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Hajnal
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Durlangen

Bewertungen

Insgesamt 13 Bewertungen
12
Bewertung vom 07.11.2022
Das Wolfsmädchen
Hardinghaus, Christian

Das Wolfsmädchen


ausgezeichnet

Seit ich dieses Buch vorgestern beendet habe, ringe ich um Worte zum unausprechlichen Grauen, das sich mir hier in der Geschichte der Ursula Dorn offenbart hat. Und sollte ich hier doch halbwegs passende Worte finden, sehe ich mich in einem emotionalen Chaos und weiß, dass ich all die Worte und Gedanken, die mir spontan über die Lippen kommen würden, so nicht in einer Rezension schreiben kann. „Der Sieger schreibt die Geschichte“ ist einer der Sätze, die ich am häufigsten zu hören bekomme, wenn ich über Themen wie dieses mit Anderen diskutiere und ich kann Euch sagen, dass mich nichts mehr ankotzt als dieser eine Satz.
Das was Ursula und andere Kinder in Königsberg und auch in unzähligen anderen Orten zu Kriegsende erleben mussten, lässt sich kaum in Worte fassen und ich als Mutter von Kindern im ähnlichen Alter, habe das Buch öfter zur Seite legen müssen, um erst einmal wieder zu atmen. Es zerreißt einen als Elternteil, sich auch nur ansatzweise dieses Grauen an den eigenen Kindern vorzustellen, aber gerade das sollten all Jene tun, die weiterhin wegsehen wollen und das erfahrene Leid der Volksdeutschen relativieren oder generell abtun mit Aussagen wie „das war halt so“.
„Das Wolfsmädchen“ war nicht das erste Buch, das ich zu den Wolfskindern gelesen haben, aber das, welches mich am meisten schockiert hat. Es ist etwas ganz anderes einfache Zeitzeugenberichte zu lesen oder ein Buch von Christian Hardinghaus, da es gerade die ergänzenden Hintergrundinformationen des Autors sind, die das vom Zeitzeugen Erlebte in Gänze verstehen machen und ich hoffe, dass er noch viele vergessene, verschwiegene und in der öffentlichen Wahrnehmung ungewollte Themen auf den Tisch bringt und all Jenen doch noch, wenn leider auch in den meisten Fällen nur noch posthum, eine Stimme gibt und so etwas wie späte Gerechtigkeit zuteilwerden lässt.
Ich kann mir vermutlich nur ansatzweise vorstellen, wie all jene Kinder, die die Hölle ihrer Kindheit, die sie allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu den Deutschen erleiden mussten, überleben konnten. Wie viel Kraft, Mut und unbedingter Überlebenswillen waren nötig? Wie sehr haben sie unter ihren Erinnerungen in Form von Flashbacks leiden müssen, wurde doch die posttraumatische Belastungsstörung, obwohl als Granatenschock oder Kriegsneurose schon weit früher bekannt, erst in den 1980er Jahren zu einer formellen Diagnose. Kaum verwunderlich also, dass all den Betroffenen keine angemessene Therapie zuteilwurde, die ihnen bei ihren immer wieder erlebten Traumen hätten das Verarbeiten erleichtern können. Nein, es kommt noch schlimmer… nicht nur, dass ihnen keine Hilfe zuteilwurde, hat man ihnen auch noch, z.B in der DDR, verboten darüber zu reden. Was für eine Doppelmoral doch die deutsche Nation bis heute durchtränkt…
Das Leid der Deutschen, ob nun Volksdeutsche oder damalige Reichsdeutsche, wurde jahrzehntelang verschwiegen, verdrängt und das Thematisieren desselben teilweise, wie im Fall der DDR, sogar verboten. Doch warum geht man davon aus, dass das Anerkennen dessen, was vielen Deutschen im Weltkrieg und nach dem Weltkrieg passierte, ein Herabsetzen der Gräuel, die von Deutschen begangen wurden, bedeutet? Kann man ein Leid gegen das andere aufwiegen? Geht es darum, wer mehr gelitten hat? Geht es heute noch um eine Schuldfrage? Ich weiß nicht, ob irgendein Land mehr Aufarbeitungsarbeit als Deutschland geleistet hat und dennoch sehen sich unsere Kinder in der vierten oder fünften Generation, fast 80 Jahre nach Kriegsende, noch immer mit einer Schuld konfrontiert, mit der sie als Nachgeborene doch nichts mehr zu tun haben, während sich die Nachkommen der Siegermächte nie mit den Gräueln auseinandersetzen mussten, die ihre Nationen an Anderen verübten. Wahren und dauerhaften Frieden kann es aber doch erst geben, wenn allumfassende Aufarbeitung geschieht und alles thematisiert wird, ungeachtet dessen, ob die Opfer zu den Siegern oder Verlierern zählten. Jeder hatte Schuld auf sich geladen und allen wurde Unrecht angetan- im Krieg gibt es nie Gewinner, nur Verlierer- das Erkennen dessen, wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die Augen für das zu öffnen was war, könnte helfen, sie nicht vor dem zu verschließen, was heute wieder in der Ukraine oder auch an so vielen anderen Orten der Welt ist und sein wird, denn in der heutigen Zeit kann niemand mehr sagen, er hätte von nichts gewusst.

