie sie sind, warum sie so handeln, wie sie handeln. Selbst wenn die Figuren sich teils zweifelhaft verhalten, habe ich selbst in ihren tiefsten Tiefpunkten mit ihnen mitgefühlt und gefiebert Die Autorin ist eine echte Meisterin darin, ambivalente aber zutiefst menschliche Figuren zu zeichnen und uns in ihren Bann zu ziehen.

Der Text ist durch das Fehlen von Anführungszeichen und teils langen Monologen und Dialogen durchaus anspruchsvoll – aber es lohnt sich unbedingt sich darauf einzulassen denn man wird mit großartigen Dialogen voller Feinheiten und Zwischentönen belohnt.
Gesellschaftspolitische Themen und Töne, wie von Rooneys‘ bisherigen Romanen gewohnt, werden ebenfalls angeschlagen wie z.B. die Wohnungskrise in Dublin oder Machtdynamiken und wirtschaftliche Realtäten in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Fazit: „Intermezzo“ hat mich komplett in seinen Bann gezogen – eine wunderschöne und berührende Geschichte über Familie, Trauer, Beziehungen und die flüchtigen Momente, die das Leben ausmachen. Ihr bisher bestes Buch!

Bewertung vom 22.09.2024
Antichristie
Sanyal, Mithu

Antichristie


sehr gut

Skurril, faszinierend und anstrengend
Direkt nach der Beerdigung ihrer Mutter Lila, zu der sie ein schwieriges Verhältnis hatte, geht es für die 50-jährige Drehbuchautorin Durga für einen Writer-Workshop für die Neuverfilmung eines Agatha Christie Romans nach London. Das divers besetzte Autorenteam soll eine „moderne“ Version der Romane schaffen - so divers und woke wie möglich. Begleitet wird der Workshop von wütenden Protestierenden, denen das alles zu weit geht, ebenso wie dem Tod der Queen. Doch dann fällt Durga auf einmal durch die Zeit und landet als Mann im London des Jahres 1906 – mitten im India-House, unter Revolutionäre, die für die indische Unabhängigkeit kämpfen…

„Anti-Christie“ ist vieles: skurril, bunt, durchaus verwirrend und kompliziert. Die Geschichte spielt abwechselnd in der Gegenwart und der Vergangenheit, wobei die verschiedenen Zeitstränge für mich nicht immer einfach auseinander zu halten waren.
Und wie in ihrem Vorgänger „Identitti“ spielt die Autorin mit stilistische Mitteln wie eingeflochtenen Szenebeschreibungen, Zitaten und (pop-)kulturellen Bezügen: Von Sherlock Holmes zu Doctor Who finden sich hier so einige bekannte (fiktive) Figuren wieder.

Trotz aller absurden und wilden Ideen geht es in „Anti-Christie“ vor allem um ernste Themen. Im Mittelpunkt steht der indische Freiheitskampf. Von Ghandi haben die meisten hierzulande durchaus schon mal etwas gehört, doch viele andere Namen wie Savarkar waren mir völlig unbekannt. Genauso wie die meisten anderen Hintergründe. Sanyal spricht und thematisiert aber noch viel mehr Themen wie zum Beispiel (De-)Kolonisierung, Widerstand, Cancel Culture, Zugehörigkeit und Identitätsdebatten…die Liste ist lang.
Auch wenn der Roman teilweise überfrachtet auf mich gewirkt hat, habe ich viel gelernt und so einige Denkanstöße mitgenommen

Fazit: „Anti-Christie“ ist provokativ, einzigartig und voll schwarzer Humor – er schlägt an der ein oder anderen Stelle über das Ziel hinaus und hat mich dennoch unterhalten und zum Nachdenken gebracht.

Bewertung vom 25.08.2024
Die Frauen von Maine
Sullivan, J. Courtney

Die Frauen von Maine


ausgezeichnet

Wunderschöner und fesselnder Roman
In ihrer Kindheit war das verlassene, majestätisch auf einer Klippe gelegene Anwesen Janes Zufluchtsort. Zehn Jahre nutzen Genevieve und ihr Sohn und Mann das aufwändig restaurierte Haus als Ferien- und Sommerdomizil.
Als Genevieve auf Grund seltsamer Vorkommnisse Jane damit beauftragt mehr über das Haus und seine ehemaligen Bewohner in Erfahrung zu bringen, ahnt Jane, die nach einem schwerwiegendem Fehler Zuflucht in ihrer Heimat sucht, nicht welche lang behüteten Geheimnisse und Verbindungen dies ans Licht bringen wird…

„Die Frauen von Maine“ ist eine wunderbar verwobene Geschichte verschiedener Frauen und Generationen.
Auch wenn Jane im Zentrum der Geschichte steht – es kommen ganz unterschiedliche Frauen und ihre Geschichte zu Wort: Von Genevieve und Marilyn zu Eliza und Naomi – mit jeder Einzelnen von ihnen konnte ich mitfühlen.

