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Benutzername: 
Emmmbeee
Wohnort: 
Feldkirch

Bewertungen

Insgesamt 108 Bewertungen
Bewertung vom 20.07.2024
Reise nach Laredo
Geiger, Arno

Reise nach Laredo


ausgezeichnet

Was ist schon Macht?

Ein älterer König ist abgedankt und verbringt gleichförmig triste Tage in einem spanischen Mönchskloster. Im elfjährigen dörflichen Außenseiter Geronimo findet er einen Gesprächspartner, der ihm innerlich wohltut. Gemeinsam machen sich die beiden klammheimlich auf den Weg, nicht wissend, wohin er sie führen wird. Der einst Mächtige auf dem Thron, nun auf einem Maulesel, gelangt zu ganz neuer Macht, nämlich zu der über sich selbst.
Nein, es ist keine wilde Abenteuergeschichte, sondern eine tiefgreifende Reise, kaum zu bewältigen für den ehemaligen Monarchen. Dennoch hält er bis Laredo durch und kehrt danach gestärkt zu seinem Domizil zurück – naja, ganz so ist es denn doch nicht.
Ich bin in historischer Hinsicht nicht allzu bewandert. Deshalb kam mir die Handlung anfangs allzu phantastisch, beinahe märchenhaft vor. Lass dich halt darauf ein, sagte ich mir, die bisherigen Bücher von Arno Geiger haben dir doch allesamt gefallen.
Aber nach und nach fand ich aufgrund von Hinweisen zu den geschichtlichen Tatsachen, welche die Grundlage für den Roman bilden. Dazu ein paar Auskünfte von Wikipedia, und dann sah ich die Story mit anderen Augen und las mit großem Genuss.
Ich finde allerdings, dass in den Rezensionen die Person des Königs nicht aufgedeckt werden sollte. Denn es macht mehr Freude, wenn der Leser es selbst herausfinden darf.
Mir gefällt die schnörkellose, geradlinige, ja einfache Sprache, in welcher der Autor sehr authentisch aus dem Leben erzählt, virtuos und scheinbar mühelos den Spannungsbogen baut. Ab und zu verwendet Geiger den Kunstgriff der Gegenwartsform, was die Schilderungen besonders eindringlich macht. Ganz am Schluss wird das Reisen thematisch wieder aufgenommen, wobei ich wegen der wiederkehrenden Person von Angelita schon recht verwundert war.
Immer wieder habe ich beim Lesen Pausen eingelegt, weil die Themen mich nachdenklich gemacht haben. Denn hier geht es um das, was wirklich zählt im Leben, für junge Menschen und Senioren, für Arm und Reich, Männer ebenso wie Frauen, gestern, heute und in Zukunft.
Deshalb empfehle ich allen, die sich beim Lesen gern auch auf etwas Ungewohntes einlassen möchten, diesen tiefschürfenden und nahe gehenden Roman.

Bewertung vom 07.07.2024
Eve
Towles, Amor

Eve


sehr gut

Wer ist Eve?