Bewertung vom 07.11.2022
Café Leben
Leevers, Jo

Café Leben


sehr gut

Bei „Café Leben“ handelt es sich um das Debüt der Londoner Autorin Jo Leevers, die inspiriert vom Krebstod ihrer Mutter, der ihrer Mutter nicht mehr ausreichend Zeit ließ noch all die unbekannten Geschichten zu erzählen, sich dem Thema von Lebensgeschichten annimmt. Das Buch erscheint heute, am 02.11.2022 im Droemer Verlag und kostet als gebundene Ausgabe bei 320 Seiten 20,00 Euro.
Henrietta war mir anfangs nicht gerade sympathisch, vermutlich gerade wegen ihrer scheinbaren Distanz zu anderen Menschen und ihrem Gedanken, dass gerade das sie zur Schreiberin von sogenannten Lebensgeschichten prädestinieren würde. Nach und nach wurde offensichtlich, dass sie ganz dem Typ „harte Schale, weicher Kern“ entspricht und sie ihre eigene verschwiegene und vielleicht sogar verdrängte Geschichte zu einem Außenseiter machte, der sich anderen nur schwer öffnen konnte.
Nach Anweisung der Organisation, die diese Lebensbücher erstellt, hat dies nach ganz bestimmten Kriterien innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens zu geschehen und müssen Punkte wie Kindheit, Jugend, etc. Punkt für Punkt abgehakt werden. Henrietta erkennt schnell, dass dieses Vorgehen nicht für alle passend erscheint. Was wenn Kindheitserinnerungen nicht das zentrale Thema sind, das der Sterbende der Nachwelt erzählen und hinterlassen möchte?
Es war wunderbar zu erleben, wie Henrietta Annie im Verlauf ins Herz schloss und sich auf eigene Kosten aufmachte, das Geheimnis um Annies vor 46 Jahren verstorbenen Schwester Kathleen zu lüften. Hier hat die Autorin ein ganz zartes, aber tiefes Band der Freundschaft zwischen Henrietta und Annie entstehen lassen, das zu Herzen geht und den Leser stellenweise, ohne ins Kitschige abzudriften, zu Tränen rührt.
„Café Leben“ ist ein gelungenes Debüt, ein Buch fürs Herz an gemütlichen Herbstabenden, dass auf weitere tolle Bücher aus der Feder Jo Leevers hoffen lässt. Auf 320 Seiten entrollt sich eine rührende und bewegende Geschichte um die Freundschaft zweier unterschiedlicher Frauen, die eines gemeinsam haben, nämlich dass sie es zugelassen haben, dass traumatische Erlebnisse sie zum Schweigen statt zum Reden brachten und so ihre Leben in eine ganz andere Richtung verliefen, als sie es vermutlich getan hätten, hätte man den Mantel des Schweigens gelüftet.
Mich persönlich hat das Buch zum Nachdenken angeregt. Was macht mich aus? Welche Dinge und Erlebnisse haben mich geprägt und die Weichen meines Lebens in eine bestimmte Richtung gestellt? Was würde es der Nachwelt erleichtern, mich im Nachhinein mit meinen Spleens und Kanten zu verstehen, nachzuvollziehen warum ich bin, wer ich bin?
Zur absoluten Begeisterung hat es trotzdem nicht ganz gereicht, dazu war mir Henrietta über zu lange Zeit nicht wirklich greifbar. Ich konnte nachvollziehen, warum sie anders war und woher ihre Probleme rührten, aber anders als bei Annie, war es nicht wirklich fühlbar. Trotz diesem kleinen Kritikpunkt ist es eine bewegende Geschichte und bekommt eine Leseempfehlung für alle, die gerne stillere Romane lesen, die sich der tieferen Themen des Lebens annehmen.

