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Bewertungen

Insgesamt 197 Bewertungen
Bewertung vom 11.03.2025
Erdbeeren und Zigarettenqualm (eBook, ePUB)
Docherty, Madeline

Erdbeeren und Zigarettenqualm (eBook, ePUB)


weniger gut

»Du hast dir bislang nicht erlaubt, darüber nachzudenken, was mit eurer Beziehung geschehen mag, wenn ihr älter werdet. Du würdest gern glauben, dass sich nichts ändern wird oder dass die Dinge sich so ändern, wie du es gern hättest, aber dir ist bewusst, dass Variablen, die außerhalb eurer Kontrolle liegen, euch auseinanderreißen werden. Ganz gleich, was aus euch beiden wird, Ella wird es gut gehen.« (S. 44)

In »ERDBEEREN 🍓 & ZIGARETTENQUALM 🚬 « verarbeitet die Autorin Madeline Docherty ihre eigenen Erfahrungen mit Endometriose und Coming-of-Age aka dem Frausein / Frau werden. Ich weiß nicht, wie viel von der Story autobiografisch / autofiktional ist. So oder so finde ich die Story sehr wenig reflektierend von der Protagonistin und mir fehlt die deepere Message, auch wenn ich das Ziel, Endometriose literarisch zu verarbeiten und Visability zu geben, sehr verstehen kann. Ja, wir sollten dringend alle mehr über Endometriose reden und allgemein chronische Krankheiten vom Schweigen befreien.

Abgesehen davon, finde ich die Story sehr schwierig. Ja, es geht hier auch um Queer-Awakening, Queerness, Friendship. Aaaaber: Can we please call it by its name? Es geht hier nicht ‚nur‘ um eine tiefe Freundinnenschaft, sondern darum, dass Ella und die namenlose aus der 2.Person-POV-erzählerende Frau eine Beziehung haben, die sich mindestens eine davon nie eingestehen will und, die absolut toxisch ist.

»Und du schaust Ella an und denkst: Sie war die schönste Frau auf der Party, auf jeder Party, überall.« (S. 15)

Aus meiner Sicht wird das hier sehr verklärt und ebenso der Konsum von Drogen und Alkohol. Ja, es ist krass mit einer chronischen Erkrankung zu leben, die jahrelang unerkannt bleibt und einen vor Schmerzen alles andere vergessen lässt. Dennoch kann mensch sich professionelle Hilfe suchen (again: I know - it’s a hard and long way) und es gibt keine Begründung dafür, einen anderen Menschen so auszunutzen und seine eigenen Traumata und ggf. auch Neurodiversität (keine Gefühle an sich selbst erkennen zu können und dafür eine andere Person zu brauchen, die diese benennen kann, ist auf jeden Fall eine Red Flag 🚩) nicht aufzuarbeiten. Ja, es gab Teile der Story, die ich gut geschrieben fand, mainly die Darstellung von Endometriose. Aber mindestens genauso oft, war etwas nicht auserzählt; Drogenkonsum zu sehr verklärt und quasi 0 Reflexion, wie verletzend das eigene Verhalten für andere Personen sein kann, mit denen mensch in Interaktion und das meint hier meist auch direkt sexuelle Interaktion tritt. Der Mix aus Themen wurde hier nicht gut genutzt, obwohl es vielversprechend gewesen wäre (Endometriose, Coming-of-Age, Queerness, Abtreibung (allein hier könnte ich über die unreflektierende Ego-Story schon wieder Kritikpunkte nennen), Neurodiversität).

Mich konnte dieses Debüt nicht erreichen. Vielleicht liegt es an mir? Vielleicht liegt es daran, dass ich diesen übermäßigen & unkritischen Drogenkonsum in Büchern nicht mehr lesen will? Vielleicht liegt es daran, dass dieses un-aufgebarbeitete Themen Dropping mich überhaupt nicht abholen konnte. Für mich war das mit diesem Buch — trotz des tollen Covers — kein Match. At least, more 🍓 and less 🚬 wäre nice gewesen.