Wer oder was ist Evelyn Ross? Was führt sie nach L.A.? Woher kommt sie wirklich? Was sind ihre Ziele? Warum sucht sie diverse Bekanntschaften und lässt sich doch auf keinen Mann ein?
Eve, eine attraktive, offensichtlich intelligente, aufgeschlossene junge Frau mit glamourösem Touch, taucht an verschiedenen Orten auf und hinterlässt überall einen nachhaltigen Eindruck. Mit zwei beträchtlichen Makeln behaftet, scheint sie nicht ins Filmgeschäft einsteigen zu wollen und knüpft doch sofort Verbindungen zum Set.
Und dann geht die Post ab. Mit Tempo wird der Leser in einem Kriminalfall in der Welt der Stars und Sternchen geführt.
Aus der Sicht von mehreren Personen, unter ihnen eine bereits halb vergessene Filmgröße aus Hollywood, verfolgt der Leser einen Abschnitt aus dem Leben der jungen Frau, die wie ein guter Geist stets ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen um sich zaubert. Sie greift ganz selbstverständlich helfend dort ein, wo es nötig ist, auch in einen brisanten Erpressungsfall. Das Opfer ist eine Filmlegende, die hier salopp Dehavvy genannt wird. Bei alldem habe ich mich gewundert, dass das Telefon in den 30er Jahren beim amerikanischen Volk, auch bei den eher kleinen Leuten, bereits so verbreitet war.
Amor Towles, bestens bekannt aus früheren Werken, hat mich auch diesmal wieder zu fesseln vermocht. Mir gefallen nicht nur die gepflegte, mitreißende Sprache und der Drive, sondern auch die Bilder, die er immer wieder heraufzubeschwören versteht, und die Welten, die er so authentisch gestaltet, dass der Leser mittendrin sein kann.
Gekonnt setzt er seine Cliffhanger ans Ende vieler Kapitel. Etwas verwirrend sind die vielen Personen, welche in den Abschnitten titelgebend mitmischen. Nicht selten musste ich zurückblättern, um mich an den Menschen, seine Gründe und Absichten besser zu erinnern.
Wermutstropfen sind zwei Fehler, welche dem Autor (oder der Übersetzerin?) unterlaufen sind. Ein Wagenheber kann nicht drei Seiten später als Brecheisen bezeichnet werden. Und: F. nimmt einem Bewusstlosen den Revolver ab und steckt ihn in seinen eigenen Gürtel. Als dieser später wieder zu sich kommt, findet er die Waffe aber wie zuvor in seinem Holster.
Insgesamt ein interessanter Ausflug in die frühe Welt des Films und Hollywods frühe Jahre. Eine durchaus empfehlenswerte Lektüre.

Bewertung vom 04.07.2024
Cascadia
Phillips, Julia

Cascadia


ausgezeichnet

Bär und Zukunft

Bären haben schon in alten Märchen die Frauen fasziniert und spielen auch in der Mythologie eine bedeutende Rolle. Gleichwohl sind sie gefährliche, schnelle Tiere, denen man nicht zu nahekommen sollte, selbst wenn die Anziehung groß ist.
Im Nordwesten der USA leben die Schwestern Sam und Elena zusammen mit ihrer schwerkranken Mutter in eher prekären Verhältnissen. Die Zukunftsaussichten sind sehr bescheiden. Lediglich die Veräußerung ihres Häuschens und ein Neuanfang anderswo zeigt ein Licht am Horizont. Eines Tages taucht ein Bär vor ihrer Haustür auf und rüttelt an ihrer kleinen Welt und der Vertrautheit zwischen den Schwestern.
Dieser Roman hat mich schon auf der ersten Seite in seinen Bann gezogen. Nicht nur, dass er eine mir fremde Welt beschreibt. Es ist auch die Situation zwischen den Frauen, die mich angesprochen hat, der gegenseitige Zusammenhalt in Notsituationen und das Bemühen ums tägliche Brot und die Medikamente für ihre berufsgeschädigte schwerkranke Mutter.
In einem frischen, leichten Ton erzählt Julia Philips von Sams Arbeitsalltag, ihren Ängsten, den ungewohnten Reaktionen ihrer Schwester auf den Bären und was daraus auf die Familie zukommt. Der Spannungsbogen hat mich von Beginn an mitgerissen. Die Hoffnungen junger Menschen, die schweren Enttäuschungen, ihr kleines Glück sind mir nahe gegangen, ich war mittendrin und habe mitgezittert.
Cascadia, Oregon, eine Region im Pazifischen Nordwesten Amerikas, die in diesem Werk wohl auch zum Symbol für das Ungewöhnliche wird, das uns Menschen begegnen kann und nicht immer rational erklärlich ist.
Ähnlich ruhig, fast geheimnisvoll wie der Schreibstil ist das Cover gestaltet, bestechend durch seine Farben und die einfache Landschaftsdarstellung. Mir gefällt besonders, wie der Name der Autorin hinter einem der Bäume zu verschwinden scheint.
Ich empfehle das Buch allen, die sich auf ein ungewöhnliches Thema einlassen und den Blick in eine ganz andere Welt wagen wollen.

Bewertung vom 26.05.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen


sehr gut

Sehr beeindruckend!