Bewertung vom 07.11.2022
Mehr als die Ehre
Metzenthin, Melanie

Mehr als die Ehre


ausgezeichnet

In zwei Tagen bin ich förmlich durch diesen wunderbaren Roman geflogen, der meiner Meinung nach, eine großartige Fortsetzung in der Reihe um Gut Mohlenberg ist. Zeitlich befinden wir uns im Jahr 1941 und wie aus dem Klappentext ersichtlich, führt Friederike seit 1934 Gut Mohlenberg, nachdem ihre psychiatrische Klinik geschlossen wurde, offiziell als Gestüt, welches auch bei den SS-Reiterstandarten einen guten Ruf besitzt und somit auch immer wieder diese dem Hof Besuche abstatten, um Pferde zu erwerben. Auf besonders kluge Art und Weise, weiß sie trotzdem ihre Schützlinge auf dem Hof zu behalten und sie durch Arbeitsverträge legal vor dem Abtransport durch das Euthanasieprogramm T4 zu bewahren. Anschaulich vermittelt Melanie Metzenthin, worum es den Nationalsozialisten wirklich ging- vorrangig standen nicht die Einschränkungen der Patienten im Fokus, sondern deren Wirtschaftlichkeit- sprich, ob jemand noch einen Beitrag in der Arbeitswelt erbringen konnte oder nur einen zusätzlichen Esser bedeutete, den man durchfüttern und für den man ohne Gegenleistung aufzukommen hatte.
Diesen Roman zu lesen, war wie ein Wiedersehen mit liebgewonnenen Freunden und man ist vom ersten Satz an wieder mittendrin. Am meisten habe ich mich gefreut, dass die überaus patente Frau Wermut wieder einen großartigen Auftritt hatte. Neben den bekannten und sympathischen Protagonisten, erwarten uns authentisch Einblicke in das Wesen und die Gemeinschaft der SS, die in vielerlei Hinsicht ganz anders war als man es erwartet hätte oder es nach außen hin schien. Da ich zu diesem Thema Einiges gelesen habe, was über Romane hinausgeht, weiß ich was für eine brillante Recherche Melanie auch hier wieder betrieben hat, die über allgemein bekannte Annahmen und Fakten hinausgehen und so ein umfassenderes Bild von Umständen und Zusammenhängen bieten.
Ich bin begeistert davon, wie Melanie Metzenthin ganz nebenbei (etwas, das jeden ihrer Romane ausmacht), fließend in die Geschehen eingebettet, Geschichte um uns erschafft, die beim Lesen zum Leben erwacht, einen Sog entwickelt und uns durch einen gleichbleibend hohen Spannungsbogen förmlich auf das Finale zu katapultiert. Ich konnte das Buch kaum zur Seite legen, las es auf der Kindle App auf dem Weg zum Dorfladen (Gott sei Dank haben die Autofahrer anscheinend viel Verständnis für verpeilte Leser), einfach in jeder freien Minute oder wann immer ich nebenher auf den Bildschirm schauen konnte und ja, das geht tatsächlich sogar während dem Spülen. Wie Ihr bestimmt herauslesen könnt, war dieser Roman ein unglaublich spannender Pageturner, über dessen Geschichte ich auch jetzt noch viel nachdenke.
Man liest selten so gute und differenzierte Romane. Ja, ich weiß, dass jeder gute Autor viel Zeit für die Recherche aufwendet und ich möchte niemandem irgendeine Leistung absprechen. Was also unterscheidet Melanies Romane von vielen anderen? Melanie liefert uns eine Geschichte, verzichtet aber darauf, uns eine vorgefertigte Meinung vorzusetzen und überlässt es uns, Schlussfolgerungen aus dem Gelesenen zu ziehen und uns ein eigenes Bild zu machen. Wie wenige andere Autoren vermag es Melanie Metzenthin Szenarien zu kreieren, die uns den Zwiespalt der Protagonisten fühlen lassen und wir uns fragen müssen, wie wir wohl reagiert hätten. Melanies Romane folgen nicht der Einteilung in schwarz und weiß, gut oder böse, sondern zeigen uns, dass die Wirklichkeit ein fließender Übergang zwischen den unzähligen Nuancen dazwischen ist, es auch immer auf den jeweiligen Blickwinkel ankommt aus dem man etwas betrachtet und wie viel Kenntnis zum Gesamten wir haben.
Wie immer ging es mir auch hier eher darum, zu erzählen, worum es im Ganzen geht, was mich persönlich an dieser Geschichte begeistert hat, statt die komplette Handlung wiederzugeben- denn schließlich sollt Ihr dieses großartige Buch kaufen, leihen, lesen und weiterempfehlen, warum ich auch nicht verraten werde, was es mit dem charismatischen neuen Nachbarn Gustav Brehm auf sich hat, wer sich in wen verlieben könnte oder welche Charaktere positiv oder negativ überrascht haben- all diesen Fragen müsst Ihr schon selber auf den Grund gehen. Was ich jedoch sagen ist, dass alle Leser der Reihe um Gut Mohlenberg für ihre Geduld belohnt und mit diesem Roman wieder ein oder zwei schlaflose Nächte kaufen werden 😃
Melanie Metzenthin at her best- ich bin begeistert!!!