Die Autorin hat einen sehr angenehmen, fließenden Schreibstil und die Beschreibungen der Landschaft und Architektur von Maine sind sehr atmosphärisch und machen große Lust auf eine Reise dorthin.
Vor allem aber ist Sullivan eine großartige Geschichtenerzählerin!
So verbindet dieser Roman unwahrscheinlich viele Themen auf mühelose und faszinierende Art und Weise: indigenes Leben, generationales Trauma und Alkoholismus, Trennung und Tod.
Ich habe vor allem nicht erwartet so viel über die indigene Geschichte und Kultur in Maine zu lernen.
Auch Spiritualität und Geister spielen eine Rolle, und auch wenn das sonst eher nicht meine Themen sind, hat Sullivan es geschafft mich völlig in die Geschichte reinzuziehen und jegliche Vorbehalte abzulegen.

Fazit: Ein wunderschöner und fesselnder Roman - absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 04.08.2024
Juli, August, September
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


ausgezeichnet

Eine fesselnde Suche nach Antworten
Lou und Sergej sind beide jüdisch und haben ihre Wurzel in der ehemaligen Sowjetunion. Als ihre 5-jährige Tochter Rosa unerwartet eine Erzählung über Anne Frank entdeckt, kommt Lou ins Grübeln über ihre jüdische Identität und was sie ihrer Tochter als säkular lebende Judin vermitteln möchten. Eine Einladung nach Gran Canaria zum 90. Geburtstag ihrer Tante sorgt für weiteres Chaos und wirft bei Lou viele Fragen zu ihrer Familiengeschichte und ihrer eigenen Identität auf, die sie schließlich bis nach Tel Aviv führen…

Wie der Titel schon andeutet, erzählt „Juli, August, September“ über drei Monate von Lous‘ Suche nach Antworten zu ihrer Familiengeschichte und dabei auch der Suche nach ihrer Identität und ihrem Selbstverständnis. Wieso unterscheiden sich die Erzählungen über die Familienhistorie im Holocaust und dem anschließenden Neubeginn so sehr und wieso spielt dies für Lou überhaupt eine Rolle – dies sind nur einige der Fragen, die gestellt werden.
Die verschiedenen Standorte – Berlin, Gran Canaria, Tel Aviv – spiegeln dabei sehr schön die verschiedenen Phasen der Suche und Reise unserer Protagonistin.

Olga Grjasnowa hat einen tollen und besonderen Stil, sie spickt ihre Erzählung immer wieder mit humorvollen und sarkastischen Untertönen. Vor allem die Familien- und Beziehungsdynamiken sind hervorragend dargestellt. Dabei spricht die Autorin allerdings nicht alles aus und (über-)lässt den Leser auch offene Fragen und genug Raum zum Nachdenken.

Fazit: „Juli, August, September“ ist ein dynamisch erzählter Roman über moderne jüdische Identität in Deutschland, der trotz aller ernster und hochaktueller Themen auch bestens unterhält und bei dem man das ein oder andere über jüdisches Leben lernen kann. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 16.05.2024
Sorry not sorry
Landsteiner, Anika

Sorry not sorry


ausgezeichnet

Eindringlicher Appell
Scham ist ein Gefühl, das wohl fast allen Menschen, unabhängig vom Geschlecht, bekannt ist. Und doch liegt in der weiblichen Scham nochmal eine andere (Unterdrückungs-)Macht und Bedeutung. Anhand von persönlichen Beispielen und Erfahrungen beleuchtet Anika Landsteiner dieses mächtige Gefühl in ganz verschiedenen Teilen des Lebens – von Sexualität, zu Krankheit, (ungewollten) Schwangerschaften oder Geld - Scham ist ein allgegenwärtiges Gefühl für Frauen.

„Sorry not sorry“ ist eine sehr gelungene Mischung zwischen informativem Sachbuch und persönlichen Essays und Erzählungen.
Dabei deckt die Autorin ein breites Spektrum an Aspekten ab: Neben sexualisierter Gewalt, Geld oder dem Älterwerden, werden auch Themen wie das Single Dasein oder Reality TV behandelt. Vor allem letzteres Kapitel hat mir sehr gut gefallen und ganz neue Perspektiven auf diesen viel diskutierten Bereich eröffnet.

„Sorry not sorry“ ist ein sehr reflektiertes, kluges und zugängliches Buch zu diesem wichtigen und noch zu viel beschwiegenen Thema. Es ist voller Informationen und Fakten schafft aber auch einen ganz persönlichen Zugang zu den eigenen Erfahrungen. So wirkt die Lektüre als eindringlicher Appell dem Gefühl der Scham weniger Macht einzuräumen und gesellschaftliche Normen diesbezüglich immer weiter und wieder zu hinterfragen. Klare Leseempfehlung!