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YukBook
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München

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Insgesamt 278 Bewertungen
Bewertung vom 24.10.2024
Zusammen
Wurmb-Seibel, Ronja von

Zusammen


ausgezeichnet

Gleichgesinnte zu finden ist heutzutage dank verschiedenster Plattformen und sozialer Medien nicht schwer. Seltener erlebt man Momente, in denen man eine echte Verbundenheit und einen Moment von Gemeinschaft mit anderen Menschen spürt. Wie wir das ändern können, beschreibt Ronja von Wurmb-Seibel in ihrem Buch, wobei mich vor allem der zweite Teil des Untertitels – wie wir Verbündete finden – interessierte.

Doch zuvor erläutert sie, warum soziale Bindungen neben gesundheitlicher und finanzieller Vorsorge so wichtig sind, um ein langes und erfülltes Leben zu führen, und welche Bedeutung sie haben, um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Forschungsergebnisse, Zitate von Experten und ihre persönlichen Erlebnisse bilden dabei einen angenehmen Mix.

Die Autorin lebt in einem kleinen Dorf und hat mit ihrem Partner ein Gästehaus gegründet, in dem sie mal mit Künstlern, mal mit Menschen, die eine kreative Pause brauchen, lebt. Für mich, die Schwierigkeiten hat, eine gute Balance zu finden zwischen Me Time und in Gesellschaft sein, ein reizvoller, aber auch leicht abschreckender Gedanke.

Wie schon in ihrem letzten Buch „Wie wir die Welt sehen“ hat mir wieder gefallen, wie leicht sie es den Lesern macht, selbst etwas auszuprobieren und in kleinen Schritten etwas zu bewirken. Jedes Kapitel enthält viele praktische Beispiele und endet mit Experimenten für den Alltag. Mich hat sie dazu inspiriert, meinem Gegenüber bei jeder Gelegenheit mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ronja von Wurmb-Seibel schlägt einen schönen Bogen von der Bedeutung tiefgehender Beziehungen für den Einzelnen bis hin zu Anregungen, wie man eine Community gründet und zur Stärkung der Gemeinschaft und der Demokratie beiträgt.

Bewertung vom 20.10.2024
Ghost Mountain
Hession, Rónán

Ghost Mountain


ausgezeichnet

Mit skurrilen Figuren kennt sich der irische Schriftsteller Rónán Hession aus, wie er in seinem Roman „Leonard und Paul“ bewiesen hat. Diesmal ist nicht nur das Ensemble, sondern auch die Handlung bizarr. Aus dem Nichts taucht ein Berg auf, wo zuvor nur Felder waren, und stellt das Leben der umliegenden Gemeinde auf den Kopf.

Manche von ihnen fühlen sich von dem Berg magisch angezogen und erhoffen sich bei der Umrundung Klarheit über ihr Leben, anderen bietet sich eine neue Karrierechance. Der Berg entzweit Paare, beschert Verluste und bringt neue Beziehungen hervor. Es dauerte eine Weile, bis ich Zugang zu der Geschichte und den Charakteren fand, die so sonderbare Namen wie „stadtbekannter Säufer“ tragen, wurde dann aber immer stärker in eine metaphysische Ebene hineingezogen.

Der Berg steht unverändert und unerschütterlich da, löst bei den Menschen jedoch eine Kette von Ereignissen aus und bringt sie dazu, alles Vertraute zu hinterfragen, ihre äußeren Schichten abzulegen und zu ihrem innersten Kern vorzudringen. Auf schmerzvolle Weise lernen sie, wie schnell sie sich voneinander entfremden und austauschbar werden und dass nichts von Dauer ist. An einer Stelle heißt es, dass der Mensch auf der Welt nicht zu viel Platz einnehmen sollte. Für mich ist dies eine der Kernbotschaften des Romans, der zum Staunen und Nachdenken anregt.

Bewertung vom 16.10.2024
Zebras im Schnee
Wacker, Florian

Zebras im Schnee


ausgezeichnet

Dieser Roman war eine überraschende Entdeckung für mich. Die Zutaten sind ganz nach meinem Geschmack: ein historisch interessantes Setting, starke Frauenfiguren, Kunst, Fotografie, Architektur und Aufbruchstimmung.