Bewertung vom 11.03.2025
bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann
Lovrenski, Oliver

bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann


ausgezeichnet

»ich so zu marco, ey, dieses mädchen ist different, bruder, die will ich gut behandeln, nicht so wie die anderen, die waren alle irgendwann beleidigt, und marco nur, bruder, sie ist vielleicht different, aber du nicht« (S.138) 🥀

In fragmentarischen, kurzen Kapiteln erzählt der Autor (s)eine Coming-of-Age Story auf den Straßen Oslo’s mit all dessen den Highs & Lows: Von Zusammenhalt, bedingungsloser Friendship, Family, Love, Brutalität, Rassismus, Kriminalität, Stress, Schule, Alltag, Dealen, und (zu) vielen Dr0gen. Gelungen skizziert er ungeschönt das Leben von vier migrantischen Jugendlichen — Ivor, Marco, Jonas & Arjan — in Oslo, die immer tiefer in den Sog der Straße gezogen werden. Ähnlich wie Lesende von diesem Banger 💥

Die Abschnitte sind selten länger als eine Seite und transportieren mit dem ganz eigenen Stil (moderne Sprache / Wörter; als Satzzeichen ausschließlich Kommata; Fragmente sowohl im Inhalt auch als auch Satzbau). Mit diesem krass authentischen Sound wird die Parallelität von Härte und Verletzlichkeit, von Stolz und Wunden, von Loyalität und Verlassen-Sein, von Poesie und Abwärtsspirale transportiert. Dieser Banger 💥 hat mich bereits nach wenigen Seiten nicht mehr losgelassen und regt sehr zum Mit- und Nachdenken an. Mit wenig Worten transportiert der Autor so krass viel — insbesondere auch zwischen den Zeilen und Wörtern und bahnt sich den Weg ins Herz.

Großartige Literatur ❤️‍🔥 , die mich auch an die beiden krassen Romane (»HUND, WOLF, SCHAKAL« & »Als wir Schwäne waren« 🦢) des deutsch-iranischen Schriftsteller Behzad Karim Khani erinnert.

»bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann« ist das autobiografisches Debüt vom Norweger Oliver Lovrenski (grandios übersetzt 🇳🇴 von Karoline Hippe❣️), das er zeitweise auf seinem Handy getippt hat 📲. Von mir gibt’s eine große Leseempfehlung.💖

»und FÜR ALLE
die zu beschäftigt sind
ihre eigene story am leben zu halten
Um sie zu erzählen« (S.5) ❤️‍🩹

4.5/5 ★

Bewertung vom 24.02.2025
Das Lieben danach
Bracht, Helene

Das Lieben danach


ausgezeichnet

»All die Fertigkeiten und Verhaltensmuster, die ein kleines missbrauchtes Mädchen lernt, kann es umstandslos und mit großem gesellschaftlichen Einverständnis als erwachsene Frau zur Verfügung stellen: Die Gefügigkeit, die hohe Sensibilität für die Wünsche anderer, die Duldsamkeit, die Abhängigkeit von Komplimenten und Anerkennung, die selbstverständliche Dienstleistungsorientierung, all das zahlt ein auf das tradierte Rollenbild. Wäre das Patriarchat ein Wirtschaftsunternehmen, würde ein weibliches Missbrauchs-Skillset umstandslos als Kompetenzprofil für weibliche High Performer durchgehen. Zumindest bei mir hat das tadellos geklappt.« (S. 51f)

Auf einer kanarischen Insel schreibt eine ältere Frau über ihr Leben und Lieben — angefangen vom frühen Missbrauch in ihrer Kindheit über ihre Jugend bis hin zu ihrem Sein als singuläre Frau und der Freiheit, die damit einher geht, dem Male Gaze nicht mehr ausgeliefert zu sein: »Denn alte Frauen sieht man nicht.« (8) Sie analysiert, wie der frühe Vertrauensbruch und Missbrauch sie geprägt haben und dabei werden bemerkenswert viele fachliche Belege und Studien in diese Analyse einbezogen. So erhält diese Selbstanalyse nicht zuletzt durch die zusätzliche Perspektiven und das Einfließen von psychologischem Fachwissen eine enorme Tiefe.