Im Roman „Und Großvater atmete mit den Wellen“ von Trude Teige werden sehr verschiedene Themen behandelt: Geschichte, der Ferne Osten während des Zweiten Weltkrieges, Kriegsgefangenschaft, Brutalität und Menschlichkeit unter Lebensgefahr, Familienzusammenhalt, nicht zuletzt die Liebe, auch die zur Heimat Norwegen. Auch die Wege des Schicksals, die auf uns einwirken und uns zu dem machen, was wir sind.
Ich habe das Werk als Hörbuch genossen und bin noch immer tief beeindruckt. Anscheinend gibt es einen zweiten Roman der Autorin, der den vorliegenden ergänzt. Den möchte ich unbedingt ebenfalls lesen, lerne ich dort doch Konrad als Großvater kennen. Und natürlich möchte ich erfahren, was aus seinem Bruder Sverre und aus Sigrid und ihrer Familie geworden ist.
Es ist mir klar, dass ein Hörbuch intensiver wirkt als ein Text. Doch der Sprachstil hätte mich bei einem gedruckten Exemplar bestimmt gleichermaßen fasziniert. Hoch spannend schildert die Autorin, was alles geschieht, was die Hauptprotagonisten empfinden und wie sie die ungeheuerlichen Situationen meistern. Die Ausdruckskraft ist enorm, eindringlich und fesselnd. Oft war ich richtig schockiert, obwohl ich aus anderen Quellen Ähnliches zumindest andeutungsweise wusste.
Ein Buch, das sowohl Einblick in eine fremde Welt bietet als auch für den Frieden wirbt. Also hochaktuell!

Bewertung vom 15.04.2024
Keine Spaghetti sind auch keine Lösung
Neumayer, Silke

Keine Spaghetti sind auch keine Lösung


sehr gut

Freundinnen-Roman

Innerhalb kurzer Zeit ist dies der zweite Spaghetti-Roman, den ich lese. Damit meine ich das Wort „Spaghetti“ im Titel. Ich muss schon sagen, dass sich auch bei diesem beim Lesen ständig ein Pasta-Appetit in mir regte. Bereits das stimmige, sympathische Cover trägt dazu bei.
Tragisch ist der Inhalt des Buches, ist doch ein Teil des Freundinnenkreises gestorben, Amelie. Zudem enthüllen sich nach und nach die Schwachstellen des vierblättrigen Frauen-Kleeblattes. Das führt zu Streit, Eifersüchteleien und Zornausbrüchen. Die Situationen werden abwechselnd aus der Sichtweise der verbliebenen drei Frauen beleuchtet, und so versteht man auch gut, warum sie so handeln.
Die Heiterkeit kommt dennoch nicht zu kurz, befinden wir uns doch in der sonnigen Toskana, wo das Dolce Vita letztendlich nicht zu kurz kommen darf. Zudem ist da natürlich ein sehr attraktiver Nachbar und andere aufgeschlossene Ragazzi in Reichweite.
Ich finde, so ein Italien-Roman tut immer gut, wenn man selbst gern im sonnigen Süden war und die mediterrane Küche zu schätzen weiß. Die Autorin Silke Neumayer versteht es, uns Leser von „Keine Spaghetti sind auch keine Lösung“ durch ihre bilderreiche, sinnliche Sprache mit in den Süden zu nehmen.
Es ist kein tiefsinniger Roman, doch regt er durchaus zum Nachdenken an. Manches sollte man nicht so ernst nehmen, anderes hingegen wieder sehr sorgfältig behandeln, etwa eine Freundschaft und die eigene Familie. Immer aber: Ein Problem lediglich vor sich her zu schieben und den Kopf in den Sand zu stecken, das ist absolut keine Lösung.
Auf jeden Fall eine prima Urlaubslektüre, aber auch für die Daheimbleibenden ein toller Ausflug in den sonnigen Süden.