Bewertung vom 04.10.2022
Verbrenn all meine Briefe
Schulman, Alex

Verbrenn all meine Briefe


sehr gut

Der Klappentext:
Drei Menschen. Zwei Generationen. Ein Geheimnis.
Sommer 1932: Die 24-jährige Karin verliebt sich in den jungen Schriftsteller Olof. Aber es gibt ein Problem: Karin ist mit Sven verheiratet, einem stürmischen, hochrangigen Schriftsteller mit einer grausamen Ader. Wird sie es wagen, ihren Mann verlassen und ein anderes Leben mit ihrer neu entdeckten Liebe beginnen? 68 Jahre später fragt sich Karins Enkel Alex, Autor und dreifacher Vater, warum er eine so tiefe Wut in sich trägt; eine Wut, die seinen Kindern Angst macht und eine Kluft zwischen ihm und seiner Frau schafft. Auf der Suche nach Antworten stößt er auf die Geschichte zweier unglücklich Liebender, die zeigt, wie Leidenschaft, Eifersucht und Wut über Jahrzehnte und Generationen hinweg Wogen schlagen können.
Was mich an diesem Roman besonders interessiert hat, war wie Traumata und Negatives in den Nachfahren noch nach Generationen nachwirken können und insoweit bin ich vielleicht mit falschen Erwartungen an diesen Roman herangegangen, denn leider wurde darauf, wie sich das Erlebte der Großeltern konkret auf deren Kinder und anschließend auf die Enkelkinder übertragen hat, nicht wirklich tief eingegangen. Wenn man aber ohne solche Erwartungen herangeht, erwartet den Leser doch ein großartiges Leseerlebnis und eine berührende Geschichte, die der Autor feinfühlig und authentisch schildert. Natürlich muss man sehen, dass sich seine Recherchen bezüglich seiner Großeltern um Einiges einfacher gestaltete, als es bei uns der Fall wäre, waren sowohl seine Großeltern als auch der Geliebte der Großmutter keine unbekannten Personen und somit vieles verbrieft oder auch aus den Werken der beiden rivalisierenden Männer herauszulesen.

Niemand Geringeres als Sven Stolpe, ein in Schweden sehr bekannter Autor war sein Großvater und seine Großmutter die Tochter des Nobelpreisträgers Hans von Euler-Chelpin. Olof Lagercrantz war auch kein Unbekannter in der Literaturwelt Schwedens, woraus ersichtlich wird, dass sich eine Familienforschung mit diesen Gegebenheiten auch einfacher gestaltet haben muss, selbst wenn der Autor auch zwischen den Zeilen lesen musste und sich die Richtigkeit seiner Recherchen, manchmal erst beim Abgleich mit seinen Erinnerungen, welche er aber teilweise falsch gedeutet hatte, zeigte.

Was also erwartet den Leser bei diesem autobiografischen Roman? Eine Geschichte über eine Frau, die an einem bestimmten Punkt im Leben entscheiden muss, ob sie den Mut hat, ihrem Herzen zu folgen und entgegen aller Konventionen alles hinter sich zu lassen für einen Mann, der sie genau so will, wie sie ist oder ob sie bei einem zutiefst narzisstischen Mann bleibt, bei dem sie eine Andere sein muss und sich ihm unterordnend anpasst. Wie sich diese Geschichte gestaltete, werde ich hier nicht erzählen und dazu soll sich auch jeder Leser selber eine Meinung bilden. Die Moral des Autors ist, dass er erkennt, was seine eigene Wut für seine Familie bedeutet und welche Konsequenzen es für alle haben kann, wenn er nichts daran ändert- ob seine Wut nun wirklich mit der Geschichte seiner Großeltern zusammenhängt, vermag ich nicht zu sagen, ich bin nicht ganz überzeugt. Macht Euch ein eigenes Bild und Eure eigenen Gedanken dazu, denn dazu regt diese Geschichte an und ist, obwohl anders als von mir erwartet, doch ein zartes, feinfühliges und berührendes Buch, welches viele begeistern wird.