In den 90er Jahren bereitet der New Yorker Kunsthistoriker und Architekt Richard Kugelman eine Jubiläumsausstellung über das Stadtplanungsprogramm „Neues Frankfurt“ vor. Dank einer Begegnung auf einem Symposium in Frankfurt findet er nicht nur den nötigen Antrieb, sondern lernt bei seinen Recherchen eine völlig unbekannte Seite seiner verstorbenen Mutter Franziska kennen. Um das Leben von Ella Burmeister, mit der Franziska in den 1930er Jahren eng befreundet war, geht es im zweiten Erzählstrang.

Ich habe mit den Figuren mitgefiebert, bin in die Künstlerszene und in das Frankfurter Nachtleben eingetaucht, habe mich mit Ella über ihre ersten Erfolge als Fotografin gefreut, und verfolgt, wie die Architekten Ernst May und Martin Elsässer mit ihren Bauten und dem neuen Wohnungskonzept die Stadt modernisierten. Ein toller Mix aus Fiktion und Realität, lebendig erzählt und klug komponiert.

Bewertung vom 08.10.2024
Jenseits der Ngong Berge
Gottschalk, Maren

Jenseits der Ngong Berge


ausgezeichnet

Mein Bild von Karen Blixen ist stark geprägt von der Verfilmung ihres Bestsellers „Jenseits von Afrika“. Von dieser Romanbiografie erhoffte ich mir neue Einsichten und Einblicke in ihr Leben außerhalb der Zeit in Ostafrika.

Die Rahmenhandlung bildet ein Interview, das die amerikanische Journalistin Ruth mit der 74-jährigen Schriftstellerin in ihrem dänischen Elternhaus in Rungstedlund führt. So erfahren wir nicht nur Karens Lebensgeschichte, sondern auch wie sie auf die Vergangenheit zurückblickt und warum sie so und nicht anders gehandelt hat – denn durch Ruths Reaktionen und kritische Äußerungen wird sie teils gezwungen, ihr Verhalten zu rechtfertigen.

Fest steht, dass Karen Blixen eine widersprüchliche Person war. Einerseits fiel es ihr schwer, auf Luxus und opulente Dinnerparties mit Kolonialherren zu verzichten, auch wenn sie es sich nicht mehr leisten konnte. Andererseits setzte sie sich über die Maßen für das Wohl ihrer Mitarbeiter ein und kratzte ihr letztes Geld zusammen, um den Kenianern in Notlagen zu helfen und ihnen Perspektiven zu bieten.

Die Liebe und intellektuelle Verbindung zu dem Jäger Denys Finch Hatton nimmt in ihren Schilderungen genauso viel Raum ein wie ihre unermüdlichen Anstrengungen, ihre Kaffeeplantage vor dem Ruin zu retten. Darüber hinaus bekam ich Einblick in das schwierige Verhältnis zu ihrer Familie, von der sie sich lösen wollte und doch abhängig blieb, und in ihre schriftstellerische Karriere. Dank ihrer Erzählkunst und umfangreichen Recherchen hat mir Maren Gottschalk schöne und informative Lesestunden beschert und mein Bild von Karen Blixen weiter vervollständigt.

Bewertung vom 05.10.2024
Die Geschichten in uns
Wells, Benedict

Die Geschichten in uns


ausgezeichnet

Ich hätte erst einen Roman von Benedict Wells lesen können und dann sein autobiografisches Sachbuch, aber nun mache ich es eben umgekehrt. Im ersten Teil schildert er sehr offen seine schwere Kindheit, welche Bücher ihn geprägt haben und wie er trotz massiver Rückschläge an seinem Traumberuf des Schriftstellers festhielt.

Im zweiten Teil stellt Wells verschiedene Schreibwerkzeuge wie Schnitt, Figurenzeichnung und Dramaturgie vor. Anhand seiner eigenen Romane lässt sich das natürlich am besten veranschaulichen. Dabei geht er sehr selbstkritisch vor, erklärt, warum er etliche Szenen radikal entfernte und wie er seinen Texten den Feinschliff gab. Seine Beispiele sind nicht nur prägnant und leicht nachvollziehbar, er trägt sie im Hörbuch auch humorvoll und unterhaltsam vor. Zudem zitiert er viele Schreibratgeber und Schriftsteller, die ihn inspiriert haben wie Stephen King, Donna Tartt oder Julia Cameron, so dass man im Anschluss die Themen vertiefen kann.