»Ein reifer, erwachsener Mensch kennt seine Grenzen und respektiert die der anderen. Das ist die Grundvoraussetzung für gelingende zwischenmenschliche Bindungen. Simple but not easy. Denn eine Grenze ist nun einmal ihrem Wesen nach ein doppelgesichtiges Phänomen: Sie trennt, indem sie Innen und Außen unterscheidet, und sie verbindet, indem sie die Voraussetzung für Berührung schafft. Damit ist sie in gleichem Maße der Ort des existenziellen Voneinander-getrennt-Seins wie der Ort der intimsten Begegnung.« (S. 134)

»DAS LIEBEN DANACH« ist das literarische Debüt & Essay der Autorin Helene Bracht*, in dem sie über Ihr eigenes L(i)eben nach einer frühkindlichen Misshandlung schreibt. Wie geht es weiter? Wie lässt sich l(i)eben? Sie schreibt in diesem schmalen Buch über so viel mehr: Mis$brauch als Grenzverletzung; Kritik an der medialen Ausschlachtung des Themas sowie vergleichsweise langsamen Forschung; Selbstbefreiung, Selbstversöhnung, Nachkriegsgeneration, ambiguous loss, Scham, Kritik am Patrichariat, Sexualität, Miteinander.

»Verantwortung im Miteinander heißt, die Folgen, die das eigene Handeln für das Gegenüber haben kann, antizipieren, abwägen und Anteil nehmend in Entscheidungen übersetzen zu können. Sie bedeutet also ständige Achtung vor der Integrität eines anderen Menschen, aktive Sorge für den Schutz von dessen Unversehrtheit.« (S. 169)

Erschütternd ehrlich, selbstversöhnlich, kritisch, intelligent, mutig, sachlich und dabei trotzdem persönlich schreibt Helene Bracht autofiktional über ihr eigenes Leben, Sexualität und Beziehungen. Ein schmales Buch, das mit so einer sprachlichen Kraft, so viel Inhalt und Tiefe daher kommt, dass es sich nach so viel mehr anfühlt, wenn mensch das Buch nach 177 Seiten beendet hat. Ein Buch, das lange nachhallt; viel Wissen, Empathie und Versöhnung vermittelt. Große Leseempfehlung 💜, aber bitte beachtet den CN 🫂

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[CN: Kindesmissbrauch, psychische Gewalt]

* als Psychologin & Coach hat sie bereits mehrere Fachbücher unter ihrem bürgerlicher Namen Mechthild Erpenbeck veröffentlicht.

Bewertung vom 24.02.2025
Unbedingt lesen, wenn ...
Smith, Julie

Unbedingt lesen, wenn ...


sehr gut

»It is okay to fear someone else's disapproval, but you must fear your own more.«

»OPEN WHEN … « von der US-amerikanischen Psychologin, Professorin & Autorin Dr. Julie Smith ist ihr zweites Buch, dass sie mit psychologisches Grundlagenwissen und Tipps für die Bewältigung von mentalen Struggels gibt (DISCLAIMER: Unter dem Vorbehalt, dass mensch ein*e Fachärzt*in aufsucht (!), wenn es einem langanhaltend nicht gut geht !). Ich habe bereits Ihr erstes Buch gelesen und habe auch daraus sehr hilfreiche Tipps und Tools mitnehmen können. Im Vorwort schreibt die Autorin, dass Ihr Ziel war, ein geeignetes Nachschlagewerk zu schreiben, in das mensch jederzeit hineinlesen kann, wenn eines der behandelten Themen gerade aktut / relevant / wichtig ist.

PROS:
- Übersichtliche Gestaltung & Aufbau der einzelnen Kapitel
- Thematischer Aufbau des Buchs in drei Themenblöcken, deren Kapiteln jeweils passend Unterthemen beschreiben
- Herausgestellt Zitate als Reminder & Affirmationen
- Persönliche Worte der Autorin zu Beginn jedes Kapitels (‚A Letter from me to you‘) 💌
- Hilfreiche Takeaways als Summary am Ende jedes Kapitels

CONS:
- teilweise zu populärwissenschaftliche Ausarbeitung der Themen, ich hätte mir mehr wissenschaftliche Diskurse und Einordnungen gewünscht
- teilweise zu oberflächlich (geht mit dem obigen Punkt einher)

ALL IN ALL: Ein sehr gutes Buch für all diejenigen, die schnell einen geeigneten und professionellen Rat suchen, sich mehr mit sich selbst auseinander setzen möchten und/oder ihre eigenen Herausforderungen analysieren und passende Quick-Win-Tipps suchen.