Bewertung vom 10.04.2024
Was das Meer verspricht
Blöchl, Alexandra

Was das Meer verspricht


gut

Meerjungfrauen müssen frei sein

Als Vida das erste Mal Marie begegnet, ist sie sofort fasziniert von ihr. Nicht nur, dass sie bei eisigen Temperaturen im Meer schwimmt und ein Meerjungfrauenkostüm bei sich hat, sie verliebt sich auch in sie. Marie schenkt Vida zwar ebenfalls ihre Zuneigung, doch sie will sich nicht an sie binden, sondern liebt auch Männer.
Mir gefiel die Stimmung, welche Alexandra Blöchl gleich von Beginn an zu schaffen versteht. Es war, als wäre ich ebenfalls auf der Insel und überall mit dabei. Im Lauf der vier Teile, in die der Roman gegliedert ist, wächst die Spannung bis zum Zerreißen.
Am Anfang von Teil vier glaubte ich schon zu wissen, auf welchen Schluss die Handlung hintreibt, denn hier endet die Ich-Form, und dass das Ende tragisch wird, war mir ohnehin klar. Doch ich hatte mich getäuscht.
Schon fast ein Thriller, dieses Buch! Der Mythos von der Meerjungfrau wurde geschickt genutzt und stützt den Spannungsbogen ganz erheblich.
Das Cover übermittelt eine kühle Atmosphäre, und die davonschwimmende Frau deutet das Hauptthema bereits an. Die Geschichte liest sich flott, nicht nur, weil hier eine mitreißende Story sehr lebhaft und farbig erzählt wird, sondern auch noch in großer Schrift gedruckt ist. Allerdings hätte ich mir einen anderen Titel gewünscht, denn: Verspricht das Meer in diesem Buch denn irgend etwas?
Ich empfehle den Roman allen, die sich einerseits von einem Mythos gern ein wenig verzaubern lassen wollen und andrerseits straff gespannte Handlungsfäden mögen.

Bewertung vom 06.04.2024
Mit den Jahren
Steenfatt, Janna

Mit den Jahren


gut

Spielarten des Lebens

Drei Menschen, die im Lauf der Handlung aufeinandertreffen: Lukas, Eva und Jette. Das heißt, Lukas und Eva sind bereits verheiratet und haben miteinander zwei Kinder. Das Ehepaar ist bereits erheblich auseinandergedriftet, als Jette erst in Lukas‘ Leben, dann auch in Jettes auftaucht. Nein, sie drängt sich nicht zwischen das Paar, es sind eher die Umstände bei einer schwierigen Situation, welche die drei Menschen zusammenführen. Das Leben hat anscheinend viel Phantasie in seinen Spielarten, es gibt immer wieder neue Nuancen.
Der Sprachstil ist frisch, fließend, farbenfroh. Die Handlung wird von Kapitel zu Kapitel jeweils aus der Sicht einer der drei einzelnen Personen betrachtet, was mir immer gefällt und zu besserem Verständnis führt. Den Schluss finde ich etwas idealisiert, aber er ist eine kreative Lösung.
Besonders begeistert bin ich von diesem Roman von Janna Steenfatt dennoch nicht.
Mir fehlt der Drive. Die Absätze sind sehr lang und verleiten zum Querlesen, manche Überlegungen scheinen mir zu langatmig. Es kommt keine rechte Spannung auf, obwohl der Leser sich schon fragt, wie diese Sache wohl endet.
Das Cover mit seinem senkrecht gestellten Querformat-Bild zieht sofort die Aufmerksamkeit auf sich und verweist auf die drei Hauptprotagonisten. Dass es von der Tochter eines bedeutenden Mitglieds der Wiener Schule, Rudolf Hausner, stammt, hat mich erstaunt und gefreut. Xenia Hausner ist auch Bühnenbildnerin und muss dort mit Raumgestaltung und Tiefe umgehen. Das spürt man beim Betrachten des Umschlagbildes.

