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Dr. Harald Meyer
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Bleckede

Bewertungen

Insgesamt 4 Bewertungen
Bewertung vom 25.06.2022
1813
Platthaus, Andreas

1813


weniger gut

Platthaus hat sich entschieden, die Geschichte der vier lange Tage währenden Schlacht allein aus der Perspektive der Feldherren und Monarchen zu schreiben. Eine aus heutiger Sicht antiquierte Art militärgeschichtlicher Forschung. "Geschichte von unten" - aus Sicht der einfachen Soldaten und der Leipziger Bürger - hat den Verfasser so gut wie überhaupt nicht interessiert. Für mich ein schwerwiegender Mangel des Buches. Die neunzigtausend Gefallenen und die ungezählten zivilen Opfer finden in Platthaus' Versuch einer Gesamtdarstellung der entscheidenden Schlacht des Herbstfeldzuges von 1813 keine angemessene Würdigung.

Bewertung vom 14.06.2022
Der Reichstagsbrand (eBook, ePUB)
Kellerhoff, Sven Felix

Der Reichstagsbrand (eBook, ePUB)


gut

Der Historiker und Publizist Kellerhoff rückt die Täterfrage in den Fokus seines Buches. Um die Täterschaft wird seit nun schon bald neunzig Jahren gestritten. War der Brand Teil einer kommunistischen Verschwörung, das Fanal zu einem kommunistischen Aufstand? Oder eine gezielte Provokation der Nationalsozialisten, um hart gegen die KPD losschlagen und die NS-Diktatur errichten zu können? Oder doch die Tat eines Einzelnen - des Niederländers Marinus van der Lubbe? Der Autor gelangt aufgrund seiner Recherchen zu dem Ergebnis, dass an der Einzeltäterschaft van der Lubbes als Brandstifter nicht gezweifelt werden könne. (S. 139.) Auftraggeber, Mittäter oder Helfer hätte es nicht gegeben.

Der junge niederländische Rätekommunist und gelernte Maurer war in der Brandnacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 noch im Reichstagsgebäude als Tatverdächtiger festgenommen worden. Er gestand sogleich die Tat und beharrte von der ersten Vernehmung bis zu seiner Hinrichtung am 10. Januar 1934 darauf, den Reichstag allein in Brand gesetzt zu haben. Dabei hatte er das Ziel verfolgt, "die Arbeiter zum Kampf für die Freiheit aufzurütteln." (S. 41.) In seinem - in puncto Quellenwert umstrittenen - Geständnis vor dem Reichsgericht in Leipzig soll er ausgeführt haben, dass er die Tat begangen hätte, um die "deutsche Arbeiterschaft zum Widerstand gegen die kapitalistische Herrschaft und die Machtübergabe an die Faschisten aufzurufen."

Heute würden Strafrechtler und Kriminologen wohl vom Tätertyp eines "einsamen Wolfes" sprechen, dem es um eine Art Weckruf an die Adresse seiner deutschen Klassenbrüder gegangen war.

Die Alleintäterschaft van der Lubbes war bereits von vielen Zeitgenossen bezweifelt worden und wird bis heute kontrovers diskutiert. Als Kritiker der Alleintäterthese traten mehrere deutsche Geschichtswissenschaftler hervor; diese vermuteten eine unmittelbare Tatbeteiligung führender Nationalsozialisten. Mittlerweile geben sich allerdings nur noch wenige Forscher überzeugt, dass die NS-Führung hinter dem Brandanschlag steckte. Der amerikanische Historiker Benjamin Carter Hett hält die Täterschaft eines Berliner SA-Kommandos mit Goebbels als Hintermann für möglich.

Von der konträren Behauptung, der Niederländer hätte als willfähriges Werkzeug von KPD-Funktionären und -Aktivisten gehandelt, ist heute nirgendwo mehr die Rede. Zwar schürten die Nazis und die reaktionäre Kamarilla um Hindenburg Ende 1932/Anfang 1933 die Furcht vor einem kommunistischen Aufstand, aber man hatte auf der äußersten Rechten die damalige Strategie der KPD nicht begriffen - oder über sie zwecks wirksamer Agitation gegen die "Gefahr" geflissentlich hinweggesehen.

Diese Strategie bestand darin, abzuwarten bis die am 30. Januar 1933 neu eingesetzte Regierung mit Hitler als Reichskanzler infolge der tiefen Wirtschaftskrise, in der sich Deutschland und die übrige kapitalistische Welt damals befanden, "abgewirtschaftet" hatte und von selbst zusammenbrach. Dahinter stand die illusionäre und in der Rückschau verhängnisvolle Hoffnung, politisches Stillhalten würde letztlich zum Erfolg - zum schnellen Ende des Präsidialkabinetts Hitler - führen.

Die Karriere des Kriminalfalls "Reichstagsbrand" ist eigentlich zweigeteilt. Zum einen besteht sie aus dem Historikerstreit um die Frage der Urheberschaft der Reichstagsbrandstiftung bzw. der Alleintäterschaft van der Lubbes. Diese zeitweise sehr heftig geführte Kontroverse schwelt seit Ende der 1950er Jahre und scheint längst nicht beendet.