Wenn Du ein Fachbuch suchst, ist das hier nicht Dein Buch. Aber das ist auch nicht der Anspruch der Autorin.

Bewertung vom 14.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


sehr gut

»Er lässt mich nicht zu Wort kommen und sagt fast schon väterlich, er wisse, wie schwierig es ist, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Bullshit. Weiß er nicht. Wenn er es wüsste, dann wüsste er, dass es diesen scheiß Hut, in dem Kind und Karriere drin Platz haben sollen, gar nicht gibt. Was soll das für ein Hut sein, ein Zauberhut, ein schwarzer Zylinder mit Kind, Karriere und Kaninchen drin, oder was?« 🎩🪄(S. 46)

Mit »ACHTZEHNTER STOCK« schreibt die Autorin und Schauspielerin Sara Gmuer keine Aufstiegsgeschichte, sondern hervorragende Klassen- und Systemkritik und on top gibt’s Insights in die harte Realität der Filmbranche.

Wanda’s Traum ist es, erfolgreiche Schauspielerin zu sein und raus aus der Berliner Platte 🐻🪩 zu kommen. Am Theater kann sie sich einen Ruf erarbeiten, aber der Wechsel ans Filmset ist nicht gleichbedeutend mit dem beruflichen Erfolg. Als alleinerziehende Mutter der fünfjährigen Karlie versucht sie, wie so viele Mütter, alles möglich zu machen: Care Arbeit, Lohnarbeit als angehende Schauspielerin, Selbstverwirklichung, Glücklich-Sein und und und. Das ist auch ohne ein erkranktes Kind schon schwierig ist, aber so wird der Spagat zur Zerreißprobe.

»Ich hatte schon immer nur dieses eine Leben. Keine Doppelhaushälfte, die irgendwann mir gehört. Man vererbt nicht nur Geld, man vererbt auch Armut. So oder so, es bleibt in der Familie.« (S. 168)

Ein großartiger Roman, der viele Themen (u.a. Mutterschaft, Care Arbeit, Schauspieler*innen-Sein, Verliebtsein als Alleinerziehende, Patrichariat, G3walt in Partner*innenschaft, Freund*innenschaft, gesellschaftliche Erwartungen, Male Gaze) aufgreift und dabei oder vielleicht gerade aufgrund dieses Orchesters an Themen und der - zeitweise - moralischen Zerrissenheit zum Page Turner wird. Der Schreibstil ist mitreißend, sarkastisch und pointiert — we love it 🔥

»Niemand wird uns je wieder vergessen. Das Haus ist ein Mahnmal, ein Mittelfinger, der in den Himmel ragt und unübersehbar an uns erinnert, an uns und all die anderen, die keiner sehen wollte.« (S. 220)

Ein großartiges Lesevergnügen, das zum Nachdenken anregt und den Finger, in genau die gesellschaftlichen Wunden legt, die es bedarf. ❤️‍🔥 Falls das noch nicht klar war: Große Leseempfehlung 🩵💛

Bewertung vom 02.02.2025
Rückkehr nach Budapest
Kiss, Nikoletta

Rückkehr nach Budapest


weniger gut

»Sie war mir schon immer voraus gewesen, manchmal nur um ein paar Erfahrungen, doch es kam mir oft wie Jahre vor. Sie war völlig angstfrei. Ich hingegen hatte stets das Gefühl, das Falsche zu tun, hinterfragte alles. Dabei hatte Theresa schon immer so viel mehr zu verlieren gehabt als ich.« (47)

In ihrem neuen Roman »RÜCKKEHR NACH BUDAPEST« schreibt die Autorin & Lektorin Nikoletta Kiss in einem Mix aus Rückschau und Gegenwartserzählung über das Aufwachsen im Sozialismus.

Márta wächst in einem kleinen Dorf in Ungarn zweisprachig auf. Ihre Cousine Theresa ist von Beginn an ihre beste Freundin, auch wenn die beiden nur die Sommermonate miteinander teilen können, bis Theresa mit ihrer Familie wieder zurück nach Berlin in die DDR kehrt. Als Márta 18 ist, ihre Mutter die Familie verlassen hat, Ihr Vater schwer alokohlabhängig ist, flieht sie zur geliebten Cousine nach Berlin. Dort lernen die beiden Konstantin kennen, der nicht nur in verschiedenen Heimen in der DDR Opfer von Gewalt geworden ist, sondern dies literarisch verarbeiten will. Es kommt wie es kommen muss: Beide Frauen verlieben sich in ihn.