Mir gefiel die Mischung zwischen persönlichem Erfahrungsbericht und Schreib- und Literaturtipps sehr. Benedict Wells erklärt verständlich, was gelungene Romane ausmacht und hat meine Neugier auf seine eigenen Werke geweckt.

Bewertung vom 26.09.2024
Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3
Storks, Bettina

Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3


ausgezeichnet

Das ist mein erstes Buch aus der Reihe „Berühmte Paare – Große Geschichten“. Als Fan von Romanbiografien fand ich es sehr spannend, zwei namhafte Literaten unter dem Aspekt ihrer Liebesbeziehung näher kennenzulernen.

Ihre Charaktere sind so verschieden, dass ich schon zu Beginn Zweifel hatte, ob ihre Liebe alltagstauglich ist. Auf der einen Seite der bodenständige und pragmatische Max Frisch, der seine Routinen pflegt; auf der anderen Seite die sensible, freiheitsliebende und konsumfreudige Ingeborg Bachmann – da prallen zwei Welten aufeinander. Trotzdem finden die beiden immer wieder zueinander. Die intensiven, leidenschaftlichen Momente, die das Paar mal in Uetikon, mal in Rom erlebt, ließen auch mir das Herz aufgehen. Ich fühlte mit Max Frisch mit, der aus jedem kleinsten Kompromiss, den seine Angebetete eingeht, große Hoffnung schöpft.

Manche Muster wie seine Eifersucht wiederholen sich zwar, doch ich war bis zum Ende gefesselt von den emotionalen Höhen- und Sturzflügen und wünschte dem Paar ein Happy End. Nebenbei bekam ich tiefe Einblicke in ihre unterschiedlichen Schreibprozesse, ihre Auffassung von der Literatur und ihr Umfeld. Ingeborg Bachmanns Perspektive macht deutlich, wie schwer es Frauen hatten, sich im Literaturbetrieb zu behaupten, was sich leider auch auf die Beziehung auswirkte.

Bewertung vom 09.09.2024
Den Wind in den Haaren
Abbs, Annabel

Den Wind in den Haaren


ausgezeichnet

Einige der Frauen, die die Autorin vorstellt, sind weltbekannt, z.B. Simone de Beauvoir, Daphne du Maurier oder Georgia O‘Keeffe. Weniger bekannt ist, in welchem Maße das Wandern ihr Bedürfnis nach Freiheit und Unabhängigkeit erfüllt hat. Diese Leidenschaft teilten sie mit Frieda Lawrence, Gwen John, Clara Vyvyan und Nan Shepherd, die wir ebenfalls näher kennenlernen. Annabel Abbs hat ihre Tagebücher, Briefe und Memoiren studiert und sich nicht nur geistig, sondern auch körperlich auf ihre Spuren begeben.

In jedem Porträt kann man gut nachvollziehen, was die Frauen dazu bewegt hat, meilenweit häufig in einsamen Gegenden zu marschieren, wieviel Mut es sie gekostet hat, alles hinter sich zu lassen und wie das Wandern ihr Leben verändert hat. Die Autorin stellt sowohl das beglückende Freiheitsgefühl in der Natur und die Bedeutung des Alleinseins als auch die Gefahren, körperlichen Qualen und Ängste heraus. Ich war oft froh, die Abenteuer bequem auf der Couch erleben zu dürfen.

Indem Annabel Abbs einige Strecken selbst erwandert, zum Beispiel wie Clara Vyvyan die Rhône entlang oder wie Georgia O‘Keeffe durch die texanische Prärie und von ihren Erlebnissen und Empfindungen berichtet, fühlt man sich den wandernden Frauen sehr nahe und taucht tief in die jeweilige Landschaft hinein. Dass sie dabei viel Persönliches preisgibt und einen Bezug zu ihrem eigenen Neuanfang herstellt, macht das Buch besonders lesenswert.