Bewertung vom 31.07.2022
Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3
Storks, Bettina

Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3


ausgezeichnet

Bachmann & Frisch –ganz dicht und brillant erzählt

Das vorliegende Werk hat sich in ganz außergewöhnlicher Art und Weise dem Liebespaar der deutschsprachigen Literatur der 1960 er Jahre genähert und mich voll und ganz begeistert. Sprachlich ist es ganz nah an Max Frisch und Ingeborg Bachmann dran, man merkt, dass zur Recherche nicht einfach weitere Biografien gelesen und wiedergegeben wurden, sondern auch vieles aus den Werken der komplett unterschiedlichen Autoren eingeflossen ist und so diese auch sehr authentisch erfasst wurden. Es entstehen vor unseren Augen die Schreiber großer Werke, die wir zum Teil noch aus unserer Schulzeit kennen; die Menschen hinter den Zeilen, wie wir sie so vielleicht nie gesehen haben- als Personen mit Hoffnungen und Träumen, Stärken und Ängsten.

Vieles über die Beiden ist noch nicht bekannt, ihr persönlicher Schriftverkehr ruht noch gesperrt in Archiven in Wien und Zürich. Es gibt kein einziges gemeinsames Bild der Zwei (ich frage mich zwar auch, wie man über mehrere Jahre liiert sein kann und es kein einziges Foto geben kann, aber es ist tatsächlich so). Diese zwei Liebenden auf dem Cover könnten jedoch Max und Ingeborg, der bodenständige nüchterne Schweizer, der immer klare Worte findet und das Kärtener Mädel, das zu Höhenflügen angesetzt hat und die ganze Welt umarmen möchte, sein. Hier erkennt man schon, woran die Liebe der Beiden gescheitert sein könnte- ihrem Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit und seinem Bedürfnis nach geordneten Verhältnissen und Verlässlichkeit, an Max Eifersucht und Ingeborgs Unfähigkeit sich wirklich zu binden. Man kann sich vorstellen, dass diese Konstellation eine unmögliche Kombination darstellt und zwangsläufig in einer Achterbahn der Gefühle enden musste- aber einer Achterbahn mit unbeschreiblichen Höhenflügen und den nicht zu vermeidenden Abstürzen- einer Liebe, die Max in die Arme einer Anderen und Ingeborg in die Verzweiflung trieb… einer Liebe, die alles war, nur nicht eintönig und alltäglich.

Nach Ingeborgs tragischem Tod, sahen viele in Max den Schuldigen, der sie gebrochen hatte, als er sie 1963 verließ, um mit seiner zukünftigen Frau ein neues geordnetes Leben zu beginnen- doch ganz so einfach ist es nicht. Die Autorin hat es meiner Meinung nach geschafft, sowohl Max als auch Ingeborg zutiefst menschlich zu zeigen, keinem von Beiden die Schuld am Scheitern ihrer Beziehung oder dem Verlauf ihres Lebens nach ihrer Trennung zu geben, sondern vor Augen zu führen, dass immer jeweils zwei Menschen eine Beziehung leben und ihren jeweiligen Anteil am Scheitern derselben haben. Ich war teilweise hin und hergerissen, man ist ja immer versucht Stellung zu beziehen, was in diesem Fall für mich einfach nicht möglich war, da ich mich voll in Max als auch in Ingeborg versetzt gefühlt habe und das Gefühl der inneren Zerrissenheit, die dieser Liebesgeschichte innewohnte, förmlich fühlen konnte. Man könnte annehmen, dass so groß die Liebe nicht gewesen sein kann, wenn er sie für eine andere Frau verlassen hat- könnte man, aber wenn eben dieser Max Frisch im betagten Alter bekennt, sich jede Nacht zu wünschen von ihr zu träumen, dann möchte man an eine Liebe glauben, die keiner körperlichen Nähe bedurfte, die über das Gelebte ging und ganz tiefe Spuren hinterlassen hat.

Dieses Buch sollte Literaturbegeisterte, die sich von der sprachlichen Qualität dieses Romans einnehmen lassen möchten, als auch gleichermaßen Leser begeistern, die einfach eine unglaublich berührende Liebesgeschichte der Leidenschaft zwischen den Extremen lesen möchten. Ich bin sowohl vom einen als auch vom anderen überzeugt und möchte bedingungslos empfehlen, sich auf diese Geschichte einzulassen und in die Welt von Max und Ingeborg abzutauchen!

Bewertung vom 09.03.2021
Klaras Schweigen
Storks, Bettina

Klaras Schweigen


ausgezeichnet

Alles bleibt ein Teil von uns... auch jene Dinge, über die wir schweigen und vielleicht sogar am meisten die Dinge, die wir in unserem tiefsten Inneren vergraben haben.

In ihrem neuen Roman "Klaras Schweigen" hat sich Bettina Storks gewohnt feinfühlig einem jahrzehntelang gehüteten Geheimnis angenommen und eindrucksvoll aufgezeigt, welche Folgen Unausgesprochenes noch nach unzähligen Jahren selbst für nachfolgende Generationen haben kann. Der Autorin ist ein unglaublich ergreifendes Werk über Liebe und Verlust, Schuld und die heilende Macht der Vergebung gelungen. Wie schwer wiegt Schweigen und wieviel Wahrheit schulden wir unseren Lieben?

Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Einmal beginnend kurz nach Kriegsende im von Franzosen besetzten Freiburg, wo wir der jungen und willensstarken Klara begegnen und 2018, als Klara nach einem Schlaganfall plötzlich anfängt französisch zu sprechen, was der Stein des Anstoßes dafür ist, dass ihre Enkelin Miriam sich auf die Suche nach ihren Wurzeln macht, was sie über Freiburg und Konstanz bis in die Bretagne nach Saint Malo führen wird. Wie kommt es, dass Klara plötzlich französisch spricht? Woher kommen ihre Sprachkenntnisse? Nach und nach kristallisiert sich heraus, dass es in Klaras Biografie weiße Flecken gibt, von denen ihre Enkelin Miriam, obwohl sie bei Klara aufwuchs, keine Kenntnis hat. Langsam lüftet sich der Schleier und wir begleiten Miriam mit angehaltenem Atem, Puzzleteil um Puzzleteil zusammenfügend auf ihrer Reise in Klaras Vergangenheit, wo eine wunderschöne und tragische Geschichte, die in den Wirren der unmittelbaren Nachkriegsjahre ihren Anfang nahm, doch noch zu einem aussöhnenden Ende findet und uns sprachlos und emotional tief bewegt wieder in die Gegenwart entlässt.

Was macht diesen Roman für mich zum bisherigen Meisterwerk Bettina Storks?
Zum einen ist es die Klarheit dieser Geschichte. Der Schreibstil ist gewohnt bildgewaltig, von sprachlicher Brillianz und unverwechselbar- jedoch von einer Poesie, die sich keiner Schnörkel bedienen muss. Wir folgen dem roten Faden, der sich eine Sogwirkung entfaltend durch die ganze Geschichte zieht, lesen von Einzelschicksalen, bekommen ganz nebenbei geschichtliches Wissen vermittelt, kämpfen mit den Tränen und begreifen so gar nicht, wie dieser Roman uns so richtig mitten ins Herz treffen kann.
Denn genau das tut dieser Roman, er spricht auf einer ganz tiefen Ebene an und legt den Finger in unsere eigenen verborgenen Wunden. Wir erkennen Teile von uns in den Protagonisten, wir träumen mit ihnen, wir hoffen und leiden mit ihnen, manche verabscheuen wir, andere lieben wir- wer hier nicht emotional die ganze mögliche Palette erlebt, der hat vermutlich das falsche Buch in Händen... Diesen Roman zu lesen bedeutet nämlich mittendrin zu sein statt nur dabei, den Bodensee vor Augen zu haben und die Brise von Saint Malo in der Nase.

Stürmt noch heute die offenen Buchhandlungen, kauft es, bestellt oder verschenkt es- Ihr werdet es nicht bereuen! Das ist eine der Geschichten, die bewegen, berühren und noch lange nachwirken und landet auf meiner ewigen Liste der Highlights❤

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.12.2020
Die verstummte Liebe
Metzenthin, Melanie

Die verstummte Liebe


ausgezeichnet

LESEEINDRUCK ZU
"DIE VERSTUMMTE LIEBE"
VON
MELANIE METZENTHIN

Dieser Roman erscheint am 12.01.2021, aber ich hatte das große Glück, es vorab lesen zu dürfen. Was soll ich sagen??? Ich bin komplett geflasht!!!

Es handelt sich hierbei um den vierten Band der Reihe "Leise Helden", welchem "Im Lautlosen", "Die Stimmlosen" und "Mehr als die Erinnerung" vorangingen. Da ich bekennender Melanie Metzenthin-Fan bin und mich jeder der genannten Romane überzeugt hat, waren meine Erwartungen entsprechend hoch und wurden diesmal sogar übertroffen!

Dieser Roman handelt von Fritz Ellerwegs Mutter Helen Mandeville und erzählt in der ersten Hälfte von einer jungen selbstbewussten Frau, die mit allen Konventionen bricht und statt die von den Eltern gewünschte Ehe einzugehen, die Verlobung löst und nach Deutschland flieht, wo sie ihre große Liebe Ludwig heiratet.
Sie führen eine glückliche Ehe, lieben ihren Sohn Fritz von Herzen und gehen durch dick und dünn.
Nachdem Helen die Nachricht erreicht, dass ihre Mutter im Sterben liegt, reist sie allein nach England und erlebt dort die Kriegserklärung Großbritanniens an Deutschland.