Bewertung vom 24.03.2024
Sommerhaus am See
Poissant, David James

Sommerhaus am See


ausgezeichnet

Hervorragendes Debut

„Sommerhaus am See“, das Romandebut von David James Poissant, hat mir sehr gefallen. Eigentlich gleich schon von der ersten Seite an. Ich wollte das Buch bereits lesen, als ich vom Inhalt noch gar nichts gewusst und erst das Cover gesehen hatte. Mit einem zufriedenen Aufatmen habe ich es soeben zugeklappt.
Zwar klingt der Titel nach leichter Sommerlektüre, aber das ist die Geschichte keineswegs. Wie mit einem Sprung ins Wasser beginnt es mit einem Todesfall: Ein fremdes Kind ertrinkt hinter dem Rücken seiner Eltern, aber vor den Augen einer anderen Familie, welche ihre letzten Tage in einem anliegenden Ferienhaus verbringt. Und als einer der Söhne dieser Starlings das kleine Kind zu retten versucht, verletzt er sich schwer. Doch nicht nur diese körperliche Wunde klafft auf, sondern nach und nach viele sorgsam verdeckten Geheimnisse jedes einzelnen Familienmitglieds.
Marode wie die morsche Holztreppe zum See ist vieles bei Vater, Mutter, den Söhnen, ihrer Partnerin, ihrem Partner. Der Wassertod des kleinen Kindes spült viel Schmerz ans Ufer, bleibt stets gegenwärtig, befeuert und beschleunigt die Momente noch, an denen die Probleme sich offenbaren und in ihrem ganzen Umfang öffnen, Eifersucht mit sich bringen, Zorn, Hass, Süchte und Sehnsüchte. Auch wenn dieses Sommerhaus nicht, wie von den Eltern beabsichtigt, verkauft würde, ist doch die Zeit der Ferienharmonie unwiderruflich zu Ende.
Aus der Sichtweise jedes einzelnen Familienmitglieds der Starlings wird jede Person näher beleuchtet. Der Leser lernt die Fehler und Schwierigkeiten von jedem kennen und verstehen. Es gibt kein Happy End, doch sind die letzten Seiten von einer wohltuenden Hoffnung durchströmt. Und deshalb habe ich es, wie anfangs erwähnt, mit einem zufriedenen Aufatmen zugeklappt.
Der Sog dieses Romans beginnt mit den ersten Sätzen, und es fiel mir schwer, das Buch zwischendurch wegzulegen. Die Spannung steigt augenblicklich und hat mich mit sich gezogen. Der Sprachstil ist sehr farbig, lebhaft fließend, manchmal sprühend. Ich war richtig mit dabei, habe mitgebangt, mitgehofft, war miterschrocken. Nach diesem Debut wünsche ich mir vom Autor weitere Romane.
Das Cover ist keineswegs reißerisch, fällt aber in einem Schaufenster oder auf einem Büchertisch sofort auf und zieht die Blicke auf sich. Es vermittelt erstaunlich genau, was den Leser erwartet.
Ich empfehle den Roman allen, die mehr als nur leicht-seichte Sommerlektüre suchen.