Das ›Ménage à trois‹ zwischen Konstantin, Theresa und Márta ist weder heiß noch happy. Es zeigt zwar, dass mensch für seine eigenen und Wünsche einstehen muss, sonst erfüllen sie sich nicht. Aber die Irrungen, die diese Lieben und Freundschaften nehmen, sind für mich einfach unbegreiflich und ich bin wirklich genervt von der Unfähigkeit zu kommunizieren.

»Es gibt so Fragen, die man besser nicht stellt, bevor man weiß, wie man mit der Antwort umgeht.« 221

Das Thema Verrat unter Freundinnen wird gleich zweimal im Roman verhandelt: Zwischen Márta & Theresa und ein zweites Mal zwischen Márta und Paula. Beide Male kommt die Freundschaft dabei nicht gut weg, beide Male geht es um einen Mann, den beide für sich beanspruchen. Nichts daran, wie es im Roman verhandelt wird, ist besonders feministisch, neu oder bewegend. Ehrlicherweise war ich einfach genervt, wie schlecht hier Frauen für sich selbst einstehen, Grenzen setzen (und verteidigen) und noch schlechter kommunizieren. Nicht, dass die beschriebenen Männer es besser machen würden. Ganz und gar nicht.

»Genau das müsse ich tun, auf mich selbst hören, meint sie (Theresa’s Mutter). Wir Frauen seien sozialisiert, immer die Rolle der Umsorgenden zu spielen. Das Weib locke und verführe, tätschle, pflege und hege. Wie es sie nerve, wenn Frauen ihres Alters stolz darauf wären, dass ihre Ehe gehalten hatte.« 278 — dieser kurze feministische Ausbruch (lieben wir ) von Theresa`s Mutter reicht aber nicht. Es hätte von solchen Botschaften so viele mehr gebraucht.

Neben dem vergangenen und dem aktuellen ›Ménage à trois‹ und den verbundenen Freund*innenschaften erzählt der Roman vom Kommunismus, der DDR und deren schrecklichen Umgang mit Heimkindern und vermeintlich ‚schwer erziehbaren‘ Jugendlichen, Widerstand im Kommunismus, Fehlgeburten & Abtreibung. Ich habe nicht das Gefühl, dass diese Themen besonders gut verhandelt werden und sie kommen definitiv aufgrund der ›Ménage à trois‹ sehr zu kurz. Mich konnte der Roman nicht begeistern und auch der Schreibstil konnte die fehlende Tiefe für mich nicht wettmachen.

[2.5 / 5 ★ ]

Bewertung vom 28.12.2024
Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen
Brüggemann, Anna

Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen


sehr gut

»Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen, sie bekommen nichts. Simone de Beauvoir« (S. 111)

Zwei grund-verschiedene Schwestern, Antonia & Wanda, die beide nie den Ansprüchen der eigenen narzisstischen Mutter gerecht werden können. Eigentlich sollte sie dies zu Verbündeten machen, aber manchmal sind die Unterschiede auch zwischen den Menschen, die wir von Geburt an kennen, zu groß, um sie nah sein zu lassen.

»Sie mochte diese Momente alleine, in denen kein Gegenüber sie ansah, sie niemanden glücklich machen wollte.« (Wanda, S. 29)

Authentisch zeichnet Anna Brüggemann das Porträt einer Familie, die ein Abziehbild so vieler deutscher Familien aus den 80er/90er Jahren sein könnte. Vielleicht nicht ganz genau so, aber die unterschwellige Kritik wird deutlich: An der Pick-Me-Girl-Attitude, dem toxischen Körperbild und Essstörungen, den Ansprüchen von Eltern (nennen wir es beim Namen, hier vor allem: Müttern) an ihre Kinder (Töchter), und wie sich dies ein Leben lang auswirken könnten.