Wie wird aus Helen "Leni" Ellerweg die Helen Mitchell, der man bereits in "Die Stimmlosen" begegnet ist?
Was hat dieses liebende und selbstbewusste Wesen zu jener verbitterten Frau gemacht?

Melanie Metzenthin ist ein großartiger Roman gelungen, der mir im zweiten Teil ein emotionales Schleudertrauma beschert hat. Es ist ein brillantes Buch darüber, welche weitreichenden Konsequenzen wenige unbedachte Fehler haben können, eine Geschichte von Schuld und Vergebung, Liebe und Hass über zwei Weltkriege hinaus, das zum Nachdenken anregt und dank der wunderbar ausgearbeiteten Charakter einmal mehr verdeutlicht, dass es kein Gut oder Böse, Schwarz oder Weiß gibt und vieles eine Frage des Blickwinkels ist.

Solltet Ihr die ersten drei Bände noch nicht kennen, möchte ich sie Euch als Feiertagslektüre wärmstens empfehlen und gebe dieser mehr als gelungenen Fortsetzung bzw. Vorgeschichte eine unbedingte Leseempfehlung!!!

HIghlightalarm!!!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.04.2020
Auf den zerbrochenen Flügeln der Freiheit
Michéle, Rebecca

Auf den zerbrochenen Flügeln der Freiheit


ausgezeichnet

Dies ist eines jener Bücher, die ich vor fast einem Jahr im Angebot gekauft habe, weil ich die Posts der Autorin auf Facebook verfolge.
Da ich hierzu keine Rezensionen gelesen hatte und das eher unscheinbare Cover nicht ganz meinem Beuteschema entspricht, wollte ich dieses Buch ohne jegliche Erwartungshaltung einfach mal anlesen... und was soll ich sagen? Es hat mich komplett die Zeit vergessen lassen und vom ersten Kapitel an gefesselt!

Die Geschichte handelt von drei sehr unterschiedlichen Frauen und beginnt 1911 in Irland. Die Wege dieser drei Frauen treffen sich in einem Magdalenenheim in Dublin.
Rose, eine Nonne und ehemaliges Findelkind wird dorthin versetzt und findet sich an einem Ort wieder, der allem widerspricht, was ihrem Glauben nach gelebt werden sollte.
Cindy, eine junge Irin, deren Kind ihr nach der Geburt mittels falscher Versprechungen abgenommen wird, gerät dorthin in der Annahme, sie könne in absehbarer Zeit eine Möglichkeit schaffen, für sich und ihren unehelichen Sohn aufzukommen und ihn wieder zu sich zu holen.
Ganz anders ergeht es Fiona, die aus reichem Hause stammt, aber bei ihrem Vater in Ungnade fällt, als sie sich seinem Willen widersetzt und statt den vorgesehenen reichen älteren Mann zu heiraten, mit einem jungen und mittellosen Fischerssohn durchbrennt.

Die Magdalenenheime in Irland und England waren eine Institution, die "gefallenen" Frauen eine Zuflucht und Chance sein sollten, in Wahrheit aber bis heute ein grausames und schändliches Kapitel in der Geschichte der katholischen Kirche und Irlands darstellen. Im Vergleich zu vielen anderen Themen, wurde diesem bisher herzlich wenig Aufmerksamkeit zuteil... eine Schande, wenn man bedenkt, dass diese Heime bis in die 90er Jahre bestanden!
Die Kinder von alleinstehenden Frauen, wurden für gutes Geld zur Adoption freigegeben und diese Frauen hinter dicken Mauern weggesperrt und wie Sklaven gezwungen unter unmenschlichen Verhältnissen in den eigenen Wäschereien bis zum Umfallen zu schuften. Von der Außenwelt abgeschnitten, waren sie der Willkür sadistischer Nonnen und dem Missbrauch katholischer Geistlicher hoffnungslos ausgeliefert.

Rebecca Michéle hat es geschafft, eine Geschichte zu schreiben, die die Ohnmacht und Beklemmung dieser Frauen mit jeder Seite fühlbar macht, ohne sich in grausamen Details zu verlieren. Dieses Buch fesselt, wühlt auf, lässt den Leser stellenweise mit verzweifeln. Man möchte aufschreien, das Buch ins Eck pfeffern und doch unbedingt weiterlesen, weil man wissen möchte, wie es diesen drei Frauen ergeht, wie sich diese Geschichte entwickelt und hofft doch irgendwie auf ein Happy End.