Bewertung vom 16.03.2024
Issa
Mahn, Mirrianne

Issa


ausgezeichnet

Frau zwischen zwei Welten

Die Titelheldin Issa kehrt schwanger in die Heimat ihrer Mutter Ayudele zurück, welche mit einem Deutschen verheiratet ist und in Deutschland lebt. Issa soll Rituale vollziehen, die ihrem Ungeborenen zu einem guten Start ins Leben verhelfen. Widerwillig, hin und her gerissen zwischen modernem Denken und der Angst vor der Missgunst der Geister ihrer Ahnen fliegt sie nach Kamerun. Im Lauf ihres Aufenthaltes bekommt sie deutlich zu spüren, dass sie sich zwischen zwei Welten befindet: zu schwarz für Deutschland und zu europäisch für Kamerun.
Mit ihr taucht der Leser in die Familien-Vergangenheit und das Leben in diesem afrikanischen Land ein. Noch sind die Deutschen als Sklavenhalter nicht ganz aus dem Denken der Einheimischen verschwunden. Vielfach wird noch immer gedienert und gekuscht, und der Rassismus ist keineswegs vom Tisch.
Mirrianne Mahn schreibt in einer speziellen Sprache, deren Melodie und Gebrauch nicht wie bei den gewohnten Gegenwartsautoren (obwohl deutsch verfasst) klingt, sondern bei der man das im weitesten Sinn exotisch – afrikanische Denken herausspürt. Das macht diesen Roman auch so eindrücklich und berührend. Mir gefällt die sehr bilderreiche, sinnliche Sprache. Ein Beispiel: „Eine Träne tritt über die Ufer meiner Lider.“
Es ist die Geschichte einer großen Familie, die sich mit insgesamt sieben Generationen in die Handlung einfügt. Frauen, die zwar so gut wie rechtlos sind, aber doch über eine solche Stärke verfügen, dass sie sich immer wieder behaupten können. Eine große Rolle spielen die Ahnen, die im Empfinden der Protagonisten immerzu anwesend sind und die oft angerufen werden, um den Lebenden beizustehen und zu raten. Sogar in den Neugeborenen werden sie einige Zeit lang vermutet.
Es geht um Schweres, das sich dank der eleganten, flüssigen Erzählweise federleicht und unterhaltsam liest. Wir bekommen einen Einblick in die sozialen Strukturen, die Hierarchie besonders unter den Frauen. Zur besseren räumlichen Orientierung gibt es eine Landkarte vom Gebiet, in dem die Handlung sich abspielt. Auch eine Familientafel, Erläuterungen und Übersetzungen helfen beim Lesen. Von dieser Autorin wünsche ich mir weitere Werke.
Ich empfehle den Roman allen, die sich für die Problematik interessieren, aber auch jenen, deren Anteilnahme den Menschen aus anderen Erdteilen gilt.

Bewertung vom 26.02.2024
Die Spaghetti-vongole-Tagebücher
Maiwald, Stefan

Die Spaghetti-vongole-Tagebücher


gut

Ein Titel, lang wie Spaghetti

Eine heitere Geschichte um Essen und Trinken, um Italien und seine Menschen, wer liest so eine Neuerscheinung nicht gern. Autor Stefan Maiwald versteht es auch, uns Italien und die Italiener nahezubringen, was er bereits in früheren Werken bewiesen hat.
Reichhaltig mit Zutaten ausgestattet, fährt der erzählende Schwiegersohn im Auto zwischen Venedig und Triest durch Norditalien, kehrt hier ein, besorgt sich dort noch rasch dies und jenes, ist offen für einen Rat. Zwischendurch erfahren wir Leser, was genau er an seinem Geburtstagsfest kochen und kredenzen will und vieles über typisch italienische Speisen und Getränke.
Der Roman erinnert mich an Simmels „Es muss nicht immer Kaviar sein“. Auch dort sind viele Rezepte und Tipps zu finden, natürlich nebst zahlreichen Liebestreffen und Abenteuern (bei Simmel). Man könnte bei diesen Autoren Appetit bekommen.
Nach dem Bild mit dem langen Titel fällt der haptische Eindruck des Hardcovers auf. Es ist recht anspruchsvoll in aufgeleimtes Leinen gebunden. Die jeweiligen Zwischenkapitel „Am Wegesrand“ befassen sich mit Nebenthemen, ebenfalls auf besonderen in Lachsrosa getauchten Seiten werden kurze Textstellen wiederholt, die der Autor bedeutsam findet. Im Anhang erläutert er Einzelheiten, welche über bloße Fußnoten hinausgehen. Die drei Teile des Buches werden ebenfalls mit Farbe und Platz großzügig bedacht. So bietet der Schnitt insgesamt einen rotdurchwirkten Anblick.
À propos drei Teile und ihre Kapitel: Das Inhaltsverzeichnis ist derart umfangreich, dass es sich über fünf Seiten hinweg erstreckt.
Der Titel, und das haben wir als erstes am Roman kennengelernt, verheißt an seinem Ende, dass Maiwald mit seinen Kochkünsten die Schwiegereltern beeindrucken möchte. Ganz klar, die Vorarbeit dazu nimmt mehr als 99 Prozent des Platzes im Buch ein. Doch dann lediglich zwei kurze Bemerkungen, wie die Eltern seiner Frau auf seine doch immensen Anstrengungen reagiert haben, beschränkt auf zwei Gesten, das hat mich ein wenig enttäuscht. So vollmundig angekündigt, hätte ich gern mehr erfahren.