»Abstrakt, dachte Antonia. Was sie mir hier von Wanda erzählt, ist alles irgendwie abstrakt. Ich weiß immer noch nicht, wie der Urlaub war, wie es Mama geht und wie Wanda. Mama legt immer einen Standard fest, wie bei einer Maßtabelle, und entweder man passt da rein oder nicht. Und wenn wir Idealmaße haben, machen wir sie glücklich.« (S. 285)

Anna Brüggemann zeichnet in ihrem neuen Roman »Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen. Roman über Mütter und Töchter« gekonnt und in perfektioniertem Schreibstil ein gelungenes Psychogramm von Mütter-Töchter-Beziehungen, in dem sich sicherlich die ein oder andere an verschiedenen Stellen selbst wiedererkennen kann.

Große Leseempfehlung 💜 Einziger — m i n i 🤏🏼 — Kritikpunkt von meiner Seite: Der Roman wird in drei zeitlichen Teilen erzählt. Teilweise sind mir Passagen zu langatmig, dafür fehlen mir gedanklich auf der anderen Seite doch einige Details zwischen den Jahren.

Bewertung vom 09.12.2024
Strong Female Character
Brady, Fern

Strong Female Character


sehr gut

»Wenn man bedenkt, dass eigentlich autistische Menschen diejenigen sind, die angeblich keine nonverbale Kommunikation deuten können, erstaunt mich immer wieder, wie oft andere auf eine Reaktion meinerseits drängen, obwohl sowohl mein Gesicht auch als auch meine Stimme Desinteresse signalisieren.« (S. 136)

»STRONG FEMALE CHARACTER. Mein Leben zwischen Sexismus und Autismus« von Fern Brady bricht eine Lanze für alle Autist*innen, aber insbesondere für Frauen mit Autismus. 💘 Die schottische Comedian & Autorin Fern Brady schreibt in ihrem autobiografischen Buch extrem ehrlich über ihre Diagnose ›Autismus-Spektrum-Störung‹ (ASS), über Meltdowns & Shutdowns, Alexithymie, ihr Aufwachsen in dem Glauben, etwas stimme nicht mit ihr und sie fühle sich wie ein Marsmensch 👾(💔), Spezialinteressen, ihre Schulzeit, Erfahrungen mit psychologischen Einrichtungen / Ärzt*innen, ihr Erwachsen-Werden, Ableismus sowie S€xismus.

»Ich beschloss, all genau zu beobachten und sie so gut wie möglich nachzuahmen, bis sich der Autismus von mir gelöst hätte und ich geheilt wäre. Voller Vorfreude erwartete ich den Tag, an dem ich keinen Autismus mehr haben würde, weil ich jede Regel gelernt und jedes soziale Szenario durchschaut hätte.« (S. 269)

Wie in vielen medizinischen Bereichen so auch bei Autismus ist dies viel zu wenig in Bezug auf Frauen erforscht, weshalb zum einen viele FLINTA durch das Diagnoseraster fallen, oder Probleme mit einer passenden Medikamentation haben. Fern wurde selbst erst im Erwachsenenalter diagnostiziert und beschreibt dies mit all den Konsequenzen, die sich dadurch entstanden sind. Damit sensibilisiert Brady für sehr wichtige aber auch intensive Themen 💔, was vor allem eins zeigt: Wie stark diese Frau ist 🥵. Dabei machen ihr unterhaltsamer und humorvoller Schreibstil (da kommt doch die Comedian durch 🫰🏼) das Buch extrem fesselnd & lesenswert und insgesamt liest es sich viel eher wie ein Roman (ein sehr sehr guter 🤌🏼).

Dieses Buch ist das Beste aus Sachbuch über Autismus, Coming-of-Age-Story, Memoir und (feministischer) Kritik am Patrichariat. Es ist ein sehr wichtiges, wertvolles, gut geschriebenes (& übersetztes!), smartes und ehrliches Buch, dass einen großartigen Einblick auf Autismus und Sensibilisieren für mehr Neurodiversität ist. 🧠🩷💜

Bewertung vom 09.12.2024
Intermezzo
Rooney, Sally

Intermezzo


weniger gut

»Schweigend sehen sie einander an. Manchmal lässt sich Liebe nicht von Hass unterscheiden. Was sie füreinander sind: nicht zu befriedigende Sehnsüchte.« S. 89