Ich möchte dieses Überraschungshighlight allen wärmstens empfehlen, die gut recherchierte Romane lieben, an Irland interessiert sind und deren Interesse für die Magdalenenheime ich vielleicht wecken konnte.
Dies ist eine fiktive Handlung, steht aber stellvertretend für wirklich tausendfach stattgefundenes Grauen, wo wieder einmal ca 150 Jahre lang (!) weggesehen wurde. Sehr hervorzuheben ist das Nachwort der Autorin, in welchem sie auf ihre Recherche und dadurch gewonnenes Wissen eingeht. Dieses Buch verdient eine große Leserschaft, also kauft es, leiht es, lest es, teilt es, redet darüber!

Bewertung vom 26.03.2020
Goldsturm / Gut Greifenau Bd.4
Caspian, Hanna

Goldsturm / Gut Greifenau Bd.4


ausgezeichnet

LESEEINDRUCK ZU
"GUT GREIFENAU- GOLDSTURM"
VON HANNA CASPIAN

Leute, ich habe fertig und ich bin fertig! Was für eine geniale Fortsetzung der Kaisersturz-Trilogie

Bewertung vom 19.11.2019
Wunderbare Zeiten / Die Schwestern vom Ku'damm Bd.2
Riebe, Brigitte

Wunderbare Zeiten / Die Schwestern vom Ku'damm Bd.2


ausgezeichnet

Dieses wunderbare Buch habe ich für meine derzeitigen Möglichkeiten in Rekordzeit im Wechsel gelesen und gehört. Die Sprecherin Stefanie Stappenbeck hat hier eine grandiose Arbeit abgeliefert und mir persönlich sogar einen Ticken besser gefallen als Anna Thalbach im ersten Teil, da ich vor allem die verschiedenen Akzente besser vorgetragen fand.
Dieses Buch zu lesen, war wie das Wiedersehen mit alten Freunden und hat mich an vielen Stellen überrascht, da sich meine Sympathien zu den Protagonisten teilweise sehr verschoben haben. In diesem Band erfahren wir mehr über Silvie, die mittlere Tochter der Thalheims, bei der es im Gegensatz zu Rike, nicht mit allem gleich auf Anhieb klappt und sie einige Enttäuschungen erleben muss auf der Suche nach ihrem persönlichen Weg zum Glück. Durch den veränderten Fokus, bekommt man einen ganz anderen Blickwinkel auf die anderen Personen im nächsten Umfeld von Silvie und erscheint vieles in einem anderen Licht.
Silvie erscheint nicht mehr als das naive und selbstsüchtige Mädchen, welches sie für mich im ersten Teil war, sondern als eine verletzliche gute Seele, die ihren Platz im Leben und über Umwege nach ihrer Liebe sucht. Nach dem Lesen dieses Romans habe ich sie ins Herz geschlossen und bin gespannt, wie es nun mit den Thalheims weitergeht.
Wie meistens möchte ich nicht allzu sehr auf die Handlung eingehen, da die Gefahr zu groß ist in meiner Begeisterung zuviel preiszugeben. Was ich aber sagen kann ist, dass es in einer sehr aufregenden Zeit spielt, in welcher Berlin in verschiedene Sektoren geteilt wird und erste Unterschiede von Ost und West Erwähnung finden. Für mich wahnsinnig interessant, da mir bestimmte Fakten und Eckdaten bekannt sind, aber es noch einmal etwas ganz anderes ist, diese in eine Handlung verwoben, gespickt mit Hintergrundwissen, anschaulich vermittelt zu bekommen.
Diese Trilogie ist die Geschichte des Modehauses Thalheim, der Familie Thalheim und der Stadt Berlin, mit welcher Brigitte Riebe auch in Nichtberlinern wie mir die Sehnsucht weckt, durch all die Straßen und über all die Plätze zu schlendern, die hier Erwähnung finden.
Dies ist eine äußerst komplexe Geschichte, deren Stränge am Ende meisterhaft zusammenführen, ohne jedoch an irgendeiner Stelle konstruiert zu wirken... ein absoluter Lesegenuss, bei welchem man das Buch kaum aus der Hand legen mag!
Lest diesen Roman und lasst Euch in das Berlin der 50er Jahre entführen, erlebt Dramen und Liebesgeschichten, liebt, leidet, hofft und lebt diese Geschichte mit! Obwohl man diesen Roman auch ohne Vorkenntnisse lesen kann, empfehle ich doch zuerst den ersten Teil zum besseren Verständnis zu lesen.
Wenn ich einen Kritikpunkt äußern müsste, wäre es, dass ich nun warten muss, bis ich endlich erfahre, wie es weitergeht. Das Ende ist kein Cliffhanger im herkömmlichen Sinn, aber doch so, dass man genauso auf den nächsten Teil fiebert, um wieder einzutauchen und Teil dieser Geschichte zu werden.
Von mir gibt es eine absolute und uneingeschränkte Leseempfehlung!

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

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