Bewertung vom 01.09.2024
Paradise Garden
Fischer, Elena

Paradise Garden


ausgezeichnet

„Paradise Garden“ – so heißt ein großer Eisbecher, den die Ich-Erzählerin mit ihrer Mutter im Café Venezia isst. Der Name könnte auch für die innige Beziehung zwischen den beiden und ihre Lebensfreude stehen, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht. Sie leben in prekären Verhältnissen und wissen dennoch mit Fantasie ihren Alltag zu meistern und die kleinen Freuden zu genießen. Dass das Glück nicht lange andauert, erfahren wir gleich zu Beginn, denn die Mutter stirbt, und für Billie bricht eine Welt zusammen.

Wie die 14-Jährige gegen die Pläne ihrer ungarischen Großmutter rebelliert und sich allein auf die Suche nach ihrem unbekannten Vater macht, wird mitreißend erzählt und von Lena Urzendowsky authentisch gelesen. Ich habe Billie sofort ins Herz geschlossen. Während ihres Roadtrips an die Nordsee wird sie immer wieder an bestimmte Erlebnisse mit ihrer Mutter erinnert. Was hätte ihre Mutter in dieser Situation gesagt oder getan? So blicken wir direkt in Billies Gedanken- und Gefühlswelt, erleben viele tragikomische Momente und bekommen zugleich ein immer klareres Bild ihrer Mutter. So wie sich Billie als angehende Schriftstellerin Notizen macht, möchte man als Leser viele wunderbare Sätze aufschreiben. Auch das Ende gefiel mir sehr gut und machte es mir schwer, mich von der Heldin zu verabschieden.

Bewertung vom 16.08.2024
Oben in den Wäldern
Mason, Daniel

Oben in den Wäldern


sehr gut

Der Roman erstreckt sich über drei Jahrhunderte und hat zahlreiche Protagonisten. Zu den wichtigsten zählt der Schauplatz: ein kleines gelbes Haus in den Wäldern von Massachusetts.

So vielfältig wie die Bewohner, die wir der Reihe nach kennenlernen, sind auch Erzählform und Genre. In Geschichten, Briefen, Gedichten oder Berichten tauchen wir in den besonderen Ort ein, an dem ein ehemaliger Soldat und Witwer eine außergewöhnliche Apfelsorte züchtet und ein Landschaftsmaler pathetische Liebesbriefe an einen Dichterfreund verfasst. Der Autor beherrscht Nature Writing vom Feinsten – man kann die Fauna und Flora mit allen Sinnen spüren. Übersinnliches und Kriminelles mit einem Schuss Gruselfaktor gesellen sich dazu. Gekonnt passt David Mason seinen Sprachstil der jeweiligen Zeit und dem Thema an.

Am meisten hat mich die Beziehung zwischen den Zwillingsschwestern Alice und Mary fasziniert, die die Apfelplantage ihres Vaters übernehmen und ihr ganzes Leben dort verbringen. Raffiniert konstruierte Zusammenhänge tun sich auf. Es ist jedoch vor allem der Schauplatz, der die Geschichten zusammenhält und uns den Kreislauf des Lebens vor Augen führt.

Bewertung vom 13.07.2024
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
Stanisic, Sasa

Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne


ausgezeichnet

In diesem Buch gab es für mich ein Wiedersehen mit Figuren aus seinem früheren Erzählband „Fallensteller“. Damals hatte ich mich noch etwas schwer getan mit dem sehr eigenen Erzählstil des Autors. Diesmal war ich gleich mittendrin in den Geschichten, die sich um ganz unterschiedliche Menschen drehen.

In der ersten Erzählung hängen vier Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Weinbergen ab und malen sich aus, wie praktisch ein Proberaum wäre, bevor man einen bestimmten Weg in die Zukunft einschlägt. Welche Lebensoptionen verpasse ich? Diese Frage zieht sich auch durch die folgenden Geschichten. Aus scheinbar banalen Tätigkeiten wie dem Entsorgen eines Memory-Spiels oder dem Putzen eines Heizkörpers mit einer Ziegenhaarbürste entwickeln sich philosophische Gedanken über die eigene Herkunft, Freiheit, Selbstbestimmung und das menschliche Dasein.

An Fantasie und originellen Einfällen mangelt es Saša Stanišić wahrlich nicht, sei es bei spielerischen Wortkreationen, literarischen Bezügen oder der Vermischung von Realität und Fiktion. Ich hatte sehr viel Freude an diesen scharfsinnigen und teils humorvoll, teils melancholischen Geschichten, die sich zu einem Ganzen fügen.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.