Sally Rooney ist bekannt dafür, menschliche Beziehungen und ihre Abgründe so authentisch literarisch zu verarbeiten, wie sonst wenige. Ich bin mir sicher, entweder liebt oder hasst man ihre Romane, bei denen nicht die Handlung (es geht häufig nicht um etwas Besonderes), sondern vielmehr die Gefühle, Beziehungen und Verstrickungen der Protagonist*innen im Vordergrund stehen. »Conversation with Friends« (2017), »Normal People« (2018) & »Beautiful World Where Are You« (2021) fand ich alle nie langweilig oder langatmig. Die Tragik, die alle drei Romane charakterisiert, hat mich immer gefesselt, ebenso wie der Schreibstil von Sally Rooney. Nicht alle haben mir gefallen, aber bei allen habe ich den Roman verschlungen und sie haben mich berührt.

»INTERMEZZO« ♟️ (Ü: Zoë Beck) ist das vierte Buch der Autorin Sally Rooney, das 2024 erschienen ist. Und ich sag’s wie es ist: Es ist mir viel zu langatmig, lang und hat mich nicht berühren können. Ja, die beiden Leben der Brüder sind gezeichnet von Verlusten, (Fehl-) Entscheidungen und Menschlichkeiten. Aber mein persönliches Limit an abgefuckter Beziehungsdynamik und der melancholischer Zurschaustellung dessen ist definitiv erreicht. Dieser Roman war mir mit seinen fast 500 Seiten definitiv zu lang (Sorry not sorry). Rooney’s Romane werden immer länger und ich wünsche mir das knackige von NP zurück. Ja, Rooney kann es einfach: Beziehungen in all ihren Facetten zu beleuchten und der Schreibstil, der sich bei diesem Roman den Charakteren entsprechend nach verändert, ist sehr gut ausgearbeitet. Aber es hat mich emotional überhaupt nicht erreichen können.

Auch, wenn mir dieser Roman nicht gefallen hat, sind wir ehrlich: Ich werde weiterhin alles lesen, was Rooney schreibt. (Auch wenn die Übersetzung sehr gut gelungen ist, ich präferiere nach wie vor Rooney auf Englisch im Original zu lesen. Ich habe hier deswegen auf Englisch gewechselt, in der Hoffnung, dass es mir dann mehr gibt.) 🖤

Unabhängig von meiner Rezi: Ob Maus 🐭📖 Sally Rooney lesen sollte, muss jede*r für sich selbst entscheiden, aber an dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass es durchaus politische Gründe gibt, sie zu boykottieren. Bitte informiert Euch dazu selbst.

Bewertung vom 08.12.2024
Empathie und Widerstand
Lunz, Kristina

Empathie und Widerstand


gut

»EMPATHIE UND WIDERSTAND« ist nach »Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch« das zweite Buch der Autorin, Aktivistin & Unternehmerin Kristina Lunz.

Angesicht der vielen erschütternden Ereignisse & Krisen in der Welt stellen sich sicherlich viele die Frage, wie mensch sich für eine gerechtere Welt einsetzten und den eigenen moralischen Kompass finden kann. Hierauf mögliche Antworten zu geben, genau dies hat sich Kristina Lunz mit ihrem neuem Buch zum Ziel gemacht.

In den ersten beiden Kapiteln wird auf ›Empathie‹ und ›Widerstand‹ eingegangen und diese Grundlagen aus feministischer und soziologischer Sichtweise reflektiert. Die nachfolgenden 4 Kapitel greifen diese Grundalgen mehr oder weniger auf und gehen auf aktuelle Geschehnisse / Personen / Themen ein. Ich habe mich sehr auf dieses neue Buch der Autorin gefreut, nachdem mir Ihr erstes bereits so gut gefallen hat. Leider waren hier weniger neue Erkenntnisse enthalten und mir wurde persönlich zu viel Fokus auf die Angelegenheiten der Autorin gesetzt. Ihre Biografie ist sehr beeindruckend und spannend, aber nicht das, was ich bei dem Titel erwartet hätte. Dadurch ist es für mich eher ein essayistisches Buch mit biografischen Einflüssen, die ich bei einem Sachbuch nicht passend finde. Insgesamt ein gutes Buch, für alle, die sich bislang wenig mit der Arbeit der Autorin auseinander gesetzt haben. Ich persönlich habe mir mehr erhofft.