Zum anderen wurde das Recht brechende Todesurteil des Reichsgerichts in Leipzig vom 23. Dezember 1933 gegen Marinus van der Lubbe von bundesdeutschen Gerichten in der Zeit von 1967 bis 1983 mehrfach abgemildert, für ungültig erklärt und in veränderter Form wieder bestätigt und schließlich am 6. Dezember 2007 von der Bundesanwaltschaft endgültig aufgehoben. Dass das Leipziger Gerichtsurteil erst so spät kassiert wurde, wirft kein gutes Licht auf die deutsche Justiz.

Dr. Harald Me

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.06.2022
Walther Rathenau
Gall, Lothar

Walther Rathenau


sehr gut

Anmerkungen zum Buch von Lothar Gall, "Walther Rathenau, Portrait einer Epoche", München 2009

Eingangs beklagt der Verfasser, dass die Jahre zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg in Deutschland von einem Aufkommen "letztlich haltloser Ideologien" geprägt gewesen wären. An der Spitze dieser Ideologien hätte ein "übersteigerter, in vielem ganz irrationaler Nationalismus" gestanden, "der vieles, auf nationaler wie internationaler Ebene, auseinandersprengte und gegeneinander in Front brachte, was in den Antrieben und Zielsetzungen zusammengehörte." (Einleitung, S. 8.)

Wer nun meint, der Autor hätte diese These im Abschnitt 1, betitelt mit "Die Kräfte des Aufbruchs und der Dynamik", näher ausgeführt, sieht sich enttäuscht. Das Eingangskapitel stellt eine Abhandlung über das "neue Bürgertum" in der Gesellschaft der wilhelminischen Epoche dar. Mit dessen Entstehung und Entwicklung waren Gall zufolge tiefgreifende soziale Veränderungen verbunden. Die damalige Gesellschaft wird in einer sehr lesenswerten Analyse in ihrer Bewegung, im Wandel ihrer Schichtungen und Gruppierungen untersucht, aber sie erscheint ausschließlich als soziologisches und kultursoziologisches Phänomen, nicht als politische Gesellschaft.

Der Verf. stellt fest, dass sich Rathenau als Sohn einer der Gründergestalten der "neuen Industrien" - gemeint waren insbesondere die elektrotechnische und die chemische Industrie - von früh auf den Schichten und Fraktionen des "neuen Bürgertums" zugehörig fühlte. (S. 13.) Von der Mehrzahl seiner Mitglieder hätte sich Rathenau in materieller und sozialer Hinsicht allerdings "sehr deutlich" unterschieden, "nicht zuletzt auch aufgrund seines sehr deutlich empfundenen Außenseitertums als Jude in der etablierten Gesellschaft."

Die in Deutschland seit der Revolution von 1848/49 immer stärker geforderte Gleichberechtigung des jüdischen Bevölkerungsteils war in der Reichsverfassung von 1871 verankert gewesen. Damit war die Emanzipation der Juden im Deutschen Reich formal abgeschlossen. Doch gegen die Assimilation der Juden wandte sich eine antisemitische Propaganda, deren Judenfeindschaft in der wilhelminischen Zeit nicht mehr nur religiös, sondern "rassisch" begründet war. Als empfänglich für diese Propaganda zeigte sich vor allem das "alte" Bürgertum, zeigten sich im wesentlichen Kleinhändler, Handwerker und andere Kleingewerbetreibende sowie Bauern. Mit seinen antiliberalen und antikapitalistischen Strömungen richtete sich der Antisemitismus insbesondere gegen die Freiheits- und Gleichheitsideale der Französischen Revolution.

Da Gall in seiner Rathenau-Biographie auf eine nähere soziale Verortung der Judenfeindschaft im wilhelminischen Deutschland völlig verzichtet und es auch unterlässt, ihre gesellschaftliche und politische Bedeutung näher zu bestimmen, erscheint seine pauschale These eines Außenseitertums Rathenaus als Jude in der Zeit vor 1914 angreifbar.

Weiter unten behauptet der Verf., Rathenau hätte sich in den Jahren unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs "dem wachsenden Antisemitismus in der Gesellschaft" ausgesetzt gesehen (S. 173). Belege hierfür finden sich in dem Buch nicht. Der Spitzname "Aufsichtsrathenau", den ihm seine zahlreichen in- und ausländischen Aufsichtsratsmandate in Industrie und Bankensektor eintrugen, galt dem umtriebigen Wirtschafts- und Finanzfachmann. Von irgendwelchen antisemitisch geprägten Anspielungen oder Verunglimpfungen wie etwa solchen eines "jüdischen Plutokraten" war in der Zeit vor 1914 keine Spur. Der Antisemitismus in Deutschland hatte erst seit 1918 stark zugenommen - im Gefolge der Weltkriegs-Niederlage, der Novemberrevolution und des Versailler Vertrages von 1919. Ein Kernelement der rechtsradikalen Agitation in den Jahren der Weimarer Republik bestand in der Behauptung, das "Weltjudentum" und die marxistischen "Novemberverbrecher" trügen die Schuld an Deutschlands Unglück, so etwa an Deutschlands angeblicher Knechtung durch fremde Kap

Bewertung vom 18.11.2021
Das kalte Herz
Plumpe, Werner

Das kalte Herz


gut

Ein paar kritische Anmerkungen zu dem sehr lesenswerten Buch über die Entstehungsursachen und Entwicklungsverläufe des Kapitalismus in Europa. Mängel und Schwächen des Buches resultieren daraus, dass es mancherorts an einer Rezeption und Diskussion vorhandener Forschungsliteratur durch den Autor fehlt. Einige seiner Thesen und Argumente eingangs des Dritten Kapitels (über die "schwarzen Jahre des Kapitalismus" von 1914-1945) erscheinen angreifbar.

Was den Kriegsausbruch 1914 betrifft, so unterlässt es Plumpe, auf die unter Historikern seit langem geführte Kriegsursachen-, Kriegsziel- und Kriegsschulddebatte näher einzugehen. Für ihn war der Kriegsausbruch "das ungeplante Ergebnis einer der zahlreichen diplomatischen und politischen Krisen der Jahre vor 1914" (S. 286). Der Autor teilt hier den Standpunkt des australischen Historikers Christopher Clark. Dieser stellt in seinem auch in deutscher Übersetzung erschienenen Buch "The Sleepwalkers: How Europe Went to War in 1914", London 2012, die These in Frage, dass das Deutsche Kaiserreich die Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trage.

In der deutschen Geschichtswissenschaft wird seit der "Fischer-Kontroverse" in den 1960er Jahren überwiegend die Ansicht vertreten, dass das Deutsche Kaiserreich die Hauptverantwortung dafür trug, dass die Juli-Krise von 1914 in den Ersten Weltkrieg mündete. Historiker wie Hans-Ulrich Wehler, Heinrich August Winkler, Volker Ullrich, Klaus Wernecke und Lothar Machtan gingen auf deutliche Distanz zu Clarks Darstellung. (Der Rezensent vermisst in dem Buch eine Würdigung wichtiger Faktoren wie zum Beispiel der Interessen und Expansionspläne der deutschen Industrie. Clarks plakative Imperialismusthese greift da viel zu kurz.)

Plumpe irrt, wenn er behauptet, dass die Kriegsziele der deutschen Industrie und die entsprechenden, auf Vorstellungen eines autonom beherrschten europäischen Wirtschaftsgroßraums aufbauenden Expansionsplanungen "durchweg aus der Kriegszeit selbst" gestammt hätten (S. 288). Nein, die Kriegszieldebatte und die Expansionsplanungen - bei denen die Möglichkeit eines Ausbruchs militärischer Feindseligkeiten billigend in Kauf genommen wurde - reichten weit hinter 1914 zurück. Es gab hier klare Kontinuitätslinien.

Den Zusammenhang zwischen großkapitalistischen, großindustriellen Expansionszielen einerseits und staatlichem imperialem Weltmachtstreben andererseits hatte erstmals der Politikwissenschaftler Reinhard Opitz systematisch untersucht, vgl. Reinhard Opitz (Hrsg.), "Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945", Köln 1977, 1069 S., mit 152 zeitgenössischen Dokumenten. In einem längeren Vorwort stützt Opitz seine Analyse auf Primärquellen wie Vorträge, Denkschriften, Briefe und Sitzungsprotokolle. Aus seinem Resümee auf S. 28: "Es war ja keineswegs so, dass etwa erst der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die in der Flut industrieller Kriegszieleingaben sich manifestierenden Expansionsgelüste des deutschen Kapitals geweckt hätte, es hatten umgekehrt diese zum Krieg getrieben."

An den Planungen waren, so Opitz, zwei Agitationsverbände mit imperialistischen Zielsetzungen maßgeblich beteiligt: zum einen der Alldeutsche Verband, hinter dem vor allem schwerindustrielles Kapital gestanden hätte, und zum anderen der von neuindustriellen Kapitalinteressen, darunter solchen von Chemie- und Elektrokonzernen, getragene Mitteleuropäische Wirtschafts-Verein.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs folgte - wie Plumpe zu Recht feststellt (S. 286) - keiner ökonomischen Logik. Er resultierte aber aus einer machtdarwinistischen Logik. In einflussreichen, ja tonangebenden Kreisen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands pries man den Krieg als höchste Herausforderung, der sich eine Nation stellen könne, um die ihr innewohnenden Stärken und Tugenden zu mobilisieren und wirksam zu demonstrieren.

Plumpe behauptet (S. 288), dass es vor dem Krieg in den westlichen Staaten und in Deutschland "bestenfalls kleine 'be